Protokoll der Sitzung vom 24.09.2020

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer das Landeshaus betritt, kommt seit heute an der Erntekrone vorbei. Die Mitglieder der Landjugend haben sie gestern gebracht und lenken unseren Blick einmal mehr auf den langen Weg von der Aussaat bis zur Ernte und auf die Wertschätzung für unser täglich Brot. Erntedank und der Umgang mit Lebensmitteln gehören untrennbar zusammen. Aber wer von uns erntet noch?

Der Corona-Lockdown hat uns für eine gute Vorratshaltung sensibilisiert und so manches Hochbeet hervorgebracht. Es bleibt zu wünschen, dass damit in unseren Haushalten eine größere Wertschätzung unseren Lebensmitteln entgegengebracht wird.

Im Lebensmittelhandel sind die Regale rund um die Uhr gut gefüllt. Und auch hier hat Corona nur kleine Momente des Schreckens ausgelöst, bis wieder deutlich wurde: Unsere Ernährung ist mehr als gesichert.

Leider haben wir uns mit zunehmendem Wohlstand zu einer Wegwerfgesellschaft entwickelt. Und achtlos konsumieren wir. Das gilt auch für Lebensmittel. Der Blick auf unser Verteilungsproblem und den Hunger in der Welt ist vielen inzwischen verloren gegangen. Das kann so nicht bleiben.

Gerade beteiligt sich Schleswig-Holstein an den bundesweiten Aktionswochen gegen die Lebensmittelverschwendung. Und auch hier im Landtag gehört das Thema alljährlich auf die Tagesordnung. Das ist gut so.

Trotz aller Appelle landen in Deutschland jährlich fast 13 Millionen t Essen im Müll. Das hat eine repräsentative Studie im Auftrag des Bundesernährungsministeriums aus dem vergangenen Jahr ergeben. Umgerechnet wirft jeder Bundesbürger im Schnitt 75 kg Lebensmittel pro Jahr weg. Mehr als die Hälfte der vermeidbar weggeworfenen Lebensmittel werden von Privathaushalten entsorgt. Diese hohen Zahlen haben dazu geführt, dass sich Deutschland im Rahmen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen dazu bekannt hat, die Lebensmittelverschwendung um 50 % zu reduzieren.

Wir brauchen dringend geeignete Konzepte, um nicht verkaufte Lebensmittel möglichst unkompliziert und unbürokratisch an Dritte abzugeben. Das fordern wir in unserem Antrag.

Tafelkonzepte gibt es schon. Sie sind aber dann ausbaufähig, wenn bürokratische Hürden durch vereinfachte Lieferscheinverfahren abgebaut werden. Bei Lebensmittelspenden und bei Initiativen, die sich um die Weitergabe an Bedürftige kümmern, sind Haftungsfragen im Hinblick auf die Lebensmittelsicherheit zu klären.

Auch die Lebensmittelhändler brauchen Anreize für die Weitergabe von nicht verkauften Lebensmitteln und dafür geeignete und verlässliche Partner. Nur so wird verhindert, dass überschüssige Lebensmittel im Müllcontainer landen.

(Christian Dirschauer)

Aber ich sage auch ganz deutlich. Wir haben bei uns sehr hohe Standards für die Lebensmittelsicherheit und die Produktqualität. Der gesundheitliche Verbraucherschutz ist ein hohes Gut. Das soll so bleiben und darf bei allen Bestrebungen um die Reduzierung von Lebensmittelverschwendung nicht verloren gehen.

Daher haben wir auch eine klare Haltung gegenüber der mit dem SSW-Antrag geforderten Bundesratsinitiative, das Einsammeln weggeworfener Lebensmittel aus Abfallcontainern straffrei zu stellen. Wir lehnen das Containern klar ab und sehen darin weder einen richtigen Ansatz, um der Lebensmittelverschwendung wirksam zu begegnen, noch einen juristischen Handlungsbedarf. Es ist bereits alles geregelt.

Mit Blick auf die hohe Lebensmittelverschwendung in den Privathaushalten brauchen wir ebenfalls geeignete Antworten. Während es für unsere Eltern und Großeltern ein klares, wenn auch ungeschriebenes Gesetz gab, das hieß: „Mit Essen spielt man nicht, und Essen gehört nicht in den Müll“, ist heute Verbraucherbildung erforderlich. In einer Zeit des Wohlstands brauchen wir eine Strategie, um der Lebensmittelverschwendung wirksam zu begegnen.

Bewusstes Einkaufen kann man lernen, man muss es aber auch wollen und umsetzen. Erst wenn sich aus der Aufklärung eine Verhaltensänderung entwickelt hat, hat die Verbraucherbildung ihr Ziel erreicht, und davon sind wir noch ein ganzes Stück entfernt. - Vielen Dank.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und Volker Schnurrbusch [AfD])

Das Wort für die SPD-Fraktion hat die Abgeordnete Kirsten Eickhoff-Weber.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Für diesen Antrag danke ich dem SSW ausdrücklich, denn damit ist sichergestellt, dass wir auch in diesem Jahr im Schleswig-Holsteinischen Landtag über Lebensmittelverschwendung diskutieren.

(Beifall SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Der Zeitpunkt ist besonders glücklich, denn vom 22. bis 29. September 2020 läuft die bundesweite Aktionswoche „Deutschland rettet Lebensmittel!“ vom Bündnis „Zu gut für die Tonne“; das ist das

Bündnis, das vom Bundesministerium, von Julia Klöckner, unterstützt wird.

(Zurufe SPD: Oh, Oh!)

Containern legalisieren, Sie erinnern sich gewiss, darüber haben wir bereits im Juni letzten Jahres diskutiert. Wir haben damals den Antrag gestellt, endlich rechtliche Rahmenbedingungen für das Containern zu schaffen. Dazu konnte sich Jamaika nicht durchringen und hat lediglich einen Prüfauftrag beschlossen. Genauso machen Sie es heute, Ihr Alternativantrag ist wieder ein Prüfauftrag.

Frau Röttger, das hat mich gerade über die Maßen erstaunt, Sie haben von „wir“ gesprochen, wir, Jamaika, sind gegen Containern. - Wie ist es dann zu erklären, dass es ein grüner Justizminister aus Hamburg war, der im letzten Jahr die überaus kluge Initiative gestartet hat, endlich rechtliche Rahmenbedingungen für das Containern zu schaffen? Nun denn, so ist es.

Das Bundesverfassungsgericht - der Kollege des SSW hat es ausgeführt - hat die Politiker, die Gesetzgeber, ausdrücklich aufgefordert, rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Niemand im Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass Containern nicht okay ist, sondern sie haben nur gesagt: Es braucht einen rechtlichen Rahmen. Darum geht es heute. Lieber SSW, Ihr Antrag ist die folgerichtige Aufforderung an die Landesregierung, endlich für eine Bundesratsinitiative einzustehen.

(Beifall SPD und SSW)

Das dürfte für den Minister - ich bedaure sehr, dass der zuständige Umwelt- und Landwirtschaftsminister heute nicht da ist - kein Problem sein. Denn im Juni 2019 hat der Schleswig-Holsteinische Landtag aufgefordert zu prüfen, ob das geltende Recht einer Anpassung bedarf, um die kollidierenden Interessen von Nachhaltigkeit und Eigentumsschutz bei weggeworfenen, noch verzehrtauglichen Lebensmitteln in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Das ist ein Jahr her. Ich rechne damit, dass es gleich den Vorschlag und die Lösung gibt.

(Zuruf SPD: Bestimmt!)

Wieder ist nichts passiert. Wenn wir gerade bei dem Thema „nichts passiert“ sind, können wir auch noch einmal in den Landtagsbeschluss aus dem Jahr 2018 gucken. Auch hier hat das Parlament über Lebensmittelverschwendung diskutiert, auch da haben wir einen richtig guten Antrag gehabt, bis der windelweiche Jamaika-Antrag kam. Sie haben von diesem Umweltminister eine ressortübergreifende

(Anette Röttger)

Strategie gegen Lebensmittelverschwendung gefordert. Das ist zwei Jahre her. Wo ist die Strategie?

(Beifall SPD und SSW)

Sie tun immer noch so, als hätten wir das Thema zum ersten Mal auf dem Tisch.

Jetzt wird es richtig spannend. In einer Pressemitteilung vom 21. September 2020 wird der Umweltminister zitiert:

„Für mich ist und bleibt das Thema Lebensmittelwertschätzung eine Herzensangelegenheit.“

(Lars Harms [SSW]: Sehr gut!)

Aha. Was macht die interessierte Abgeordnete? Die schaut auf der Homepage des MELUND nach. Und was habe ich gefunden? Das war vom 19. Oktober 2017. Sorry, nach Herzensangelegenheit sieht das nicht aus.

(Beifall SPD und SSW)

Wir als SPD haben uns klar positioniert: Für uns sind Lebensmittel eine Herzensangelegenheit. Wenn wir uns die Zahlen der Verschwendung genau anschauen, ob in der Urproduktion, in der Verarbeitung, im Handel, in der Gastronomie oder in privaten Haushalten, ist das vor dem Hintergrund von Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Ernährungsgerechtigkeit nur schwer zu ertragen. Wir alle aasen mit den Lebensmitteln, als gäbe es kein Morgen.

Meine große Bitte ist: Lassen Sie uns die Anträge endlich in den Ausschuss überweisen. Sie haben das 2018 verweigert, Sie haben das 2019 verweigert. Liebe Kollegen von Jamaika, es ist parlamentarisch doch richtig, den Antrag jetzt an den Agrarund Umweltausschuss zu überweisen. Da müssen wir über das Thema reden. Alleine wird der Minister die Lebensmittelverschwendung in SchleswigHolstein nicht aufhalten.

Bitte lassen Sie mich noch einmal all denen danken, die sich über all die Jahre engagieren, den Landfrauen, der Milcherzeugervereinigung, der Verbraucherzentrale, ZuTat aus Kiel, allen Lehrenden und Lernenden in Schulen und Kitas im ganzen Land. Sie wollen wir in ihrem Engagement unterstützen, ihre Arbeit honorieren. Dafür ist der Ausschuss genau der richtige Ort. - Herzlichen Dank.

(Beifall SPD und SSW)

Frau Abgeordnete, bei so viel Dank habe ich die Redezeit nicht ganz im Blick gehabt. Das ist auch

in Ordnung so. - Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat jetzt der Abgeordnete Burkhard Peters das Wort.

Sehr geehrter Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich hoffe, die zusätzliche Zeit steht auch mir zu. - Legalisieren oder nicht legalisieren, das ist hier heute die Frage. Juristinnen und Juristen lieben es, ihre gelegentlich etwas spitzfindigen Überlegungen anhand von konstruierten Beispielsfällen zu erklären. Also los!

Fall A: Der Geschäftsführer Herr D des Frischemarkts E in M - wahrscheinlich Mölln - beobachtet über eine Videoanlage, wie sich ein dem Anschein nach Obdachloser am unverschlossenen Abfallcontainer des Ladens zu schaffen macht und ihm ein verpacktes Brot entnimmt, das vom Frischemarkt entsorgt wurde, weil das Mindesthaltbarkeitsdatum am vorherigen Tag abgelaufen war. Der Container steht frei zugänglich am Rande des Kundenparkplatzes.

(Zuruf Dennys Bornhöft [FDP])

Jetzt Fall B: Derselbe Herr D bekam von einem Lieferanten die Aufforderung, mit Glassplittern verunreinigte Wurstwaren einer gekennzeichneten Charge sofort aus dem Angebot zu entfernen und sicher zu entsorgen. Er lässt daher an der Klappe des Abfallcontainers bis zum Zeitpunkt der Entsorgung ein Fahrradschloss anbringen. Am nächsten Morgen stellt er fest, dass das Schloss aufgebrochen ist und unter anderem auch die verunreinigte Wurst verschwunden ist. Später melden sich im örtlichen Krankenhaus Personen mit Schnittverletzungen im Verdauungstrakt.

So weit geht die Spannweite möglicher Fälle des Containerns. Spontan würde wahrscheinlich der größte Teil der Anwesenden zu dem Ergebnis kommen, dass im Fall A kein strafwürdiges Unrecht vorliegt. Im Fall B sähe es dagegen völlig anders aus.

Das steht auch im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Frage des Übermaßverbotes bei der Schaffung von Strafrechtsnormen: Der Gesetzgeber darf nur ein solches Verhalten mit dem scharfen Schwert des Strafrechts verfolgen, das über das Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich, für das geordnete Zusammenleben unerträglich ist und dessen Verhinderung deswegen besonders dringlich ist. Kurz gesagt: Der Gesetzgeber darf beim Strafrecht nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen.

(Kirsten Eickhoff-Weber)

Juristisch versteckt sich die Problematik im Zusammenspiel der Tatbestandsvoraussetzungen zweier Normen zum einen im Diebstahlsparagrafen § 242 StGB, zum anderen in § 959 BGB, wo es um die Aufgabe des Eigentums, die sogenannte Dereliktion, geht. Diebstahl liegt nur vor, wenn die weggenommene Sache fremd ist. Fremd ist eine Sache aber dann nicht, wenn sie nach § 959 BGB herrenlos ist. Herrenlos ist die Sache dann, wenn der Besitz in der Absicht aufgegeben wird, auf das Eigentum zu verzichten.