Protokoll der Sitzung vom 23.03.2012

Den Antrag der Regierungsfraktionen lehnen wir daher ab. Er vergeudet unnötig Zeit. Falls die Kolleginnen und Kollegen von SPD und der LINKEN Ihre Anträge zu eigenständigen Anträgen erklären werden, werden wir uns enthalten. Ich würde mich über Ihre Zustimmung zu unserem Antrag sehr freuen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die CDU-Fraktion hat die Frau Abgeordnete Ursula Sassen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als historisch einmalig bezeichneten die „Lübecker Nachrichten“ am 8. März 2012 die Finanzreserven der gesetzlichen Krankenversicherungen in Höhe von 19,5 Milliarden €; in der Tat eine überraschende Meldung, die Begehrlichkeiten weckt. So ist es dann auch nicht verwunderlich, dass auch in Schleswig-Holstein im Hinblick auf die Landtagswahlen am 6. Mai 2012 Forderungen laut werden, diese Überschüsse wahlvolkwirksam zu verteilen. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben ihren Antrag so formuliert, dass mit der Gießkanne alle ein wenig berieselt werden. Selbst die Krankenkassen, die man schröpfen will, sollen mit der Forderung nach Abschaffung des Gesundheitsfonds und eigenverantwortlicher Festsetzung eines kassenspezifischen Beitragssatzes bei Laune gehalten werden.

Die derzeitigen Überschüsse der GKV sind neben Einsparungen auf verschiedenen Gebieten, leider auch bei den Versicherten, zum Großteil der positiven wirtschaftlichen Entwicklung und den damit

einhergehenden Beiträgen aus sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen zuzuschreiben. Wer die Patienten befragt, wird nicht zuerst die Antwort bekommen, dass die Praxisgebühr abgeschafft werden muss. Oberste Priorität haben ein stabiler, angemessener Beitragssatz, weniger Zuzahlungen und ein guter Leistungskatalog. Chronisch Kranke sind ganz besonders betroffen.

In der Presse wurde kürzlich über eine Neurodermitikerin berichtet, deren Krankenkasse sich weigerte, die Pflegemittel gegen Hautreizungen zu zahlen. Die Klage der chronisch kranken Patientin war erfolglos mit der Begründung, dass es sich nicht um ein verschreibungspflichtiges Präparat handele und daher selbst zu zahlen sei. Solche Fälle lösen bei mir angesichts der Überschüsse Unverständnis aus. Wir sollten die Diskussion um die Kassenreserven sachlich und besonnen führen, damit die Kassenüberschüsse wirklich sinnvoll genutzt werden. In diesem Punkt sind wir uns einig.

Was haben die Beitragszahler davon, wenn eine geringfügige, kaum spürbare Senkung des Beitragssatzes erfolgt? Was haben sie von Rückerstattungen, wenn Beiträge später wieder angehoben werden müssen? Die Forderung nach Abschaffung der inzwischen etablierten Praxisgebühr darf nicht allein damit begründet werden, dass sie die ursprünglich erwartete Wirkung verfehlt hat. Wir müssen prüfen, ob wir im Gesamtgefüge der Sicherstellung einer guten medizinischen Versorgung sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich auf diesen Baustein künftig verzichten können. Ist er erst einmal abgeschafft, kann man die Praxisgebühr nicht mehr wieder aufleben lassen.

Auch wir haben also die Praxisgebühr ins Visier genommen. Sie war einst dafür gedacht, die ArztPatienten-Kontakte zu reduzieren. In diesem Zusammenhang werden immer wieder die skandinavischen Länder als Vergleich herangezogen. Dort suchen die Menschen nur fünf- bis siebenmal einen Arzt auf, während die Menschen in Deutschland im Durchschnitt circa 18-mal zum Arzt gehen. Dabei ist eine neue Studie des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland zu dem Ergebnis gekommen, dass 50 % der Arztbesuche auf das Konto von 16 % der Patienten gehen und so die Statistik in die Höhe getrieben wird. Es handelt sich dabei vorwiegend um ältere und chronisch kranke Patienten. Da stellt sich schon die Frage, ob man mit Steuerungssystemen nicht die Falschen trifft.

Bevor konkrete Forderungen gestellt und die Überschüsse der Krankenkassen verteilt werden, sind die Kassen selbst gefordert, einen nachvollziehba

(Dr. Marret Bohn)

ren Verwendungsnachweis und eine solide Prognose der Entwicklung der Finanzlage abzugeben, auf deren Grundlage politische Entscheidungen verantwortungsvoll gefällt werden müssen.

Meine Fraktion ist mit im Boot, wenn sich herausstellt, dass es überschüssige Gelder zu verteilen gibt, gern an schleswig-holsteinische Krankenhäuser, auch an Hebammen und für alles, was den Patienten nützt, nicht nur für ein Wahljahr.

(Beifall bei der CDU)

Für die SPD-Fraktion hat der Herr Abgeordnete Bernd Heinemann das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gestern hätten wir beinahe einen Glückstag gehabt. Nun ist es heute doch noch aufgefallen. Es sollten nämlich die Krankenkassenüberschüsse verteilt werden. Da hätte ich gerne mitgemacht, das wäre schön gewesen. Aber so haben wir immerhin noch Grund zur Freude, dass wir zur Kenntnis nehmen konnten, dass die Konjunktur in Deutschland dazu beigetragen hat, dass die ungerechten Zusatzbeiträge für die Versicherten wieder abgeschafft werden, weil es eine Rücklage gibt. Jetzt haben wir die Chance, auch den zweiten ungerechten Zusatzbeitrag, nämlich die Praxisgebühr, abzuschaffen. Das sollten wir nutzen.

(Beifall bei der SPD - Christopher Vogt [FDP]: Hört, hört!)

Die Kassen haben Rücklagen, das ist nun wohl so. Aber machen wir uns nichts vor. Die neuen Rücklagenüberschüsse haben einen Leistungswert von gerade einmal einer Woche. Wenn wir die Praxisgebühr abziehen, dann sind das vielleicht ein oder zwei Tage weniger. Das ist das, was wir an Reserven haben, mehr ist das nicht. Die kleinste Unwucht führt zur radikalen Verknappung und erneut zu Zusatzbeiträgen. Deswegen warnen wir vor der Verteilung des Bären, bevor wir eine neue Alternative haben.

Zusatzbeiträge sind unsolidarisch, einseitig, unfair und schaden dem System einer verlässlichen Gesundheitsversorgung insgesamt. 2003 haben SPD, Grüne, CDU und CSU mit guter Absicht Zusatzbeiträge vereinbart, die im GKV-Modernisierungsgesetz als Praxisgebühren, die keine Sozialstaffel enthalten, eingeführt wurden. Seinerzeit erhofften sich die Beteiligten eine höhere Steuerungswir

kung auf die überragende Häufigkeit der Arztbesuche, meine Kollegin hat es erwähnt. Die Erfahrungen zeigen nun aber, dass die Praxisgebühr oft genau den gegenteiligen Effekt mit sich gebracht hat. Die Praxisgebühr ist keine Flatrate, kann aber so verstanden werden. Glücklicherweise sind die meisten Patientinnen und Patienten verantwortungsbewusst. Aber die Praxisgebühr als Regulativ hat sich jedenfalls nicht bewährt.

Fakt ist, ein einheitlicher Basisfallwert bis spätestens 2015 wurde in Plön 2008 auf unsere Initiative von der GMK beschlossen. Das, was wir dort mit den Händen aufgebaut haben, wird zurzeit von den Freien Liberalen per Gesetzentwurf in Berlin wieder eingerissen. Was wir jetzt haben, nennt sich Korridor mit Grenzwerten, in denen wir Schleswig-Holsteiner aber wieder ganz hinten stehen. Das sind die Gründe, warum die Mitarbeiter in den Krankenhäusern in Schleswig-Holstein benachteiligt werden, und das können wir nicht hinnehmen.

(Beifall bei SPD, SSW und vereinzelt bei der LINKEN)

Die Situation, die uns jetzt in diesen Korridor getrieben hat, ist für uns kein tolles Ergebnis.

Mit dem Antrag der Grünen haben wir vor allen Dingen deshalb Probleme, weil wir der Auffassung sind, dass die Rücklagen der Kassen den Versicherten gehören. Das Polster ist für die Beitragsstabilität und soziale Gerechtigkeit - ich sagte es bei den Zusatzleistungen - auch dringend erforderlich. Wir wollen den Versicherten prinzipiell nicht in die Tasche greifen, um eine schreiende Ungerechtigkeit an anderer Stelle, zum Beispiel bei der unfairen Finanzierung der Krankenhäuser, zu flicken.

Es waren unsere Krankenhäuser, die sich die mahnenden Worte von Günther Jansen seinerzeit zu eigen gemacht haben und, wie wir heute wissen, offensichtlich zur falschen Zeit sparsam und wirtschaftlich gehandelt haben. Diese wirtschaftliche Leistungserbringung wurde fälschlich zum faktischen Kostenmaßstab und unsere Krankenhäuser zur Dauerspardose. Das haben die Krankenhäuser nicht verdient.

(Beifall bei der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Die wirtschaftlich handelnden Krankenhäuser in unserem Land der Horizonte waren und sind bis heute dafür die Dummen. Länder, in denen großzügig gewirtschaftet wurde, hatten eben einen höheren Bedarf und bekamen natürlich auch höhere Landesbasisfallwerte. So war das damals. Aber

(Ursula Sassen)

dafür können wir nicht die Versichertengemeinschaft in Haft nehmen, die dann später dann wieder mit Zusatzbeiträgen bestraft wird, wenn das Geld nicht langt.

Liebe Grüne, wir werden sicher bald den großen Wurf machen, über den Gesundheitsfonds nachdenken und die Bürgerversicherung einführen. Darauf freuen wir uns heute schon. Das wird kommen.

(Beifall bei der SPD - Zuruf des Abgeordne- ten Wolfgang Kubicki [FDP])

Aber auch Minibeitragssenkungen - um das einmal deutlich zu sagen -, wie die Bundesregierung sie anstrebt, sind bei einer Größenordnung von 0,1 % schlicht weiße Salbe, Herr Kollege Kubicki. Insofern helfen uns die FDP-Ideen überhaupt nicht weiter.

Auch an dem notwendigen Bundeszuschuss, der in den Kostenrücklagen der Kassen steckt, wollen wir schon deshalb nicht rühren, weil diese Steuermittel den Solidarbeitrag darstellen und deswegen die Mitversicherung von Kindern finanzieren, die noch keinen Beitrag leisten können. Also gehen wir nicht wieder an die Steuern heran.

Um es zusammenzufassen: Schwarz-Gelb stellt noch schnell einen Nebelantrag, in dem schon die Überschrift - wie gesagt - ein Problem darstellte, jedenfalls gestern. Wir haben uns mit dem SSW zu einem eigenständigen Antrag entschieden, weil wir die notwendigen Stellschrauben anders nutzen wollen. Aber das machen wir in Zukunft alle drei gemeinsam.

Wir beantragen, dass die Anträge zu eigenständigen Anträgen gemacht werden, Frau Präsidentin. Beim Antrag der Grünen werden wir uns enthalten, und den Wunschkatalog der LINKEN müssen wir leider ablehnen.

(Beifall bei der SPD)

Für die FDP-Fraktion hat die Frau Abgeordnete Anita Klahn das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auf die heutige Debatte habe ich mich wirklich gefreut. Ich freue mich, dass wir aufgrund eines Antrags der Grünen endlich darstellen können, wie hervorragend die Politik von CDU und FDP ist.

(Zurufe von der SPD: Oh!)

Mit wirklichem Genuss kann man sich die Faktenlage ansehen. Unsere Debatte heute dreht sich darum, wie wir die in den Krankenkassen erwirtschafteten Überschüsse von 20 Milliarden € verwenden können. Noch einmal: Es geht um die Verteilung von 20 Milliarden €. Meine Damen und Herren, 20 Milliarden €! Ich hoffe, es ist bei Ihnen angekommen.

Lassen Sie mich aber gerne kurz zurückblicken. Als das Gesundheitsressort durch Schwarz-Gelb im Jahr 2009 übernommen wurde, übernahm die Koalition erst einmal ein Defizit von über 10 Milliarden €, das durch die verfehlte rot-grüne Politik entstanden ist.

(Beifall bei der FDP)

Rote Gesundheitspolitik verantwortet also 10 Milliarden € Miese, Schwarz-Gelb steht für einen Überschuss von 20 Milliarden €. Das ist ein Erfolg unserer Gesundheits-, aber auch unserer Wirtschaftspolitik, die klares Wachstum schafft. Es ist schön, dass gerade die Opposition den Nachweis führt, was schwarz-gelbe Politik bewirkt, und dass unsere Gesundheitspolitik genau das ist, was dem Land Schleswig-Holstein jahrelang gefehlt hat.

Für uns ist klar, was mit dem Geld jetzt zu geschehen hat. Wir wollen die Praxisgebühr abschaffen. Diese wurde seinerzeit von Rot-Grün eingeführt. Ich finde das jetzt wirklich spannend, Herr Heinemann, was Sie gerade ausgeführt haben. Sie ist eingeführt worden von genau jenen, die jetzt - zumindest in Teilen - die Abschaffung fordern.

Bei den Grünen ist man sich nicht ganz sicher, was sie genau wollen: Auf Landesebene fordern sie die Abschaffung der Praxisgebühr, Frau Künast möchte, dass das Geld ins Finanzministerium wandert, und Herr Trittin will eine Senkung der Beitragssätze. Alle wollen etwas anderes, aber gemeinsam wollen sie vergessen, dass Rot-Grün für den Murks der Praxisgebühr verantwortlich ist.

(Rasmus Andresen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und nur Frau Klahn hat den Durchblick!)

- Genau, danke, gut erkannt, junger Mann!

Ziel von Rot-Grün war es, mit der Praxisgebühr die Zahl der Arztbesuche einzuschränken. Dieses Ziel wurde grandios verfehlt, wie jetzt auch in der SPD erkannt wird. Dass sie als „Flatrate“ bezeichnet wird, hat Herr Heinemann gerade eben bestätigt, auch das habe ich mir nicht ausgedacht. Die

(Bernd Heinemann)

Steuerungsfunktion ist gleich null. Das hat auch Frau Dr. Bohn sehr gut erkannt.

Für die meisten Patienten in den Praxen vor Ort ist das Ganze ein immer wiederkehrendes Ärgernis. Sie haben es ausgeführt. Belege müssen gesammelt werden, Berechtigungen für Befreiungen müssen nachgewiesen werden, und man muss lange auf irgendwelche Bescheide warten. Was ich auch nicht begreifen kann, ist, dass Ärzte und nicht Kassen, denen die Gelder hinterher zufließen, die Gebühr eintreiben müssen. Es müssen zur Lagerung des Geldes Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden, Listen müssen geführt werden, wer bezahlt hat und wer nicht. Allein im Jahr 2010 gab es knapp 1,4 Millionen Mahnverfahren, die durch Ärzte eingeleitet wurden. Das alles bedeutet Bürokratie.