Protokoll der Sitzung vom 04.07.2003

Änderungsantrag mehrerer Abgeordneter - Drs. 4/900

Änderungsantrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/901

Änderungsantrag der Fraktionen der CDU, der SPD, der FDP und der PDS - Drs. 4/904

Die Änderungsanträge der Fraktionen der SPD und der PDS waren zu einem erheblichen Teil kompatibel mit dem Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP. Die Fraktionen haben sich nunmehr auf einen interfraktionellen Änderungsantrag geeinigt, der Ihnen in der Drs. 4/904 vorliegt. Die Fraktionen der PDS und der SPD haben ihre Anträge zurückgezogen. Sie sind damit nichtig geworden.

Für den Antragsteller bringt zunächst der Abgeordnete Herr Stahlknecht den Antrag ein. Bitte sehr, Herr Stahlknecht.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal ist es, denke ich, nach einer langen Debattenabfolge angenehm, dass der letzte Tagesordnungspunkt einvernehmlich zwischen allen Fraktionen mit einem gemeinsamen Änderungsantrag endet. Ich möchte im Namen der Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion, der SPD-Fraktion und der FDP-Fraktion den Dank dafür aussprechen, weil es auch zeigt, dass wir in diesem Hause und in diesem Land geeint sind für ein geeintes Europa.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Ich werde mir nach der Einbringungsrede zu dem gemeinsamen Änderungsantrag erlauben, weil ich nun einmal hier vorn stehe, gleich den Änderungsantrag der CDU-Fraktion zum Gottesbezug mit zu begründen. Ich denke, dass es dagegen keinen Widerspruch geben wird.

Meine Damen und Herren! Mit dem vom Europäischen Konvent erarbeiteten und den Staats- und Regierungschefs in Thessaloniki vorgelegten Entwurf für einen europäischen Verfassungsvertrag ist bereits schon jetzt festzustellen, dass sich die Europäische Union neu gründen wird. Die in 50 Jahren entstandenen Gründungsverträge und Verträge werden nunmehr durch einen einzigen neuen Verfassungsvertrag ersetzt.

Wenn wir heute eine Bewertung vornehmen, dann müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass es um die Bewertung des ersten großen Hauptwerkes, aber noch nicht um die Abschlussbewertung geht. Das hat der Staatsminister Herr Robra im Zusammenhang mit dem Referendumsantrag bereits erwähnt. Die Abschlussbewertung können und wollen wir uns erst vornehmen, wenn auch der dritte Teil der Verfassung seinen Abschluss gefunden hat.

Trotzdem können wir schon jetzt sagen, dass Beträchtliches erreicht wurde und dies, so denke ich, unter nicht ganz einfachen Bedingungen. Nie zuvor waren an der Weiterentwicklung der EU so viele Staaten beteiligt wie heute - neben den 15 Mitgliedstaaten und zehn künftigen Mitgliedstaaten auch die Bewerberstaaten.

Es liegt also in der Natur der Sache, dass ein solcher Entwurf einen Kompromiss darstellt, allerdings einen Kompromiss, der für viele schon an ein Wunder grenzt, da er viele Probleme angeht, die in etlichen Regierungskonferenzen nicht gelöst werden konnten.

Durch den Verfassungsvertrag wird eine allumfassende Reform der heutigen Europäischen Union erreicht. Europa wird in die Lage versetzt, sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stellen. Diese Herausforderungen können wie folgt um rissen werden: Vertretung Europas auf globaler Ebene, Handlungsfähigkeit mit bis

zu 30 Mitgliedstaaten, Demokratisierung und Transparenz.

Weiterhin war es notwendig, der Europäischen Union insgesamt Rechtspersönlichkeit zu verleihen und die Grundrechtecharta rechtsverbindlich in die Verfassung zu integrieren. Das scheint in Gänze gelungen zu sein. Aus diesem Grunde begrüßen wir im Landtag von Sachsen-Anhalt den vorliegenden Entwurf eines europäischen Verfassungsvertrages.

Allerdings darf nicht verkannt werden, dass der Vertragsentwurf in einer Reihe von Fragen hinter den Erfordernissen zur Stärkung von Demokratie und Handlungsfähigkeit in der erweiterten EU zurückbleibt.

Im Lichte der Forderungen der deutschen Länder an den Europäischen Konvent darf auch das nicht unerwähnt bleiben: Der Konvent wird die Beratung zu Teil III der Verfassung mit den Einzelermächtigungen zu den Politbereichen erst im Juli abschließen. Eine detaillierte Bewertung des Verfassungsentwurfes ist daher erst zu einem späteren Zeitpunkt und unter Berücksichtigung des Verhandlungsergebnisses zu Teil III der Verfassung möglich.

Gleichwohl erscheint es unseren Fraktionen geboten, das derzeit vorliegende Ergebnis dem Grundsatz nach zu würdigen. Der Landtag sollte sich aber weiterhin vorbehalten, nach Vorliegen des vollständigen Entwurfes des Verfassungsvertrages erneut zu beschließen.

Das vorausgeschickt, gestatten Sie mir, zu einigen ausgewählten Punkten in der gebotenen Kürze Stellung zu nehmen, wie wir es auch in dem gemeinsamen Antrag getan haben.

Es gibt in dem vorgelegten Verfassungsvertrag endlich eine klare Kompetenzabgrenzung. Das hätte vor einem Jahr, sogar noch vor einem halben Jahr, kaum einer für möglich gehalten. Bisher hat Europa jede Aufgabe an sich gezogen, die es bekommen konnte. Was waren die großen Einfallstore für immer neue Aufgabenverlagerungen auf die Europäische Ebene?

Das erste Einfallstor war der Artikel zum Binnenmarkt, der den Wettbewerb regelt. Ich muss mich in diesem Zusammenhang fragen, was mittlerweile nicht zum Wettbewerb gehört. Auf diesem Weg hat sich die EU in alle Bereiche eingemischt, von der kommunalen Daseinsvorsorge über die Sparkassen bis hin zur Kultur, den Medien - Themen, die auch der Landtag von SachsenAnhalt zum Teil mehrfach berücksichtigt hat.

Das zweite Einfallstor ist die Generalermächtigung aus Artikel 308 des EWG-Vertrages. Die Rechtspraxis der EU, insbesondere der Kommission, war bisher leider die, dass die eigene Zuständigkeit aus einer Generalermächtigung hergeleitet wurde.

Das dritte Einfallstor stellen die allgemeinen Ziele dar. Jeder europäische Vertrag beginnt mit den auf zwei bis vier A4-Seiten festgestellten allgemeinen Zielen. Meistens waren diese Ziele reine Politlyrik. Das hat in der Praxis vielfach dazu geführt, dass es kein Halten mehr gab - kein Bereich, für den Europa nicht zuständig zu sein schien. Damit ist nun Schluss. Wir haben jetzt eine klare Kompetenzordnung. Der nun eingeschlagene Weg ist doch dem Muster unseres Grundgesetzes gefolgt. Zukünftig gibt es ausschließliche Zuständigkeiten der EU, geteilte Zuständigkeiten und ergänzende Zuständigkeiten.

Auch in einem anderen Punkt hat der Konvent viel erreicht. Die Grundrechtecharta als Ausdruck der Wertegemeinschaft Europas wird rechtsverbindlich. Die Charta der Grundrechte der EU, die auf dem Europäischen Rat von Nizza am 7. Dezember 2000 unterzeichnet worden ist, ist ein wichtiges Instrument, um den Bürgerinnen und Bürgern deutlich zu machen, welche Rechte sie gegenüber der EU besitzen.

In dem Beschluss „Europäischer Verfassungskonvent - Bürgerrechte und Stärkung der regionalen Gebietskörperschaften“ - damit haben wir uns beschäftigt - haben sich alle Fraktionen unseres Hohen Hauses für die Stärkung des Europäischen Parlamentes ausgesprochen. Die erreichte Stärkung des Europäischen Parlamentes als Vertretung der Unionsbürger ist ein begrüßenswerter und richtungsweisender Schritt für die Zukunft. Bis auf wenige Ausnahmen wird über die Gesetzgebung und den Haushalt in Zukunft gleichberechtigt im Europäischen Parlament und vom Ministerrat entschieden.

Das Europäische Parlament wählt den Präsidenten der Europäischen Kommission. Die Möglichkeiten, Gesetzgebung zu initiieren oder bestehende Vorschriften zu ändern, werden verbessert. Der Präsident der Europäischen Kommission erhält Richtlinienkompetenz und Befugnisse bei der Auswahl der Kommissare.

Zum ersten Mal wurde das kommunale Selbstverwaltungsrecht in einem europäischen Vertrag verankert. In der gesamten europäischen Geschichte haben vor allem die Städte und Gemeinden Europa getragen. Bisher sind sie in keinem europäischen Vertrag erwähnt worden. Gerade das muss begrüßt werden, da die Städte und Gemeinden das Fundament einer europäischen Ordnung sind.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Umfassend verändert wird die Funktionsweise des Ministerrates. Die gesetzgeberischen Entscheidungen werden künftig im Legislativrat fallen. Es war doch ein Ding der Unmöglichkeit, dass die europäische Gesetzgebung bisher unter Ausschluss der Öffentlichkeit vollzogen worden ist. Der Europäische Rat wählt einen hauptamtlichen Präsidenten für zweieinhalb Jahre mit verlängerbarer Amtszeit, sodass das System der wechselnden Präsidentschaft als abgeschafft gilt. Die Fachministerräte werden von den Vorsitzenden geleitet. Diese haben über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr ihr Amt inne.

Aus der Sicht der deutschen Länderparlamente ist besonders hervorzuheben, dass das Prinzip der Subsidiarität gestärkt worden ist. Der Entwurf des Verfassungsvertrages sieht ein Frühwarnsystem zur Kontrolle der Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips durch die nationalen Parlamente, einschließlich des eigenständigen Klagerechts beider Kammern in Deutschland, somit des Bundestages und des Bundesrates, vor.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren! Der Lärmpegel könnte etwas zurückgefahren werden. - Bitte sehr, Herr Stahlknecht.

(Zustimmung bei der CDU und von Minister Herrn Dr. Daehre)

Ich kann verstehen, dass das am Ende einer langen Debatte ein sehr trockenes Thema ist, aber wir müssen da

zu in einer Einbringungsrede Ausführungen machen. Insofern bitte ich ein Stück weit um Nachsicht und werbe dafür, dass wir das noch zu Ende bringen.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD - Zustim- mung bei der PDS und bei der FDP)

Im Lichte der Forderung der deutschen Länder, ein eigenständiges Klagerecht der regionalen Gebietskörperschaften mit Legislativrecht zur Wahrung der Subsidiarität zu verankern, lautet so auch die Forderung unseres Landtagsbeschlusses „Europäischer Verfassungskonvent - Bürgerrechte und die Stärkung der regionalen Gebietskörperschaften“.

Letztlich kommt es nun auf die innerstaatliche Umsetzung an, damit den berechtigten Intentionen der deutschen Länder genügt werden kann. Das in diesem Zusammenhang eingeführte Frühwarnsystem für die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten, das jedoch nicht für die deutschen Länderparlamente, sprich: Landtage, gilt, verdient dabei eine genauere Betrachtung.

Zukünftig übermittelt die Kommission Vorschläge an die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten. Die nationalen Parlamente können dann innerhalb von sechs Wochen nach Übermittlung des Gesetzgebungsvorschlages in begründeter Stellungnahme eine Verletzung des Subsidiaritätsprinzips rügen. Im Einkammersystem erhalten die nationalen Parlamente zwei Stimmen, im Zweikammersystem - wie bei uns - erhält jede Kammer eine Stimme. Sodann erfolgt die Berücksichtigung der Stellungnahmen bis hin zu einer erneuten Überprüfung des Vorschlages durch die Kommission.

Erstmals in der Geschichte der EU wird somit im Gesetzgebungsverfahren der EU den nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten ein formelles Recht eingeräumt. Das ist ein historischer Schritt, dessen Tragweite heute noch gar nicht abschätzbar ist.

Für uns war das Ausländer- und Asylrecht ein zentraler Punkt. Wir wollen eine europäische Einwanderungspolitik - wir haben gestern darüber debattiert -, welche das Maß der Einwanderung und des Zugangs zum nationalen Arbeitsmarkt in der Hand der Mitgliedstaaten lässt. Wir haben gemeinsam mit der SPD und der PDS Überlegungen unternommen und einen Konsens für die Handhabung auf EU-Ebene gefunden.

Abschließend möchte ich feststellen, dass insgesamt betrachtet ein begrüßenswerter Entwurf vorgelegt worden ist. Der Verfassungsentwurf ist richtungsweisend. Ihm ist zuzustimmen.

Das wäre insoweit die Einbringungsrede für die gemeinsamen Änderungsanträge.

Ich erlaube mir, für ein paar Minuten Ihre Aufmerksamkeit zu erbitten. Ich habe die Rede von einem Kollegen bekommen, weil wir der Meinung waren, dass das eingebracht werden sollte.

(Unruhe)

Das ist die Frage des Gottesbezuges. Gestatten Sie mir, weil ich an Ihrer Reaktion gemerkt habe, dass es schnell gehen soll, dass ich jetzt frei spreche. Das macht manches leichter.

Es gibt in der CDU-Fraktion eine überwiegende Mehrheit, die christlich geprägt ist und gern den Gottesbezug in ausdrücklicher Formulierung - ähnlich wie im Grundgesetz - in der Präambel des Verfassungsvertrages hätte. Das ist eine Gewissensfrage, über die frei entschie

den werden sollte. Ich denke, es ist ein guter Stil in unserem Landtag, dass wir auch über religiöse oder ethische Fragen in aller Ernsthaftigkeit sprechen. Deshalb bringen wir den Änderungsantrag ein, dass der Gottesbezug ausdrücklich Niederschlag findet.

Ich denke, damit ist gesagt, was zu sagen war. Man hätte das noch weiter ausführen können, aber in Anbetracht der späten Stunde glaube ich, dass ich von Ihnen mehr Beifall bekomme, wenn ich jetzt aufhöre und nicht weiter rede. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie haben den Beifall verdient, Herr Stahlknecht. Herzlichen Dank. - Ich erteile als erstem Redner Herrn Staatsminister Robra das Wort. Er spricht für die Landesregierung.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dieser umfassenden Einbringungsrede will ich mich kurz fassen. Ich begrüße für die Landesregierung ausdrücklich, dass es in dieser wichtigen Frage zur einer fraktionsübergreifenden Beschlussfassung kommen dürfte.