Protokoll der Sitzung vom 19.02.2020

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf.

Solidarität mit den kurdischen Minderheiten

Antrag der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/1981

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Flemming Meyer.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Es geht nicht darum zu behaupten, die PKK habe zu jeder Zeit angemessen gehandelt natürlich nicht; der Unabhängigkeitskampf glich teilweise einem Bürgerkrieg. Aber es geht uns darum, über die Verlogenheit zu reden, mit der hierzulande über die PKK gesprochen wird, und darüber, welche Folgen das für hier lebende Kurdinnen und Kurden sowie für den Friedensprozess hat.

Ich war im Oktober mit der Kurdistanhilfe im nordirakischen Siedlungsgebiet der Kurden. Wir waren von Jesiden nach Shingal eingeladen worden und haben auch das Lager für aus der Türkei geflüchtete Kurden in Makhmur besucht. Shingal wurde 2014 von bewaffneten Einheiten der PKK und PYD nach furchtbaren Massakern des IS befreit. Während unserer Reise hat die Türkei die kurdischen Gebiete in Syrien überfallen, nachdem die Vereinigten Staaten

ihre Truppen aus den Gebieten abgezogen und ihre kurdischen Verbündeten im Stich gelassen hatten.

Die Eindrücke, die ich auf dieser Reise bekommen habe, werden mich mein Leben lang begleiten. Menschen, die unter schwierigsten Umständen ein fürchterlich hartes Leben führen und gleichzeitig so viel Willen, so viel Kampfgeist und so viel Solidarität zeigen!

Wir in Deutschland haben mit unseren Waffenlieferungen an die Türkei unseren Teil zur Verschärfung des Konflikts beigetragen. Das wurde uns wieder und wieder vorgeworfen. Das tat wirklich weh. So kann es nicht weitergehen!

Die kurdischen Peschmerga, die neben der PKK gegen den IS kämpfen, wurden mit deutscher Unterstützung ausgebildet und bekamen Waffen. Deutschland hat die tapferen Kurdinnen und Kurden, die immer wieder ganze Landstriche befreit haben und ihr Leben für die Freiheit anderer aufs Spiel setzten, hoch gelobt. Hier in Deutschland würden viele dieser Kämpferinnen und Kämpfer allerdings strafrechtlich verfolgt werden. Mit dieser Doppelmoral muss Schluss sein!

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Bernd Heinemann [SPD])

Auch in Deutschland leben viele Kurdinnen und Kurden. Einige von ihnen nehmen auch an SSWVeranstaltungen teil und erzählen über ihr Schicksal, darüber, was sie bewegt. Aus diesen Gesprächen ist dieser Antrag entstanden. Für uns ist die PKK heute keine Terrororganisation.

Das Betätigungsverbot der PKK war 1993 eine Reaktion auf gewaltsame Aktionen gegen türkische Einrichtungen in Deutschland. Seitdem hat sich die PKK aber personell und was ihre politischen Ziele angeht verändert. Öcalan, der seit 1999 in lebenslanger Haftstrafe in fast absoluter Isolation sitzt, durfte letztes Jahr zum ersten Mal seit acht Jahren mit seinen Anwälten sprechen. Er hat durch sie zur Versöhnung und zu demokratischen Verhandlungen aufgerufen. Auch von ihrer Maximalforderung nach einem unabhängigen Staat ist die PKK abgerückt. Was sie jetzt will, ist der demokratische Konföderalismus, eine nicht-staatliche, demokratisch-ökologische Zivilgesellschaft in Selbstverwaltung.

Werfen wir einen Blick in den jüngsten Verfassungsschutzbericht Schleswig-Holsteins: 16 Taten, die im Rahmen von „PKK“ stattgefunden haben. Zwei davon waren Prügeleien bei Demonstrationen. Die anderen waren Einzeltaten wie Sachbeschädi

gung durch Graffiti und Zeigen verbotener Fahnen. Das ist kein Terror!

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Bernd Heinemann [SPD])

Das PKK-Verbot in Deutschland ist hauptsächlich eine große Belastung für etliche Kurdinnen und Kurden, die hier leben. Sie trauen sich oft nicht, darüber zu sprechen, dass ihre Väter, Mütter, Tanten oder vielleicht sie selbst mit der PKK gekämpft haben oder mit ihr sympathisieren. Sie sagen, ihre Familienmitglieder würden als Terroristen abgestempelt. In Oberhausen ist einer kurdischen Mutter fast das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen worden, weil sie auf eine Demo für die Entlassung Öcalans gegangen war.

Gerade wir als Minderheit wissen, was Unterdrückung der Sprache, der Kultur, der Identität bedeutet. Aber hier, im Grenzland, wissen wir auch, was gute Minderheitenpolitik bedeutet. Wir wissen, wie man durch gute Minderheitenpolitik Frieden schaffen kann und dass gute Minderheitenpolitik in Wirklichkeit Friedenspolitik ist. Aber so ein Wissen verpflichtet. Es verpflichtet dazu, sich auch für andere einzusetzen.

Deshalb muss die PKK neu bewertet werden. Ihre Kriminalisierung steht dem Friedensprozess im Wege. Das PKK-Verbot ist heute doch nur ein Kniefall vor der türkischen Regierung. Kurdinnen und Kurden verdienen nicht nur unseren Dank und unseren Respekt, sondern auch unsere Unterstützung in dem Friedensprozess.

(Beifall SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Herr Abgeordneter!

Ja. - Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir das PKK-Verbot aufheben. Denn das PKK-Verbot steht dem notwendigen Dialog für einen Friedensprozess im Wege. Deshalb wünsche ich mir ein starkes minderheitenpolitisches Signal aus Schleswig-Holstein und beantrage die Überweisung unseres Antrags in den Europaausschuss. - Jo tak.

(Beifall SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Bernd Heinemann [SPD])

Für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Claus Christian Claussen das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Wehrte Kolleginnen und Kollegen! Aus meiner Sicht vermengt der Antrag des SSW völlig verschiedene Themen und ist deshalb nicht geeignet, irgendwelche positiven Wirkungen zu erzeugen. Auf der einen Seite mag ja eine Solidarisierung mit der kurdischen Bevölkerung unter humanitären Gesichtspunkten durchaus in Betracht kommen. Auch die militärischen Leistungen der Kurden bei der Bekämpfung des IS verdienen Respekt und Anerkennung. Das gilt aber nicht für die Mittel und Methoden, die die PKK in ihrem sogenannten „Verteidigungskampf“ in der Türkei angewendet hat. Man muss auch sagen: „Die Kurden“ und „die PKK“ sind nicht dasselbe.

(Beifall CDU, SPD, FDP und vereinzelt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube auch nicht, dass es richtig ist, derart sensible außen-, sicherheits- und innenpolitische Themen hier im Landtag zu diskutieren. Schon allein die öffentliche Behandlung dieses Themas birgt die Gefahr, die innere Sicherheit bei uns zu beeinträchtigen. Bei uns leben sehr viele kurdisch- und auch sehr viele türkisch-stämmige Menschen. Wir können kein Interesse daran haben, dass die Konflikte zwischen diesen Gruppen angeheizt und womöglich mit Gewalt bei uns in der Bundesrepublik ausgetragen werden.

(Beifall CDU und FDP)

Die Beurteilung der Aktivitäten der PKK in der Bundesrepublik ist eindeutig. Der BGH hat vor rund einem Jahr erneut entschieden, dass die PKK eine Terrororganisation ist und ihr Kampf nicht durch internationales Recht gerechtfertigt ist. Mord und Totschlag sind für die PKK Mittel der politischen Auseinandersetzung, und das können wir nicht akzeptieren.

(Beifall CDU und FDP)

Wir müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die Türkei nach wie vor unser NATO-Partner ist. Das ermöglicht es Deutschland und den Verbündeten, Einfluss in den internationalen Gremien zu nehmen und zu versuchen, die Situation vor Ort zu verbessern. Außen-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik müssen im Bund und auf internationaler Ebene gemacht werden. Da hilft es aus meiner Sicht wenig, wenn einzelne Landesparlamente verschiedene Meinungen dazu beisteuern.

Auch die Frage von Waffenlieferungen muss im Bund und auf internationaler Ebene geklärt werden.

(Flemming Meyer)

Wir verlangen zu Recht immer eine verbesserte Zusammenarbeit auf europäischer Ebene in Rüstungsfragen und Rüstungsprojekten. Dann müssen wir uns aber auch mit unseren europäischen Partnern über die Frage von Rüstungsexporten einigen. Wenn sich die Bundesrepublik nicht als verlässlicher Partner zeigt, wird es eine Zusammenarbeit mit den anderen Europäern in diesen Fragen nicht geben.

Schließlich ist es auch ein gewaltiger Unterschied, ob die Bundesrepublik Deutschland oder die PKK handelt. Wenn wir als demokratischer Rechtsstaat beschließen, Waffen zu exportieren, mag man das als richtig oder falsch beurteilen, dass wir aber als Staat das Recht haben, dies zu machen, dürfte - unbeschadet internationaler Verpflichtungen - unstreitig sein. Dieses Recht ist kein Recht, das ein privater Verein oder eine Partei hat, auch nicht, wenn sie sich in der Form darum kümmert, Geld für diese Zwecke zu sammeln.

Werte Kolleginnen und Kollegen, die Lage in Syrien und in der Türkei ist sehr komplex, die internationale Gemeinschaft steht seit Jahren vor gewaltigen Herausforderungen. Ich glaube, wir überschätzen uns, wenn wir meinen, wir können die Lage von Schleswig-Holstein aus verbessern oder lösen. Ich befürchte vielmehr, dass wir außen- und sicherheitspolitisch bestenfalls gar nichts erreichen und die innenpolitische Lage eher verschärfen.

Dem SSW möchte ich ein Denkbeispiel mit auf den Weg geben. Überlegen Sie einmal: Wenn der Bund Deutscher Nordschleswiger in Dänemark die gleichen Mittel und Methoden einsetzen würde wie die PKK in der Türkei, dann frage ich mich, ob Sie Ihren Antrag so stellen und so vertreten würden. Deshalb wäre es aus meiner Sicht das Beste, wenn Sie Ihren Antrag einfach zurücknehmen. - Vielen Dank.

(Beifall CDU und Kay Richert [FDP])

Für die SPD-Fraktion hat der Abgeordnete Thomas Rother das Wort.

(Unruhe - Glocke Präsidentin)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist wirklich ein Thema, das einige anscheinend aufregt. Wir müssen uns mit einem Antrag befassen, der eigentlich nicht in einen Landtag und auch nicht in diesen Landtag gehört, selbst wenn der Begriff „Minderheiten“ darin vorkommt.

Zudem, da hat der Kollege Claussen vollkommen recht, vermengt der Antrag die Situation in den kurdischen Siedlungsgebieten mit der Aufhebung des PKK-Verbots, was zwei unterschiedliche Sachverhalte sind, zumal sich die kurdischen Organisationen untereinander spinnefeind sind.

(Serpil Midyatli [SPD]: Genau!)

Es ist zweifellos richtig, dass die internationale Staatengemeinschaft die Bestrebungen zur Bildung eines unabhängigen kurdischen Staates weitgehend ignoriert hat. Ebenso werden politische und kulturelle Unterdrückung häufig nur im Zusammenhang mit jeweils opportuner Kritik an einem der beteiligten Regime thematisiert, vor allem Türkei, Iran oder Irak.

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lasse Petersdotter?

Ja, gern.

Vielen Dank, Herr Kollege Rother. Sie haben gerade gesagt, dass dieser Antrag nicht in einen Landtag gehöre. Mich würde daher interessieren, warum der Antrag zur Grundrente, den Sie selber einmal gestellt haben, in den Landtag gehört, während dies kein Thema für das Parlament sein sollte, obwohl kurdische Gruppen sowohl vor dem Landtag als auch in der Stadt Kiel und in vielen anderen Städten Schleswig-Holsteins demonstrieren.

- Es ist daher kein Antrag für das Parlament, weil wir hier keine Lösungen anbieten können. Wir haben kein Initiativrecht gegenüber dem Bund, diese anzubieten. Das Einzige, über das wir uns tatsächlich unterhalten können, wäre die Frage des PKKVerbots, wo wir tatsächlich den Verfassungsschutz anhören können und so weiter.

Vielleicht hören Sie ein Stück weiter zu, weil das, was im Antrag formuliert ist, von hier aus gar nicht geregelt werden kann, zum Beispiel die Forderung nach einem konsequenten Waffenembargo gegenüber der Türkei. Dafür gibt es auch in meiner Fraktion Sympathien. In der Region gibt es bereits genug Waffen, aber eine unkritische Solidarisierung mit dem Verteidigungskampf, der hier vom SSW genannt worden ist, ist für uns untragbar, weil wir nicht wissen, ob der SSW nur warme Worte von

(Claus Christian Claussen)