Protokoll der Sitzung vom 24.09.2020

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne unsere Nachmittagssitzung und freue mich über diejenigen, die pünktlich hier sind.

(Beifall)

Ich rufe Tagesordnungspunkt 44 auf:

Bericht zum Umsetzungsstand des Demenzplans für Schleswig-Holstein

Bericht der Landesregierung Drucksache 19/2309

(Präsident Klaus Schlie)

Ich erteile dem Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Herrn Dr. Heiner Garg, das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Nach der aktuellsten Prävalenzerhebung leben in Schleswig-Holstein rund 60.000 Menschen, die an einer Demenz erkrankt sind. Seit Beginn dieser Prävalenzerhebungen im Jahr 2003 ist die Anzahl der Menschen, die demenziell erkrankt sind, somit um über 25.000 Frauen und Männer gestiegen. Aufgrund des demografischen Wandels wissen wir und müssen davon ausgehen, dass der Anteil der Menschen an der Bevölkerung, die demenziell erkrankt sind, in den kommenden Jahren weiter steigen wird.

In einer älter werdenden Gesellschaft muss sich nicht nur das Gesundheits- und Pflegesystem ändern, sondern die gesamte Gesellschaft muss sich darauf einstellen, wie wir mit Menschen, die demenziell erkrankt sind, umgehen, wie wir sie trotzdem im Alltag mitnehmen können.

Die Lebenssituation von Menschen mit Demenz ist dabei sehr unterschiedlich. Nach wie vor werden viele demenziell Erkrankte zu Hause gepflegt. Sie benötigen im Alltag Zuwendung, menschliche Wärme und Unterstützung von ihren Angehörigen. Sie sind dabei auf regelmäßige auch medizinische Versorgung angewiesen. Von ihren Angehörigen müssen sie dabei häufig rund um die Uhr betreut und unterstützt werden. Auch in den Einrichtungen ist das tägliche Umsorgen der Bewohnerinnen und Bewohner eine riesige Herausforderung für das Pflegepersonal.

Wer einmal in einer speziellen Einrichtung für demenziell Erkrankte gewesen ist, weiß, dass der Pflegealltag und die Herausforderung dort oft noch einmal andere sind als in einer Langzeitpflegeeinrichtung, in der weniger oder keine Demenzerkrankten leben.

Die Pandemie, meine sehr geehrten Damen und Herren, hat sämtliche Aufgaben und Herausforderungen für alle Beteiligten sowohl in den Einrichtungen als auch in der eigenen Häuslichkeit noch schwieriger gemacht. Manche Angehörige konnten ihre pflegebedürftigen Eltern, Großeltern oder andere Verwandte in den Einrichtungen über Wochen nicht besuchen. Auch die Tagespflege stand für Wochen kaum oder nur sehr eingeschränkt in einer Art Notfallversorgung zur Verfügung, was natürlich

unglaubliche Auswirkungen auf die häusliche Pflege hatte.

Besuche in den Einrichtungen sind seit Anfang Mai 2020 wieder möglich, seit dem 15. Juni 2020, gibt es ein Besuchsrecht in den Einrichtungen. Das heißt, Pflegeheime müssen Besuche wieder zulassen und ermöglichen. Die im Zuge der Pandemie notwendigen Maßnahmen wie insbesondere das Tragen von Alltagsmasken sind aber, und das muss man auch wissen, für viele an Demenz erkrankte Menschen oft nur schwer oder überhaupt nicht zu verstehen. Gerade für demenziell Erkrankte und ihre Angehörigen ist das Leben mit dem Virus nach wie vor eine riesige Herausforderung.

Die aktuelle Situation macht einmal mehr deutlich, dass die im Demenzplan vorgesehene grundsätzliche Betroffenenorientierung genau der richtige Ansatz ist. Die Lebens- und Pflegebedingungen von Menschen mit Demenz und ihrer Angehörigen zu verbessern und Menschen mit Demenz einen möglichst langen und auch weitgehend selbstbestimmten Verbleib in der eigenen Häuslichkeit und damit die gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen, war bereits längst vor Ausbruch der Pandemie das erklärte Ziel des Demenzplans. Darüber hinaus ist die Förderung von Verständnis und die Sensibilisierung für Menschen mit Demenz sowie die landesweite Weiterentwicklung entsprechender Strukturen von ganz zentraler Bedeutung im Demenzplan.

Für die Erstellung des Demenzplans war die Alzheimer Gesellschaft Schleswig-Holstein verantwortlich. An der Stelle möchte ich mich sehr herzlich bedanken. Um die Vielschichtigkeit und die gesamtgesellschaftliche Relevanz des Themas zu erfassen, sind an der Erarbeitung des Demenzplans die verschiedensten Akteurinnen und Akteure, Institutionen, Organisationen, Expertinnen und Experten sowie Betroffene beteiligt gewesen.

Der Demenzplan ist das Ergebnis eines breiten partizipativen Prozesses. Und dieser partizipative Ansatz ist erhalten geblieben, denn zur Umsetzung des Demenzplans ist ein Beirat eingerichtet worden, an dem die genannten Akteurinnen und Akteure beteiligt sind, die bereits an der Erstellung des Demenzplans mitgewirkt haben.

Für die Umsetzung des Demenzplans ist das Kompetenzzentrum Demenz als Projekt der Alzheimer Gesellschaft Schleswig-Holstein federführend zuständig. Für die aktuelle Förderphase erhält das Kompetenzzentrum dafür über 1 Million € vom Land. Einen Zuschuss in gleicher Höhe bezahlt der Spitzenverband Bund der Pflegekassen.

(Präsident Klaus Schlie)

Nach mehr als der Hälfte der Förderphase sind bereits einige der wesentlichen von mehr als 80 Empfehlungen des Demenzplans für Schleswig-Holstein vollständig umgesetzt worden. Im März dieses Jahres ist beispielsweise der Demenzwegweiser für Schleswig-Holstein an den Start gegangen. Damit können Angehörige und Menschen, die regelmäßig mit demenziell Erkrankten zu tun haben, im Internet gezielt nach regionalen Hilfs- und Unterstützungsangeboten suchen.

Zudem ist es gelungen, eine Vernetzung mit dem 6K KlinikVerbund bei der Entwicklung demenzsensibler Strukturen und Konzepte zu etablieren. Mit einer Plakataktion macht das Kompetenzzentrum Demenz auf die Früherkennung und die Diagnostik bei Demenz aufmerksam. Viele weitere Empfehlungen des Demenzplans sind bereits zum Teil oder weitgehend umgesetzt worden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, mit der Coronakrise sind in der Betreuung von Menschen mit Demenz ganz neue Herausforderungen auf unsere Gesellschaft zugekommen. Es ist vor diesem Hintergrund hilfreich und gut, und ich freue mich darüber, dass es gelungen ist, die Lücke, die wir bei den Pflegestützpunkten im Land hatten, nämlich eine Lücke im Kreis Schleswig-Flensburg, zu schließen.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es ist wichtig, und ich freue mich deswegen darüber, weil wir jetzt in Schleswig-Holstein in sämtlichen Kreisen und kreisfreien Städten tatsächlich Pflegestützpunkte haben und damit über eine flächendeckende Beratungsstruktur, die beispielsweise auch für Angehörige von Menschen mit Demenz wichtig ist, verfügen.

Darüber hinaus zeigt die derzeitige Situation sehr deutlich, dass die Umsetzung des Demenzplans weiter vorangetrieben werden muss und neue Schwerpunkte im Plan zu setzen sind. Wir werden daher im Beirat die Frage ausführlich diskutieren, welche neuen Aufgaben und Projekte im Zuge der aktuellen Situation in den Demenzplan aufgenommen werden sollten. Außerdem soll Ende des Jahres mit der wissenschaftlichen Evaluation des Demenzplans begonnen werden.

Die Bundesregierung hat ebenfalls in einem breit angelegten Beteiligungsverfahren eine Nationale Demenzstrategie erstellt. Gestern, am 23. September 2020, fand dazu die Auftaktveranstaltung mit verschiedenen Bundesministerinnen und -ministern statt. Im Beirat werden wir prüfen müssen, inwie

weit der Demenzplan Schleswig-Holstein vor diesem Hintergrund der Nationalen Demenzstrategie noch angepasst werden muss.

Eines, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist dabei klar: Sämtliche Bemühungen der Landesregierung zielen weiterhin darauf ab, die Lebenssituation der Menschen mit Demenz, aber auch ihrer Angehörigen weiter und nachhaltig zu verbessern. Das ist nicht nur in dieser Krise wichtig, aber gerade auch in dieser Krise für diese Personengruppen von herausragender Bedeutung. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Meine Damen und Herren, der Herr Minister hat die im Ältestenrat vereinbarte Redezeit nur um 3 Minuten überzogen.

(Heiterkeit)

Diese steht natürlich jetzt auch allen anderen Fraktionen und Abgeordneten zur Verfügung. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort für die Abgeordneten des SSW hat der Abgeordnete Christian Dirschauer.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es mag griffigere Themen geben als einen Demenzplan. Aber wir sollten uns eins vor Augen führen: Im Kern geht es darum, eine möglichst breit getragene Strategie für die zukünftige Unterstützung und Versorgung von Menschen mit Demenz zu entwickeln. Es geht um verbesserte medizinische Hilfe, aber auch um Prävention, Forschungsförderung, öffentliche Bewusstseinsbildung und darum, Menschen für den adäquaten Umgang mit Demenzkranken zu schulen. Oder anders gesagt: Es geht darum, allen Menschen, die direkt oder indirekt von Demenz betroffen sind, ein gutes Leben zu ermöglichen.

Der SSW hat schon in der 17. Wahlperiode einen Demenzplan gefordert und diesen schließlich in der Küstenkoalition mit SPD und Grünen realisiert. Unsere grundlegende Erwartung war, die Versorgungsstrukturen des Landes aufzuzeigen und qualitätsgesichert weiterzuentwickeln. Natürlich gab es auch damals schon ein großes Engagement und viele Angebote für diese Zielgruppe, aber eben keine übergreifende Strategie für eine wirklich flächendeckende und sektorübergreifende Unterstützung und Ver

(Minister Dr. Heiner Garg)

sorgung von Menschen mit Demenz. Mit der Einführung des Demenzplans sollten bestehende Angebote daher nicht nur gebündelt, sondern auch Lücken im Versorgungssystem erkannt und geschlossen werden.

Uns ist bewusst, dass diese Aufgabe und die Umsetzung generell ein dickes Brett sind. Gerade deshalb haben wir diesen Bericht gefordert und explizit auch nach Weiterentwicklungsbedarfen gefragt. Ich denke, dass uns heute trotz geringer Rückmeldungen aufgrund der Coronapandemie ein guter Überblick vorliegt. Dafür möchte ich mich beim Ministerium und vor allem beim Kompetenzzentrum Demenz bedanken.

(Beifall SSW, CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Wir können sehen, dass vielfältige Maßnahmen auf den Weg gebracht und schon viele Empfehlungen aus dem Demenzplan umgesetzt wurden. Es werden nicht nur mehr Menschen aus unterschiedlichen Berufsgruppen, sondern auch Ehrenamtler geschult. Auch die Pflegestützpunkte werden, wie eben erwähnt, als wichtige Anlaufstellen vor Ort gestärkt. Unter dem Strich konnten damit also schon deutlich mehr Menschen für die Belange von Demenzkranken sensibilisiert und auch mehr Angehörige beraten werden. Das ist im Sinne der Betroffenen und freut uns sehr, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Mir ist trotzdem wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir es mit einem dauerhaften Prozess zu tun haben. Soll heißen: Wir haben zwar konkrete Empfehlungen im Demenzplan, die sukzessive abgearbeitet werden. Aber wir werden nie an den Punkt kommen, an dem alles abgehakt ist. Im Gegenteil: Wenn wir die Sicht der Betroffenen und ihrer Familien einnehmen, stehen wir mitunter noch ziemlich am Anfang. Das gilt für vermeintlich banale Fragen, wie zum Beispiel danach, wie wir dem allgemein steigenden Beratungsbedarf auch in der Fläche gerecht werden können, aber auch für aktuelle Herausforderungen wie die Coronapandemie, die für Menschen mit Demenz häufig besonders belastend ist und für die Zukunft mitgedacht werden muss.

Keine Frage: Der Demenzplan ist vor allem als politische Verpflichtungserklärung zu verstehen. Die Jamaika-Koalition scheint diese Ansicht auch weitestgehend zu teilen. Ich will ausdrücklich lobend erwähnen, dass sowohl der steigende Handlungsbedarf als auch der langfristige Einsatz in Sachen Demenz im Bericht anerkannt werden. Daraus folgt für uns aber vor allem eins: Nicht nur Kommunen und Kreise sind in der Pflicht, wenn es um gute

Rahmenbedingungen und um Lebensqualität für Demenzkranke und ihre Angehörigen geht. Auch wir als Land müssen dauerhaft am Ball bleiben und zum Beispiel dafür sorgen, dass das Kompetenzzentrum Demenz seine wirklich wichtige Arbeit auch über das Jahr 2022 hinaus fortsetzen kann. Zudem sollten wir immer im Blick haben, ob es bei Projekten wie etwa der mobilen Demenzberatung, für die wir uns bei den vergangenen Haushaltberatungen erfolgreich eingesetzt haben, Finanzierungslücken gibt.

Machen wir uns nichts vor: Nur durch diesen dauerhaften Einsatz auf allen Ebenen werden wir wirklich zu verbesserten Lebensbedingungen und zu einem größeren gesellschaftlichen Verständnis für die wachsende Zahl von Demenzkranken kommen. Nur so kann es uns zumindest langfristig gelingen, dem unheimlich wichtigen Thema Prävention die nötige gesundheitspolitische Aufmerksamkeit zu schenken; denn auch wenn eine Demenz nicht heilbar ist, können Ausbruch und Verlauf der Erkrankung durch gezielte präventive Maßnahmen oft um viele Jahre hinausgezögert werden. Das ist in meinen Augen die eigentliche Aufgabe, an der wir gemeinsam arbeiten müssen. - Vielen Dank.

(Beifall SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die CDU-Fraktion hat die Abgeordnete Katja Rathje-Hoffmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebes Publikum! Lieber Herr Minister, ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen und bei Ihrem Team im Ministerium dafür bedanken, dass wir diesen Bericht heute bekommen haben. Bedanken möchte ich mich auch bei allen, die dafür gesorgt haben, dass dieser Bericht umgesetzt werden kann. Ganz besonders nennen möchte ich das Kompetenzzentrum Demenz, aber auch die Alzheimer-Gesellschaft, die wirklich hervorragende Arbeit geleistet haben. Heute ist eine gute Gelegenheit, das zu würdigen und zu loben.

(Beifall CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und SSW)

Wir wollen uns über den Stand der Umsetzung des Demenzplans unterhalten. Das ist ganz wichtig. Wir alle wollen alt werden. Ich glaube, niemand möchte das nicht. Aber alt zu werden bedeutet auch, dass das Risiko, an einer Demenz zu erkranken, steigt.

(Christian Dirschauer)

Ist das Risiko bei den 65- bis 70-Jährigen mit 3 % noch relativ gering, so steigt es bei den über 80-Jährigen schon auf durchschnittlich 20 %. Bei den Menschen, die über 90 Jahre alt sind, ist ungefähr ein Drittel mehr oder weniger stark von einer Demenz betroffen.

Dass es ein gesellschaftliches Thema ist, haben ich und meine Familie sowie meine Schwester und deren Familie am eigenen Leib erfahren. Meine Mutter ist schwer an Demenz erkrankt, und ich kann Ihnen sagen, das verlangt einem manchmal ganz schön viel ab. Es ist ein Abschied auf Raten, Tag für Tag, Woche für Woche, Monat für Monat, und es tut ganz schön weh zu sehen, wie aus einer eloquenten Frau eine schweigsame Frau wird, die wenig oder fast gar nichts mehr kann. Da muss man irgendwie handeln. Da gibt es guten Rat und gute Möglichkeiten, sich zu informieren. Es schweißt eine Familie auch zusammen, das kann ich Ihnen sagen. Man sucht Schlüssel, man sucht irgendetwas. Letztens haben wir die Hausschuhe meiner Mutter gesucht. Ja, die waren im Kühlschrank. Es war gar nicht so einfach, sie dort zu finden. Also man ist da auf ziemlich viel gefasst, und, wie gesagt, man braucht auch Hilfe.