Dass es ein gesellschaftliches Thema ist, haben ich und meine Familie sowie meine Schwester und deren Familie am eigenen Leib erfahren. Meine Mutter ist schwer an Demenz erkrankt, und ich kann Ihnen sagen, das verlangt einem manchmal ganz schön viel ab. Es ist ein Abschied auf Raten, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, und es tut ganz schön weh zu sehen, wie aus einer eloquenten Frau eine schweigsame Frau wird, die wenig oder fast gar nichts mehr kann. Da muss man irgendwie handeln. Da gibt es guten Rat und gute Möglichkeiten, sich zu informieren. Es schweißt eine Familie auch zusammen, das kann ich Ihnen sagen. Man sucht Schlüssel, man sucht irgendetwas. Letztens haben wir die Hausschuhe meiner Mutter gesucht. Ja, die waren im Kühlschrank. Es war gar nicht so einfach, sie dort zu finden. Also man ist da auf ziemlich viel gefasst, und, wie gesagt, man braucht auch Hilfe.
Schleswig-Holstein ist Vorreiter im Umgang mit Demenz. Das finde ich ganz hervorragend. Seit 2011 gibt es das Kompetenzzentrum Demenz in Norderstedt. Da erhält man wirklich gute Hilfe. Seit 2013 gibt es in Schleswig-Holstein einen Demenzplan. Das ist ein Vorbild für die gesamte Bundesrepublik. Es ist auch gut so, dass wir insoweit ein Vorbild sind; denn das Thema liegt uns am Herzen. Jeder kennt jemanden, der eine Demenz hat. Was den Umgang damit angeht, so hilft das Kompetenzzentrum ganz gut weiter. Dort schafft man es, Menschen wieder zu ertüchtigen. Man schafft es, den Demenzplan weiterzuentwickeln. Es sind ungefähr 60 Leute beteiligt. Sie erarbeiten Empfehlungen und Handlungsabläufe, decken Lücken auf. Diese Lücken müssen möglichst geschlossen werden. Gemeinsam beratschlagen sie über Lösungen für all das.
Hilfe bieten aber auch - das hat der Minister gerade gesagt; ich habe, glaube ich, als Erste geklatscht die Pflegestützpunkte in Schleswig-Holstein. In jedem Kreis und in jeder kreisfreien Stadt ist es endlich so weit. Wir haben lange gekämpft, manchmal auch gegen die eigenen Leute; das gebe ich offen zu. Aber ich glaube, mittlerweile ist fast jeder Mensch in Schleswig-Holstein davon überzeugt, dass es dort kompetente Hilfe gibt.
Auch wir haben dort angerufen. Ich kann Ihnen sagen, hinterher ist man besser gegen diese Krankheit, gegen diesen Verfall gewappnet, und man weiß, man ist mit diesem Problem nicht allein. Es tut gut, dass man sich dort austauschen und beraten lassen kann.
Uns eint, dass wir alle das Leben mit Demenz einfacher machen wollen und dass wir wissen, wir brauchen mehr Hilfe. Die Mitarbeiter der Pflegestützpunkte sagen aber, die Leute ließen sich zu spät beraten. Vielleicht ist das heute sogar eine Werbeveranstaltung für unseren Demenzplan und für die Pflegestützpunkte in Schleswig-Holstein. Dann soll es so sein. Ich fände es gut, wenn es so wäre.
Durch den Demenzplan sind auch besondere Angebote ins Leben gerufen worden. Beispielhaft möchte ich das Angebot für Migranten nennen. Denn auch Menschen mit einem Migrationshintergrund leiden an Demenz; sie werden auch alt. Das Problem ist nur, dass die Muttersprache nicht Deutsch war. Zumeist ist es so, dass man die erlernte Sprache, in diesem Fall Deutsch, wieder verliert. Das ist ein Problem im Umgang. Diesbezüglich hat sich die AWO gemeinsam mit anderen Wohlfahrtsverbänden zusammengetan und ein Programm entwickelt, eine Aktion ins Leben gerufen, um auch diesen Herausforderungen zu begegnen.
2.000 Menschen mit Migrationshintergrund leiden in Schleswig-Holstein an Demenz. Insofern ist es gut, dass wir uns diesbezüglich engagieren und dass es solche Angebote gibt.
Erwähnen möchte ich ebenfalls, dass das Kompetenzzentrum Demenz auch Fortbildungen im allgemeinen Umgang mit Demenzerkrankten durchführt. Behörden, einzelne Einrichtungen, Sparkassen, das Handwerk, die Polizei werden geschult und alle müssen lernen, wie man mit Demenz umgeht. Ich kann Ihnen sagen, das kann man recht gut lernen. Man lernt auch, geduldig zu sein, weil der andere gleich wieder vergisst, was man ihm sagt. Dies sind gute Möglichkeiten, um mit dem Demenzplan und mit den Partnerinnen und Partnern, die wir dabeihaben, diese Situation, die Menschen besonders herausfordert, in Schleswig-Holstein besser zu meistern.
Der Wunsch aller Beteiligten ist es, möglichst lange gesund zu bleiben. Wenn das nicht der Fall ist, müssen wir mit der Krankheit umgehen. Das werden wir tun, und dafür sind wir gut gerüstet. Mit
diesem Demenzplan werden wir sicherlich gute Erfahrungen machen. Ich wünsche mir eine kontinuierliche Weiterentwicklung. - Danke schön.
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Auch ich danke dem Ministerium, aber auch dem Kompetenzzentrum Demenz ganz herzlich für die Erstellung und Vorstellung des Berichts. Er kommt passend zum Welt-Alzheimertag, zur Woche der Demenz in dieser Woche und zum Start der Nationalen Demenzstrategie, die gestern von der Bundesregierung vorgestellt worden ist.
Immer mehr Menschen werden immer älter. Das ist ein ganz besonderer sozialpolitischer und medizinischer Erfolg, auf den wir alle gemeinsam stolz sein können. Dies bringt für hochaltrige Gesellschaften wie der unseren Herausforderungen mit sich; denn mit steigendem Alter wächst die Wahrscheinlichkeit, demenziell zu erkranken.
In Schleswig-Holstein leben zurzeit 60.000 Menschen mit Demenz. Das ist schon gesagt worden. Aufgrund der Altersentwicklung wird sich diese Zahl bis zum Jahr 2050 verdoppeln. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten möchten das Zusammenleben der Generationen mit all seinen Facetten und Herausforderungen mit Respekt und Solidarität positiv gestalten. Insoweit liegt noch richtig viel Arbeit vor uns.
Die Erkrankung wird oft noch tabuisiert. Wir hörten es eben: Auch im Familien- und Freundeskreis wird sehr lange gezögert, über diese Krankheit zu sprechen. Man schämt sich, es ist unangenehm, wenn sich die Persönlichkeitsstruktur verändert. Aber es ist durchaus hilfreich, sich im Bereich der Unterstützung und Beratung frühzeitig zu outen. Dies ist ja nichts Schlimmes. Dafür muss man sich nicht schämen. Es ist eine Erkrankung wie jede andere auch, und man kann sie behandeln, auch wenn sie nicht heilbar ist.
Wie begegnen wir Menschen mit Demenz? Welche Strukturen braucht es? Wie können wir Angehörige unterstützen? - Diesen Fragen haben wir uns in der Küstenkoalition gestellt und haben im Jahr 2013 als eines der ersten Bundesländer die Erarbeitung eines
Demenzplans auf den Weg gebracht. Die 80 Empfehlungen sollen bis zum Jahr 2022 umgesetzt werden. Davon sind 23 Empfehlungen weitgehend erfüllt, 28 zum Teil umgesetzt, 13 noch gar nicht umgesetzt, und 16 können vom Kompetenzzentrum Demenz nicht umgesetzt werden, weil sie außerhalb seines Einflussbereichs liegen. Hier muss die Landesregierung tätig werden und unterstützen.
Das Thema Demenz muss in allen Bereichen unserer Gesellschaft Beachtung finden, an der Kasse des Supermarkts, beim Frisör, bei der Feuerwehr, bei der Polizei, in Verwaltungen, in Vereinen, im Rettungswesen. Überall, an jedem Tag, im Alltag besteht die Möglichkeit, mit Demenz oder mit Symptomen der Demenz konfrontiert zu werden. Wenn die ältere Dame an der Kasse am Portemonnaie herumfummelt und nicht weiß, das Geld einzusetzen, dann dürfen wir nicht drängeln und schubsen, sondern müssen dem gelassen gegenüberstehen.
Das gilt von der Kita bis zum Seniorenclub, wobei die Kinder eigentlich ohne Probleme mit Demenz umgehen. Alle diskriminierenden und ausgrenzenden Eigenschaften werden ihnen ja erst beigebracht. Es bedarf eines guten Kontakts, eines guten Austauschs, eines gemeinsamen Lebens im Quartier, um das Verständnis für Demenz von Anfang an und rechtzeitig zu fördern. Hier leistet das Kompetenzzentrum eine hervorragende Arbeit, für die auch wir uns ganz herzlich bedanken.
Mit dem Projekt „Reise des Vergessens“ werden aktuell Kommunen im ländlichen Raum für das Thema sensibilisiert. Wenn Sie einen ganz kleinen Eindruck gewinnen wollen, wie verunsichert sich ein demenziell Erkrankter in seiner Umwelt fühlen muss, dann empfehle ich Ihnen das begleitende Projekt „Ort der Verwirrung“: ein von der Künstlerin Cornelia Rößler umgestalteter Bus, dessen Mitfahrt wirklich erhebliche Verwirrung stiften kann. Ich habe mich bei der Auftaktveranstaltung in Nordfriesland selbst davon überzeugen beziehungsweise verwirren lassen können. Das Projekt ist wirklich sehr empfehlenswert, einmal für einen Moment nachvollziehen, was in dem Kopf eines demenziell erkrankten Menschen vorgehen muss. Das Projekt ist zurzeit im Herzogtum Lauenburg unterwegs.
Gerade vor Ort, in den Kommunen, benötigen wir bedarfsgerechte Beratungsstellen wie zum Beispiel die Pflegestützpunkte, die es jetzt überall gibt. Ich freue mich natürlich ganz besonders, dass es jetzt
Wir benötigen Beratungsstellen, Hilfs- und Unterstützungsangebote und eine gute Integration der Menschen mit Demenz und ihrer Angehörigen im Quartier.
Ein weiterer wichtiger Bereich sind die Krankenhäuser. Die Versorgung findet nach der jeweiligen akuten Erkrankung statt. Die Grunderkrankung Demenz wird bei der Zuordnung oft nicht berücksichtigt. Nur 53 % unserer Häuser im Land haben ein schriftliches Konzept zum Umgang mit Demenz. Daher kommen die Herzinsuffizienten auf die Innere, Menschen mit einer Oberschenkelhalsfraktur in die Chirurgische, und die Demenz wird in der Betreuung zunächst einmal gar nicht beachtet.
Dabei sind die räumliche Veränderung, die veränderten Tagesabläufe und die Trennung von den gewohnten Menschen ein enormer zusätzlicher Belastungsfaktor für den Erkrankten. Hinlauftendenzen, Unruhe, Aggressivität sind die Folgen. Diese haben nicht nur einen negativen Einfluss auf die Behandlung der Akuterkrankung, sondern führen auf den chronisch unterbesetzten Stationen zu Stress bei den Pflegefachpersonen. Freiheitsentziehende Maßnahmen sind aus lauter Verzweiflung oftmals die Folge. Das ist menschenunwürdig, und dem wollen wir selbstverständlich entgegenwirken.
Das von der Landesregierung vorgelegte Krankenhausgesetz lässt auch an dieser Stelle Lücken. Darauf kommen wir später noch zu sprechen.
Wir alle müssen lernen, gegenüber demenziell Erkrankten Verständnis und Großzügigkeit zu entwickeln, uns über merkwürdige Verhaltensweisen nicht aufzuregen, sondern sie zu akzeptieren und hinzunehmen und darum herum zu organisieren. Das ist leichter gesagt als getan.
Ein großer Dank gilt den pflegenden Angehörigen; denn die meisten Erkrankten leben zu Hause. Haben wir überhaupt eine Ahnung - Katja hat eine Ahnung -, was es bedeutet, 24/7/365 zuständig zu sein, wie weh es tut, wenn die Mutter ihre Tochter plötzlich mit „Sie“ anredet, wenn der Ehemann seine eigene Frau nicht mehr erkennt, wenn sich die Persönlichkeit des geliebten Menschen völlig verändert, wenn Aggressivität und Angst den Alltag bestimmen, weil alle irgendwie überfordert sind?
Wir haben den pflegenden Angehörigen seit März 2020 eine enorme zusätzliche Belastung auferlegt, weil alle entlastenden Angebote wie Tages- und Nachtpflege sowie andere Tagesangebote geschlossen waren. Wiedereröffnete Angebote sind extrem reduziert. Der Grund ist meist Platzmangel. Diese Familien dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, genauso wenig wie die Erkrankten, die in den stationären Einrichtungen leben und immer noch sehr wenig Besuch haben dürfen.
Die reduzierten Kontakte und das Isolieren haben erhebliche Auswirkungen auf die Menschen, denn sie sind zwar in ihrem Denken und Handeln verändert, aber sie haben Gefühle, und sie haben Sinne. Die Berührung, die Umarmung, die positiven Erlebnisse sind so immens wichtig für sie, und alles kann die Pflege bei allen Anstrengungen, die in den letzten Monaten in den Heimen geleistet worden sind, doch nicht auffangen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch wenn der Ball wieder rollt, ist die Situation von Menschen, die in Einrichtungen leben, ihren Angehörigen und auch denen im eigenen Zuhause weiterhin sehr dramatisch, und wir dürfen sie nicht vergessen. - Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich trage hier die Rede für meine Kollegin Marret Bohn vor, die leider erkrankt ist. Auch von dieser Stelle von mir noch einmal: Gute Genesung!
Demenz gehört zum Leben. Gesundheit und Krankheit, das Nachlassen von Fähigkeiten an Körper und Geist; das ist ganz normal. Aktuell leben mehr als 60.000 Menschen in Schleswig-Holstein, die an Demenz erkrankt sind. Bundesweit sind es nach Schätzungen der AlzheimerGesellschaft rund 1,6 Millionen. Unter den 65- bis 70-Jährigen liegt die Zahl der Betroffenen unter 3 %. Sie steigt mit dem Alter deutlich an. Bei den über 90-Jährigen ist jede und jeder Dritte betroffen. In einer älter werdenden Gesellschaft steigt die Anzahl an demenziell erkrankten Menschen. Darauf müssen wir uns einstellen, persönlich und gesellschaftlich.
Demenz ist nach heutigem Stand nicht heilbar. Das Fortschreiten der Erkrankung kann nur verlangsamt werden. Aber wir können den Umgang mit Menschen lernen, die dement sind. Das ist ein Ziel der nationalen Demenzstrategie und des schleswig-holsteinischen Demenzplans.
Didi Hallervorden machte Demenz mit dem Film „Honig im Kopf“ kino- und gesellschaftsfähig. Rudi Assauer bekannte sich ganz offensiv zu seiner Alzheimererkrankung. Es hat eine positive Entwicklung in der Wahrnehmung von Demenz gegeben. Das ist gut. Aber wir brauchen auch positive Entwicklungen im alltäglichen Umgang mit Demenz. Da gibt es Nachholbedarf. In der Küstenkoalition wurde der Demenzplan für Schleswig-Holstein auf den Weg gebracht. Die AlzheimerGesellschaft richtete eine Geschäftsstelle ein, und der Plan wurde in einem partizipativen Prozess von 2013 bis 2015 entwickelt. Rund 50 Akteurinnen und Akteure aus allen gesellschaftlichen Bereichen haben daran mitgewirkt und 80 Empfehlungen erarbeitet.
Die Landesagentur Demenz hat die Umsetzung des Plans in Schleswig-Holstein übernommen. Das war eine riesige Herausforderung, und sie ist großartig bewältig worden. Ich möchte mich bei allen Beteiligten für die fleißige Arbeit und die guten Ergebnisse bedanken.
Heute diskutieren wir den aktuellen Umsetzungsstand. Ich finde, die Ergebnisse können sich sehen lassen. Die Kommunen gehen voran. Allein in Flensburg hat die Fachstelle mehr als 50 Mitarbeitende in Verwaltung, Polizei, ÖPNV, Einzelhandel und Schülerinnen und Schüler im Umgang mit Demenz geschult.
Netzwerke spinnen: Zum 1. März dieses Jahres ging der aktualisierte Demenzwegweiser SH als Online-Datenbank ins Netz und soll bis Ende dieses Jahres vervollständigt werden.