Protokoll der Sitzung vom 25.04.2012

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

die Schulen sollen die Möglichkeit haben, die von Ihnen erarbeiteten und beschlossenen Schulkonzepte umzusetzen. Da gehen Sie einmal zu den Gemeinschaftsschulen! Sie haben den Gemeinschaftsschulen die Differenzierungsstunden, auf deren Grundlage die Konzepte entstanden sind, gestrichen. Sie haben die Arbeitszeit verändert, Sie haben die gesetzliche Grundlage verändert, und Sie haben auch Oberstufenoptionen verweigert.

Frau Franzen, da müssen Sie gar nicht weglaufen. Sie haben nicht das gemacht, was Sie jetzt von anderen fordern. Es ist wirklich völlig unglaublich, mit welcher Dreistigkeit Sie jetzt hier von uns einfordern, was Sie in zweieinhalb Jahren nicht gemacht haben.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Frau Erdmann, lassen Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki zu?

Ja, wenn es hilft.

Antworten von Ihnen helfen immer, Frau Kollegin Erdmann.

Meine Frage ist: Würden Sie mir freundlicherweise erklären, ob die Lehrerarbeitszeit in Schleswig-Holstein gemessen an der Lehrerarbeitszeit in anderen Bundesländern überdurchschnittlich schlecht ist?

- Die Arbeitszeit in Schleswig-Holstein ist nicht überdurchschnittlich schlecht.

Ich möchte aber darauf hinaus - ich habe vor allem die CDU angesprochen -, dass vor der Wahl etwas anderes versprochen worden ist. Vor der Wahl wurde versprochen, die Lehrerarbeitszeit zu senken. Nach der Wahl ist in einer Nacht- und Nebelaktion innerhalb von einem Tag die Arbeitszeit erhöht worden. Darüber muss man auch einmal reden, wenn es um Planungssicherheit geht.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

(Wolfgang Kubicki)

Wir reden hier über Schulfrieden, und Ihr Antrag kommt daher wie Fräulein Rottenmeier aus dem Buch „Heidi“, die Gouvernante, die hier sagt: „Jetzt einmal Ruhe im Karton. Zweieinhalb Jahre lang Chaos, aber jetzt will ich kein Widerwort mehr hören!“

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Fräulein Rottenmeier war mir noch nie sehr sympathisch.

Wir hatten hier einen bundesweit beachteten Lehrerstreik. Wir hatten hier zudem eine Volksinitiative gegen Ihr Schulgesetz sowie eine Unterschrifteninitiative für Ihr Schulgesetz. Das will ich nicht unterschlagen. An vielen Schulen gärt es immer noch. Das wissen wir. Das hat nicht nur etwas mit Schulstrukturfragen zu tun. An dieser Stelle aber einfach nur „Ruhe im Karton“ zu sagen, das wird überhaupt nicht dem gerecht, was tatsächlich vor Ort gewollt wird.

Herr Habersaat hat bereits darauf hingewiesen, dass Ihr Schulgesetz aus dem Jahr 2011 keineswegs unumstritten war. Es gab sehr viel Zoff darum. Auch in der Expertenanhörung haben sich der Schulleiterverband und viele andere Verbände dagegen ausgesprochen. Das müssen Sie doch zur Kenntnis nehmen. Dann können Sie doch nicht sagen: Wir haben fertig, und alle anderen müssen das jetzt so abnicken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Der Ruf nach Schulfrieden in der Politik meint viel zu oft einen „Schulfrieden zu meinen Bedingungen“. Das bedeutet: „Schulfrieden, aber wir bewegen uns nicht.“ - So kann das aber nicht funktionieren. Genauso ist Ihr Antrag aber formuliert worden. Was CDU und FDP beschlossen haben, muss offensichtlich für immer gelten. Damit ist Schulfrieden falsch verstanden.

Schulfrieden heißt natürlich auch nicht, dass plötzlich alle Parteien einer Meinung sind. Das ist ganz klar. Schulfrieden heißt, einen Kompromiss zu finden, der parteiübergreifend und über eine Legislaturperiode hinaus gilt und der zusammen mit den Akteuren vor Ort erarbeitet wird. Deswegen haben wir die Einrichtung eines Bildungskonvents vorgeschlagen.

Frau Franzen, ich glaube, Sie haben den Kern nicht verstanden. Das ist nicht vergleichbar mit dem Landesschulbeirat, weil das Problem darin besteht, dass wir nicht zu einem Kontakt, zu einem Gremium

kommen, in dem sich die Politik und die Akteure vor Ort vernetzen und an einem Tisch darüber reden. In Nordrhein-Westfalen hat das gerade sehr gut geklappt. Das ist ein gutes Beispiel dafür, dass es mit dem Schulfrieden funktioniert.

Ich weiß nicht, warum Sie uns vorwerfen, dass wir eine Position haben, mit der wir uns an den runden Tisch setzen. In unserem Wahlprogramm haben wir ganz klar gesagt, dass wir nicht ohne eine Position am runden Tisch teilnehmen. Natürlich ist auch unser langfristiges Ziel darin enthalten: gemeinsames Lernen. Ich weiß nicht, ob es eine Schwächung unserer Position sein muss oder ob nicht vielmehr eine Anerkennung notwendig ist, dass wir sagen, dass wir überhaupt nicht mit dem Kopf durch die Wand wollen.

Frau Franzen hat vorhin behauptet, ginge es nach Rot-Grün und SSW, dann würde es keine Gymnasien mehr geben. Hierzu möchte ich Ihnen ein kleines Praxisbeispiel nennen, Frau Franzen. Als wir das Schulgesetz der Großen Koalition in Kiel umgesetzt haben, hätten wir als Kommunalpolitik an zwei Schulstandorten durchaus Gemeinschaftsschulen einrichten können, wenn wir Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen zusammengelegt hätten. Wir haben aber gesagt: Das geht nicht auf Knopfdruck. Man kann nur gemeinsam Schule machen. Diese beiden Schulstandorte sollen nebeneinander existieren. Das ist im Prinzip das, was wir uns vorstellen. Es geht um einen fairen Wettbewerb zwischen Gemeinschaftsschulen und Gymnasien. Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, warum die Konservativen vor diesem Wettbewerb so eine Angst haben.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD - Günther Hildebrand [FDP]: Aber mit Chancengleichheit!)

- Ja, ganz genau, mit Chancengleichheit. Das sehe ich auch so. Das gilt auch bezüglich der Schülerschaft und der Frage, wer welche Aufgaben zu erfüllen hat, Herr Hildebrand.

An dieser Stelle möchte ich auf die Angstkampagne der Union eingehen. Die Junge Union sagt: Auch deine Schule wird geschlossen. - Das ist wirklich der Hammer.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Schauen wir uns einmal an, warum momentan Schulen geschlossen werden. Das ist so etwas wie eine Rote-Socken-Kampagne im Bildungsbereich. Schulstandorte werden geschlossen, weil Eltern an

(Anke Erdmann)

ders wählen, als es sich die CDU vorgestellt hat. Schulstandorte werden aufgrund des Schülerzahlrückgangs geschlossen. Der Minister hat aber die Ausnahmegenehmigung aus der Mindestgrößenverordnung herausgenommen. Von Ihnen habe ich dazu kein kritisches Wort gehört, Frau Franzen. Außerdem wird es natürlich nicht unbedingt hilfreich für Schulstandorte sein, wenn man tatsächlich 3.650 Stellen bis zum Jahr 2020 streicht, wie die CDU es will. Das gehört doch zur Wahrheit dazu, aber nicht Ihre Panikmache.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Wer einen Schulfrieden fordert, ohne die Schüler, die Lehrer, die Eltern und alle anderen Akteure einzubeziehen, wer Angst vor Schulschließungen schürt, aber das Problem selbst verschärft, wer Ruhe im System proklamiert, aber gleichzeitig ankündigt, mehr als 3.000 Lehrerstellen bis 2020 streichen zu wollen, der hilft den Schulen im Land nicht, sondern der schadet den Schulen. Das wird auch allen in diesem Land klar geworden sein.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Da Frau Franzen offensichtlich viele Sachen falsch verstanden hat und vielleicht auch Unwahrheiten verbreiten wollte, empfehle ich ihr die Lektüre unseres Parteiprogramms, wo man das noch einmal nachlesen kann.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Für die Fraktion des SSW erteile ich der Frau Fraktionsvorsitzenden Anke Spoorendonk das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gehört zu den Geburtsfehlern der Schulreform 2007, dass nicht zeitgleich eine Reform der Lehrerbildung in Angriff genommen wurde. Vieles hätte dann heute anders ausgesehen.

Fakt ist aber, dass es für die schwarz-gelbe Koalition dadurch viel einfacher wurde, das gegliederte Schulsystem durch die Hintertür wieder einzuführen. Statt den Schulfrieden 2007 als Chance zu sehen, hat das Bildungsministerium nach 2009 dauernd umgesteuert oder - um es ganz genau zu sagen - das Steuer verrissen. Die Lehrerbildung läuft nämlich bis heute so, als hätte es nie Veränderun

gen gegeben. In Flensburg werden immer noch Realschullehrer ausgebildet. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist ungefähr so zukunftsweisend wie die Forderung, die Sütterlin-Schrift wieder einzuführen.

Doch nun soll alles besser werden. Die Landesregierung hat in letzter Minute die Kurve genommen und Ende März beschlossen, dass es ab dem Wintersemester 2013/2014 an der Universität Flensburg erstmals ein neues Lehramt für Regionalund Gemeinschaftsschulen sowie ein eigenständiges Lehramt für Grundschulen geben soll. Man könnte fragen, ob man da noch ein eigenständiges Lehrerbildungsgesetz braucht; denn so etwas haben wir bisher in Schleswig-Holstein noch nicht gehabt. Bis heute tragen und gestalten Studien- und Prüfungsordnungen der Universitäten die Lehrerbildung, aber kein demokratisch geformtes Gesetz.

Anders herum stellt ein Lehrerbildungsgesetz ein Stück Transparenz dar, und das begrüßen wir ausdrücklich. Daran hat sich seit der ersten Lesung des Gesetzentwurfs von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im März 2010 nichts geändert.

Neu sind hingegen einige inhaltliche Änderungen im Gesetz, mit dem die Bündnis-Grünen dem Konzept der Universität Flensburg zur Novellierung der Lehrerbildung Rechnung tragen, das auch die Grundlage für das Konzept der Landesregierung bildet. Der geänderte Gesetzentwurf ist ein Kompromissangebot für die Hochschulen, heißt es von den Grünen. Das sieht der SSW genauso.

Langfristig wird Schleswig-Holstein aber nicht um eine Stufenlehrerausbildung herumkommen, die unabhängig von der konkreten Schulart gestaltet werden muss. Zukünftig sollte es aus Sicht des SSW nur die Sekundarstufe I mit der Möglichkeit, sich auf Grundschulen zu spezialisieren, und das Lehramt für die Sekundarstufe II geben. Wir brauchen diese Stufenlehrerausbildung, denn damit wird nicht zuletzt zum Ausdruck gebracht, dass es beim Unterrichten nicht auf die Schulart ankommt, sondern auf die Binnendifferenzierung und die individuelle Förderung.

(Zuruf des Abgeordneten Günther Hilde- brand [FDP])

Mit anderen Worten steht für uns fest, dass sich auch das Lehramt für Gymnasien langfristig verändern muss. Auch in diesem Bereich gilt es, das Studium zu erweitern, und zwar durch pädagogische Aspekte des gemeinsamen Lernens, durch Bewertung von Lernfortschritten und den Umgang mit Heterogenität. An diesem Ziel sind wir aber noch

(Anke Erdmann)

lange nicht angekommen, lieber Kollege Hildebrand, und zwar weder in Schleswig-Holstein noch in der Bundesrepublik insgesamt.

Daher haben wir beschlossen, das Kompromissangebot der Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mitzutragen. Das gilt nicht im Einzelnen für jeden Buchstaben des Gesetzentwurfs. Der Gesetzentwurf schafft aber eine gute Grundlage für notwendige Veränderungen.

Auch dem SSW ist wichtig, dass die Gemeinschaftsschule nicht mit dem mittleren Bildungsabschluss endet. Wir wollen, dass es auch an Gemeinschaftsschulen Kinder mit Gymnasialempfehlung gibt. Das ist aber nur dann machbar, wenn es an der Universität Flensburg künftig möglich sein wird, das Lehramt für Gemeinschaftsschulen um die Sekundarstufe II zu erweitern. Das ist ein pragmatischer Ansatz, den wir unterstützen.

Die Spezialisierung auf ein eigenständiges Lehramt für Grundschulen ist fachlich sicherlich sinnvoll. Es darf aber aus unserer Sicht nicht dazu führen, dass es unter dem Strich eine Lehrerausbildung erster und zweiter Klasse gibt. Der fachwissenschaftliche Bezug muss sichergestellt sein, und mehr als alles andere gilt auch hier der Grundsatz: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.