Protokoll der Sitzung vom 02.02.2017

Ja, genau, wir haben die Ideen und Sie die Lorbeeren. Es sei Ihnen gegönnt.

(Staatsminister Markus Ulbig: – wenn sich andere Länder mit Pilotprojekten befassen!)

Ist das eine Zwischenfrage? Na gut. Noch einmal kurz zusammengefasst: Die Debatte ist insofern erfreulich, als einige wirklich sehr schlechte Argumente aus der letzten Debatte dieses Mal nicht gefallen sind. Das freut mich. Aber ich muss eine Sache noch einmal klarstellen, Herr Minister. Der Hautkontakt ist nach wie vor nicht notwendig. Die entsprechende Voltzahl sorgt dafür, dass die Luft überbrückt werden kann. Das sind ungefähr bis zu fünf Zentimeter. Dann haben wir den Bereich von dicken Jacken.

Im Übrigen habe ich immer das Problem, wenn ein Einsatzmittel, das ich als Polizeibeamter einsetze, nicht wirkt, dass ich einen Plan B haben muss. Deshalb ist die sächsische Polizei meist zu zweit in einem Streifenteam unterwegs. Während der eine Beamte das eine Einsatzmittel zur Verfügung hat, hält der andere das andere Einsatzmittel bereit, das eventuell zum Einsatz kommen muss.

Natürlich habe ich ein Problem, wenn ich ein Einsatzmittel einsetze, auf zehn Meter. Das habe ich in jedem Fall. Aber ich weiß auch, ein Messerangreifer, der sich mit Schwung auf jemanden zubewegt, hat in kürzester Zeit sieben Meter überbrückt. Das ist der Mindestabstand, den man braucht, um noch reagieren zu können. Insofern kann der Taser ein Mittel sein. Aber auch beim Pfefferspray ist nicht gesagt, dass es diesen Angriff abwehrt. Auch die Schusswaffe ist nicht immer sicher. Es kann auch sein, dass ich mit der Schusswaffe nicht treffe. Es kann genau

so sein, dass ich mit dem Taser nicht treffe, und es kann sein, dass das Pfefferspray nicht wirkt.

Also, meine Damen und Herren, wenn wir diese Sachen einsetzen – – Beim Taser habe ich den Vorteil, wenn er am Mann ist, kann ich immer noch mit dem Elektroschocker arbeiten. Das könnte den Angriff tatsächlich in letzter Konsequenz abwehren.

Kollege Stange hatte vorhin eine gute Idee. Ich denke, wir sollten das vielleicht einmal ausprobieren. Herr Innenminister, ich biete Ihnen das einfach einmal zur Überzeugung an. Beim „Tag der Sachsen“ können Sie mich einmal öffentlich tasern. Dann machen wir das. Vielleicht

können Sie dann Ihre Innenminister überzeugen. Das Angebot steht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Das war das Schlusswort der einbringenden Fraktion. Meine Damen und Herren! Ich stelle nun die Drucksache 6/7142 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Vielen Dank. Gegenstimmen? – Danke. Stimmenthaltungen? – Keine. Damit ist die Drucksache 6/7142 nicht beschlossen. Der Tagesordnungspunkt ist beendet.

Ich rufe auf

Tagesordnungspunkt 9

Zielgruppenorientiertes Präventionsprogramm zur Verhinderung

islamistischer Radikalisierung in Sachsen auflegen

Drucksache 6/7214, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Hierzu nehmen die Fraktionen Stellung, zuerst natürlich die einbringende Fraktion GRÜNE, dann CDU, DIE LINKE, SPD, AfD und die Staatsregierung, wenn sie das wünscht. Ich erteile der einreichenden Fraktion GRÜNE das Wort, und das Wort ergreift wie immer Herr Kollege Lippmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesrepublik Deutschland war in den vergangenen Wochen und Monaten mehrfach grausiger Schauplatz islamistischen Terrors. Beim Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt starben zwölf Menschen verschiedener Nationalitäten, 55 weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Der Täter war ein radikalisierter Islamist, den mehrere Bundes- und Landesbehörden bereits als solchen auf dem Schirm hatten. Auch der Syrer Dschaber al-Bakr, der sich in Sachsen aufhielt und der einen Selbstmordanschlag auf einen Ort mit hohem Besucheraufkommen geplant hat, hat sich wohl erst während seines Aufenthalts in Deutschland und während zweier Reisen in die Türkei in dieser Zeit radikalisiert.

Es soll uns heute anders als gestern nicht darum gehen, ob sächsische Sicherheitsbehörden oder die des Bundes alles Erforderliche getan haben, um diese Anschläge zu verhindern. Es geht uns GRÜNEN mit unserem Antrag um den Prozess der Radikalisierung und darum, wie sich dieser aufhalten lässt, damit es im besten Fall gar nicht erst zu einer Radikalisierung kommt; denn wenn Polizei und Staatsanwaltschaft bei islamistischer Radikalisierung und Radikalisierung generell eingreifen müssen, ist es in der Regel schon spät. Deshalb braucht es eine wirksame Prävention.

Auch wenn es auf den ersten Blick und nach den eingangs geschilderten Fällen so aussieht, islamistische Radikali

sierung ist keineswegs ein Phänomen, das nur muslimische Geflüchtete bzw. Menschen mit Migrationserfahrung trifft. Seit 2013 fanden mehr als 840 Ausreisen aus Deutschland nach Syrien oder in den Irak mit dem Ziel statt, dort für den Islamischen Staat an Kampfhandlungen teilzunehmen. Viele derjenigen, die sich dort ausbilden lassen oder kämpfen, sind deutsche Männer, aber auch Frauen. Zumindest sind es junge Menschen, viele davon ohne Migrationsgeschichte. Einige dieser Menschen sind bei den Kriegshandlungen gefallen, andere sind in Syrien oder im Irak verblieben. Ein gewisser Teil jedoch kommt auch zurück – ausgebildet an Schusswaffen oder anderem Gerät.

Hinzu kommen all jene, die sich radikalisieren, ohne die Bundesrepublik zu verlassen. Ich erinnere beispielsweise an die sogenannte Sauerlandgruppe oder an die Tat eines 16-jährigen Mädchens, das im vergangenen Jahr auf einen Polizisten einstach. Ihre Radikalisierung und Indoktrination begann bereits im Grundschulalter. An einer Reise nach Syrien hinderte sie wohl nur die Mutter. Insgesamt zählen die Behörden in der Bundesrepublik derzeit nach aktuellen Zahlen 570 islamistische Gefährder und ein erhebliches Radikalisierungspotenzial.

Dass das Problem auch in Sachsen virulent ist, zeigen jedoch nicht nur die Causa al-Bakr, sondern auch Fälle wie der der mutmaßlichen Dschihadisten aus Dippoldiswalde. Von dort aus waren zwei 21- und 19-jährige Deutsche im Herbst 2014 nach Syrien aufgebrochen, um in den Heiligen Krieg zu ziehen. Während sich der Ältere nach kurzer Zeit den Behörden in der Türkei gestellt hatte, fehlt von dem anderen seither jede Spur, ebenso von der nunmehr 16-jährigen Pulsnitzerin, die zum Islam konvertiert war und im letzten Jahr in Richtung Türkei ausreiste.

Werte Kolleginnen und Kollegen! Wie können wir eine Radikalisierung von Menschen in Deutschland verhindern, ohne das ganz große sicherheitsrechtliche Besteck wie Fußfesseln, Abschiebehaft und sonstige polizeiliche Maßnahmen auszupacken? Das ist eine Frage, die wir uns auch in Sachsen stellen müssen; denn all die erwähnten Fälle zeigen: Islamistische Radikalisierung ist ein vielschichtiges und vor allem umfassendes Problem.

Andere Bundesländer haben verschiedene Programme aufgelegt und zielgruppenspezifische Angebote geschaffen. In Hessen beispielsweise beinhaltet das Präventionsnetzwerk gegen Salafismus eine Beratungsstelle, ein Landesprogramm „Extremismus, Prävention, Flüchtlinge“ sowie Modellprojekte zur Radikalisierungsprävention. In Nordrhein-Westfalen wird unter anderem die islamische Seelsorge in den Justizvollzugsanstalten ausgebaut, um dort einer Radikalisierung vorzubeugen.

In Sachsen gibt es solche Angebote bislang nicht in ausreichendem Maße. Auch wenn der Justizminister in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage meiner Kollegin Petra Zais angibt, dass das Violence-Prevention-Network in der Jugendstrafanstalt Regis-Breitingen beauftragt ist, mit gewaltbereiten Jugendstrafgefangenen ein Trainingsprogramm zur Deradikalisierung umzusetzen, so hat er uns doch verschwiegen, dass man dort seit einem Jahr ausschließlich mit rechtsextremistischen Jugendlichen arbeitet und für mehr auch kein Geld bekommt.

Wir haben deshalb bereits im Rahmen der Haushaltsverhandlungen mit einem entsprechenden Antrag gefordert, ein zielgruppenorientiertes Präventionsprogramm aufzulegen. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, er sei zu unklar und die Konzeption würde fehlen.

Parallel konnten wir der Presse entnehmen, dass der Landespräventionsrat ein Konzept zur Radikalisierungsprävention erarbeiten würde. Da fragt man sich, warum es dafür nicht mehr Mittel bedarf. Aber wenn man sich die Vorstellungen des Landespräventionsrates zu diesem Konzept anschaut, dann weiß man, warum. An Aufgaben hat die geplante Beratungs- und Koordinationsstelle nämlich nur den Kontakt zu muslimischen Organisationen, die Funktion eines Ansprechpartners für Mitarbeiter von Verwaltungen und Flüchtlingsheimen, die Beratung von Angehörigen sowie die Beratung aussteigewilliger Islamisten.

All diese Angebote sind wichtig. Sie finden sich auch in unserem Antrag. Was jedoch gänzlich fehlt und wofür wir die erforderlichen Mittel beantragt haben, das ist eine aufsuchende Sozialarbeit. Es reicht unseres Erachtens für eine erfolgreiche Präventionsarbeit nicht, dass sich Islamisten an eine Aussteiger-Hotline wenden können. Diese Programme funktionieren schon im Bereich des Rechtsextremismus nicht. Wichtig ist, dass sich Verwaltungsmitarbeiter, etwa von Jugendämtern oder aus dem Justizvollzug, Flüchtlingshelfer und Eltern an Beratungsstellen wenden können. Wichtig ist es, Lehrer so fortzubilden, dass sie das Phänomen islamistische Radikalisierung einordnen können. Am wichtigsten ist aber, dass der

Kontakt mit den Menschen, die auf dem Weg der Radikalisierung sind, aktiv gesucht wird -- in der Jugend- und Sozialarbeit, in der Gefängnisseelsorge, in Flüchtlingsunterkünften.

All das vermisse ich in den Ankündigungen des Landespräventionsrates. Das Konzept habe ich auf der Homepage leider nicht gefunden. Mir ist es schwer begreiflich, dass Sie, Herr Innenminister, aber auch Sie, Frau Integrationsministerin, nicht spätestens seit dem Fall Samuel W., dessen Anklage durch die Presse ging, nach dem Fall al-Bakr und nach dem Anschlag von Berlin ein solches Präventionsprogramm in Sachsen zur Chefsache gemacht haben.

Es muss unser ureigenes Interesse sein, die Terrorgefahr, die von radikalen Islamisten ausgeht, so früh wie möglich zu erkennen, aber auch zu bannen.

Am Geld soll es nicht liegen. Der bayerische Haushaltsgesetzgeber hat 2016 beispielsweise 2,2 Millionen Euro bereitgestellt und sogar einen Nachtragshaushalt verabschiedet. Auch in Hessen wurden 1,2 Millionen Euro für Präventionsmaßnahmen im Jahr 2016 eingestellt. In Sachsen hingegen werden die für Modellprojekte zur Verfügung stehenden Bundesmittel über das Bundesprogramm „Demokratie leben“ mangels Ideen und Ansätzen teilweise nicht abgerufen. Das darf nicht sein. Eine solche Situation ist unverantwortlich und vor allem fahrlässig.

Wir brauchen dringend ein integriertes und konsolidiertes Handlungskonzept und zielgruppenspezifische Angebote für Geflüchtete, Deutsche und Gefangene zur Vermeidung der Radikalisierung. Darauf zielt unser Antrag, und dafür bitte ich Sie um Ihre Zustimmung.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Das war die Einbringung des Antrages durch die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Es sprach Herr Kollege Lippmann. Jetzt kommt die CDU-Fraktion zu Wort. Es spricht Kollege Kiesewetter.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag soll die Staatsregierung aufgefordert werden, ein an erfolgreichen Projekten anderer Bundesländer orientiertes Präventionsprogramm zur Verhinderung islamistischer Radikalisierung und Indoktrination aufzulegen, das sich durch die frühzeitige und zielgruppenorientierte Ansprache verschiedener Risikogruppen auszeichnet und somit den Fokus auf Prophylaxe legt.

Kollege Lippmann hat es schon ausgeführt, neben jungen Geflüchteten sollen es insbesondere jugendliche Deutsche und Gefangene sein, an die sich das Angebot richtet. Das soll ergänzt werden durch eine aufsuchende Sozialarbeit und Gewaltprävention sowie andere der Deradikalisierung förderliche Maßnahmen. Das Programm soll zum Ziel haben, auch Bildungseinrichtungen zu sensibilisieren und

Strategien zu erarbeiten, wie einer Radikalisierung unter anderem durch religionspädagogische Angebote begegnet werden kann.

Gestatten Sie mir, dass ich für meine Fraktion dazu ganz kurz Stellung nehme und mich auf ein paar ausgewählte Schwerpunkte beschränke.

Die Notwendigkeit, frühzeitig gegen islamistische Radikalisierung vorzugehen, präventive und deradikalisierende Ansätze zu verfolgen, sehen wir ebenfalls. Darüber dürfte hier im Hohen Haus weitgehend Einigkeit bestehen. In Anbetracht der Debatten vom gestrigen Tag erübrigen sich an dieser Stelle weitere Ausführungen hinsichtlich der Notwendigkeit.

Bei der Frage, wie unsere Gesellschaft Gefährdungen durch extremistische islamistische Strömungen begegnen kann, richten sich gegenwärtig große Erwartungen auch auf Möglichkeiten pädagogischer und sozialpädagogischer Einflussnahme. Dabei geht es darum, diesen Tendenzen vorbeugend zu begegnen, aber auch darum, gefährdete oder bereits in diesen Szenen involvierte junge Menschen bei einer Distanzierung zu unterstützen.

Der Bedarf an entsprechenden Aktivitäten wird aktuell, leider auch aus gegebenen Anlässen heraus, als sehr hoch eingeschätzt. Dem steht allerdings noch eine vergleichsweise junge Fachtradition in der Forschung gegenüber. Denn eine gezielte pädagogische Arbeit zum Thema „Islamistischer Extremismus“ findet in Deutschland erst seit wenigen Jahren statt. Insofern können pädagogische Fachkräfte nur auf einem überschaubaren Erfahrungswissen aufbauen.

An dieser Stelle lohnt sich der Blick in die Tiefe der Fachwelt in einem kleinen Exkurs. Die Fachwelt unterscheidet in der Präventionsarbeit in der Regel drei unterschiedliche Ebenen: primäre, sekundäre und tertiäre Prävention.

Im Zusammenhang mit einer Prävention religiös begründeter Ideologisierung und Radikalisierung bedeutet das in der ersten Stufe vordergründig, Jugendlichen Anerkennung und Zugehörigkeit zu vermitteln, demokratische Werte und Prinzipien zu stärken und sich kritisch mit freiheitsfeindlichen Ideologien und Verhaltensweisen auseinanderzusetzen.

Im Bereich der Sekundärprävention fällt die Arbeit in ein bereits gefährdetes oder ideologisches Umfeld, wie beispielsweise aufsuchende Sozialarbeit oder Arbeit mit Fachkräften, die mit diesen in Kontakt sind und einzelne Jugendliche und junge Erwachsene gezielt ansprechen.

Im Bereich der tertiären Prävention, im Bereich der Radikalisierungsprävention richtet sich die Arbeit gezielt auf einzelne Menschen, die bereits ideologisch und/oder in gewaltorientierten Strukturen eingebunden sind. In der Regel geht es dabei um die Ermöglichung eines Ausstiegs aus diesen Szenen und Ideologien.

Es ist anzumerken, dass die sekundäre und erst recht die tertiäre Prävention in der Regel nicht mehr im Rahmen

von Schule und Jugendeinrichtungen stattfinden, sondern mit Unterstützung durch staatliche und zivilgesellschaftliche Einrichtungen und Organisationen, die auf diesem Gebiet tätig sind.