Protokoll der Sitzung vom 20.06.2002

Um mehr geht es nicht. Das sage ich vor Ihnen und das lasse ich gern auch gegen mich zitieren: Zu dieser und für diese Ehrlichkeit bin ich bereit auch vor jedem Verfassungsgericht die Verantwortung zu übernehmen. Wir haben mit dem Nachtragshaushalt keine einzige Mark draufgesattelt. Wenn Sie uns das vorzuwerfen hätten, würde ich Ihnen unbedingt Recht geben. Keine einzige Mark draufgesattelt!

(Herr Dr. Heyer, SPD: Sparen!)

Wir haben noch herausgequetscht, was herauszuquetschen ging.

(Herr Bullerjahn, SPD: Wo haben Sie denn ge- spart, Herr Ministerpräsident?)

- Mein sehr verehrter Kollege Heyer, über Sparen will ich gern mit Ihnen noch reden. - Wir haben mühsam noch 80 Millionen € zusammengespart. Ich weiß ja auch, was sich sonst so in den letzten Jahren abgespielt hat, wenn bei Ihnen von Sparen die Rede war. Das ist jetzt alles nicht mein Thema.

Ich will nur eines sagen: Die Situation wird nicht besser. Die Steuerschätzung vom Mai dieses Jahres hat für das nächste Jahr, regionalisiert für Sachsen-Anhalt, noch einmal Steuermindereinnahmen gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung von über 500 Millionen € ergeben.

Jedes Angebot von Ihnen und jeden Zwischenruf werden wir sehr ernst nehmen. Wir werden zuhören, wo Sie dann Vorschläge machen. Wenn Sie diese nämlich so locker in der Tasche hätten,

(Zuruf von Frau Budde, SPD)

wären wir gar nicht erst in die Situation gekommen, von der wir jetzt reden.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP und von der Regierungsbank)

Eines will ich auch noch sagen, damit Sie nicht denken, dass ich mir selbst etwas vormache: Alles das, was der Kollege Bullerjahn für den Haushaltsplanentwurf 2003 gesagt hat, wird zutreffen. Ganz ehrlich! Er kennt die Situation, wir kennen die Situation. Weil das so ist, deswegen haben wir gesagt: Machen wir erst einmal reinen Tisch, weil die nächsten Aufgaben mit Sicherheit genauso schwierig werden wie die jetzigen. Aber wir wollen wenigstens eine solide Ausgangslage haben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP und von der Regierungsbank)

Danke, Herr Ministerpräsident. - Mit dem Beitrag des Ministerpräsidenten ist die Debatte noch einmal eröffnet worden. Ich schlage vor, wenn noch der Wunsch nach kurzen Debattenbeiträgen der Fraktionen besteht, eine Redezeit von drei Minuten festzulegen. Ich frage in die Runde: Gibt es Anmerkungen und den Wunsch nach weiteren Debattenbeiträgen? - Das ist offenbar nicht der Fall. Damit schließe ich die Debatte zu den Drucksachen 4/37 und 4/39.

Wir kommen jetzt zum Abstimmungsverfahren. Zunächst stimmen wir über die Drs. 4/37 ab. Ich gehe wiederum davon aus, dass einer Überweisung dieser Drucksache nichts im Wege steht. Bevor wir abstimmen, merke ich an, dass gemäß § 29 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Landtages Haushaltsvorlagen an den Ausschuss für Finanzen zur federführenden Beratung und gleichzeitig an alle ständigen Ausschüsse außer dem Petitionsausschuss zur Mitberatung überwiesen werden. Somit müssen wir nur ein Abstimmungsverfahren durchführen.

Wer damit einverstanden ist, dass die Drs. 4/37 zur federführenden Beratung in den Finanzausschuss und zur Mitberatung in die übrigen ständigen Ausschüsse außer dem Petitionsausschuss überwiesen wird, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Gibt es Gegenstimmen? - Das ist nicht der Fall. Stimmenthaltungen? - Bei Stimmenthaltung der SPD-Fraktion ist die Drs. 4/37 in die genannten Ausschüsse überwiesen worden.

Wir kommen jetzt zur Abstimmung über die Drs. 4/39. Es handelt sich dabei um den Antrag der Fraktion der SPD. Wer der Drs. 4/39 zustimmt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Gegenstimmen? - Das ist die Mehrheit. Damit ist der Antrag in der Drs. 4/39 abgelehnt worden.

Ich schließe den Tagesordnungspunkt 5 und rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Erste Beratung

Entwurf eines Gesetzes zum Schutz vor häuslicher Gewalt

Gesetzentwurf der Fraktion der SPD - Drs. 4/15

Für die einbringende Fraktion spricht die Abgeordnete Frau Schmidt.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dem Beschluss in Drs. 3/71/5297 B vom 22. Februar 2002 bittet der Landtag die Landesregierung, einen Gesetzentwurf zum Schutz vor häuslicher Gewalt noch vor der Sommerpause einzubringen. Der Tatendrang, den die CDUFraktion noch im Januar hinsichtlich dieses Themas zeigte, scheint jedoch verflogen zu sein.

(Frau Liebrecht, CDU: Sie haben es doch abge- lehnt!)

Deshalb haben wir als SPD-Fraktion jetzt die Initiative ergriffen.

An der Tatsache, dass nach wie vor vor allem im sozialen Nahraum zum Teil unvorstellbare Gewalt ausgeübt wird, kommen wir nicht vorbei. Das geht durch alle gesellschaftlichen Schichten und trifft zu 90 % Frauen und Kinder, aber auch die im Haushalt lebenden alten Menschen. Für uns steht beim Schutz vor häuslicher Gewalt nicht das Polizeirecht im Vordergrund, sondern die Hilfeangebote für die Opfer, was insbesondere den Ausbau der Interventionsstellen einschließt.

(Frau Liebrecht, CDU: Die Polizei braucht aber Rechtssicherheit!)

Seit dem Aktionsplan der Bundesregierung zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, der Verabschiedung des Gewaltschutzgesetzes vom 1. Januar 2002 und des Landesaktionsplans von Sachsen-Anhalt ist viel geschehen. Das Thema ist nicht mehr tabu. Es ist von hinter der Wohnungstür vor die Wohnungstür geholt worden.

(Frau Liebrecht, CDU: Das haben wir alles schon mehrfach gehört! - Frau Weiß, CDU: Das haben wir alles schon gehört!)

Viele öffentliche Veranstaltungen, Schulungen der Polizei und der Justiz, der Leitfaden „Hinsehen“, die Beratungsstelle „Pro Mann“ - um nur einige Beispiele zu nennen - haben dafür gesorgt, die Bevölkerung für diese Gewalterscheinungen zu sensibilisieren.

Das Gewaltschutzgesetz des Bundes gibt dem Opfer die Möglichkeit, zivilrechtliche Maßnahmen und Schutz zu erlangen. Bis die gefährdete Person sich entschieden hat, ob sie zivilrechtlich gegen die gewalttätige Person vorgehen will, bis dann die gerichtliche Entscheidung auch tatsächlich getroffen ist, bedarf es aber des sofortigen Schutzes und der Beratung.

Der Gesetzentwurf gewährleistet den Grundrechtsschutz der gefährdeten Person, beachtet aber auch grundrechtlich geschützte Positionen der gewalttätigen Personen, gegen die die Polizei einschreitet. Wir sind uns der Schwere des Eingriffs bei einer Wegweisung aus der eigenen Wohnung bewusst. Deshalb wollen wir mit einer spezialgesetzlichen Regelung die Wegweisung auf eine rechtsstaatlich einwandfreie Grundlage stellen.

(Frau Liebrecht, CDU: Das hätten wir doch schon voriges Jahr beschließen können!)

- Ich komme noch darauf zu sprechen.

Die Platzverweisung nach § 36 des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes kann nicht länger andauern als die Gefahr, zu deren Abwehr sie verhängt wird. Dauert die Gefährdung nicht an, kann die fortdauernde Wegweisung wohl kaum auf die polizeiliche Generalklausel gemäß § 13 SOG gestützt werden.

Es ist müßig, darüber zu streiten, ob die neu in das SOG aufzunehmende Regelung klarstellt, was die Polizei schon jetzt darf, oder ob sie eine bisher nicht vorhandene Eingriffsbefugnis schafft.

Mir als Familienpolitikerin kommt es darauf an, dass der Schutz vor häuslicher Gewalt praktische Fortschritte macht.

(Frau Liebrecht, CDU: Ja, das ist richtig!)

Das setzt voraus, dass den Beamtinnen und Beamten der Landespolizei die notwendige Rechtssicherheit für ihr Einschreiten gegeben wird, an der es gegenwärtig noch mangelt. In Baden-Württemberg, wo ein Modellversuch zur Bekämpfung der häuslichen Gewalt auf Grundlage der polizeilichen Generalklausel stattfand,

(Frau Liebrecht, CDU: Das hat auch die CDU eingebracht!)

hielt ein Verwaltungsgericht diese Grundlage für nicht ausreichend. In dem Abschlussbericht der dortigen interministeriellen Arbeitsgruppe vom November 2001, in der Vertreter des Sozial-, des Innen- und des Justizministeriums mitarbeiteten, wird folgerichtig eine spezielle gesetzliche Normierung des Platzverweises empfohlen.

In der öffentlichen Anhörung, die unser Innenausschuss am 19. Dezember 2001 durchführte, erklärte der Vertreter des Innenministerium Baden-Württembergs - Frau Präsidentin, ich darf mit Ihrer Erlaubnis zitieren -:

„Obwohl sich nach den Ergebnissen des Platzverweisverfahrens in unserem Modellprojekt diese unmittelbare Notwendigkeit nicht ergibt, ist mittlerweile klar, dass das Land Baden-Württemberg den Platzverweis speziell gesetzlich regeln wird.“

Wie ist nun dieser Sachverhalt zweckmäßig und zugleich rechtsstaatlich einwandfrei zu regeln? - Die CDU hat im Mai 2001 einen Gesetzentwurf eingebracht, der in der zweiten Beratung am 22. Februar 2002 keine Mehrheit gefunden hat. Dieser Gesetzentwurf war von apodiktischer Kürze.

(Frau Liebrecht, CDU: Dann hätten Sie eine Än- derung dazu einbringen können!)

Unser Gesetzentwurf stimmt mit dem der CDU in nur einem, allerdings sehr zentralen Punkt überein. Anknüpfungspunkt für das polizeiliche Handeln ist eine gegenwärtige Gefahr für ganz bestimmte bedeutsame Rechtsgüter, nämlich Leib, Leben und Gesundheit der gefährdeten Person. Dieser Punkt ist dem Gewaltschutzgesetz des Bundes entnommen, das zu Jahresbeginn 2002 in Kraft getreten ist.

Im Unterschied zum CDU-Entwurf enthält unser Entwurf ausreichend differenzierte Regelungen, die ein Höchstmaß an effektivem Grundrechtsschutz gewährleisten.

(Frau Liebrecht, CDU: Hätten Sie doch eine Än- derung eingebracht!)

Ich verhehle nicht, dass sich unser Entwurf eng an eine in diesem Jahr in Nordrhein-Westfalen in Kraft getretene Neuregelung anlehnt, die im Ländervergleich aus unserer Sicht am allerbesten abschneidet. Ich will das ein einem Beispiel deutlich machen.

Wir wollen in das Gesetz aufnehmen, dass die Polizei die gefährdete Person über Beratungsangebote zu informieren und ihr anzubieten hat, durch Weitergabe ihrer

personenbezogenen Daten eine Kontaktaufnahme mit einer Beratungseinrichtung zu ermöglichen. Die Weitergabe von Name, Anschrift und Telefonnummer setzt nach Datenschutzrecht normalerweise eine Unterschrift voraus. Hier soll wegen der Ausnahmesituation, in der sich die gefährdete Person befindet, ein entsprechender Vermerk in der Einsatzdokumentation ausreichen.

Das geht weniger weit als der so genannte Pro-AktivAnsatz nach dem österreichischen Recht. Dort werden die Daten - allerdings ohne entsprechende Willensbekundung der gefährdeten Person - durch die Polizei an eine Interventionsstelle übermittelt, die dann dieser Person Beratung und andere Hilfe gewährt. Das dürfte nach unserer Ansicht zu weit gehen.