Protokoll der Sitzung vom 03.07.2003

Insgesamt, meine Damen und Herren, ist jedoch die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten um 24 000 gesunken - übrigens auf den tiefsten Stand in den letzten zehn Jahren. Die Zahl der Auszubildenden im dualen System ist rückläufig, die Zahl der Betriebe ist in Sachsen-Anhalt überdurchschnittlich stark zurückgegangen.

Herr Gürth, ein Punkt, den Sie immer angemerkt und als Indiz verkündet haben: Es werden mehr Gewerbe ab- als angemeldet und die Zahl der Insolvenzverfahren - auch ein beliebtes Thema von Ihnen - ist im Jahr 2002 drastisch gestiegen.

Ich meine, ich könnte mir die Antwort auch selbst geben. Sie würden wahrscheinlich sagen, dafür ist der Bund zuständig. Diese Antwort brauchen Sie mir nicht zu geben,

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von der CDU: Langsam, langsam!)

denn Sie sind sozusagen angetreten, dem eigene Konzepte entgegenzusetzen und die Entwicklung in Sachsen-Anhalt voranzubringen.

Die Zahl der Selbständigen je 100 Einwohner ist die niedrigste in Deutschland. Bei den Patentanmeldungen liegt Sachsen-Anhalt an vorletzter Stelle knapp vor Mecklenburg-Vorpommern. Bei den Arbeitslosenzahlen haben wir die Plätze getauscht. Hier liegt MecklenburgVorpommern an vorletzter Stelle vor Sachsen-Anhalt.

Meine Damen und Herren! Angesichts dieser schwierigen Lage ist es doch gut zu wissen, dass wir eine „handlungsfähige Regierung mit innovativen Konzepten“ haben, die weiß, wie man sich aus diesem Schlamassel befreit.

(Oh! bei der CDU)

Wie wollen wir aus dem Dilemma aus Abwanderung, sinkenden Beschäftigtenzahlen und steigender Arbeitslosigkeit herauskommen? - Nehmen wir doch die Investitionsquote - ein Thema des Wahlkampfes -, diese muss elementar hoch sein. Was mussten wir nicht in den vergangenen Jahren alles über die Bedeutung der Investi

tionsquote hören. - Herr Gürth, soll ich Zitate bringen oder glauben Sie es mir auch so?

(Herr Gürth, CDU: Sie haben völlig Recht!)

Ganze Haushaltsdebatten wurden von Ihnen, meine Damen und Herren der heutigen Regierungskoalition, darauf aufgebaut. Alles war immer viel zu niedrig. Die Investitionsquote ist d i e Kennzahl, an der sich die wahre Absicht einer Landesregierung erkennen lässt: Will sie die wirtschaftliche Entwicklung voranbringen oder will sie es nicht? - Wenn das, was Sie gestern gesagt haben, heute noch gilt, dann ist das, was Sie in den Haushalten tun, wirtschaftsfeindlich.

(Beifall bei der SPD)

Immerhin antwortet die Landesregierung auf die Frage, ob sie der Ansicht sei, dass es eine hohe Investitionsquote geben solle und dass sie ein positives Signal für die Wirtschaft sei, wie folgt:

„Eine hohe Investitionsquote in den öffentlichen Haushalten zeugt von einer finanzpolitischen Prioritätensetzung auf investive Maßnahmen. Sie ist damit ein positives Signal für die Wirtschaft, da sie einen Zuwachs an Auftragseingängen und eine Verbesserung der infrastrukturellen Rahmenbedingungen erwarten lässt.“

Da möchte ich doch aufrufen: Tun Sie, wovon Sie überzeugt sind! Senden Sie die positiven Signale! Setzen Sie die richtigen Prioritäten!

Was machen Sie tatsächlich? Sie können es anhand Ihrer Zahlen nachlesen: Sie senken die Investitionsquote auf nur noch 19 % in diesem Jahr. Wenn man die Hochwasserhilfen abzieht, dann sind es genau die 19 %. Der Herr Ministerpräsident hat schon angekündigt, dass die Investitionsquote auch beim nächsten Haushalt keine „heilige Kuh“ ist.

Meine Damen und Herren! Ich will es ausdrücklich noch einmal sagen: Die Investitionsquote ist eine heilige Kuh. Wenn das, was Sie gestern erzählt haben, heute noch wahr ist, dann engagieren Sie sich dafür und setzen Sie durch, dass die Investitionsquote entweder steigt oder zumindest auf diesem Niveau bleibt und nicht weiter sinkt.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Herr Wirtschaftsminister, mir fehlt Ihr öffentliches Bekenntnis. Sie reden zu vielen Dingen, aber hierzu höre ich nur öffentliches, dröhnendes Schweigen. Das ist natürlich einfacher als zugeben zu müssen, dass man in der Vergangenheit wider besseres Wissen auf die Pauke gehauen hat. Aber es besteht heute noch Gelegenheit, sich dazu zu äußern.

Ich habe durchaus die kleinen Nebensätze gelesen, man solle doch Forschung und Entwicklung und die Investitionen in Bildung und die Hochschulen auch als Investition ansehen. Diese Debatte, meine Damen und Herren, haben wir in den vergangenen Jahren ebenfalls geführt. Damals waren Sie nicht mitnichten bereit, das als Investitionen im weiteren Sinne anzuerkennen. Wir sind es im Übrigen. Ich werde nicht sagen, dass wir das nicht als Investitionen im weiteren Sinne ansehen, im Gegenteil, ich bin froh, dass Sie nun der Überzeugung sind, dass Forschung und Entwicklung und andere Dinge eigentlich zur Investitionsquote gehören müssen.

(Beifall bei der SPD)

Wenn es schon mit der Investitionsquote nichts wird, haben wir immer noch die Wunderwaffe Investitionsbank. Leider gab es auch dazu keine erhellende Antwort. Wir haben die Debatte dazu in der letzten Landtagssitzung geführt. Die Investitionsbank sollte die Mittelstandsfinanzierung revolutionieren. Aber das kann sie gar nicht. Sie werden auch hierbei nicht halten können, was Sie versprochen haben.

Herr Rehberger, ich war auf den Veranstaltungen zur Mittelstandspolitik. Die Frage, die ich das letzte Mal gestellt habe, war nicht aus der Luft gegriffen. Sie haben auf die Fragen von Mittelständlern, wie denn die neue Mittelstandspolitik aussehe, bei jeder Antwort die Investitionsbank angeführt, sei es in schwierigen Situationen bei den kleinen und mittleren Unternehmen, sei es bei den Vorfinanzierungen in den Fällen, wo die Hausbank nicht finanziert.

(Minister Herr Dr. Rehberger: Auf welchen Ver- anstaltungen waren Sie denn?)

- Dazu müsste ich in meinem Kalender nachschauen, um Ihnen die Überschrift zu nennen. Ich habe in mehreren Veranstaltungen gesessen. Ich nehme an, dass die Unternehmen es in Erinnerung haben werden. Ich kann Ihnen aber die Daten gern heraussuchen. Diese Daten stehen alle in meinem Kalender.

Schauen wir in das Protokoll über die Debatte in der letzten Landtagssitzung. Dort war von den großen Ankündigungen gar nichts mehr zu hören. Herr Paqué spricht - er ist nicht anwesend - zwar noch von der Schließung von Finanzlücken, aber wie das in solchen Fällen mit erhöhtem Risiko, also in den Fällen, in denen die Hausbank nein sagt, gehen soll, sagt er nicht. Basel II - mein Kollege Heyer hat das letzte Mal darauf hingewiesen - gilt auch für die ISB. Sie können aus den Bedingungen von Basel II gar nicht heraus, meine Damen und Herren von der Regierung. Auch das wird sich mehr oder weniger als Wind erweisen.

Die Frage ist natürlich, ob wir die Investitionsbank wirklich brauchen. Mit den Investitionen, so kann man es den Zeitungen entnehmen, hat es bisher schon prima geklappt. Sie könnten in der Debatte einige Investitionen nennen, die Sie tatsächlich initiiert haben. Dass Sie angefangene Projekte übernehmen und diese vollendet werden, ist in Ordnung. Das gönne ich Ihnen auch.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Das ist normal! - Unruhe bei und Zurufe von der CDU)

- Das haben Sie nicht gesagt. Sie haben gesagt, Sie wollen zusätzliche Impulse setzen und Sie hätten so viele Verbindungen. Ich würde gern wissen, welche Investition - zwei hatte ich selbst aufgezählt - von Ihnen vom ersten Moment an angeschoben worden sind. Mich würde interessieren, welche Investitionen Sie nennen.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem Sie keine Ansiedlung verkaufen. Es passiert zwar schon einmal, dass eine Ansiedlung abwandert, aber dafür sind dann andere zuständig. Bei der Zellstofffabrik in Arneburg hat die neue Landesregierung die Früchte der alten Landesregierung geerntet. Was soll’s? Was zählt, sind Fakten.

(Zuruf von der CDU)

- Ja, das sage ich ja auch. Das ist doch in Ordnung, das muss man ja auch sagen.

Herr Rehberger weiß auch sonst noch einiges zu berichten: Die Zahl der bewilligten Fördermittelanträge ist ge

stiegen. - Unabhängig davon, dass die Großinvestition der Zellstofffabrik den Wirtschaftsminister zumindest bei der geplanten Investitionssumme gerettet hat - das sei einmal dahin gestellt, das ist ausdiskutiert -, bleibt festzuhalten, dass der Mittelabfluss - Herr Gürth, erinnern Sie sich an das Wort? - die entscheidende Größe ist, die zählt. Und hier sieht es schlecht aus, dramatisch schlecht. Im Jahr 2002 sind nur 91,8 % der Fördermittel abgeflossen.

(Herr Gürth, CDU: Weil wir nicht unterveranschla- gen!)

- Herr Gürth, das gestehe ich Ihnen doch zu. Ich nenne doch gar nicht die Vergleichszahlen aus den anderen Jahren, dass die 114 oder 115 % auf der Basis von 75 % Veranschlagung entstanden waren. Das ist doch gar kein Thema, darüber würde ich mich doch mit Ihnen gar nicht streiten.

Aber von Ihren 100 % sind auch nur 91,8 % Fördermittel abgeflossen. Meine Finanzer sagen, in Zahlen ausgedrückt heißt das, rund 180 Millionen € sind n i c h t für die wirtschaftliche Entwicklung in unserem Land umgesetzt worden, 180 Millionen €. Wenn ich dann den Faktor 7 oder 6 oder 5 in der Multiplikation nehme, was an Investitionen angereizt wird, dann ist das schon eine bedenkliche Zahl. Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Hinzu kommt, dass im Ansatz des Jahres 2003 - darüber brauchen wir uns nicht zu streiten, da braucht man auch nicht die Finanzer zu bemühen, dass die noch einmal nachrechnen, einer so, einer so; das können Sie auch aus der Großen Anfrage herauslesen - noch einmal 180 Millionen € weniger für Investitionen zur Verfügung gestellt worden sind, wenn man das Hochwasser herausrechnet. Das Hochwasser kann man ja weiß Gott nicht mit dazurechnen.

Das macht in zwei Jahren rund 360 Millionen €, die Sie nicht für Investitionen, die Sie nicht für Impulse an die heimische Wirtschaft nutzen. Das ist noch positiv gerechnet und setzt voraus, dass in diesem Jahr 100 % der Mittel abfließen. Dass 100 % der Mittel abfließen, dafür müssen Sie sich noch gewaltig strecken. Selbst wenn man anerkennt, dass in allen Jahren die Abflussquoten relativ niedrig waren, lagen sie Ende Mai erst bei 22 %. Dann gucken wir einmal, was am Jahresende dabei herauskommt.

Zur Außenwirtschaft. Ich frage mich, wie dieser Teil der Antwort ausgesehen hätte, wenn Sie, Herr Minister Rehberger, das hätten schreiben dürfen, was Sie wirklich denken. Gut, dass der Ministerpräsident Ihnen klar gemacht hat, dass die osteuropäischen Märkte zwar nicht zu nah an der saarländischen Grenze, aber durchaus als Wachstumsmärkte vor der Tür liegen und dass sie Wachstumsmärkte für unsere Unternehmen im Export sind.

Ich weiß - so haben mir einige berichtet -, dass Sie in den ersten Veranstaltungen, als es um Außenwirtschaft ging, immer gesagt haben, die osteuropäischen Märkte wären „sozialistischer Quatsch“ der Vorgängerregierung.

(Herr Dr. Schrader, FDP: Das ist doch Unsinn!)

Die Antwort fällt jetzt in die Kategorie: Die Vorgängerregierung hat es richtig gemacht und wir bauen dies aus. Das ist auch okay. Sie sollen dann auch, wenn Sie es richtig machen, die Früchte ernten. Das ist okay.

Ich danke jedenfalls dem Ministerpräsidenten, dass er bei dem Thema Osteuropa/Entwicklung osteuropäischer Märkte für Vernunft in der Wirtschaftspolitik gesorgt hat. Ich gebe zu: Auch wir hatten im Jahr 1994 anfangs Probleme, diese Märkte bei unseren Staatssekretären durchzusetzen, aber wir haben sie dann acht Jahre lang richtig gut entwickeln geholfen.

Zum Wind. Wind wird viel gemacht. Nur bei dem einen Windthema, Herr Minister Rehberger, haben Sie nicht genug Wind gemacht. Das Thema steht morgen noch einmal auf der Tagesordnung. Ich will es hier nur kurz anmerken, weil es in das Thema „Wirtschaftliche Entwicklung Sachsen-Anhalts“ gehört. Mit den Äußerungen, dass die Windkraftbranche keine entwicklungsfähige Branche sei - es ist Ihnen Gott sei Dank jetzt etwas eingefallen -, haben Sie nachhaltig Schaden angerichtet.

Bezüglich der Branche der regenerativen Energien - dazu gehört im Grunde auch die Solarenergie; auch dazu gibt es Zeitungsartikel, in denen Sie sagen: nicht zukunftsfähig; ich gehe einmal davon aus, dass es zutrifft, dass Sie es gesagt haben - will ich Sie noch einmal herzlich bitten, dass Sie diesen beiden Entwicklungsschwerpunkten mehr Aufmerksamkeit widmen; denn es kommt nicht nur darauf an, die beiden Branchen hier zu halten, temporär zu halten, sondern es kommt auch darauf an, sie fit zu machen für die Zukunft mit Technologie und mit Export, unbeschadet der raumordnerischen Probleme, die stärker berücksichtigt werden müssen. Es darf natürlich denen kein Schaden zugefügt werden, die dort wohnen; diesbezüglich muss natürlich wieder etwas geändert werden.

(Herr Gürth, CDU: Machen wir doch!)

Meine Damen und Herren! Ein Fazit von mir: Das Luftpaket fällt Stück für Stück in sich zusammen. Ich schließe mit den Worten aus einer bekannten Comicserie von Snoopy und Charlie Brown. Dort fragt Charlie Brown Snoopy: Haben wir gewonnen oder verloren? - Snoopy antwortet: Ja, aber das kräftig. - So ist bisher Ihre Wirtschaftspolitik für mich - nachlesbar in der Antwort auf die Große Anfrage - gewesen.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Herrn Dr. Thiel, PDS)

Vielen Dank, Frau Budde. - Nun bitte Herr Dr. Rehberger.