Protokoll der Sitzung vom 06.02.2003

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Dr. Klein. - Wir treten jetzt in die Debatte der Fraktionen ein. Für die Fraktionen der FDP, der SPD und der CDU wird der Abgeordnete Herr Tögel sprechen.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich spreche nicht für die Fraktionen, sondern ich spreche als Einbringer des Änderungsantrages zum Alternativantrag der Fraktionen der CDU, der SPD und der FDP.

Natürlich, Entschuldigung.

Ich will es kurz machen, meine Damen und Herren. Erstens. In dem Antrag wird ein wichtiges Thema behandelt. Die angesprochenen Probleme sind nicht von der Hand zu weisen.

Zweitens. Das ist mein eigentlicher Punkt. Die Zuständigkeit für die Außenvertretung der Bundesrepublik liegt - Frau Klein hat das bereits gesagt - laut Grundgesetz beim Bund und laut Artikel 133 des EU-Vertrages in Handelsfragen bei der EU - nicht aber beim Landtag von Sachsen-Anhalt.

Drittens - darin gebe ich Frau Klein wiederum Recht - wissen wir alle viel zu wenig, was in den GATS-Verhandlungen läuft, worum es überhaupt geht, wie die Verfahrensweisen sind und welche Auswirkungen es tatsächlich für die Bürger von Sachsen-Anhalt hat. Dass uns bei den WTO-Verhandlungen Themen wie Fischerei und Schiffbau nicht so sehr interessieren, ist okay. Aber die anderen Bereiche, Dienstleistungen, betreffen uns natürlich genauso.

Deshalb haben wir uns jetzt geeinigt und die zwei Änderungsanträge zusammengeführt. Wir schlagen vor - dafür bitten wir um Ihre Zustimmung -, die Landesregierung zu bitten, im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten dazu einen Bericht vorzulegen, vor allem unter den Aspekten, welche Möglichkeiten das Land hat mitzuwirken und welche Auswirkungen das auf das Land haben wird.

Viertens möchte ich gern - damit komme ich wieder auf Ihre Eingangsworte zurück - meinen Redebeitrag für die SPD-Fraktion zu Protokoll geben. - Ich bedanke mich und bitte um Ihre Zustimmung.

(Zustimmung bei der SPD, bei der CDU und bei der FDP)

(Zu Protokoll:)

Der PDS gebührt insoweit Dank, als sie uns auf ein Thema hinweist, welches durchaus auch zu unserem gemeinsamen Entschließungsantrag „Den Föderalismus modernisieren - Sachsen-Anhalt voranbringen - Den Landtag stärken“ passen könnte. Denn im Rahmen der GATS-Verhandlungen werden Dienstleistungsbereiche berührt, für die nach deutschem Verständnis eine Kompetenz der Länder bzw. sogar der Kommunen besteht. Aus diesem Grunde ist es von besonderer Notwendigkeit, sich mit den Themen sinnvoll auseinander zu setzen, aber - und das muss ich betonen - sachlich in der korrekten Form.

Zur sachlich korrekten Form gehört vor allem die Beachtung der kompetenzrechtlichen Voraussetzungen und Formalien. Und da fällt es einem eigentlich gleich ins Auge: Die GATS-Verhandlungen, sprich die Unterbreitung von Liberalisierungsangeboten an die WTO und die Annahme von Liberalisierungsforderungen der WTO an unseren Wirtschafts- und Sozialraum gehören schlicht und einfach nicht in die Zuständigkeit unseres Landesparlamentes.

Ein Blick ins Gesetz erleichtert bekanntlich die Rechtsfindung, und aus diesem Grunde gestatten Sie mir zwei Verweise, nämlich auf Artikel 32 des EG-Vertrages: „Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist

Sache des Bundes“, und auf Artikel 133 Abs. 1 des EGVertrages, der die Mitgliedsländer der EU auf eine gemeinsame Handelspolitik nach einheitlichen Grundsätzen verpflichtet und in Absatz 5 die Möglichkeit enthält, dass die Kommission internationale Verhandlungen und Übereinkünfte über Dienstleistungen und Rechte des geistigen Eigentums führt.

Überrascht bin ich, dass Sie, meine Damen und Herren von der PDS, mit Ihrem Punkt 3 eine Berichterstattung der Bundesregierung im Landtag von Sachsen-Anhalt erwarten. Dass kann zwar durchaus der Stärkung unseres Parlamentes dienlich sein, aber ehrlich: Eine solche Forderung verkennt schlicht und einfach die Kompetenzordnung des Grundgesetzes, die politischen Verantwortlichkeiten und Legitimationsketten des föderalen parlamentarischen Regierungssystems.

Zur Liberalisierungsdebatte möchte ich eigentlich nur Folgendes sagen: Wenn es in unserem Interesse ist, den Zugang zu anderen Wirtschaftsmärkten zu verbessern, müssen wir bereit sein, neue Wege zu gehen. Dazu gehört auch, den Markt in Bereichen zu öffnen und den Zugang zu ermöglichen, den wir bisher immer versteckt haben. Unter uns gesagt bin ich mir noch nicht darüber im Klaren, ob sich mit der Liberalisierung nicht auch ganz neue Möglichkeiten für uns ergeben, die sich positiv auf unsere Wirtschaftskraft und den Dienstleistungssektor auswirken werden.

Auf europäischer Ebene werden diese Diskussionen schon seit langem geführt und führen zu einem neuen Verständnis, was eine hoheitliche Aufgabe ist und was nicht. Dieser Debatte sollten wir uns offensiv stellen, denn sie ist reizvoll und spannend.

Allen Interessierten empfehle ich auch einen Blick in den Abschlussbericht der Enquetekommission des 14. Deutschen Bundestages zum Thema „Globalisierung der Weltwirtschaft - Herausforderungen und Antworten“ in Bundestagsdrucksache 14/9200. In diesem Bericht findet man grundsätzliche Aussagen zur Geschichte der Freihandelsbeziehungen, Überlegungen zu Liberalisierungsfolgen, positive und negative Entwicklungen bei uns und in den Dritte-Welt-Ländern.

Interessant ist, dass der Deutsche Bundestag die von der PDS geforderte Folgenabschätzungen der Liberalisierung in seiner Kompetenz angemahnt hat und die Bundesregierung aufgefordert hat, die Leistungen der öffentlichen Daseinsvorsorge aus den GATS- Verhandlungen herauszunehmen.

Also: die Öffentlichkeit ist sensibilisiert und die Diskussionen werden auch offen geführt. Zudem hat die EUKommission erst gestern auf ihren Internetseiten für jedermann zugänglich ihre Liberalisierungsvorschläge zur Debatte gestellt („draft offer to improve third countries access to the EU service market“).

Die Thematik der GATS-Verhandlungen wirft einige interessante Fragen auf. Wenn Länderkompetenzen durch die GATS-Verhandlungen betroffen sind, wäre es hilfreich, sich über die eventuell nach Artikel 23 des Grundgesetzes für den Bundesrat und damit auch für die Landesregierung bestehenden Kompetenzen klar zu werden. Dann könnten sich tatsächlich auch für den Landtag Handlungsoptionen ergeben.

Aus diesen Gründen wäre ich erfreut, wenn wir uns auf eine entsprechende Berichterstattung im Ausschuss einigen könnten, die genau diese Punkte beleuchtet.

Ich rufe die CDU-Fraktion auf. Wünscht diese einen Debattenbeitrag? Das Verfahren war etwas eigenartig. - Die FDP-Fraktion?

(Zuruf von der FDP: Verzichtet!)

- Sie verzichtet. Dann hätte Frau Dr. Klein als Einbringerin noch einmal das Wort.

(Zuruf von der CDU: Nein, noch nicht!)

- Bitte.

Frau Präsidentin, ich möchte, weil die Diskussion hier nicht so fachlich geführt wurde und ich nicht dazu Stellung nehmen muss, zumindest meinen Redebeitrag zu Protokoll geben. - Bitte schön.

(Minister Herr Dr. Daehre: Oh, Werner! - Herr Dr. Sobetzko, CDU, trinkt aus dem Wasserglas auf dem Rednerpult - Heiterkeit und Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

(Zu Protokoll:)

Bis zum 30. März 2003 sollen die WTO-Mitglieder ihre Verhandlungsangebote der Welthandelsorganisation unterbreiten. Hierzu laufen immer noch bilaterale Gespräche der EU-Mitgliedsländer mit der Europäischen Kommission, zum Teil untereinander und in Abstimmung mit den WTO-Mitgliedsländern.

Immerhin liegen zur Zeit 124 Anforderungen der NichtEU-Mitgliedsländer an die EU vor. Die dann gemeinsam erarbeiteten Vorschläge für ein EU-Angebot sind in allen Einzelheiten mit den Mitgliedsländern abzustimmen. Nach Aussage des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit werden der Bundestag und alle betroffenen Kreise über die Abstimmung zum EU-Angebot fortlaufend unterrichtet.

In diesem Zusammenhang weise ich darauf hin, dass auch zuständige Verbände bereits in der Vorbereitungsphase mit der Europäischen Kommission regelmäßig beraten. Jetzt schlagen Sie, meine Damen und Herren der PDS-Fraktion, vor, den Gang der Verhandlungen kurz vor Abschluss per Moratorium zu beenden und auf eine neue Generallinie zu bringen. Sie wissen genau, dass das nicht machbar ist, allein schon aus völkerrechtlicher Sicht; siehe Artikel 19 Abs. 1 der GATS-Vereinbarung.

So gesehen ist Ihr Antrag ein populistischer Schauantrag. Er entspricht den stets und ständig gleichförmigen Aussagen und Anforderungen der NROs und einiger publizistisch fehlgeleiteter Verbände.

Meine Damen und Herren der PDS, Sie schüren mit falschen Informationen dort Ängste, wo man Aufklärungsarbeit von Ihnen erwarten müsste. Und ich weiß, wovon ich rede. Ich habe in meinem Heimatkreis eine Schülerdemo gegen die Privatisierung des Bildungssystems erlebt. Auf meine Frage zur Sachlage gab es bei den befragten Schülern nur Achselzucken.

Hier möchte ich nochmals deutlich sagen: Die EUForderungen sind weder auf eine Beeinträchtigung von

Dienstleistungen der Daseinsvorsorge noch auf überzogene Privatisierung ausgerichtet. Die sensiblen Gebiete Bildung, Gesundheits- und soziale Leistungen bzw. Leistungen in Ausübung hoheitlicher Gewalt sind hiervon ausgenommen; siehe hierzu das GATS-Abkommen.

Nach Artikel 1 Abs. 3 b bleibt es den WTO-Mitgliedern ausdrücklich vorbehalten, die Erbringung von Dienstleistungen in ihrem Hoheitsgebiet unter Berücksichtigung nationaler politischer Zielsetzungen zu regeln. Das Recht, die Einhaltung eigener Qualitäts- und Umweltstandards sicherzustellen, muss unbenommen bleiben.

Ohne Zweifel ist die Freizügigkeit des internationalen Dienstleistungshandels für unsere Volkswirtschaft von großem Interesse. Wir sollten diese im Rahmen der gegenseitigen Vorteilsgewährung entwickeln.

Nirgendwo werden Sie aber erfahren, dass die EU von den Entwicklungsländern zum Beispiel die Öffnung ihrer Wassermärkte fordert oder den USA den Ausverkauf der audiovisuellen Dienstleistungen in Europa anbietet. Der Handel mit Dienstleistungen hat seit 1990 um 50 % zugenommen. 7,6 % der Weltproduktion beziehen sich darauf; er hat also enorme Bedeutung für Wachstum und Beschäftigung erlangt. Der Marktzugang für Dienstleistungen muss verbessert werden. Aber auch im Bereich innerstaatlicher Regulierung ist die Ausarbeitung horizontaler Grundsätze notwendig.

Transparenz in der Vorbereitung und den erreichten Verhandlungsergebnissen gegenüber unserem Parlament und der Öffentlichkeit muss umfassender gewährleistet werden. Unser Alternativantrag fordert das ein. Die dazu durch die SPD beantragte Änderung ist berechtigt. Ich bitte Sie daher, dem geänderten Alternativantrag zuzustimmen.

Das war den Schluck wert. - Frau Dr. Klein, möchten Sie noch einmal das Wort ergreifen?

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Da ich meine Zeit vorhin nicht voll ausgeschöpft habe, noch einige kurze Bemerkungen

(Herr Gürth, CDU: Hat doch keiner was gesagt! - Zuruf von der CDU: Mann, o Mann!)

zu dem jetzt vorgelegten Änderungsantrag zu dem Alternativantrag.

Wenn wir von der Landesregierung nicht auf unsere Kleine Anfrage eine so völlig aussagelose Antwort bekommen hätten, dann hätten wir vielleicht die Notwendigkeit einer Debatte und auch eines Moratoriums nicht gesehen. Aber die Antwort der Landesregierung vom 10. Januar 2003 zeugt davon, dass auch sie nicht über den aktuellen Stand informiert ist.

Dann muss ich natürlich auch noch sagen - Herr Kolze, vielleicht wollen Sie es auch einmal lesen -: Den Bericht über den gegenwärtigen Stand der Anforderungen an die EU und der EU an Drittländer können Sie im Internet seit November lesen. Den brauchen wir nicht mehr einzufordern. Aber auch dieser Bericht ist aufgrund der Sensibilität der Verhandlungen - so der O-Ton der EU - sehr allgemein und gibt eben keine Antworten auf die kritischen Fragen.

Die einzige Aussage von Kommissar Lamy, auf die ich schon verwiesen habe, beinhaltet keine konkreten Aussagen. Es wird dort wörtlich gesagt - ich zitiere -:

„... um die Rolle der anderen Institutionen zu bewahren; denn es handelt sich um einen Vorschlag von Angeboten, die wir nur bei der WTO zur Sprache bringen, nachdem der Rat und der zuständige Ausschuss des Europäischen Parlaments uns ihr Gefühl mitgeteilt haben.“

Da muss ich schon sagen: Wenn sich der Rat in Fragen, bei denen es um Geld geht, von Gefühlen leiten lässt, dann sollten auch wir Gefühle zeigen und sagen, dass Beschlüsse nicht über unsere Köpfe hinweg gefasst werden sollten. Ich weiß auch, dass wir aufgrund der Struktur nicht allzu viele Chancen haben, auf bestimmte Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Aber wir diskutieren morgen über die Zukunft des Föderalismus, und da muss uns auch heute die Möglichkeit gegeben sein, diesen und uns so ernst wie möglich zu nehmen.