Protokoll der Sitzung vom 04.03.2004

Welches sind nun die wesentlichen Voraussetzungen, nach denen wir die nationale Umsetzung bei der Reform ausrichten sollen?

Zunächst muss die Umsetzung konform zu anderen Mitgliedstaaten verlaufen. In diesem Sinne ist darauf zu achten, dass in Deutschland keine Wertschöpfung zugunsten anderer Mitgliedstaaten verloren geht. Wir haben die Interessen sich in Zukunft entwickelnder landwirtschaftlicher Betriebe angemessen zu berücksichtigen. Die Agrarreform darf insbesondere nicht zur Zementierung von althergebrachten Agrarstrukturen führen. Gravierende Umverteilungen zwischen den Bundesländern sind zu vermeiden. Die bisher ohnehin benachteiligten Futterbaubetriebe dürfen durch die Reform nicht weiter belastet werden und sind so weit wie möglich zu stärken.

Die Agrarminister der Länder sind aufgefordert, sich in Detailfragen der nationalen Umsetzung und der damit verbundenen Nutzung der Spielräume abschließend zu einigen. Das ist kein leichtes Unterfangen, da die Interessen zum Teil sehr weit auseinander liegen.

Die zwischen Bundestag und Bundesrat noch offenen Punkte sind im Wesentlichen der Beginn der Umgestaltung von Betriebsprämien im Bereich der Tierproduktion hin zu einer einheitlichen Grünlandprämie und die Ausgestaltung von Cross-Compliance.

Hinsichtlich der Umstellung auf eine einheitliche Grünlandprämie ist uns gestern von Staatssekretär Gerald Thalheim in einer Veranstaltung mit Landwirten signalisiert worden, dass sich die Bundesregierung in dieser Frage auf die Länder zu bewegen wird. Auch an der sicherlich nicht einfachen Umsetzung der europäischen Vorgaben zu Cross-Compliance darf das Gesetzeswerk einfach nicht scheitern. Die in Luxemburg gefassten Beschlüsse - darüber sind wir uns sicherlich einig - stellen nur eine Kompromisslösung dar, eine Kompromisslösung, die im Wesentlichen durch notwendige Zugeständnisse bei den WTO-Verhandlungen bestimmt ist.

Es gilt also jetzt, nationale und regionale Spielräume auszufüllen. Auch unter den Landwirten herrscht in der Frage Flächenprämie, Grünlandprämie, Betriebsprämie bei weitem keine Einigkeit. Für uns Agrarpolitiker muss im Entscheidungsfindungsprozess ausschlaggebend sein, dass die zukünftige Entwicklung der Agrarstruktur insbesondere durch die Schaffung von Eigentumstatbeständen nicht behindert werden darf. Wir haben insofern vor allem gegenüber Unternehmen, die sich erst in Zukunft entwickeln wollen, eine große Verantwortung. Insbesondere junge Landwirte erhalten mit den Reformbeschlüssen Berechenbarkeit und Planungssicherheit.

Die in unserem Antrag angesprochenen Schwerpunkte sind in ihrer Problematik sehr komplex und in der Kürze der Zeit vor dem Parlament nicht darzustellen. Ich möchte deshalb nur auf einen Punkt eingehen, der für die Einbringung dieses Antrags ausschlaggebend war. Es geht um die regionale Kompetenz der Grünlandbewertung.

Die einzelnen Bundesländer haben die Möglichkeit, von der durch die Zusammenführung bestimmter Prämienansprüche errechneten Grünlandprämie abzuweichen. Eine solche Höherbewertung - maximal 15 % der Ackerflächenprämie - würde zwangsläufig zu einer Reduzierung des Prämienanspruchs für Ackerflächen führen. Die Auswirkungen würden sich allerdings in Grenzen halten, da Sachsen-Anhalt im Vergleich zu anderen Bundesländern einen sehr geringen Grünlandanteil hat.

Im Agrarausschuss besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass durch die Umsetzung der Agrarreform vor allem etwas für den Futterbau- und den Grünlandbereich getan werden muss. Ob in diesem Zusammenhang von der Nutzung der Höherbewertung des Grünlandes auf Landesebene Gebrauch gemacht werden sollte, bedarf nach unserer Auffassung einer breiten Diskussion.

Vonseiten des Berufsstandes werden sehr unterschiedliche Argumente in Bezug auf die Umverteilungseffekte angeführt. So ist zu vernehmen, dass eine Grünlandprämie zu höheren Pachtpreisen führe, sodass der Einkommenseffekt der Prämie dem Landwirt nur unzureichend zugute kommt.

So beklagt zum Beispiel der Vorsitzende des Kreisbauernverbandes Quedlinburg in einem Brief an uns die Benachteiligung der Futterbaubetriebe, falls das Kombimodell zur Anwendung kommt.

Andererseits tritt der Kollege Radke dafür ein, die Grünlandstandorte in Bezug auf die Prämien zu stärken und sie mit dem Ackerland gleichzusetzen.

Der Vorsitzende des Kreisbauernverbandes Wittenberg, Karl Berthold, wiederum fordert auf dem jüngsten Kreisbauerntag in Jessen die Landesregierung und das Parlament auf, den Betroffenen, wie den Milchproduzenten, den Mutterkuhhaltern und den Rindermästern, Antworten auf die noch offenen Fragen zu geben.

Sie sehen, der Bedarf für eine öffentliche Anhörung ist enorm. Wir sollten das anstehende Gesetzgebungsverfahren parlamentarisch begleiten.

Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten als oberstes Gremium für Agrarfragen dieses Landes sollte sich der Ausgestaltung der regionalen Spielräume der EU-Agrarreform annehmen und mit fachlicher Unterstützung des Berufsstandes im Rahmen der Meinungsbildung verstärkt agieren.

(Zustimmung bei der PDS)

Die von uns in diesem Zusammenhang geforderte öffentliche Anhörung könnte zudem einen wesentlichen Beitrag zur transparenten Darlegung des Entscheidungsfindungsprozesses beitragen und damit letztendlich zur notwendigen Akzeptanz des Berufsstandes mit beitragen.

Was den Änderungsantrag der CDU angeht, so habe ich mit Freude einen Konsens der Vernunft vernommen. In diesem Änderungsantrag wird unserer Intention weitgehend gefolgt.

Er enthält geringfügige Änderungen, die wir durchaus mittragen. Das gilt zum Beispiel für den Änderungsvorschlag, die Worte „anstehendes Gesetzgebungsverfahren“ durch „laufendes Gesetzgebungsverfahren“ zu ersetzen. Als wir den Antrag erarbeitet haben, stand es noch an. Ebenso spricht nichts dagegen, dass wir Vertreter wissenschaftlicher Gremien mit einladen.

Auch die Begründung ist fast identisch, sodass wir überhaupt kein Problem darin sehen, diesem Änderungsantrag zuzustimmen. Er entspricht genau unserer Intention. Das Wichtigste ist, dass das Ziel erreicht wird. Die Urheberrechte sind in dem Zusammenhang zweitrangig. - Ich danke für diesen Konsens zwischen den beiden Fraktionen.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Hajek. - Zunächst habe ich die Freude, eine Gruppe von Stadträten und Stadtratskandidaten aus Blankenburg zu begrüßen. Sollten auch Stadträtinnen und Stadtratskandidatinnen dabei sein, dann begrüße ich sie besonders herzlich.

(Beifall im ganzen Hause)

Nun hat Frau Ministerin Wernicke das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vom Grundsatz her stimmt die Landesregierung dem Antrag der SPD-Fraktion zu. Allerdings halte ich es für erforderlich, dass man bei einer öffentlichen Anhörung auch der Komplexität dieser anspruchsvollen Pro

blematik gerecht wird. Wenn denn die sozialdemokratischen Agrarpolitiker diese Anhörung auch als Chance sehen, ihren eigenen Wissensstand zu erweitern, dann sollte es mir nur recht sein.

Würden Sie sich an den derzeit doch sehr zahlreich stattfindenden Kreisbauernversammlungen engagiert beteiligen, dann hätten Sie längst erkannt, dass das Thema Agrarreform nicht dazu geeignet ist, nur über Prämienverteilung zu sprechen. Man muss die Reform als Ganzes sehen und möglichst alle Probleme im Zusammenhang besprechen.

Ich erinnere daran, dass die Landesregierung gemäß einem Landtagsbeschluss verpflichtet ist, regelmäßig über den Stand der Verhandlungen zur EU-Agrarreform zu berichten. Das tun wir regelmäßig im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Dabei wurden auch schon eventuelle betriebswirtschaftliche Auswirkungen erörtert.

Seitdem die Vorschläge der EU-Kommission vorliegen, wurden außerdem regelmäßig Anhörungen mit den Verbänden durchgeführt. Aufgrund der besonderen Betroffenheit des Milchsektors fand erst vor wenigen Tagen eine Beratung mit Vertretern der Molkereien, aber auch mit Milcherzeugern statt. Das heißt, auch die Auswirkungen der Reform auf die nachgelagerten Bereiche, insbesondere die Ernährungswirtschaft, werden bereits mit in die Betrachtung einbezogen.

Darüber hinaus - ich glaube, das haben Sie auch festgestellt - nehme ich persönlich oder nimmt mein Staatssekretär bzw. der zuständige Abteilungsleiter für Agrarpolitik an allen Kreisbauernversammlungen teil, um vor Ort auf die Fragen zur Reform eingehen zu können. In diesen Versammlungen treten tatsächlich die Konflikte oder die unterschiedlichen Ansprüche zutage.

Wenn man sich für das Grünland einsetzt, dann muss man in Kauf nehmen, dass das zulasten des Ackerlandes geht. Ich denke schon, dass man offensiv darüber diskutieren muss.

Insofern ist eine laufende Unterrichtung auch des Berufsstandes über den aktuellen Stand des Gesetzgebungsverfahrens bereits gewährleistet. Gleichwohl unterstützen wir die Absicht, eine öffentliche Anhörung im entsprechenden Ausschuss durchzuführen; denn der Antrag der SPD-Fraktion selbst, aber auch die schon genannten Bauernversammlungen zeigen, dass man der Reform nicht immer ausreichend Aufmerksamkeit beimisst und dass noch ein enormer Informationsbedarf besteht.

Mit der EU-Agrarreform wird ein völlig neues System der Direktzahlungen eingeführt. An dieser Stelle reden wir über die Entkopplung der landwirtschaftlichen Prämien von der Produktion. Dieser Systemwechsel ist zweifellos ein ganz wesentlicher Bestandteil der Reform und letztlich Hauptursache für die bewegten Gemüter.

Es ist durchaus nachvollziehbar, dass allgemein besonders die daraus resultierenden einkommensseitigen Auswirkungen interessant sind, aber in einer öffentlichen Anhörung nur darauf einzugehen, würde bei weitem nicht ausreichen. Man muss die Reform unbedingt als Ganzes betrachten; denn das Reformpaket greift in drei Bereiche ein.

Zum ersten sind das die Änderungen der Marktordnungen. Das heißt ganz konkret, es kommt zu einer gravierenden Reduzierung von Preisstützungen. Diese Stütz

preissenkungen sowohl im pflanzlichen Bereich - zum Beispiel bei der Roggenintervention - als auch im tierischen Bereich - zum Beispiel werden die Interventionspreise für Butter und Magermilchpulver sinken - werden einkommensseitig weit mehr durchschlagen als das veränderte Prämiensystem.

Es kommt zu einem weiteren Rückzug der administrativen Einflussnahme auf die Märkte und auf die Preise. Die Sicherheitssysteme werden auf noch niedrigerem Niveau fortgeführt. Dadurch entsteht ein deutlich stärkerer Einfluss tatsächlicher Marktgleichgewichte. Folglich müssen Anpassungsreaktionen der Betriebe erfolgen; denn der Weltmarktpreis greift direkter bei Unternehmensentscheidungen durch.

Zum Zweiten kommt es zu einer völligen Umorientierung im System der Direktzahlungen. Dort geht es eben nicht nur um Entkopplung, dort geht es auch um ein weiteres Element, um die so genannte Cross-Compliance. Hinter diesen englischen Vokabeln verbirgt sich ein höchst interessanter Aspekt. Das ist letztlich ein Tribut an die gestiegenen Anforderungen der Verbraucher.

Es handelt sich dabei um die Umsetzung und die Kontrolle verbindlicher Vorschriften des europäischen Fachrechts in den Bereichen Umwelt, Tierschutz und Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanze. Berührt sind insgesamt 18 Rechtsvorschriften, Verordnungen und Richtlinien, deren Einhaltung keine Fördervoraussetzung ist, die aber wohl für den landwirtschaftlichen Antragsteller bei Nichterfüllung sanktionsrelevant sind. Das heißt, Zuwendungen können gegebenenfalls im Nachgang nach feststehenden Sanktionsregeln gekürzt werden.

Der dritte Bereich der Reform ist die Stärkung der so genannten zweiten Säule, unter anderem durch die Modulation. Darauf möchte ich hier aber nicht weiter eingehen. Das wäre ein weiteres Feld auch für die Anhörung.

Ich denke, dass meine Darlegungen schon gezeigt haben, dass es ganz einfach zu wenig ist, sich nur auf das Betriebsprämien-Durchführungsgesetz zu konzentrieren, wie es im SPD-Antrag gefordert wird. Deshalb ist der Änderungsantrag ein grundlegender Änderungsantrag und betrifft nicht nur Marginalien. Sie beziehen sich nur auf das Betriebsprämien-Durchführungsgesetz. Ich habe ausgeführt, dass man das Paket in der Anhörung betrachten muss, denn dieses Betriebsprämien-Durchführungsgesetz betrifft nur einen Teil der Agrarreform, eben die Entkopplung.

Der vorliegende Gesetzentwurf, der sich bereits im parlamentarischen Verfahren befindet und auch im Bundesrat beraten wird, umfasst acht Artikel. In Artikel 1 des Gesetzentwurfes wird die Umsetzung der Entkopplung geregelt, eben dieses Betriebsprämien-Durchführungsgesetz. In Artikel 2 wird Cross-Compliance geregelt. Das ist das Direktzahlungen-Verpflichtungsgesetz. In Artikel 3 des Gesetzentwurfes werden Festlegungen zur Einrichtung einer zentralen Invecos-Datenbank getroffen. Das ist das zentrale Invecos-Datenbankgesetz. Alle weiteren Artikel betreffen im wesentlichen Folgeänderungen, die sich aus dem Systemwechsel der Produktentkopplung ergeben.

Das beweist, dass es keinesfalls ausreichend ist, lediglich das Betriebsprämien-Durchführungsgesetz parlamentarisch zu begleiten. Insbesondere im Hinblick auf Cross-Compliance besteht aufgrund unterschiedlicher Interessenlagen erheblicher Verhandlungsbedarf. Dies ist umso bedeutender, als das Gesetz als Ganzes bis

zum 1. August dieses Jahres beschlossen sein muss, will man die regionale Durchführung in Deutschland nicht gefährden.

Frau Hajek, nicht nur bei der Wahl des Regionalmodells brauchen wir, die CDU-geführten Länder, die Unterstützung der Sozialdemokraten, sondern insbesondere auch beim Bereich Cross-Compliance bitte ich Sie jetzt schon, auf Ihren grünen Koalitionspartner in der Bundesregierung sehr aufmerksam zu achten.

(Zustimmung von Herrn Daldrup, CDU, und von Herrn Czeke, PDS)

Cross-Compliances können dazu führen, wenn sie zu stringent vorgegeben werden, dass freiwillige Leistungen der Landwirte nicht mehr honoriert werden können und dass tatsächlich bei Verstößen gegen Fachrecht Sanktionsmechanismen gegen die Bauern auftreten. Ich bitte Sie, sich jetzt schon stark zu machen; bitte nicht nur Lippenbekenntnisse gegenüber Ihrem grünen Koalitionspartner auf Bundesebene.

Die oben genannten drei Artikel sind außerdem mit einem erheblichen Mehraufwand an Bürokratie für die Landwirte und für die Verwaltung verbunden. Auch dieser Aspekt darf im Falle einer öffentlichen Anhörung nicht außer Acht gelassen werden. Im Hinblick auf den zu erwartenden bürokratischen Aufwand möchte ich ganz klar zum Ausdruck bringen, dass sich der Einsatz der Landesregierung darauf richtet, sich auf das Unvermeidliche zu beschränken.

Ich sagte schon, die größte Herausforderung auch für die Verwaltung ist das Cross-Compliance-System. Es gibt noch so manches Detail zu klären. Aber auch hierbei ist unsere Richtung zumindest klar umrissen. Cross-Compliance ist ein verpflichtender Bestandteil des Invecos-Systems. Hieraus resultiert die enorme Erhöhung des Verwaltungs- und Kontrollaufwandes. Durch die Zahlstelle im Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt müssen neue Schnittstellen zu neuen Behörden im Zuständigkeitsbereich auch anderer Ressorts geschaffen werden. Steuerungs- und Koordinierungsaufgaben nehmen also erheblich zu und es entstehen regelrecht neue Aufgabenfelder.

Enorme zusätzliche finanzielle Mittel für die technische Ausstattung und das Personal sind erforderlich - ich denke schon an die nächsten Haushaltsberatungen, wenn es wieder um unseren Landeshaushalt geht -; denn es ist zu vermeiden, dass Fehlerquellen entstehen. Jede Fehlerquelle, die vielleicht durch mangelnde Personal- und Technikausstattung entstehen kann, bietet Angriffspunkte für Anlastungen in Millionenhöhe durch die EU-Kommission. Das kann zu Rückforderungen und zum Verwehren von Geldern für das Land führen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Zusammenhänge sollten verdeutlichen, dass eine öffentliche Anhörung über das Thema EU-Agrarreform keinesfalls nur auf die Prämienumverteilung zu konzentrieren ist. Wir müssen über eine völlig neue Ausrichtung der gemeinsamen Agrarpolitik reden und das als Ganzes vermitteln und auch die Konsequenzen für den Landwirt und für die Verwaltung im Land betrachten.