Protokoll der Sitzung vom 13.06.2018

brauch betreiben, haben nicht den Datenschutz oder den Schutz des Nutzers im Sinn, sondern möchten sich im Wesentlichen ihre eigenen Taschen füllen.

Ähnliches gilt für den Verbraucherschutz. Ein Verband, ein Verein, der ohne jede Eigenbetroffenheit klagen kann, kann auch schnell der Versuchung erliegen, aus egoistischen, kommerziellen oder politischen Interessen oder zum Zwecke der Behinderung zu klagen und abzumahnen. Gleichzeitig - das ist mir an dieser Stelle wirklich sehr wichtig - brauchen wir und brauchen die Verbraucher das Wissen und die Expertise leistungsstarker, am Gemein- und Verbraucherwohl orientierter Verbände, die die Verbraucher bei der Suche nach Lösungen für ihre Probleme und bei der Durchsetzung ihrer berechtigten Forderungen und Ansprüche unterstützen und vertreten.

Die Verbraucherzentralen, auch diejenigen hier im Land, leisten übrigens eine sehr, sehr gute Arbeit. Nicht ohne Grund hat sich die Jamaika-Koalition eindeutig zur Stärkung der Rolle der Verbraucherzentralen bekannt.

(Beifall FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das ist übrigens einer der Gründe, warum der vorliegende Antrag der AfD - unabhängig von dem angesprochenen falschen Termin; das, worum es hier geht, ist ja schon alles gelaufen -,

(Volker Schnurrbusch [AfD]: Ist Verschoben worden!)

schlicht schlecht ist. Ihnen fehlt die Differenzierung. Sie sagen schlicht Nein, statt sich mit der Thematik wirklich inhaltlich auseinanderzusetzen. Mir ist es zum Beispiel durchaus wichtig, dass Verbraucher hervorragende Unterstützung bei der Wahrnehmung ihrer Rechte und Ansprüche bekommen. Mir ist es aber genauso wichtig, das Geschäftsmodell dubioser Abmahn- und Klageverbände zu stoppen.

Ich möchte durchaus wissen, wer hinter einem klageberechtigten Verband steht. Ich möchte schon wissen, wer den Verband finanziert und wer tatsächlich welche Interessen verfolgt.

Ich möchte aber auch sicherstellen, dass ein klageberechtigter Verband die nötige Relevanz hat, dass er direkt am Verbraucher und nicht nur im Hinterzimmer arbeitet. Wir brauchen bei Vereinen keine kleinen Kaderorganisationen, sondern wir brauchen Vereine mit einer demokratischen Binnenorganisation, bei denen man zum Beispiel problemlos Mitglied werden kann.

Liebe Kollegen, die Richtlinie sollte deshalb keineswegs schlicht abgelehnt werden. Wir sollten notfalls noch einmal darauf schauen, damit die richtigen Schwerpunkte, die richtigen Themen gesetzt werden. Im Rahmen einer inhaltlichen Diskussion sollten wir noch einmal prüfen, ob alles so läuft, dass wir Missbräuche ausschließen können. Wir wollen sicherstellen, dass die Richtlinie im Sinne der Verbraucher gehandhabt wird, das heißt, dass die Verbraucherrechte und nicht nur die Verbandsrechte gestärkt werden.

In jedem Fall muss die Richtlinie Rechtssicherheit schaffen. Sie darf nicht irgendwelchen dubiosen Winkeladvokaten oder Aktivisten einen Spielplatz für ihre persönliche - auch politische - Bereicherung bieten, sondern muss konsequent am Verbraucherschutz und an den Menschen orientiert sein.

Die Musterfeststellungsklage - über viele Stellen des Referentenentwurfs kann man ohne Weiteres noch diskutieren - ist übrigens durchaus auch ein Modell für Europa. Ich denke, in diese Richtung sollten wir weiterdenken.

Meine Damen und Herren, ich habe noch eine Minute Zeit. Diese möchte ich gern an das Plenum zurückgeben. Mein Fraktionsvorsitzender hat mich schon gebeten: Mach es kurz! Dann haben wir heute einen schönen Feierabend! - Ich danke Ihnen ganz herzlich für die Aufmerksamkeit.

(Heiterkeit und Beifall FDP und CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Herr Kollege Arp hat sich zur Geschäftsordnung gemeldet.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dem Wunsch nach einem schnellen Feierabend kann ich so nicht nachkommen; denn die SPD hat hier Bilder vom Kabinett und von Kabinettsmitgliedern gepostet. Das lässt unsere Geschäftsordnung nicht zu. Wir können es nicht im Raum stehenlassen, dass man so mit uns umgeht, zumindest nicht mit unseren Kabinettsmitgliedern. Deshalb bitte ich, dass der Ältestenrat sofort zusammenkommt.

(Beifall CDU, FDP und AfD)

Vielen Dank, Herr Kollege. - Ich gehe davon aus, dass bezüglich des Wunsches des Abgeordneten

(Stephan Holowaty)

Arp Einvernehmen herrscht. Deswegen unterbreche an dieser Stelle die Sitzung und bitte den Ältestenrat, sofort zusammenzutreten.

(Unterbrechung: 17:34 bis 17:56 Uhr)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie bitten, Ihre Plätze wieder einzunehmen, damit wir in der Debatte fortfahren können.

Ich erinnere daran, dass wir vor der Sitzungsunterbrechung die Hinweise des Kollegen Holowaty gehört haben, sodass ich nun für die Kollegen des SSW Jette Waldinger-Thiering aufrufen darf.

(Unruhe)

Auch wenn es vielleicht Redebedarf gibt, wäre es gut, damit vielleicht noch 20 Minuten zu warten. Dann werden wir mit den noch ausstehenden Redebeiträgen fertig sein. Jetzt aber hat das Wort die Kollegin Jette Waldinger-Thiering, obwohl es hier im Plenarsaal noch ein wenig unruhig ist.

Herr Landtagspräsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Europäische Kommission hat nun zum Thema Verbandsklage angekündigt, die Rechte der europäischen Verbraucher deutlich stärken zu wollen. Dabei geht es um das Recht auf geregelte Verbandsklagen für die Verbraucher auf europäischer Ebene. Daher sollen Verbände und Organisationen, wie etwa Verbraucherschutzorganisationen, künftig die Möglichkeit erhalten, Verbandsklagen im Namen von Verbrauchern erheben zu können.

In neun EU-Ländern ist eine solche Verbandsklage bisher schon möglich. Deutschland gehört bisher nicht dazu. Dabei betont die Kommission, dass die Zulassung solcher Vereine in den Händen der Mitgliedsstaaten liegen soll und zudem an die Gemeinnützigkeit sowie das „legitime Interesse“ an der Durchsetzung des europäischen Verbraucherschutzrechts geknüpft werden soll. Darüber hinaus hat die Kommission betont, dass sich die vorliegende Anregung deutlich von den Sammelklagen nach US-amerikanischem Vorbild unterscheidet, da der Vorschlag keine ausgeführten Klagen durch Anwaltskanzleien erlaubt. Außerdem sollen die Sanktionen in Bezug auf verbraucherbezogene Verstöße gebündelt und somit EU-weit effizienter werden.

Wir vom SSW begrüßen ganz grundsätzlich den Vorschlag der Kommission in Bezug auf das Ver

bandsklagerecht, welches der Musterklage ähnelt. Der sogenannte New Deal for Consumers würde in unseren Augen das Wirken von den gemeinnützigen Organisationen nicht nur positiv unterstützen, sondern es könnte in gewissen Maßen darüber hinaus das natürliche Agieren von entsprechenden Institutionen sein. Schließlich vertreten diese ein bestimmtes Interesse nach innen sowie auch nach außen. Warum also nicht auch die Möglichkeit zu einer solchen Klage einräumen?

Die jüngste Affäre in der Autoindustrie um manipulierte Daten zeigt, dass der einzelne Verbraucher in einigen Fällen leider nicht besonders viel ausrichten kann. Gleiches gilt etwa auch für die Geschäftspraktiken einiger Lebensmittelhersteller, welche möglicherweise in mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten Markenprodukte minderer Qualität verkaufen würden. Da wäre es doch ein zutreffender nächster Schritt, die Handlungsmöglichkeiten ausweiten zu wollen.

Zudem ist es so, dass Verbandsklagen schon heute Teil der Gesetzgebung auf Landes- und Bundesebene sind. Dabei soll es im vorliegenden Antrag wohl auch um den von der Bundesjustizministerin vorgelegten Gesetzentwurf zum Verbraucherschutz gehen. Dieser sieht vor, dass Verbraucherschutzverbände einen Musterprozess anstrengen können. Dieses Vorhaben deckt sich im Allgemeinen mit dem von der EU-Kommission.

Dabei mag es demzufolge eine Frage der Ausgestaltung sein, diese Möglichkeit eben auch auf europäischer Ebene zu positionieren. Eine wie die hier angesprochene Variante können wir als SSW, wie bereits gesagt, nur ausdrücklich begrüßen. Denn, um auf das Beispiel mit den bemängelten Qualitäts-, andere sagen: Rezepturunterschieden von Lebensmitteln in Mittel- und Osteuropa zu sprechen zu kommen, stellt sich ganz sicher auch die Frage der Gerechtigkeit und in gewisser Weise auch der Diskriminierung.

Warum scheint es so, als ob ein Verbraucher in einigen EU-Mitgliedsländern weniger wert ist als in anderen? Warum werden etwa in der Slowakei, Kroatien oder Litauen Limonaden mit mehr Austauschstoffen, Fischstäbchen mit weniger Fisch, Wurst mit mehr Fett und Flüssigkeit und Tütensuppen mit weniger Gemüseanteilen verkauft? Zum vollen Preis? Alles eine Frage der Rezeptur oder des Geschmacks? Wo endet die nationale Geschmacksvariation, und wo beginnt der Qualitätsverlust?

(Vizepräsident Rasmus Andresen)

Egal, was nun tatsächlich dahinterstecken mag: Die Sache hat im wahrsten Sinne des Wortes ein Geschmäckle! Und genau für einen solchen Fall ist es eben gut, wenn man als Verbraucher einen starken Partner, wie etwa die jeweiligen Organisationen und Vereine, an der Seite hat.

Die derzeitigen verbraucherrechtlichen Fragestellungen sind, wie bereits gesagt, sehr umfassend und lassen sich von einem Einzelnen wohl kaum durchdringen. Von daher ist es völlig richtig, die Instrumente zu stärken, welche dann auch tatsächlich diesen Fragestellungen Herr werden können.

Diese Idee können wir als SSW grundsätzlich unterstützen. Die Zielrichtung ist dabei klar. Unsere Aufgabe ist es, mögliche Fragestellungen an das Europaparlament sowie an den Bundestag offen zu kommunizieren, damit am Ende eine tragbare Lösung steht, die den genannten Inhalten gerecht wird. - Vielen Dank.

(Beifall SSW und SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. - Das Wort hat nun die Ministerin für Justiz, Europa, Verbraucherschutz und Gleichstellung, Frau Dr. Sabine SütterlinWaack.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Die Europäische Kommission hat im April eine Richtlinie über Verbandsklagen vorgelegt. Mit ihr sollen die Mitgliedstaaten zur Einführung von Sammelklagen verpflichtet werden. Damit sollen Verbraucherverbände die Interessen von mehreren Verbraucherinnen und Verbrauchern wahrnehmen können.

Meine Damen und Herren, ich sage das gezielt an die Adresse derjenigen, die hier und anderswo versuchen, Europa oder die EU als Feindbild darzustellen: Als Ministerin unseres Landes, auch für Verbraucherschutz zuständig, bin ich der Europäischen Kommission ausgesprochen dankbar dafür, dass sie sich dieses Themas angenommen hat. Denn Verbraucherschutz lässt sich in der heutigen digital vernetzten Welt nicht mehr nur national denken. Es geht nicht mehr nur darum, den stationären Handel zu betrachten, sondern vor allem auch den grenzüberschreitenden Online-Handel.

Richtig ist: Das Thema Sammelklagen ist auch für uns in Deutschland nicht mehr ganz neu. Schon seit

einiger Zeit befassen wir uns mit der Musterfeststellungsklage, die zum 1. November 2018 eingeführt werden soll.

Der Gesetzesentwurf zur Musterfeststellungsklage wird im laufenden Gesetzgebungsverfahren sicherlich noch Änderungen erfahren, aber es ist schon abzusehen, dass er ausgewogen sein wird. Er passt die Verbraucherrechte im Zivilprozess einem von Massengeschäften geprägten Wirtschaftsleben an. Er wirft aber nicht über Bord, was sich in über 100 Jahren in unserem Zivilrecht bewährt hat. Er lässt sich nicht auf die Gefahr ein, dass eine sogenannte Klageindustrie mit amerikanischen Verhältnissen geschaffen wird. Wir lassen nicht zu, dass Sammelklagen geführt werden, damit sich Anwälte und Prozessfinanzierer auf Kosten der beklagten Unternehmen bereichern. Erreicht wird dies vor allem dadurch, dass mit der Musterfeststellungsklage nur gerichtliche Feststellungen, aber keine Verurteilungen zur Zahlung verfolgt werden können.

Der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission geht darüber in zentralen Fragen hinaus. Danach könnten womöglich ad hoc gegründete Verbände von Unternehmen auch Zahlungen verlangen, zum Beispiel Schadensersatz oder Kaufpreiserstattung. Wenn die einzelnen betroffenen Verbraucherinnen und Verbraucher nur Bagatellschäden erlitten haben, sollen die Unternehmen Schadensersatz nicht an sie, sondern stattdessen zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung zahlen müssen. Dazu soll es unter Umständen nicht einmal erforderlich sein, dass die Betroffenen den Verband mit der Klage beauftragt haben.

Warum sollte sich Deutschland gegen diesen Richtlinienvorschlag wenden? Sicherlich nicht, weil Verbandsklagen generell abzulehnen sind. Schließlich sind wir ja gerade selbst dabei, die Musterfeststellungsklage einzuführen. Der vom Richtlinienvorschlag anerkennenswert verfolgte Verbraucherschutz ist auch uns ein zentrales Anliegen.

Aber das Gesetz zur Einführung der Musterfeststellungsklage wurde und wird noch immer politisch und fachlich umfangreich diskutiert. Die Einführung von Sammelklagen ist kein einfaches Projekt. Deutschland hätte mit der Umsetzung dieses Kommissionsvorschlags Probleme, die weit über die mit der Musterfeststellungsklage hinausgingen.

Beispielsweise bedürfte es neuer Maßstäbe für die Feststellung von Höhe und Kausalität von Schäden. Die können in einem Sammelverfahren nicht mehr individuell und nicht mehr genau ermittelt werden. Zu klären wäre auch die Bedeutung solcher Verfah

(Jette Waldinger-Thiering)

ren für diejenigen Geschädigten, die sich daran nicht beteiligen, sondern vielleicht stattdessen lieber individuell klagen wollen. Unser Schadensersatzrecht ist nämlich auf die Kompensation des Geschädigten gerichtet. Er soll vermögensmäßig so gestellt werden, wie er ohne die Schädigung stünde. Mit einer Umsetzung des Vorschlags, Schadensersatz nicht an ihn, sondern an gemeinnützige Vereinigungen zu zahlen, würde man sich davon weitgehend verabschieden. Der Schädiger müsste zwar zahlen, der Geschädigte würde aber nichts bekommen. Der dahinterstehende Gedanke, Schadensersatz allein als Strafe des Schädigers zu sehen, ist unserer Rechtsordnung bisher fremd.

All das wären schwerwiegende Veränderungen unseres Zivilrechts. Sie müssen am Ende aber nicht falsch sein. Mehr Europa kann schließlich auch beinhalten, dass die Mitgliedstaaten ihr nationales Recht überdenken. Aber im Ausgangspunkt sollten Überlegungen auf europäischer Ebene inhaltlich und systematisch in unsere Rechtsordnung passen. Die Diskussion dazu läuft, auf politischer wie fachlicher Ebene. Natürlich werden dabei auch unsere Erfahrungen mit der Musterfeststellungsklage einfließen.