Protokoll der Sitzung vom 04.07.2003

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dieser umfassenden Einbringungsrede will ich mich kurz fassen. Ich begrüße für die Landesregierung ausdrücklich, dass es in dieser wichtigen Frage zur einer fraktionsübergreifenden Beschlussfassung kommen dürfte.

Auch die Ministerpräsidenten der deutschen Länder haben nach langer, in einzelnen Elementen auch kontroverser Diskussion am 26. Juni 2003 in Berlin einmütig den Verfassungsentwurf politisch gewürdigt. Der Beschluss liegt vor. Wir werden ihn, sobald das endgültige Ergebnisprotokoll vorliegt, dem Landtag natürlich auch förmlich zustellen.

Ich kann in allen wesentlichen Aspekten den Ausführungen des Abgeordneten Stahlknecht beipflichten. Ergänzend möchte ich darauf aufmerksam machen, dass auf ausdrückliche Bitte des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten der deutschen Länder zu Teil III des Verfassungsvertrages die drei deutschen Mitglieder im Konvent - Bundesaußenminister Fischer, Ministerpräsident Teufel und Professor Meyer für den Bundestag - drei Bitten an den Konventspräsidenten Giscard d’Estaing herangetragen haben. Dies sind die Beibehaltung der Einstimmigkeit im Bereich der Einwanderungspolitik, keine neue Gemeinschaftskompetenz zu den Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse - die viel diskutierte Daseinsvorsorge - und die Präzisierung der Binnenmarktkompetenz gemäß der Rechtsprechung des EuGH auf der Grundlage des viel kritisierten Tabakwerbeurteils vom 5. Oktober 2000.

Dies vorausgeschickt, möchte ich die Stellungnahme der Landesregierung zu Protokoll geben.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

(Zu Protokoll:)

Das Ergebnis der Beratungen im Konvent in Form des „Entwurfes eines Vertrages über eine Verfassung für Europa“, das den europäischen Staats- und Regierungschefs auf dem Europäischen Rat in Thessaloniki am 20. Juni 2003 vorgelegt wurde, muss sich messen lassen am Auftrag, den diese auf dem Europäischen Rat in Laeken im Dezember 2001 erteilt hatten, um die Defizite - die so genannten „Left-overs“ - des Vertrages von Nizza zu überwinden.

In der „Erklärung zur Zukunft der Europäischen Union“ hat der Europäische Rat in Laeken die Perspektive einer „Verfassung für die europäischen Bürger“ eröffnet. Damit wurde der Weg für eine umfassende Reform der Europäischen Union frei gemacht, bei der die für eine Verfassung zentralen Elemente - Grundrechte, Kompetenzordnung, Institutionen und ihr Handeln - im Mittelpunkt stehen.

Das sich aus der Erklärung von Laeken ergebende Mandat für den Konvent war weit gefasst: Der Konvent sollte Fragen der Verteilung und Abgrenzung der Kompetenzen, die Vereinfachung der Handlungsinstrumente, die Stärkung von Demokratie, Transparenz und Effizienz sowie die Neuordnung der Verträge behandeln. In der Gesamteinschätzung der Ergebnisse kann ich nur meine Worte von vorhin wiederholen: Der Konvent hat wichtige Ergebnisse erreicht.

Trotzdem ist die Bewertung der Konventsergebnisse nicht die Diskussion über das halb volle oder halb leere Glas. Es überwiegen eindeutig die positiven Ergebnisse. Es ist gelungen, einen EU-Verfassungsvertrag zu entwerfen, der mit weitreichenden Änderungen die Funktions- und Handlungsfähigkeit der EU nach innen und außen verbessert. Nach den Erfahrungen von Nizza sind Zweifel angebracht, ob eine Regierungskonferenz hinter verschlossenen Türen zum gleichen Ergebnis gekommen wäre.

Für Sachsen-Anhalt und alle deutschen Länder kommt ein wichtiger Bewertungsmaßstab hinzu: Wie wurden die Forderungen berücksichtigt, die wir im Vorfeld in Beschlüssen der Regierungschefs, des Bundesrates - und auch dieses Hohen Hauses - erhoben haben? Auch diesbezüglich können wir eine eindeutig positive Bilanz ziehen. Lassen Sie mich die wichtigsten Ergebnisse zusammenfassen. Die Landesregierung begrüßt insbesondere folgende Festlegungen des Verfassungsentwurfs:

die Eingliederung der Charta der Grundrechte, die die gemeinsamen europäischen Werte widerspiegelt,

die einheitliche Rechtspersönlichkeit und den einheitlichen Verfassungsvertrag, mit denen die intransparente Säulenstruktur aufgehoben wird,

die Verbesserung der Kompetenzordnung und der Kompetenzausübung durch die Stärkung der Prinzipien der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sowie durch bessere Abgrenzung zwischen Zielen und Einzelermächtigungen,

die Beschränkung der Zahl und die bessere Definition der Rechtsinstrumente, die die Transparenz und die Verständlichkeit des europäischen Rechts fördern,

die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen im Rat, wobei Ausnahmen von diesem Prinzip in zentralen Fragen weiterhin vorgesehen sind,

die Einführung einer „doppelten Mehrheit“ im Rat ab 2009, wie sie die Länder seit Jahren vorschlagen,

die Festlegung des Mitentscheidungsverfahrens des Europäischen Parlaments als Regelfall, wodurch die demokratische Legitimation europäischer Rechtsetzung erhöht wird.

Auch die Festlegungen zu den Institutionen sind aus Landessicht akzeptabel. Sie bewahren das Gleichgewicht zwischen Rat, Parlament und Kommission. Die Hand

lungsfähigkeit der Organe wurde gestärkt, insbesondere auch durch die Verringerung der Anzahl der Kommissare ab 2009. Einzelheiten der Aufgabenabgrenzung zwischen dem Präsidenten des Europäischen Rates, dem Kommissionspräsidenten und dem europäischen Außenminister müssen noch in der Praxis geklärt werden.

Die Landesregierung sieht einen großen Teil der Forderungen, die sie gemeinsam mit den anderen deutschen Ländern in den Bundesratsbeschlüssen vom 20. Dezember 2001 und vom 12. Juli 2002 sowie zuletzt in der Ministerpräsidentenkonferenz am 23. Mai 2003 erhoben hat, im Verfassungsentwurf berücksichtigt. Dies betrifft insbesondere:

die Einführung von drei Kompetenzkategorien (aus- schließlich, geteilt, ergänzend), die klare Zuordnung der Kompetenzen zu den verschiedenen Kategorien sowie die bessere Definition der Rechtsinstrumente,

den Schutz der regionalen und lokalen Ordnung, insbesondere das regionale und lokale Selbstverwaltungsrecht als Bestandteil der nationalen Identität der Mitgliedstaaten,

das Klagerecht der zweiten Kammern der nationalen Parlamente bei Verletzung des Subsidiaritätsprinzips (bei der Ausgestaltung des innerstaatlichen Rechts ist ein indirektes, eigenständiges Klagerecht der deutschen Länder zu prüfen) ,

das „Frühwarnsystem“ zur Subsidiaritätskontrolle unter Einbeziehung der nationalen Parlamente,

die Anerkennung des Status der Kirchen und Religionsgemeinschaften,

die Einbeziehung des Amsterdamer Protokolls zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk in den Vertrag,

die Gleichwertigkeit aller Teile des Verfassungsvertrags und deren Ratifikation nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften sowie

die Weiterentwicklung der Rechte des Ausschusses der Regionen (Klagebefugnis bei Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip und bei Verletzung eigener Rechte).

Selbstverständlich bleiben die Ergebnisse des Konvents auch in einer ganzen Reihe von Punkten hinter den Erwartungen der Länder zurück. In Teil l des Entwurfs betrifft dies insbesondere die Formulierungen zur Koordinierung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten, die auch Teile der Beschäftigungs- und der Sozialpolitik mit erfassen und damit dem Subsidiaritätsprinzip klar zuwiderlaufen.

Problematisch ist zudem die Möglichkeit, beim Übergang zu Mehrheitsentscheidungen durch einstimmigen Beschluss des Europäischen Rates ein Vertragsänderungsverfahren zu umgehen. Der Übergang von der Einstimmigkeit zur Mehrheitsentscheidung ist eine wesentliche Festlegung, die dem allgemeinen Vertragsänderungsverfahren gemäß Teil IV unterliegen muss. Auch die Mitwirkung von Vertretern der Länder im Rat ist nicht eindeutig geregelt. Die Auslegung der entsprechenden Vertragsartikel muss noch geklärt werden.

Schließlich wirft eine Reihe weiterer Bestimmungen des Teils l Fragen und Bedenken auf. Aber erst im Lichte der Verhandlungssituation in der Regierungskonferenz wird zu klären sein, ob und inwieweit dieses „Paket“ wieder

aufgeschnürt werden soll. Grundsätzlich ist es ein großer Erfolg, dass der Konvent einen in sich geschlossenen Entwurf - ohne Varianten und Optionen - vorgelegt hat. Dieses Ergebnis sollte von der Regierungskonferenz nicht ohne Not infrage gestellt werden.

Problematisch ist insbesondere - wie ich bereits in meinen Ausführungen zum vorangegangenen Tagesordnungspunkt dargestellt habe - der noch offene Ausgang der Verhandlungen zum Teil III des Vertrages, für die ein Abschluss ja bekanntlich erst für den 15. Juli vorgesehen ist, deren Ergebnis aber sowohl für eine Gesamtbewertung des Vertragsentwurfs als auch für die Formulierung der Forderungen der Länder zur Regierungskonferenz unabdingbar ist.

In einem gemeinsamen Schreiben an Konventspräsident Giscard d'Estaing haben die drei deutschen Mitglieder im Konvent - Bundesaußenminister Fischer, Ministerpräsident Teufel und Professor Meyer für den Bundestag - die deutschen Kernanliegen im Hinblick auf diesen Teil des Vertrages unter Hinweis auf eine ausdrückliche Bitte des Bundeskanzlers und der Ministerpräsidenten der deutschen Länder nachdrücklich vorgebracht. Dies sind:

Beibehaltung der Einstimmigkeit im Bereich der Einwanderungspolitik,

keine neue Gemeinschaftskompetenz zu den Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, der viel diskutierten Daseinsvorsorge,

Präzisierung der Binnenmarktkompetenz gemäß der Rechtsprechung des EuGH (Tabakwerbeurteil vom 5. Oktober 2000).

Eine weitere Frage, deren Klärung ebenfalls erst nach der Vorlage des endgültigen Verfassungsentwurfs in Angriff genommen werden kann, sind die Auswirkungen auf die innerstaatlichen Mitwirkungsmechanismen des Artikels 23 des Grundgesetzes und der begleitenden Vorschriften. Allerdings bleibt hierfür genügend Zeit, da die Regierungskonferenz erst im Oktober beginnt und der Vertrag für die Europäische Verfassung erst nach dem 1. Mai 2004 unterzeichnet werden soll, um die neuen Mitgliedstaaten gleichberechtigt zu beteiligen.

Vor uns liegt noch eine längere Periode intensiver Beschäftigung mit dem europäischen Verfassungsprojekt. Die Landesregierung ist gern bereit, den Landtag auch weiterhin detailliert zu unterrichten.

Vielen Dank, Herr Staatsminister. - Meine Damen und Herren! Jetzt telefoniert Herr Tögel. - Herr Tögel, Sie haben das Wort. Bitte sehr.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Kein großer Wurf, aber ein großer Schritt“ - mit dieser Einschätzung hat Klaus Hänsch als Vizepräsident des Konvents das Ergebnis bezeichnet. Ich kann ihm dabei eigentlich nur zustimmen. Insofern werde ich meine Rede noch kürzer zu fassen versuchen, als der Herr Staatsminister das gemacht hat.

Es ist aus meiner Sicht viel erreicht worden. Es ist überhaupt eine Verfassung, ein Verfassungsvertrag entstanden, was ja monatelang nicht klar war. Die Charta ist in den Vertrag sogar an prominenter Stelle aufgenommen worden, das EP ist gestärkt worden und - was ich noch

ergänzend zu Herrn Stahlknecht sagen will - auch der Bürgerentscheid ist aufgenommen worden, ebenfalls ein wesentliches Element dieser Verfassung.

Übrigens ist die Konventidee eine sozialdemokratische Idee. Die deutschen Sozialdemokraten haben damals, als die Charta der Grundrechte verfasst wurde, diese Konventidee eingebracht. Sie ist erfolgreich gewesen. Ich will auch noch einmal allen sagen, die daran gezweifelt haben, dass der Konvent zu einem Erfolg wird: Er ist zu einem Erfolg geworden und er wird auch nicht mehr aus der europäischen Politik wegzudenken sein.

Ein Erfolgsgeheimnis ist die enge Abstimmung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich gewesen. Wie gelegentlich in der Presse mitzubekommen war, haben Schröder und Chirac in entscheidendem Maße dazu beigetragen, Dinge mehrheitsfähig zu machen.

Ein Wermutstropfen ist zum Beispiel, dass es in der gemeinsamen Außen- und Sicherpolitik keine Mehrheitsentscheidung gibt; aber was dem einen sin Ul, ist dem anderen sin Nachtigall. Auf der anderen Seite wollen wir auch keine Mehrheitsentscheidung in der Asyl- und Einwanderungspolitik, obwohl sich in diesem Bereich bei den heutigen Beratungen des Konvents in Brüssel ein Kompromiss abzuzeichnen scheint. Es wird wohl so formuliert werden, dass die Außengrenzenfragen mit Mehrheit entschieden werden und es hinsichtlich des Zugangs zu den Arbeitsmärkten bei der Einstimmigkeit bleiben wird. Aber das wird in der nächsten Woche wohl abschließend beraten werden.

Nun kurz zum Änderungsantrag mehrerer Abgeordneter. Auch in der SPD-Fraktion ist die Abstimmung dazu freigegeben worden, weil es eben eine Gewissensentscheidung ist. Nur als Randbemerkung: Ich habe mich schon gewundert, dass nicht einmal die Hälfte der Einbringer heute früh bei der Morgenandacht anwesend gewesen ist. Aber das wird vermutlich auf den parlamentarischen Abend gestern zurückzuführen sein.

(Zustimmung von Herrn Dr. Püchel, SPD)

Insofern werden wir sehen, was die Abstimmung ergibt.

Wir bitten als Sozialdemokraten um die Zustimmung zu dem gemeinsamen Änderungsantrag. Wir werden uns sicher auch in Zukunft mit diesem Thema noch weiter beschäftigen. - Ich bedanke mich.