Protokoll der Sitzung vom 28.10.2020

Das Wort für die Landesregierung hat der Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren, Dr. Heiner Garg.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Es gibt zum Teil mehrere In

(Präsident Klaus Schlie)

tensivkapazitäten auf deutscher Seite und im europäischen Nachbarland, im Elsass, in Norditalien, in Spanien, aber auch in den Niederlanden und in Belgien überfüllte Intensivstationen. Von italienischen Ärztinnen und Ärzten muss entschieden werden, wer noch eine Beatmung bekommt. Das ist nicht das Europa, für das ich seit 30 Jahren stehe.

(Beifall FDP, CDU, SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn uns die Entwicklung der letzten Tage und Wochen eines zeigt, dann dies: dass dieses Virus vor keinen Grenzen haltmacht und dass auch Schleswig-Holstein keine Insel der Glückseligen ist. Bei allem, was bisher gesagt wurde, will ich noch einmal sehr deutlich verstärken, dass ich mir für die Zukunft die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, und zwar nicht nur für die Bewältigung der Covid-19-Pandemie, wünsche. Diese ist für mich ein wesentlicher Faktor auch für den Gesundheitsbereich und für ein weiter zusammenwachsendes Europa.

(Beifall FDP, CDU, SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Dieser einzigartige Staatenbund muss vorangehen, und da darf sich nicht jedes Land abschotten, was zu Beginn der Pandemie ja passiert ist, wie wir uns vielleicht noch erinnern. Vielmehr muss das Gegenteil der Fall sein.

Damit ich jetzt nicht missinterpretiert werde, will ich an dieser Stelle das Subsidiaritätsprinzip überhaupt nicht infrage stellen. Es wird eine intensive demokratische Diskussion darüber geben müssen, wie in Zukunft die Kompetenzen der Gesundheitspolitik, beispielsweise bei weiteren Pandemien, neu ausjustiert werden müssen. Das ist gar keine Frage.

Ja, in Deutschland haben sich der Föderalismus und die Zuständigkeiten in der Pandemie durchaus bewährt. Sie stoßen aber an die eine oder andere Grenze, meine sehr geehrten Damen und Herren. Um die Pandemie zu meistern, brauchen wir für die Menschen in Deutschland und Europa die bestmöglichen Lösungen in der Gesundheitsversorgung. Wir brauchen die Kraft der Europäischen Union, und wir brauchen in Europa Zusammenhalt, Zusammenarbeit und die Solidarität aller miteinander.

Ich habe mich in der Pandemie dafür eingesetzt, auch wenn es damals noch kein abgestimmtes Verfahren auf EU-Ebene gab, dass es ein sogenanntes europäisches Solidaritätskontingent in der Aufnahme und Verteilung von schwer erkrankten Covid-19-Patientinnen und -Patienten gibt. Ich bin

sehr stolz und dem Universitätsklinikum in Schleswig-Holstein an seinen beiden Standorten zutiefst dankbar, dass das Universitätsklinikum umgehend einem Hilferuf aus Frankreich, aus dem Elsass, aus einer Region, die meine Nachbarregion war, in der ich aufgewachsen bin, nachgekommen ist, sechs Menschen aufzunehmen und sechs genesene Menschen nach Frankreich zurückkehren zu lassen.

(Beifall FDP, CDU, SPD, BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN und Doris Fürstin von Sayn-Witt- genstein [fraktionslos])

Gelebte Solidarität der Mitgliedstaaten muss das Ziel sein. In bestimmten Bereichen, die jetzt im weiteren Verlauf des Pandemiemanagements eine entscheidende Bedeutung haben, brauchen wir auf EU-Ebene koordinierte Maßnahmen. Dabei sind wir heute erfreulicherweise schon einen ganzen Schritt weiter als zu Beginn der Pandemie, als übrigens auch Deutschland mit Exportbeschränkungen bei persönlicher Schutzausrüstung geantwortet hat. Auch da sage ich: Das Gegenteil muss der Fall sein. Die europäische Notreserve, RescEU, nicht nur bei der persönlichen Ausrüstung, sondern auch bei Beatmungsgeräten ist die richtige Antwort.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, zur Zulassung des Impfstoffs möchte ich noch Folgendes sagen: Ziel ist, dass alle EU-Mitgliedstaaten möglichst schnell einen gleichberechtigten und erschwinglichen Zugang zu einem Impfstoff für die Menschen in diesem Staatenbund haben. Dazu führt die Kommission Gespräche mit diversen Impfstoffherstellern. Sie wissen es doch eigentlich besser: Es sind mehr als 160 Impfstoffkandidaten im Rennen, um das einmal so deutlich zu sagen.

Allen EU-Mitgliedstaaten soll mit diesem Verfahren ermöglicht werden, einen Corona-Impfstoff zu erwerben, sobald dieser verfügbar ist. Durch einen Vertrag mit Pharmaunternehmen hat die EU-Kommission im Übrigen dafür gesorgt, dass die Mitgliedstaaten Zugriff auf das Medikament Remdesivir erhalten, das zur Behandlung von Covid-19-Patientinnen und -Patienten auf EU-Ebene bereits zugelassen ist.

Die beschleunigte Zulassung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus bedeutet aber gerade nicht, dass die wissenschaftlichen und regulatorischen Standards außer Kraft gesetzt werden. Das müssen die Menschen in Schleswig-Holstein in dieser Klarheit und Deutlichkeit auch einmal hören, bevor hier ein anderer Eindruck entsteht, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Minister Dr. Heiner Garg)

(Beifall FDP, CDU, SPD und BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN)

Ganz im Gegenteil: Die Impfstoffkandidaten sind hinsichtlich ihrer Qualität und klinischen Eigenschaften genauso sorgfältig zu prüfen wie andere Impfstoffe auch. Die Zulassung erfolgt in Abhängigkeit der vorliegenden Daten. Die EU-Verordnung über die klinische Prüfung mit Humanarzneimitteln, die bereits vor der Krise in Kraft war, setzt hierbei klare und verbindliche Vorgaben, die entsprechend einzuhalten sind.

Die EU-Kommission hat auch weitere Maßnahmen im Umgang mit der Krise ergriffen. So baut die EU auf Vorschlag der Kommission insgesamt einen strategischen Vorrat an medizinischer Ausrüstung auch im Rahmen der von mir erwähnten sogenannten Notfallreserve rescEU auf. Mit wesentlich mehr Mitteln, nämlich mit rund 6 Milliarden €, ist die EU-Initiative „Solidarität im Dienst der Gesundheit“ ausgestattet. Damit werden die Gesundheitssysteme der Länder direkt unterstützt. Durch diese Hilfen sollen unter anderem der Transport von medizinischem Gerät und von Patientinnen und Patienten mitfinanziert und koordiniert, die Einstellung zusätzlichen medizinischen Personals gefördert und der Bau mobiler Krankenhäuser unterstützt werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend einen Punkt ansprechen, den ich ebenfalls für die weitere Zusammenarbeit national, aber auch international von entscheidender Bedeutung halte. Wir brauchen in Europa mehr Anreize für Unternehmen, Arzneimittel und Arzneimittelrohstoffe wieder in der Europäischen Union zu produzieren. Das gilt explizit auch für den Ausbau der Wirkstoffproduktion insbesondere für versorgungsrelevante Arzneimittelgrundstoffe und für versorgungsrelevante Arzneimittel.

(Beifall FDP, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Dr. Ralf Stegner [SPD])

Eine Produktionsrückverlagerung nach Europa lohnt sich, und zwar wenn wir die Möglichkeit bieten, hier große Mengen produzieren zu können. Ich bin überzeugt davon, dass die EU nach dieser Pandemie die Kraft finden wird, diese europäische Arzneimittelstrategie auf den Weg zu bringen; denn ich halte sie für die Bevölkerung, für über 500 Millionen Menschen, die auf diesem Kontinent leben, für von herausragender Bedeutung. Ich wünsche mir, dass Europa enger und stärker zusammenarbeitet, gerade auch im Gesundheitsbereich, als es bisher der Fall gewesen ist.

Ich bedanke mich ebenfalls für die Initiative und für das Zuhören. - Ja, ich habe die Redezeit überzogen.

(Beifall FDP, CDU, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, der Minister hat die Redezeit erwartungsgemäß um 3 Minuten überschritten. - Ich sehe aber, dass Sie von der erweiterten Redezeit keinen Gebrauch machen möchten. Damit stelle ich fest, dass weitere Wortmeldungen nicht vorliegen. Ich schließe die Beratung.

Es ist beantragt worden, den Antrag Drucksache 19/2399 - ich interpretiere das jetzt einmal - federführend an den Europaausschuss und mitberatend an den Sozialausschuss zu überweisen. Wer so beschließen will, den bitte ich um das Handzeichen. Ich sehe, das ist bis auf die Abgeordnete von SaynWittgenstein so beschlossen. Enthaltungen?

(Doris Fürstin von Sayn-Wittgenstein [frakti- onslos]: Enthaltung!)

Bei Enthaltung der Abgeordneten von Sayn-Wittgenstein ist das so beschlossen.

Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag Drucksache 19/2495. Dort stimmen wir in der Sache ab. Wer dem Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Das sind die fraktionslosen Abgeordneten Schaffer, Nobis, Dr. Brodehl, von Sayn-Wittgenstein und Schnurrbusch. - Ich muss mich erst daran gewöhnen, Sie alle einzeln aufzuzählen. Wer ist dagegen? - Das sind alle anderen Abgeordneten. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 41 auf:

Änderung der Geschäftsordnung des SchleswigHolsteinischen Landtags

Antrag der Fraktionen von CDU, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und der Abgeordneten des SSW Drucksache 19/2497

Das Wort zur Begründung, sehe ich, wird nicht gewünscht. Es ist im Ältestenrat vereinbart worden, dass für die Fraktionen insgesamt die Abgeordnete Birgit Herdejürgen das Wort erhält.

(Wortmeldung Hans-Jörn Arp [CDU])

- Zunächst einmal hat jetzt die Abgeordnete Herdejürgen das Wort. Ich habe die Tagesordnung ein bisschen durcheinandergebracht. Es ist meine

(Minister Dr. Heiner Garg)

Schuld, aber Frau Abgeordnete Herdejürgen ist ja flexibel.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wie so viele andere haben wir als Landtag in den vergangenen Monaten verschiedene Maßnahmen auf den Weg gebracht, um in der für uns alle neuen Situation den Betrieb in Coronazeiten sicherzustellen. Wie so viele andere haben wir im Frühjahr nicht sofort eine Standardlösung parat gehabt, zumal es durchaus Unterschiede in der Einschätzung gibt, was nötig und möglich zu regeln ist. Ziel ist es allerdings von Anfang an gewesen, das Infektionsrisiko hier im Hause möglichst gering zu halten und gleichzeitig die Funktionsfähigkeit des Parlaments zu gewährleisten.

Wir haben im Moment auf Bundesebene und in verschiedenen Ländern bezogen auf die Beteiligung des Parlamentes bei Coronamaßnahmen Diskussionen. Ich finde, in Schleswig-Holstein haben wir das relativ gut gelöst bekommen.

(Beifall SPD und CDU)

Das sage ich gerade als Mitglied einer Oppositionsfraktion.

Bei allen unterschiedlichen Auffassungen und unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen war gerade in der chaotischen Anfangsphase der enge Kontakt zwischen Regierung und Parlament sehr hilfreich, auch als Signal an die Bevölkerung. Es war hilfreich im direkten Kontakt zu Bürgerinnen und Bürgern deren Anliegen häufig sehr schnell aufgegriffen und gelöst werden konnten. Es war hilfreich, dass in der Außendarstellung als handlungsfähiger Staat, der in Notsituation über die Ebenen hinweg schnelle Lösungen herbeigeführt hat. Wir haben die Diskussion auch bezogen auf die Nachträge - das werden wir am Freitag als Thema behandeln - mit einer sehr breiten parlamentarischen Beteiligung auf den Weg gebracht. Daher müssen wir uns hier in Schleswig-Holstein, was die parlamentarische Beteiligung angeht, nicht verstecken.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP)

Gerade deshalb müssen wir zusehen, dass die parlamentarische Arbeit weiterhin stattfinden kann. Dazu wollen wir zusätzliche Möglichkeiten schaffen, den Ausschussbetrieb bei wieder zunehmenden Infektionszahlen - damit haben wir leider im Moment zu tun - zu erleichtern. Das ist keine grundsätzliche Abkehr vom Präsenzbetrieb. Die Landesverfassung

legt die Öffentlichkeit ausdrücklich als Regelfall fest, der Zuschauern und der Presse ermöglicht, sich selbst und unmittelbar einen umfassenden, ungefilterten Eindruck vom Geschehen im Sitzungssaal zu machen. Eine virtuelle Anwesenheit kann nicht an die Stelle tatsächlicher Präsenz treten, weil Rhetorik und Körpersprache Teil der politischen Debatten sind und über Videokonferenzen nicht vollumfänglich abgebildet werden können.

Eine breite Mehrheit dieses Hauses hält daran fest. Dies gilt auch weiterhin für inhaltliche Diskussionen und Abstimmungen über Anträge und Gesetzentwürfe.

Wir sehen allerdings Anpassungsbedarf für Sitzungen zur reinen Informationsweitergabe und Beschlussfassungen über Verfahrensfragen. Diese können künftig in Ausnahmefällen als Videokonferenzen ermöglicht werden, allerdings nur, wenn kein Ausschussmitglied widerspricht. Die Hürden sind relativ hoch. Diese Maßnahmen dienen dazu, Sitzungen der Ausschüsse in Präsenz auf das Notwendige zu reduzieren.

Im Zuge unserer Diskussionen zu diesen coronabedingten Änderungen haben wir sozusagen als Beifang noch eine weitere Möglichkeit eröffnet, und zwar, dass im Rahmen von Anhörungen Experten per Videokonferenz zugeschaltet werden können, wenn die persönliche Teilnahme nicht möglich ist. Das kann zum Beispiel sinnvoll sein, wenn Anzuhörende aus München, Dresden oder aus weiter entfernten Orten anreisen müssten. Wir werden vermutlich noch weitere Regelungen auf den Weg bringen müssen, denn wir können derzeit nicht ausschließen, dass über kurz oder lang auch Kolleginnen oder Kollegen betroffen sein werden. Die Beschlussfähigkeit des Landtags muss in jedem Fall sichergestellt sein.

(Beifall SPD, CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, FDP und Dr. Frank Brodehl [fraktionslos])