Protokoll der Sitzung vom 06.05.2004

(Herr Kley, FDP: Das ist ein Zweizeiler! - Frau Dr. Kuppe, SPD: Das stimmt nicht! Das ist ein starker Hefter!)

- Das ist kein Zweizeiler, das ist ein dicker Hefter. Ich bringe Ihnen den mit. Das sind einzelne Dinge. Darüber ist wochenlang diskutiert worden.

(Zurufe von der SPD und von der PDS)

Was die Finanzbeziehungen betrifft, ist geregelt - zumindest ist darüber diskutiert worden, weil das ein schwieriges Problem war -, was mit dem Personal wird. Da wurden Regelungen getroffen, wie man das schrittweise hinkriegt. Das bringe ich Ihnen mit. Wenn es in Ihrem Haus nicht vorliegt und Sie es von den kommunalen Spitzenverbänden nicht bekommen, kriegen Sie es von mir.

(Zustimmung bei der SPD - Frau Bull, PDS: Das ist ein ganzer Hefter!)

Danke, Herr Bischoff. - Wir treten ein in das Abstimmungsverfahren zu dem Antrag der Fraktion der SPD in der Drs. 4/1539 und zu dem Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP in der Drs. 4/1585. Über Letzteren stimmen wir zuerst ab. Wer dem Änderungsantrag seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Fraktionen der CDU und der FDP. Wer ist dagegen? - Einer. Wer enthält sich? - Das sind die Fraktionen der SPD und der PDS. Damit ist der Änderungsantrag angenommen.

Wir stimmen jetzt ab über den Antrag der Fraktion der SPD in der Drs. 4/1539 in der soeben geänderten Fassung. Wer diesem seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Kartenzeichen. - Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? - Niemand. Wer enthält sich? - Das sind die Oppositionsfraktionen. Damit ist der Antrag in der geänderten Fassung angenommen worden. Wir verlassen den Tagesordnungspunkt 9.

Ich bitte Sie, mir zu signalisieren, ob wir nach dem Tagesordnungspunkt 11 am heutigen Tag noch den Tagesordnungspunkt 12 behandeln können.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung

Ausbau des Maßregelvollzugs in Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/1540

Einbringerin ist die Abgeordnete Frau Dr. Kuppe für die SPD-Fraktion. Bitte sehr.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Anlässlich einer Veranstaltung zum zehnjährigen Bestehen des Maßregelvollzugsgesetzes in Sachsen-Anhalt im Herbst 2002 würdigte Minister Kley die Arbeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Maßregelvollzugseinrichtungen des Landes und betonte, dass in Uchtspringe und Bernburg moderne, fachlich überzeugende forensische Kliniken entstanden seien, die auch bundesweit anerkannt seien. Dieser Würdigung schließt sich die SPD-Fraktion vorbehaltlos an.

Bei derselben Veranstaltung schätzte der ärztliche Leiter des Maßregelvollzugs Uchtspringe, Herr Dr. Witzel, ein, dass die grundlegenden Bedingungen geschaffen seien und es jetzt darauf ankomme, weiter zu profilieren und sinnvoll zu ergänzen. Genau darum geht es uns in unserem Antrag. Wir wollen einen sachlichen Dialog zwischen dem Landtag, der Landesregierung, den Fachleuten und der Bevölkerung initiieren.

In den vergangenen elf Jahren ist der Maßregelvollzug Schritt für Schritt auf- und ausgebaut worden. In den letzten Bauabschnitten sind die Therapieplätze in Bernburg und Uchtspringe von 250 auf insgesamt 306 aufgestockt worden, zuzüglich neun Plätze in einer Uchtspringer Wohngruppe.

In seinem zehnten Tätigkeitsbericht erkennt der Ausschuss für die Angelegenheiten der psychiatrischen Krankenversorgung in Sachsen-Anhalt die baulichen Strukturen an beiden Standorten als gut gelungen, das Sicherungssystem als modern, die materielle Ausstattung als angemessen und die Behandlungskonzepte als breit gefächert und ausreichend vielschichtig an.

Als immer noch kritisch, wenn auch nunmehr wesentlich verbessert, wird die ärztliche Besetzung bewertet; als größte Schwachstelle wird die Überbelegung der beiden Einrichtungen für forensische Psychiatrie in SachsenAnhalt genannt. Mit diesem Thema beschäftigen sich auch Petitionen von Maßregelvollzugspatienten, die einzelne Fraktionsmitglieder und den Petitionsausschuss erreicht haben.

Der Petitionsausschuss hat sich daraufhin Ende März 2004 vor Ort im Fachkrankenhaus Uchtspringe selbst ein Bild der Lage verschafft und seine Einschätzung anschließend öffentlich gemacht. Es besteht bei allen Beteiligten kein Zweifel daran, dass der Maßregelvollzug weiter ausgebaut werden muss.

Im Jahr 2001 begannen dazu im Gesundheitsministerium und bei der Salus gGmbH die Prüfungen eines dritten Standortes für den Maßregelvollzug in SachsenAnhalt. Im Blickfeld war damals die Liegenschaft der ehemaligen Kinderkurklinik Harzgerode.

Vor ca. einem Jahr berichtete Minister Kley über den damaligen Stand der Einrichtung eines neuen Standortes in Harzgerode im Ausschuss für Gesundheit und Soziales und drückte damals die Erwartung einer baldigen

Umsetzung aus. Im Juli des vergangenen Jahres äußerten sich verschiedene Landtagsabgeordnete der Harzregion überwiegend positiv zu diesen Plänen, während aus den Reihen der Wirtschaft, der Kommunalpolitik und der Bevölkerung kritische Stimmen zu hören waren.

Dennoch war meine Fraktion überrascht, jetzt so ganz nebenbei den Äußerungen des Petitionsausschusses zu entnehmen, dass die Bemühungen um den Außenstandort Harzgerode gescheitert seien und dass nach neuen Lösungen gesucht werde. Den Mitgliedern des Ausschusses für Gesundheit und Soziales fehlt bisher jede Information über diese neuere Entwicklung. Wir wollen Ihnen, Herr Kley, die Gelegenheit geben, das Versäumte nachzuholen.

Die SPD-Fraktion, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist sich sehr wohl bewusst, welch sensibles Thema der Maßregelvollzug darstellt. Deswegen gehen wir diese Problematik auch ohne jede Polemik an, die wir in der vergangenen Legislaturperiode vonseiten der CDU-Fraktion durch Frau Stange hinreichend erfahren mussten. Wir wollen mit unseren Möglichkeiten zu einer sachorientierten, zielführenden Lösung beitragen. Das heißt aber zugleich, im Ausschuss muss Transparenz hergestellt werden, zumal die Zeit drängt.

Wenn sich der Landtag ab September mit dem Entwurf eines Doppelhaushaltes 2005/2006 befassen soll, muss klar sein, wie der Maßregelvollzug erweitert werden soll und welche Kosten damit verbunden sein werden.

Das Wie der Erweiterung ist der entscheidende Punkt. Wir müssen über die zukünftigen Rahmenbedingungen insgesamt und über die Profilierung der einzelnen Standorte im Detail diskutieren. Auch bei einem Ausbau des Maßregelvollzugs muss die Balance zwischen der Besserung der Patientinnen und Patienten auf der einen Seite und der Sicherheit nach innen und nach außen auf der anderen Seite gewahrt werden.

Neben der räumlich-sächlichen Ausstattung spielt die Ausstattung mit ausreichend qualifiziertem Personal eine überragende Rolle. Die Grundlage für die Weiterentwicklung des Maßregelvollzugs in Sachsen-Anhalt muss eine überarbeitete und ergänzte Konzeption sein. Diese muss vor dem Beginn der Haushaltsberatungen in diesem Jahr auf dem Tisch liegen und abgestimmt sein. Die knappe Zeit muss also optimal genutzt werden.

Ich will nur einige Diskussionspunkte ansprechen: Erstens. Wegen der regionalen Verteilung wäre es wünschenswert, den dritten Standort weiter im Süden Sachsen-Anhalts anzusiedeln. Damit wäre die Möglichkeit verknüpft, wohnortnahe Übergangswohnformen, Beschäftigungsprojekte und ambulante Nachsorge besser zu organisieren.

Zweitens. Für einen Außenstandort müssen die Fragen der Kapazität, der Akzeptanz in der Bevölkerung und des Investitionsbedarfs geklärt sein.

Drittens. Auch über die innere Verfasstheit eines neuen Standortes wird zu sprechen sein. Eine reine so genannte Long-stay-Station für Patienten, die nicht mehr therapierbar erscheinen, wird vom Psychiatrieausschuss als riskant bewertet, wenn nicht auch dort ein Mindestmaß an Therapie sichergestellt wird.

Viertens. Das Personalproblem in der forensischen Psychiatrie ist deutschlandweit seit Jahren ein ernstes Problem. Gemeinsam mit den Standesorganisationen der

Ärztinnen und Ärzte, der Psychologinnen und Psychologen, mit den Verbänden der Pflegekräfte und den Ausbildungsstätten, allen voran den beiden medizinischen Fakultäten, sind Zielvorstellungen zur Gewinnung des Nachwuchses zu entwickeln. Zu erörtern wird auch sein, was eine forensische Akademie in Sachsen-Anhalt in der Aus- und Weiterbildung von gutachterlich Tätigen tatsächlich leisten kann.

Fünftens. Die Personalbemessung in den forensischen Abteilungen muss ebenfalls überprüft werden. Im zehnten Tätigkeitsbericht des Psychiatrieausschusses sind Diskrepanzen zwischen dem von ihm errechneten Bedarf analog zur Psychiatrie-Personalverordnung und der vom Finanzministerium bestätigten Personalausstattung offensichtlich geworden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn die Aufmerksamkeit bei diesem Thema hier im Haus nicht besonders groß ist, will ich doch betonen, dass eine überarbeitete und ergänzte Konzeption fachlich, rechtlich und politisch auf der Höhe der Zeit sein muss. Sie muss praxisnah sein und zeitnah umsetzbar erscheinen.

Die bisherigen für den Maßregelvollzug in Uchtspringe und Bernburg geltenden Konzepte stellen, so meine ich, eine gute Grundlage dar, aber eine Weiterentwicklung ist zwingend notwendig. Ich erwarte im Ausschuss für Gesundheit und Soziales intensive Diskussionen mit den Expertinnen und Experten aus dem Gesundheitsministerium, mit den Fachleuten der Salus gGmbH, mit den Mitgliedern des Psychiatrieausschusses, mit den Vertreterinnen und Vertretern der Universitäten und anderer Organisationen. Daher bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei der SPD)

Danke, Frau Dr. Kuppe. - Für die Landesregierung wird Minister Herr Kley sprechen. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Dr. Kuppe, ich möchte Ihnen für Ihr Anliegen danken, hier eine breite Mehrheit zu schaffen, um ein durchaus sensibles Thema behandeln zu können, welches - das weiß sicherlich niemand besser als Sie - nicht immer einfach zu lösen ist, zumal auch jeweils mehrere Partner vor Ort einzubeziehen sind.

Wir werden selbstverständlich gern Ihrer Aufforderung folgen, die Thematik im Ausschuss vor dem Beginn der Beratungen zum Doppelhaushalt 2005/2006 - davon gehe ich aus - intensiv zu erörtern.

Vorab möchte ich bereits Folgendes dazu sagen: Es trifft zu, dass in Sachsen-Anhalt derzeit Plätze fehlen, und zwar aktuell 40 Plätze in Bernburg für die Patienten nach § 64 StGB und 75 Plätze in Uchtspringe für Patienten nach § 63 StGB. Das Problem ist dem Sozialministerium seit längerer Zeit bekannt und es wird intensiv nach Lösungswegen gesucht.

Zu diesen Lösungsansätzen zählen insbesondere die Prüfung der baulichen Erweiterung vor Ort, aber auch die Suche nach Übergangsmöglichkeiten und letztlich neuen Standorten. Konkrete Maßnahmen werden derzeit in Bernburg bereits vollzogen. Der zweite Bauabschnitt mit 32 Plätzen soll noch Ende dieses Jahres

vollendet werden, der dritte Bauabschnitt mit weiteren 48 Plätzen soll im Jahr 2006 fertig gestellt werden. Nach der Schaffung dieser Plätze wäre nach derzeitiger Einschätzung der Situation der Bedarf für einen längeren Zeitraum in Bernburg gedeckt.

Besondere Probleme bereitet uns die Situation in Uchtspringe. Dort laufen derzeit Machbarkeitsstudien für Teillösungen auf dem vorhandenen Gelände. Daneben ist zum Abbau der Überbelegung auf jeden Fall die Realisierung eines dritten Standorts im Land Sachsen-Anhalt erforderlich. Hierzu gibt es einen Kabinettsbeschluss aus dem Jahr 2003 zur Schaffung eines zusätzlichen Standorts für den Maßregelvollzug in Harzgerode - Sie zitierten ihn bereits, Frau Dr. Kuppe. Diesbezüglich befinden wir uns derzeit noch in der baurechtlichen Prüfung. Daneben werden in meinem Haus auch andere Standorte, unter anderem ehemalige Krankenhäuser und Militärstandorte, auf ihre Eignung geprüft.

Die Belegungsentwicklung in Uchtspringe ist bedeutend schwieriger einzuschätzen als die in Bernburg. Während wir in Bernburg davon ausgehen, dass sich in den nächsten Jahren die Belegung bei einer Zahl von rund 170 Plätzen einpendeln wird, kann die Entwicklung in Uchtspringe nur grob geschätzt werden.

Die Gründe für den Anstieg der Belegung, die auch in anderen Bundesländern exorbitante Ausmaße angenommen hat, sind mehrschichtig. Sie liegen unter anderem im Verhalten der Gerichte und der Staatsanwaltschaften auch im Hinblick auf die sich verschärfende Rechtsprechung zur Organisationshaft, möglicherweise auch in den knapperen Kapazitäten im Strafvollzug sowie im Verhalten der Gutachter bei der Votierung von Entlassungsmöglichkeiten usw. usf.

Um der gedrängten Situation in den Einrichtungen gerecht zu werden, haben wir die erforderlichen Mittel vorerst in den Doppelhaushalt 2005/2006 eingestellt. Hierbei geht es zum einen um eine den steigenden Zahlen entsprechende Personalausstattung, zum anderen um Mittel für die Schaffung von Übergangsmöglichkeiten bzw. Notlösungen.

Auch wir sehen die mittlerweile zum Dauerzustand gewordene Überbelegung als erhebliches Sicherheitsrisiko an. So wird die Durchführung von Therapien vor Ort immer schwieriger und kann zum Teil nicht die in angemessener Frist notwendigen Resultate erzielen. Die Folge hiervon ist wiederum, dass weniger Personen entlassen werden können und dass die Überbelegungsproblematik weiter zunimmt.

Für schnelle Zwischenlösungen wurden für den Nachtragshaushalt, der morgen in erster Lesung eingebracht wird, weitere Mittel in Höhe von 3,7 Millionen € vorgesehen. Sie sehen, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass wir uns intensiv um die Lösung dieser Problematik kümmern.

Ich bin mir durchaus bewusst, dass die für die Anpassung an die tatsächliche Belegungssituation im Maßregelvollzug erforderlichen nicht unerheblichen Mittel den ohnehin extrem angespannten Landeshaushalt weiter stark strapazieren. Allerdings ist aus den genannten, unstreitigen Gründen eine Lösung zwingend erforderlich.

Ich bin, wie vorhin schon angedeutet, gern bereit, im Ausschuss für Gesundheit und Soziales zu diesem Thema im Detail zu berichten. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der FDP)