Protokoll der Sitzung vom 12.02.2014

Entwicklung für die Bedeutung des Friedens in Europa neu sensibilisiert werden. Dabei werden regionale Aspekte berücksichtigt, die den Irrsinn des Krieges im Allgemeinen verdeutlichen, zum Beispiel die Grenze als ständig wechselndes Element, das in der Großregion die Zufälligkeit der staatlichen Zuordnung und der damit verbundenen Familiengeschichten, kulturellen Traditionen und so weiter demonstriert.

Die unterschiedlichen Perspektiven der gemeinsamen Geschichte werden zielgruppenspezifisch und pädagogisch aufbereitet. Es wird eine Reihe „Historisches Quartett“ geben, innerhalb derer Historikerinnen und Historiker aus Frankreich, Belgien, Luxemburg und Deutschland in der Veranstaltungsreihe „Courage“ geschichtliche Ereignisse aus den unterschiedlichen Sichtweisen diskutieren und interpretieren werden. Die Reihe wird in Kooperation mit der Zentrale für politische Bildung stattfinden. Es wird ein Treffen der Gedenkstätten der Großregion geben mit dem Ziel, sich über geplante Aktionen im Kooperationsraum in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung auszutauschen.

In Kooperation mit dem Saar-Lor-Lux-Elsass-Literaturarchiv und der DRAC Lorraine ist eine Ausstellung mit Lesung geplant, um die pazifistische Sichtweise auf die Jahre 1914 bis 1918 zu stärken. Im Mittelpunkt steht der lothringische Schriftsteller Yvan Goll, der in Deutsch und Französisch schrieb und einer Gruppe von Pazifisten in Zürich angehörte.

Darüber hinaus ist eine Veranstaltungsreihe „125 Jahre Frans Masereel“ geplant. Der belgische Künstler Frans Masereel gehörte ebenfalls zur Gruppe der Pazifisten in Zürich. Er wurde 1947 zum Professor an die Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken berufen. Die Kunstschule war in der Zeit des Nazi-Regimes geschlossen worden. Ihre Neueröffnung gehörte für das französische Haut Commissariat en Sarre zu den Maßnahmen der kulturellen Entwicklung und Stärkung der Demokratie. Masereel, bekannt als Künstler gegen den Krieg, behandelt in seinem Werk das Grauen und den Irrsinn des Krieges und tritt für die Vernunft und die Menschlichkeit ein. Eine Neuauflage seiner Bildromane und eine Wanderausstellung sowie eine von belgischer Seite ausgerichtete Ausstellung in Brüssel im Herbst 2014 sind in Vorbereitung. Das XMLab der HBK plant in Kooperation mit der Masereel-Stiftung und den künstlerischen Hochschulen der Großregion 2014 eine Gastprofessur Frans Masereel und wird sein künstlerisches Werk gegen den Krieg in den Mittelpunkt der Veranstaltung Graphic Novel stellen.

Des Weiteren werden sich saarländische Schulen an dem Projekt „Traces, mémoires, frontières“ der Académie de Nancy-Metz beteiligen. In Abstimmung mit der Landesfachkonferenz Deutsch wird der Lek

türeplan der gymnasialen Oberstufe mit dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg abgestimmt. Derzeit ist Heinrich Manns „Der Untertan“ verpflichtende Lektüre - mein Sohn ist gerade dabei, sich darauf vorzubereiten. Im nächsten Durchgang wird voraussichtlich ein Werk, das ich eben schon angesprochen habe und das den Ersten Weltkrieg thematisiert, nämlich Erich Maria Remarques „Im Westen nichts Neues“, aufgenommen werden.

Weiterhin ist angedacht, in Form einer kleinen saarländischen Reihe mit saarländischen Autoren, zum Beispiel Ludwig Harig und Johannes Kühn, auch weiterhin Abiturlektüren thematisch mit dem Programm „Courage“ zu verknüpfen. Und da gebe ich dem Bildungsminister noch eine Anregung mit: Bitte nicht die Berufsschulen vergessen, auch dort sollten wir das Thema unbedingt auf die Tagesordnung nehmen.

(Beifall von der SPD.)

Es wird eine zweitägige Fortbildungsveranstaltung für interessierte Lehrkräfte und Studierende in Form einer Exkursion an die Marne beziehungsweise nach Reims und Umgebung geben. Diese Veranstaltung wird durch den Geschichtslehrerverband und das Landesinstitut für Medien durchgeführt. Die Exkursion und eine Broschüre sollen Anregung für Lehrkräfte sein, Kulturwandertage und Exkursionen mit Schülerinnen und Schülern an die historischen Gedenkstätten zu unternehmen. Eine Beteiligung von Mitarbeitern der Kriegsgräberfürsorge wird auch da angestrebt. Zurzeit wird ein Didaktikheft erstellt, das allen Schulen zur Verfügung stehen wird. Es enthält konkretes, didaktisch aufbereitetes Unterrichtsmaterial zum Thema deutsch-französische Beziehungen von 1815 bis 1955. Damit wird das Gedenken an den Ersten Weltkrieg in einen sinnvollen und der Grundintention angemessenen größeren Rahmen gestellt. Ergänzt wird das Didaktikheft durch eine Handreichung zu Orten des Gedenkens. Hierbei handelt es sich um eine Publikation für Lehrkräfte, die Orte des Gedenkens darstellt, mit Hintergrundinformationen versieht und didaktische Kommentare enthält, zum Beispiel zu Verdun, den Schlachtfeldern der Champagne, la Ligne, zu Friedhöfen und Denkmälern.

Sehr geehrte Damen und Herren, all die genannten Aktivitäten sollen eines deutlich machen: In der Großregion liegen die Schauplätze des Ersten Weltkrieges. Jede Teilregion hat diesen Krieg auf ihre Weise, unter ihren nationalen Bedingungen erlebt. Was uns aber alle eint, ist das Bewusstsein und die Erfahrung, dass wir nur im Frieden eine gemeinsame Zukunft haben.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten. Nicht nur in Gedenkjahren, sondern jeden Tag von Neuem

( A b g. Z i e d e r - R i p p l i n g e r ( S P D ) )

und auf allen Ebenen unseres gesellschaftlichen Lebens.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Vielen Dank. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat der Fraktionsvorsitzende der PIRATEN, Michael Hilberer.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion DIE LINKE und natürlich auch der korrespondierende Antrag der Koalitionsfraktionen weisen uns auf ein historisches Ereignis hin, das sich dieses Jahr zum hundertsten Mal jährt, das ist der Erste Weltkrieg. Dieser Krieg wird zu Recht - meine Vorrednerin hat das bereits treffend ausgeführt - als die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnet, mit über 10 Millionen Toten alleine auf den Schlachtfeldern und weiteren Millionen unter der Zivilbevölkerung, die bis heute ungezählt sind. Bis heute ist nicht klar, wie viele Menschen an den mittelbaren Folgen dieses schrecklichen Krieges gestorben sind, sei es durch die Hungerwinter, die Spanische Grippe oder durch Spätfolgen der Schlachtfelder.

Der Erste Weltkrieg ist für uns Deutsche auch immer automatisch der Weg in den Zweiten Weltkrieg und das ist in Deutschland von besonderer Bedeutung in der Diskussion, wie wir in den Beiträgen schon gehört haben. Das prägt auch unsere deutsche Sicht auf diese Urkatastrophe. Wir dürfen aber nicht zu kurz greifen, wenn wir uns dieses historische Ereignis anschauen. Betrachten wir die Welt, wie sie vor genau 100 Jahren ausgesehen hat, also nicht zur Kriegszeit, sondern beispielsweise am 12.02.1914. Die Welt kannte zu diesem Zeitpunkt noch keine Supermächte. Es gab dagegen ein fragiles Kräftegleichgewicht zwischen den europäischen Großmächten, zwischen England, Frankreich, dem jungen Deutschen Reich, zwischen Russland und nicht zu vergessen - dem Vielvölkerstaat ÖsterreichUngarn und dem Vielvölkerstaat des Osmanischen Reiches. Auf dem amerikanischen Kontinent entwickelte sich zeitgleich mit den USA eine weitere Großmacht, die in die Geschichte eintreten wird.

Es waren sehr unterschiedliche Ausgangsbedingungen, die die Mächte zu diesem Zeitpunkt hatten, und dadurch entstanden unkontrollierbare Spannungen. Wir hatten ein starkes Wachstum in Deutschland und Russland; Österreich stand vor tiefgreifenden Reformen, um die verschiedenen Völker besser einzubinden. Es ging auch darum, wie man mit Minderheiten im eigenen Lande umgeht. Es war ein sehr gespanntes Verhältnis, das diplomatisch sehr schwierig war und auch dazu geführt hat, dass die verschiedenen Bündnisse, die man im Vorfeld des

Krieges geschlossen hatte, um kriegerische Auseinandersetzungen zu verhindern, dann kollabierten, was schließlich zu diesen schrecklichen Ereignissen führte.

Nach dem Krieg gab es ein völliges Umkrempeln des Vorkriegssystems. Nach diesem Krieg war im wahrsten Sinne des Wortes kaum noch etwas wie zuvor. Die unfassbare Katastrophe, die sich ereignet hatte, in welche die Nationen - wie die moderne Geschichtsforschung sagt - hineingeschlittert sind, hat fast alle Lebensbereiche der Menschen in Europa berührt, insbesondere auch in unserer Großregion, die Schlachtfeld und direkt betroffen war. Das haben wir vorhin schon gehört. Es sind aber auch Folgen, die bis heute nachwirken. Daraus ergeben sich Fragen, die aufgearbeitet werden müssen, Fragen, welches politische System des Ausgleichs zwischen Nationen möglich ist. Wir haben mit der Europäischen Union eine Idee formuliert, mit der wir in die Richtung gehen, die aber natürlich noch viel mehr mitträgt.

An dieser Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts müssen wir aber auch immer wieder unser eigenes Verhalten und Denken reflektieren. Sei es - Kollege Bierbaum hat es vorhin ausgeführt -, dass wir den Krieg wieder als Mittel der Politik akzeptieren. Dies ist ein Punkt, der fein abgewogen werden muss. Natürlich akzeptieren wir den Krieg nicht mehr als Ultima Ratio, wenn die Politik endet. Aber können wir uns wirklich gegen Hilferufe verwehren, wenn sie aus anderen Ländern kommen, wenn Regionen bei Konflikten destabilisiert werden, wie wir es im Sudan hatten, oder beim Einsatz von Frankreich in Mali? Können wir uns mit einem Nein dagegen wehren? Alleine um diese Diskussion zu führen - es ist ja eine sehr große Diskussion -, müssen wir uns mit diesen grundlegenden Dingen beschäftigen. Wir müssen uns auch damit beschäftigen, wenn es darum geht, mutwillig Errungenschaften der europäischen Freundschaft infrage zu stellen. Das erleben wir momentan auch auf breiter Basis in ganz Europa. Sei es das Thema Freizügigkeit, dass wir uns also in den europäischen Ländern bewegen dürfen, sei es das Thema Solidarität mit unseren Nachbarn. Es geht auch um die Frage, wie die wirtschaftlichen Gleichgewichte verteilt sind, wer von der Krise profitiert, wer darunter leidet und wie wir Ausgleich schaffen.

Ich spanne diesen weiten Bogen absichtlich, denn die Frage, die sich stellt, ist, wie wir mit dem Thema Erster Weltkrieg umgehen. Der Erste Weltkrieg hat die Wurzeln gelegt für so viele der Probleme, die wir haben, er hat aber auch die Wurzeln gelegt für viele Lösungsansätze, die wir verfolgen. Wir müssen in einen breiten Dialog mit der Gesellschaft gehen. Wir müssen neue Wege finden. 100 Jahre sind eine lange Zeit. Der letzte Veteran, ein zur Zeit des Krieges

( A b g. Z i e d e r - R i p p l i n g e r ( S P D ) )

noch minderjähriger Matrose auf einem englischen Schlachtschiff, ist letztes Jahr verstorben. Wir müssen also neue Mittel und Wege finden, um im gemeinsamen Dialog mit unseren neuen Freunden, die wir auf diesem Kontinent haben, zu einer sinnvollen Gedenkkultur zu kommen, zu einer Gedenkkultur, die den Blick in die Zukunft wendet und fragt: Was haben wir daraus gelernt?

Die Vorstellung der Planungen der Landesregierung zu Gedenkveranstaltungen und zum Gedenken an 100 Jahre Erster Weltkrieg haben mich persönlich unter diesem Gesichtspunkt enttäuscht. Sie haben wohl nicht nur mich enttäuscht, denn entsprechend bewerte ich auch den Vorstoß der Vorsitzenden des Europaausschusses, den ich unterstütze, dass der Landtag eine eigene Gedenkveranstaltung durchführen soll. Ich möchte nicht beleidigend sein, aber bei der Vorstellung der verschiedenen geplanten Aktionen hatte ich den Eindruck, als kämen 100 Jahre Erster Weltkrieg ein bisschen überraschend, als hätte man nicht damit gerechnet und bündele nun ein Sammelsurium an Einzelmaßnahmen durch Umdeutung einzelner Projekte, die vorher schon geplant waren. Was ein bisschen gefehlt hat, war ein roter Faden.

(Beifall von den Oppositionsfraktionen.)

Mir fehlte ein roter Faden, der dieser geschichtlichen Zäsur, die sich jährt, angemessen gewesen wäre. In diesem Lichte erscheinen auch die Bemühungen der Koalition, über die Europawoche zu sagen, man habe schon eine „Woche des Friedens“, als unpassend. Was ich mir gewünscht hätte, wäre etwas mehr Mut, auf unsere Nachbarn zuzugehen und unsere gemeinsame Geschichte auch gemeinsam zu erleben. Das wäre 100 Jahre nach dem Krieg angemessen gewesen. Ich weiß, es gibt eine völlig unterschiedliche Gedenkkultur bei uns, bei unseren französischen Nachbarn und in Belgien. Ich glaube aber, man hätte anknüpfen können und mit diesen Verschiedenheiten gemeinsam eine größere und angemessenere Gedenkveranstaltung mit vielen einzelnen Projekten, die unter einen solchen Schirm passen, organisieren können.

(Beifall von den Oppositionsfraktionen.)

Das ist natürlich eine Diskussion nach dem Motto „hätte, hätte, Fahrradkette“. Es ist ein Prozess, der bereits vor Jahren hätte begonnen werden müssen. Die Schüsse von Sarajevo, die sich am 28. Juni zum 100. Mal jähren, liegen nun einmal 100 Jahre in der Vergangenheit. Das hätte eigentlich niemanden überraschen dürfen. Gerade ein Jahrhundert nach dem Grande Guerre, wie unsere Nachbarn sagen, wäre es doch lohnenswert, sich auch im Lichte der Unterschiede und der unterschiedlichen Gedenkkulturen zu begegnen. Dieses Versäumnis lässt sich weder durch eine Woche des Friedens noch durch

eine Umdeutung der Europawoche heilen, aber diese beiden Dinge schaden auch nichts. Der Einsatz für den Frieden und der Einsatz für die Freundschaft in Europa sind uns ein Herzensanliegen, weshalb wir auch beiden Anträgen zustimmen werden. - Vielen Dank.

(Beifall von den Oppositionsfraktionen.)

Vielen Dank. - Das Wort hat nun der Abgeordnete Roland Theis von der CDU-Landtagsfraktion.

A b g. T h e i s ( C D U ) : „Im Zeitalter der Globalisierung ist ein großer Krieg alleine schon deshalb unwahrscheinlich und unmöglich, weil die Wirtschaften der großen Länder viel zu eng miteinander vernetzt sind.“ - Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehr geehrte Frau Präsidentin, dieses Zitat ist zwar nicht aktuell, sondern stammt von Norman Angell aus seinem Buch „The Great Illusion“ aus dem Jahre 1909. Dieses Zitat ist zwar nicht aktuell, aber die Erinnerung an ein Vorkriegseuropa ist heute so präsent wie schon lange nicht mehr. Es zeigt, auch wenn 1914 nicht vergleichbar sein mag mit 2014, so wird doch klar, wie brüchig und flüchtig fest Geglaubtes sein kann, wie schnell sicher geglaubte Gewissheiten in ihr Gegenteil umschlagen können.

Das beweist, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Erinnerung an 1914, an das Europa am Rande der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, das in den großen Krieg schlafwandelte, ist auch für uns heute aktuell. Da muss sie auch sein. Wachsamkeit statt Schlafwandeln, Erinnerungen sind Pflicht. Noch einmal ein Zitat - mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin -: „Wer sich an die Vergangenheit nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ Dieser Satz von George Santayana führt vor Augen, welche Bedeutung Erinnerungsarbeit für Gegenwart und Zukunft auch heute haben muss.

Ein Blick in die Geschichte und ihre Rezeption in Deutschland und Frankreich, insbesondere in unserer Region, zeigt aber auch die Bedeutung des Ersten Weltkriegs, seines Verlaufs, seines Ausgangs und seiner Folgen. Sie sind für das kollektive Bewusstsein, für die nationalen Identitäten in Deutschland und Frankreich höchst unterschiedlich. Der so genannte Voie Sacré, der heilige Weg, der den Nachschub der französischen Soldaten in Verdun sicherstellte, das Wunder an der Marne, das den Wendepunkt der kriegerischen Auseinandersetzung an der Westfront zugunsten der Franzosen darstellte, bilden noch heute einen aktiven Teil des kollektiven Bewusstseins unseres Nachbarn Frankreich. Ein Blick in jedes kleine französische Dorf und die dort omnipräsenten Gefallenen-Denkmäler zeigt, wie schwer der Blutzoll des Ersten Weltkriegs auf vielen,

( A b g. H i l b e r e r ( P I R A T E N ) )

auf allen Familien in der französischen Bevölkerung lastet. Nicht zuletzt für unsere Region, für Elsass und Lothringen, bedeutet der Erste Weltkrieg das Ende der deutschen Annexion und die Rückkehr in die französische Republik.

Aus diesen unterschiedlichen Bedeutungen hat sich eine unterschiedliche Erinnerungskultur entwickelt und aus dieser unterschiedlichen Erinnerungskultur folgt auch - ich finde, das muss es auch - ein unterschiedlicher Ansatz in der Erinnerungsarbeit in Deutschland auf der einen und Frankreich auf der anderen Seite. Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, haben der Europaausschuss und die Mehrheitsfraktionen im Europaausschuss nach einer sehr grundsätzlichen Diskussion, für die ich allen sehr dankbar bin, gesagt, dass es der richtige Ansatz der saarländischen Landesregierung ist, den Schwerpunkt ihrer Erinnerungsarbeit nicht in großen, zentralen, feierlichen Beschwörungsveranstaltungen der Vergangenheit zu suchen, sondern darin, gemeinsam die Lehren für die Zukunft zu ziehen und Wissen und Bewusstsein an die heutige junge Generation weiterzugeben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Erinnerungsarbeit bietet dabei gerade in unserer Region große Chancen, weit über das Erinnern an 1914, den Ausbruch des Ersten Weltkrieges, hinaus. Sie bietet die Chance zur Vermittlung von Wissen über die wechselhafte Geschichte Deutschlands und Frankreichs und die wechselhafte Geschichte Europas. Der Kollege Hilberer hat darauf hingewiesen: 100 Jahre sind eine lange Zeit. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Chancen gerade auch unserer geografischen Lage nutzen, denn die Stätten der gemeinsamen Geschichte, im Guten wie im Schlechten, sind hier sehr nahe, sind hier sehr präsent.

Die Schlacht von Spichern, die Schlacht von Gravelotte, die Zitadelle von Bitche, der Deutsch-Französische Krieg 1871, die deutsche Annexion von ElsassLothringen, das deutsche Viertel in Metz, der Bahnhof sind Zeugnisse dieser Zeit, ebenso wie die Stätten des Ersten Weltkrieges, Verdun, als Sinnbild des massenhaften Sterbens in diesem ersten industriell geführten Krieg, die Periode zwischen den Kriegen mit der Maginot-Linie und dem Westwall, die Schrecken des Zweiten Weltkrieges und des NaziTerrors, die Neue Bremm, das Konzentrationslager bei Struthof, aber eben auch Orte wie Scy-Chazelles, dem Wohnort von Robert Schuman, Colombeyles-deux-Eglises, dem Ort des erstens Treffens zwischen Konrad Adenauer und de Gaulle im Jahr 1958, Institutionen in unserer Region wie der Europarat in Straßburg, das Europäische Parlament in Brüssel und Straßburg, der EuGH in Luxemburg, die Deutsch-Französische Brigade, die Deutsch-Französische Hochschule und - seit dem Jahr 2013 auch in

Saarbrücken - das Deutsch-Französische Jugendwerk.

Keine Region in Europa - das müssen wir als Saarländer auch einmal feststellen - ist so gezeichnet vom 20. Jahrhundert wie unsere Heimat. Keine Region in Europa zieht aus dieser Geschichte aber auch so viele Chancen wie unsere Heimat. Für diese Chancen zu werben, ist die große Herausforderung im Erinnerungsjahr 2014. Das ist der Schwerpunkt der Landesregierung, dafür hat sie unsere Unterstützung.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Die zweite große Chance unserer Erinnerungsarbeit ist es aber auch, gemeinsam die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Und unsere Lehre und ich bin Ihnen dankbar, Herr Kollege Bierbaum, dass Sie das vorhin so grundsätzlich angesprochen haben - aus den Weltkriegen, aus den Schrecken des Krieges, dem Terror der Nazi-Herrschaft, den Unrechtsregimen, den menschenverachtenden Ideologien des 20. Jahrhunderts ist das gemeinsame Europa, das Demokratie und freiheitlich-demokratische Grundordnung wehrhaft verteidigt. Von daher ist die wahre „Woche des Friedens“ in unserem Sinne die Europawoche, wie sie im Lande schon seit vielen Jahren von der Landesregierung organisiert wird.

Eine „Woche des Friedens“ an unseren Schulen wäre weder ausreichend noch in der Sache abschließend richtig, denn erstens ist die Erziehung zur Gewaltlosigkeit keine Frage von einer Woche, sondern eine Querschnittsaufgabe von Erziehung in Familie und Schule gleichermaßen.

(Beifall bei den Regierungsfraktionen.)

Das Thema alleine an die Schulen zu delegieren, wäre genauso kurz gesprungen, denn es ist in der Tat eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Es wäre aber auch falsch, die Lehre aus dem 20. Jahrhundert darauf zu beschränken, ein Bekenntnis zum Frieden abzugeben. Es wäre auch falsch zu sagen, unsere Lehre aus dem 20. Jahrhundert ist ausschließlich „Nie wieder Krieg“.

Meine Damen und Herren, Herr Lafontaine hat heute Morgen mit der Menschenwürde argumentiert. Die Menschenwürde ist in der Tat die Antwort auf die Erfahrungen der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Denn die Antwort auf den Krieg ist nicht nur „Nie wieder Krieg“, sondern insbesondere auch „Nie wieder Auschwitz“. Deshalb brauchen wir nicht nur ein Europa, das friedliebend ist, sondern auch ein Europa, das wehrhaft ist gegenüber den Feinden der Freiheit, den Feinden von innen und von außen. Für diese gemeinsamen Werte Verantwortung zu übernehmen, auch das ist eine Lehre des 20. Jahrhunderts. Europa ist auch deshalb ein

( A b g. T h e i s ( C D U ) )

erfolgreiches Friedensprojekt, weil es bereit ist, diese Verantwortung zu übernehmen überall da, wo die Menschenwürde mit Füßen getreten wird. Das ist unsere Lehre des 20. Jahrhundert, dafür wollen wir werben, das stellt die Landesregierung in den Mittelpunkt und dafür hat sie unsere Unterstützung. Herzlichen Dank.