Protokoll der Sitzung vom 21.11.2003

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Püchel. - Für die CDU-Fraktion spricht nun Frau Wybrands.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Rede auf Folgendes verweisen: Ein erster Schritt zum Ausbau der Länder übergreifenden Initiative wurde im August 2002 von den drei CDU-geführten Landesregierungen Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen unternommen.

Immerhin, etwa ein Jahr und drei Ministerpräsidententreffen nach dem Start der Initiative Mitteldeutschland zeigt sich nun auch die PDS bereit, diese im Grundsatz für eine gute Sache zu halten, und ist nun auf einmal nach langer intellektueller Enthaltsamkeit auf diesem Gebiet unglaublich kreativ.

(Frau Bull, PDS: Da spricht die Fachfrau! - Un- ruhe)

Ich möchte aber grundsätzlich sagen, dass wir dieses Interesse der SPD und der PDS als sehr positiv bewerten; denn ein solches Ansinnen kann nur gelingen, wenn viele Kräfte im Lande dazu beitragen.

(Zuruf von Herrn Kühn, SPD)

Deswegen werden auch wir eine Überweisung des Antrages in die Ausschüsse vorschlagen.

(Zustimmung bei der CDU)

Wie ist nun der Stand der Dinge? Der Herr Ministerpräsident hat schon auf einiges hingewiesen. Ich darf das nur ganz kurz zusammenfassen: Es gibt hierfür einen Fahrplan mit klaren Vorgaben. Ein Staatsvertrag ist vorbereitet; eine Reihe von Ländervereinbarungen ist auf dem Weg. Ad acta gelegt wurden wegen des mangelnden Bedarfs lediglich zwei Vorhaben.

Herr Püchel, wenn Sie gerade die Zusammenlegung der Ausbildungsstätten für den Brand- und Katastrophenschutz als Beispiel für das anführen, was nicht zustande gekommen ist, dann kann ich Ihnen sagen: Das liegt daran, dass alle Einrichtungen in den einzelnen Ländern

zu hoch ausgelastet sind und deswegen hierbei kein Einsparpotenzial vorhanden war.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Nein, nein! Gucken Sie mal nach!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktionen der CDU und der FDP verstehen die Initiative Mitteldeutschland auch als Ansporn für die Legislative, darüber nachzudenken, wo und wie die drei Bundesländer Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt durch Spezialisierung Spitzenleistungen erbringen können, und zwar zum Vorteil aller. Dafür bieten sich neben den von der PDS in ihrem Antrag genannten Bereichen auch die Bereiche Qualifizierung, Bildung, Gesundheitsversorgung und Forschung an. - Soweit ein Vorblick darauf, in welche Ausschüsse dieser Antrag überwiesen werden sollte.

Die Initiative Mitteldeutschland ist daher auch aus der Sicht der CDU-Fraktion ein wichtiges Signal, eine Initialzündung, um es den drei beteiligten Ländern künftig zu erleichtern, sich als attraktive Region in der Mitte Europas zu profilieren und zu positionieren. Ich sage das auch im Hinblick auf die Aufnahme unserer östlichen Nachbarn Polen und Tschechien in die Europäische Union.

Wir sagen in diesem Zusammenhang aber auch ganz deutlich, dass gemeinsame Aktivitäten unserer drei Länder die Anstrengungen des einzelnen Landes nicht vollständig ersetzen können; sie sollen sie vielmehr ergänzen.

Die Idee einer engeren Zusammenarbeit folgt dem Anspruch unserer Koalition, die Zukunftsfähigkeit unseres Landes zu sichern. Wir müssen durch die Spezialisierung bzw. durch die Zusammenarbeit der drei Verwaltungen zu erheblichen Einsparungen kommen. Die Zusammenarbeit der drei Bundesländer muss daher als eine Art strategische Arbeitsteilung organisiert werden.

(Zuruf von Frau Dr. Kuppe, SPD)

Diese strategische Arbeitsteilung ist dringend notwendig. Schaut man in die vom Ministerium der Finanzen vorgelegte mittelfristige Finanzplanung, so wird deutlich, dass bei einem Schuldenstand des Landes in Höhe von fast 16 Milliarden € und einem Schuldenstand der Kommunen in Höhe von mehr als 3 Milliarden € sowie dem anzunehmenden Schrumpfen des Volumens zukünftiger Landeshaushalte der Druck, Strukturentscheidungen zu treffen, weiter zunehmen wird. Es ist und bleibt das Ziel dieser Koalition, das Land aus der Schuldenfalle herauszuführen. Das, meine Damen und Herren, sind wir kommenden Generationen schuldig.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Auf welchem Gebiet sollen wir nun konkret zur Entwicklung des Wirtschaftsstandortes Mitteldeutschland unsere Zusammenarbeit weiterentwickeln und vertiefen? Ich möchte nur einige Bereiche nennen und darauf verweisen, dass eine Redezeit von fünf Minuten bei einem solchen Thema sehr knapp bemessen ist angesichts dessen, was man alles dazu sagen müsste.

(Herr Dr. Püchel, SPD: Das müssen Sie Herrn Scharf sagen! Der hätte zehn Minuten beantra- gen können!)

An erster Stelle möchte ich die Verkehrswege nennen. Sie müssen gemeinsam weiterentwickelt werden, und zwar nicht nur die Wasserwege wie die Elbe, die uns im

letzten Jahr ziemlich in Atem gehalten hat, sondern auch die Bereiche Luftverkehr, Schiene und Straße.

Weiterhin wird die Zusammenarbeit bei großen Unternehmensansiedlungen maßgeblich über den Erfolg der Initiative entscheiden.

(Zustimmung bei der CDU)

Abschließend möchte ich noch auf ein Problem eingehen, das alle Regionen gleichermaßen zu verzeichnen haben: die Abwanderung insbesondere junger Menschen. Dieser Entwicklung müssen wir entgegenwirken zum einen durch die Schaffung zukunftsträchtiger Arbeitsplätze, und zwar mit der Ansiedlung kleiner und mittelständischer Unternehmen, die in Deutschland traditionell den überwiegenden Teil der Arbeitsplätze bereitstellen, und zum anderen durch hervorragende Ausbildungsangebote für junge Menschen, damit diese in Mitteldeutschland bleiben und damit auch hochqualifizierte Menschen zu uns kommen.

Zumindest die Bevölkerungsentwicklung ist als zentrale Aufgabe für die Organisation eines intelligenten Schrumpfungsprozesses das schlagende Argument für eine Zusammenarbeit in Mitteldeutschland nach dem Maßstab der Qualitätsverbesserung.

Wir schlagen eine Überweisung an die Ausschüsse für Wirtschaft und Arbeit, für Bundes- und Europaangelegenheiten und für Recht und Verfassung vor. Die Federführung sollte dem Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit übertragen werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Wybrands. - Nun noch einmal Herr Gallert. Bitte.

Zu Beginn kurz als Reflektion zu meiner Vorrednerin. Frau Wybrands, wissen Sie, die Situation ist folgende: Man kann in der Politik zwei Wege beschreiten. Der eine Weg ist der, erst über ein Problem nachzudenken, sich intern zu beraten, eine Position zu finden und sie dann zu verkünden. Das haben wir gemacht. Die andere Variante ist, in die Öffentlichkeit zu gehen, eine Position zu verkünden und sich dann von der Realität einholen lassen zu müssen. Das haben Sie gemacht.

(Beifall bei der PDS und bei der SPD)

An dieser Stelle lassen wir uns keine verspätete Wahrnehmung dieses Problems vorwerfen. Umgekehrt: Wenn Sie diesen Ton anschlagen, dann müssen Sie damit klar kommen, dass wir Ihnen einen Irrtum bei Ihren Ankündigungen vorwerfen. Das ist dieses Mal der Fall und das wird im Dezember der Fall sein, wenn es um die Frage der Haushaltskonsolidierung geht.

(Frau Wybrands, CDU: Das hat damit gar nichts zu tun!)

Ich will insbesondere auf zwei Dinge, die in der Diskussion eine Rolle gespielt haben, eingehen. Worin bestehen eigentlich die Differenzen?

Herr Böhmer, es überrascht uns überhaupt nicht, dass Sie viele Dinge, die in unserem Antrag enthalten sind, gut finden. Das sind nämlich Dinge, die Sie vor einem bzw. eineinviertel Jahren als politische Ziele verkündet haben. Unser Problem ist, dass wir uns diesen Vorstel

lungen durchaus anschließen konnten. Als wir das getan haben, waren die Vorstellung bei Ihnen nicht mehr vorhanden. Das ist unser Problem.

(Zustimmung bei der PDS)

Im Jahr 2002 haben Sie eine Vision von der Entwicklung dieser Region angekündigt und im Jahr 2003 sagen Sie: Vorsicht, Vorsicht, Vorsicht! Das ist der Unterschied.

Ziehen Sie doch einmal die Möglichkeit in Betracht, dass Sie uns an der Stelle überzeugt haben. Aber in dem Augenblick, in dem wir Sie in Ihren Bemühungen hätten unterstützen können, waren sie nicht mehr da.

Natürlich sollen sich die Dinge von unten entwickeln, aber folgende Fragen müssen doch an uns Politiker gestellt werden dürfen: Wollen wir daneben stehen? Wollen wir abwarten? Wollen wir schauen, ob es funktioniert oder nicht funktioniert? Oder wollen wir aus der Deckung herauskommen und die Dinge befördern? Das sind die Fragen, vor denen wir stehen. Das sind unsere Aufgaben, wenn es wirklich ein lohnendes Projekt sein soll.

Ich glaube, dass die Menschen tatsächlich an manchen Stellen viel weiter sind, als wir in diesem Raum denken. Für mich war durchaus beeindruckend, wie zum Beispiel der Olympiabeauftragte der Stadt Halle vor noch nicht allzu langer Zeit in unserer Fraktion gesagt hat: Wenn wir die Chancen für Leipzig bei der Olympiabewerbung dadurch verbessern, dass alle Sportarten auf dem Marktplatz von Leipzig ausgetragen werden und nicht eine einzige nach Halle kommt, dann werden wir diese Position unterstützen.

Wenn Leute in einer solchen Position solche mutigen Äußerungen tätigen, warum halten wir uns dann so weit zurück? Warum gehen wir so vorsichtig mit diesem Thema um? An der Stelle erwecken wir naturgemäß den Eindruck, dass es uns um Kirchturmpolitik geht

(Zurufe von Herrn El-Khalil, CDU, und von Herrn Tullner, CDU)

und dass wir selbst nicht in der Lage und bereit sind, über unsere Grenzen zu gehen. Das ist das Problem, um das es hierbei geht. Ein zweiter Punkt.

Herr Gallert, wollen Sie eine Frage von Herrn Borgwardt beantworten?

Herr Borgwardt, Sie werden noch anderthalb Minuten warten müssen, dann geht es sofort los.

Ein zweites zentrales Problem bei diesem Antrag ist die Rolle des Parlaments. Die Behandlung dieser Dinge im Parlament ist der Schlüssel zur Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit ist der Schlüssel zur Akzeptanz in der Bevölkerung.

Herr Böhmer, Sie wissen genauso gut wie ich, wie das mit Staatsverträgen aussieht. Bei den Staatsverträgen ist es so, dass drei Landesregierungen miteinander zu verhandeln haben. Die Landesregierungen haben dabei natürlich spezifische Interessen. Dann kommen die Landesregierungen in einem komplizierten Abstimmungsprozess zu einem Ergebnis. Die Landesregierung kommt dann mit diesem Ergebnis in die Koalitionsfraktionen, sieht den Fraktionsvorsitzenden und den anderen Funktionären tief in die Augen und fragt sie: Wollt ihr mir

Schwierigkeiten bereiten - ja oder nein? Die Antwort ist dann ziemlich eindeutig und einhellig.