Protokoll der Sitzung vom 28.10.2020

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir schlagen stattdessen vor, einmal auf die Fakten zu blicken: mRNA-Impfstoffe sind moderne biomedizinische Arzneimittel, die nur gemeinsam in der EU und dem Europäischen Wirtschaftsraum in einem zentralisierten Verfahren, koordiniert von der Europäischen Medizinischen Agentur EMA durch die Europäische Kommission zugelassen werden können. Auch deshalb kommt unser Antrag gerade zur richtigen Zeit.

Hier geht es nicht um Putin, Trump oder Gates. Es geht um den sicheren Weg, die SARS-CoV-2-Pandemie schnellstmöglich einzudämmen. Das ist die weltweite Bereitstellung sicherer und wirksamer Covid-19-Impfstoffe.

(Beifall SPD, vereinzelt CDU und FDP)

Vor diesem Hintergrund und in Hinblick auf den Aspekt Fast-Track-Impfzulassung gilt es - wie bei regulären Impfstoffzulassungen - natürlich zwingend, Risiken zu vermeiden.

Es ist richtig: Alle Verfahren in Verbindung zu SARS-CoV-2/Covid-19 werden im Paul-Ehrlich-Institut beschleunigt und mit erhöhtem Personaleinsatz bearbeitet. Dabei wird aber nicht auf die notwendige Sorgfalt bei der Antragsprüfung verzichtet. Auf europäischer Ebene wird die beschleunigte Zulassung erreicht, indem der wissenschaftliche Bewertungsprozess durch den zuständigen Ausschuss für Humanarzneimittel EMA von 210 auf 150 Tage verkürzt wird.

Wir haben hier in Deutschland das weltweit sicherste Medikamentenforschungs- und Sicherheitssystem. Herr Schaffer, wir lehnen Ihren Angstantrag ab und bitten um Zustimmung zu unserem Antrag. Wir würden uns aber auch freuen, im Europaausschuss und vor allen Dingen im Gesundheitsausschuss über diesen Antrag zu beraten. Die Coronaviruskrise hat klar und deutlich gezeigt, dass wir in europawirksamere Instrumente in der Gesundheitspolitik brauchen,

Herr Abgeordneter, Sie müssen zum Schluss kommen.

- um ihr gemeinsam begegnen zu können, Herr Präsident. Wir brauchen die europäische Gesundheitsunion. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall SPD)

Als Antragsteller zum Antrag „Keine Fast-TrackZulassung für Impfstoffe gegen Covid-19“ spricht jetzt der fraktionslose Abgeordnete Claus Schaffer.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wer zuerst einen zuverlässigen Impfstoff zugelassen und auf den Markt bekommt, dem winken Milliardengewinne. Weltweit wird bereits an mehr als 180 Impfstoffkandidaten geforscht, das sind mehr als für jede andere Infektionskrankheit.

Wer eine Impfung aber als einzige und absolute Maßnahme betrachtet, der ist für die Zukunft schlecht gerüstet. Tatsächlich dauert die Entwicklung eines Impfstoffs im Durchschnitt rund 15 Jahre. Impfstoffe müssen dabei mehrstufige Zulassungsverfahren erfolgreich durchlaufen. Schrittweise und zumeist über mehrere Jahre überprüfen dabei Wissenschaftler, ob der Wirkstoff sicher und verträglich ist und ob er die Krankheit effektiv verhindern kann. Diese Zeit fehlt aber in einer Pandemie. Den Testzeitraum unter diesem Druck gar auf einige Monate zu beschränken und auch die Zulassung erheblich zu beschleunigen, bringt Probleme und unabsehbare Risiken mit sich.

Es ist zudem auch keine Garantie für Erfolg. Es ist nämlich keine neue Erkenntnis, dass die meisten Impfstoffkandidaten im Zulassungsverfahren scheitern. Bei einem Impfstoff gegen das Dengue-Fieber

(Bernd Heinemann)

beispielsweise traten schwerwiegende Komplikationen erst nach einer Zulassung durch die FDA auf, also nach der Zulassung durch die oberste Arzneimittelbehörde der Vereinigten Staaten. Wohlgemerkt, das war nach dem Durchlaufen eines regulären Zulassungsverfahrens.

Bemerkenswert daran ist, dass bis heute kein einziger mRNA-Impfstoff zugelassen worden ist, und um die mRNA-Impfstoffe geht es im Wesentlichen bei der Corona-Impfstoffsuche. Und das ist so, obwohl an ihnen schon seit Jahrzehnten geforscht wurde. Deshalb gibt es keine Langzeitstudien und keine Erkenntnisse über die Verträglichkeit von mRNA-Impfstoffen.

Auch im Fall eines Corona-Impfstoffs gilt daher der Grundsatz: lieber langsam und sicher als schnell und mit unbekannten und gefährlichen Nebenwirkungen. Viele werden sich vielleicht noch an das Impfstoffdebakel bei der Schweinegrippe von 2009 erinnern. Damals wurde in Rekordzeit der Impfstoff Pandemrix gegen das H1N1-Influenza-Virus entwickelt und mit einem neuartigen Wirkverstärker versehen. Später stellte sich heraus, dass geimpfte Kinder ein erhöhtes Risiko haben, dauerhaft an Narkolepsie zu erkranken. In Finnland, wo die Impfrate besonders hoch war, traten besonders viele Fälle auf.

Meine Damen und Herren, schon der bewährte, unser bewährter, langwierige Weg für die Zulassung von Impfstoffen ist nicht frei von Risiken. Das wissen wir. Diesen Weg jetzt aber abzukürzen und eine Fast-Track-Zulassung vorzunehmen, hätte hierbei unter Umständen verheerende, unabsehbare Folgen. Diesen Weg sollten wir nicht gehen. Deshalb bitte ich um Zustimmung zu unserem Antrag. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall Jörg Nobis [fraktionslos] und Volker Schnurrbusch [fraktionslos])

Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Hans Hinrich Neve.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme erst einmal zu dem Antrag mit dem Titel „Keine Fast-Track-Zulassung für Impfstoffe gegen Covid-19“. Der hier vorliegende Antrag trägt mehr zur Verunsicherung bei, als dass er aufklärt. Aber das dürfte uns nicht überraschen. Die Politik aus dem Lager des Antragstellers konzentriert sich von Beginn an darauf, Ängste in unserer Gesellschaft zu

schüren. Die hohen Qualitätsstandards, die bei uns im Land eingehalten werden, werden auch in Zukunft eingehalten. Auch das dürfte bei der AfD bekannt sein.

Die Beschleunigung von Zulassungsverfahren für Arzneimittel war vielmehr überfällig. Schon weit vor Corona war dies immer wieder ein Thema. Wirksame Medikamente konnten nicht eingesetzt werden, weil die Zulassungsverfahren nicht abgeschlossen waren. Das war besonders zum Leidwesen von Menschen, für die diese Medikamente die wirklich letzte Hoffnung waren. Durch die Beschleunigung des Verfahrens werden unsere nationalen und EU-weiten Qualitätsstandards nicht umgangen, nein. In erster Linie wird hier Bürokratie abgebaut, und das ist mehr als notwendig, meine Damen und Herren.

(Beifall Katja Rathje-Hoffmann [CDU], Dr. Marret Bohn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] und Dennys Bornhöft [FDP])

Die Verfahren werden auch verkürzt. Wenn sich zum Beispiel bei der Erprobung beim Menschen in der Phase I, das sind 10 bis 30 Personen, anfänglich schon positive Effekte zeigen, dann wird frühzeitig mit der Phase II, mit 50 bis 500 Personen, begonnen. Damit wird die Phase I aber nicht abgebrochen, sondern sie wird bis zum Schluss weitergeführt. Gleiches gilt für die Phase III, an der über 10.000 Personen beteiligt sind.

Auch die Zulassungsbehörden arbeiten auf Hochtouren, was zu kürzeren Bearbeitungszeiten führt. Die Zwischenergebnisse der Studien werden beispielsweise gemeinsam ausgewertet, und der Ethikrat ist unverändert in das Verfahren eingebunden. Insofern gibt es keinen Grund, hier Panik zu machen, sondern alles läuft in gesitteten Bahnen.

Die EU sichert sich schon heute mehr als 100 Millionen Corona-Impfdosen von Firmen, die in einer erfolgversprechenden Entwicklung sind. Es geht letztendlich nur um die Gesundheit und das Überleben von sehr vielen Menschen in der EU, in Deutschland, aber auch hier bei uns in SchleswigHolstein. Es geht um die Sicherung der Wirtschaft. Durch die Pandemie gibt es weitere Risiken für unsere Gesellschaft, die auch nicht zu vernachlässigen sind.

Die Infektionszahlen und damit verbunden die Anspannung steigen, bevor sich die Gesellschaft richtig von der ersten Welle erholen konnte. Wir müssen nunmehr die zweite Welle auffangen, und Sie, Herr Schaffer, haben nichts Besseres zu tun, als Ängste zu schüren. Sie entwickeln Verschwörungs

(Claus Schaffer)

theorien in einer unverantwortbaren Art und Weise. Meine Damen und Herren, insofern lehnen wir diesen Antrag ab. Ich bitte um Abstimmung in der Sache.

(Beifall CDU und FDP)

Zum Antrag Drucksache 19/3299, Europäische Gesundheitspolitik stärken: Eine Pandemie macht nicht an nationalen Grenzen halt. Insofern war es nur logisch, dass sich das Europaparlament mehrheitlich mit einer Entschließung für die Errichtung einer Gesundheitsunion ausgesprochen hat. Der hier vorliegende Antrag greift einige Punkte aus der europäischen Entschließung heraus, so zum Beispiel Qualitäts- und Versorgungssicherheit von Arzneimitteln, Medizinprodukten und Schutzausrüstung.

Erst die Pandemie hat uns vor Augen geführt, wie abhängig wir sind. Ob nun bei Masken oder Schutzausrüstung, wir sind abhängig von Drittländern, besonders von asiatischen Staaten. Daran sollten wir arbeiten, auch im Sinne einer Versorgungssicherheit hier in der Europäischen Union.

Ein nächster Punkt ist: Wir brauchen ein europäisches RKI, das ist dringend notwendig. Wenn ich Zahlen suche, dann habe ich die des RKI für ganz Deutschland immer vor mir. Bei Zahlen für Europa muss ich aber auf die Suche gehen. Auf der anderen Seite dürfen wir dabei nicht die Subsidiarität außer Acht lassen. Diese muss gewahrt bleiben. Mit unserer föderalen Struktur und der Zuständigkeit der Gesundheitsämter auf kommunaler Ebene hat sich nämlich gezeigt, dass wir schneller, aber auch zielgenauer reagieren können. Dabei sind zentrale Strukturen, wie es sie in anderen Ländern gibt, oft schwerfälliger.

Über diese und weitere komplexe Fragestellungen zu diesem Thema möchte ich gern gemeinsam im Fachausschuss diskutieren. Ich bitte um Ausschussüberweisung an den Sozialausschuss und mitberatend natürlich an den Europaausschuss. - Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall CDU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und Bernd Heinemann [SPD])

Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat die Abgeordnete Dr. Marret Bohn.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Coronapandemie ist das alles be

herrschende Thema unserer Tage. Dazu gibt es überhaupt keine zwei Meinungen. Maßnahmen und Forderungen, die im Zusammenhang mit der Pandemiebekämpfung dringend erforderlich sind, werden auch im EU-Parlament und in der Kommission diskutiert. Das hat der Kollege Bernd Heinemann gerade eben sehr gut zusammengefasst. Diese Debatten haben auch Auswirkungen auf die nationale Ebene. Sie haben Auswirkungen auf die Situation hier bei uns im Land.

Die Bundesregierung - die lobe ich ja nicht sehr oft, aber hier muss ich sie wirklich einmal loben - hat sich zum Beispiel dafür eingesetzt, dass es eine Stärkung des Europäischen Zentrums für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten geben soll. Herr Kollege Hans Neve hat deutlich herausgearbeitet, warum das so dringend erforderlich ist: Wir müssen doch wissen, wie die Zahlen gerade aussehen, damit wir unser Handeln daran orientieren können. Davon haben alle einen Vorteil. Deshalb ist das aus meiner Sicht einer der wichtigsten Punkte. Es ist gut, dass die Bundesregierung hier vorangeht. Aber es muss noch mehr hinterherkommen, damit wir europaweit einen gemeinsamen Plan entwickeln können.

Ein weiterer Punkt ist uns von grüner Seite sehr wichtig: die Sicherstellung und Versorgung mit Arzneimitteln und Impfstoffen. Eine gemeinsame Beschaffung macht doch Sinn. Es hat jedenfalls keinen Sinn, in einer solchen Situation in Konkurrenz zueinander zu treten. Europa muss jetzt zusammenstehen und gemeinsam dafür sorgen, dass alle Zugang zu Arzneimitteln und Impfstoffen bekommen.

Wir finden es auch wichtig, dass ein europäischer Gesundheitsdatenraum geschaffen wird. Wir brauchen eine bessere Vernetzung, einen besseren Austausch - natürlich unter Gewährleistung der Datenschutzregeln; das ist doch ganz klar. Da können wir besser werden, davon können alle profitieren.

Ich finde, über diese drei Punkte können wir gern im Ausschuss weiter diskutieren. Wenn wir dabei einen großen Schritt weiterkämen, wäre das schon total gut und wichtig, gerade jetzt, in der Pandemie. Deswegen ist das Ziel einer europäischen Gesundheitspolitik sehr wichtig.

(Beifall Eka von Kalben [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich sage allerdings auch: Wir müssen eine Balance finden zwischen der nationalen und regionalen Gesundheitsversorgung, die wir insbesondere hier in Schleswig-Holstein immer in den Vordergrund stel

(Hans Hinrich Neve)

len, das heißt dem Schutz der Menschen hier vor Gesundheitsgefahren auf der einen Seite und dem Wunsch, dass es für alle Unionsbürgerinnen und -bürger einen Mindestschutz beziehungsweise ein Mindestversorgungsniveau gibt, auf der anderen Seite; auch das ist uns Grünen sehr wichtig.

Ich sage es an dieser Stelle noch einmal sehr deutlich: Wir dürfen es nie wieder zulassen, dass wir für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den sozialen Bereichen keine Schutzausrüstung haben. Das darf nie wieder passieren!

(Beifall BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, SPD, FDP und Doris Fürstin von Sayn-Witt- genstein [fraktionslos])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Coronapandemie zeigt uns sehr deutlich, dass es hinsichtlich einer besseren Zusammenarbeit in Europa noch ordentlich Luft nach oben gibt. Ich habe aber auch den Eindruck, die Coronapandemie hat dazu beigetragen, dass das Thema Gesundheit, das mir schon immer sehr am Herzen lag, einen ganz anderen Stellenwert bekommen hat. Auch wenn der Anlass tragisch ist, finde ich es total wichtig, dass die Europäische Kommission und das Europaparlament nach neuen Lösungen suchen. Darüber würden wir sehr gern - vielen Dank für den schönen Antrag weiter im Ausschuss beraten.

Jetzt kommen wir zu einem weniger schönen Antrag; mit dem werde ich mich nur kurz befassen. Hier Panik zu schüren und darauf hinzuweisen, was alles schiefgehen kann - ich kann es wirklich nicht fassen! Es gibt so viele Menschen, die sich gern impfen lassen würden. Es gibt so viele Menschen, die Angst um ihre Angehörigen haben. In einer solchen Situation darauf hinzuweisen, was alles schiefgehen kann, finde ich unter aller Würde ganz ehrlich.