Protokoll der Sitzung vom 17.06.2004

Meine Frage ist: Warum verweigern Sie genau diesen Wettstreit der Konzepte? Denn ich kann mir nicht vorstellen - vielleicht beantworten Sie die Frage nachher -, dass die Landesregierung alle diese Fragen, die Frau Bull aufgeworfen hat, in ihrem Konzept am 2. Juli 2004 aufnehmen wird. Ich bin gespannt; denn das wäre jetzt der Ansatz gewesen, einmal den Diskurs darüber zu führen, an welcher Stelle wir unterschiedlicher oder auch gleicher Meinung sind. Kann ich davon ausgehen, dass das alles bei der Landesregierung auf dem Tisch liegt?

Ich habe eine zweite Frage. Bisher wurde immer gefordert, dass die Abgeordneten auch Vorschläge machen sollen. Jetzt sagen Sie: Wir warten lieber ab, was die Landesregierung bringt. Vielleicht sollen wir die Vorschläge anschließend bringen? Ich dachte aber, über beides im Ausschuss zu beraten, wäre der richtige Weg. Sind Sie nicht auch dieser Auffassung?

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Herr Bischoff, ich bin Ihrer Auffassung, dass wir im Ausschuss darüber diskutieren sollten. Aber ich habe auch gesagt, dass ich diesen populistischen Ansatz, nun unbedingt noch vor der Landesregierung ein Programm einbringen zu wollen, ablehne. Das ist nicht fair. Man muss - das habe ich vorhin auch gesagt - der Landesregierung die Chance lassen, ihr Konzept vorzulegen. Selbstverständlich arbeiten wir, genau wie Sie und die PDS, an Programmen, die wir dort mit einbringen. So soll es auch sein. Deswegen lehnen wir den jetzigen Antrag der PDS-Fraktion ab.

Frau Schmidt, Sie haben als Nächste die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.

Ich dachte, ich kann meine Frage zurückziehen, weil ich ursprünglich die gleiche Frage stellen wollte wie Herr Bischoff. Doch jetzt haben Sie eine neue Frage provoziert. Wie sollen denn die Fraktionen an einem Programm mitarbeiten, wenn die Vorstellungen darüber, was dort mit hinein könnte, im Vorfeld bereits abgelehnt werden, ohne in einen Ausschuss überwiesen zu werden?

Frau Schmidt, wir haben nicht die Vorstellungen abgelehnt. Wir haben es abgelehnt, diesen Antrag heute in den Ausschuss zu überweisen. Sie und die PDS-Fraktion können Ihre Vorstellungen im Ausschuss einbringen. Dann sind wir gern bereit, mit Ihnen um die beste Lösung zu ringen.

(Zustimmung bei der CDU)

Frau Abgeordnete Bull, möchten Sie noch eine Frage stellen? - Nicht mehr. Herr Jantos, vielen Dank. - Frau Abgeordnete Bull, Sie haben noch einmal das Wort.

Herr Jantos, wir sollten noch einmal über den Begriff Populismus miteinander sprechen. Offensichtlich verstehen Sie darunter die Einsparung der Arbeit der Opposition. Dagegen muss ich Einspruch erheben.

(Zustimmung bei der PDS, bei der SPD und von Herrn Jantos, CDU)

Ich habe nun weiß Gott nicht erwartet, dass wir einer Meinung sind. Ich weiß, dass es auch in meiner Partei - ob es in der Fraktion so ist, das weiß ich nicht - zu den Themen Ehegattensplitting oder Kommunalisierung keine homogene politische Auffassung gibt.

(Herr Scharf, CDU: Sie haben doch den Antrag gestellt!)

Aber ich kann Ihnen sagen, was heute wenig substanziell war. Das war Ihre Argumentation gegen die Überweisung dieses Antrages.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD)

Ich bin nun bekanntermaßen ein Mensch, der sich gern mit anderen auseinander setzt. Aber heute war es schwierig, sich mit irgendetwas auseinander zu setzen. Schließlich lautete der Antrag nicht, Ihren Zeitplan durcheinander zu bringen. Das wollte ich Herrn Jantos fragen, wo er das in dem Antrag gelesen hat. Vielleicht habe ich etwas übersehen. Der Antrag lautete auch nicht, die Landesregierung zu beauftragen.

Tatsächlich haben wir im Februar die Landesregierung gefragt: Wie ist denn nun das Konzept? Aber das steht eben jetzt nicht darin. Sie werden uns als Oppositionsfraktion doch wohl gestatten zu sagen: Am 2. Juli steht die Debatte im Ausschuss bevor und das sind unsere Anträge.

Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen! Ihnen stünde mehr politische Größe und weniger Eitelkeit gut zu Gesicht.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung bei der SPD - Oh! bei der CDU)

Vielen Dank, Frau Bull. - Meine Damen und Herren! Wir treten jetzt in den Abstimmungsprozess ein.

Es ist eine Überweisung des Antrages der Fraktion der PDS in die Ausschüsse für Gesundheit und Soziales sowie für Gleichstellung, Kinder, Familie, Jugend und Sport beantragt worden. Wer einer Überweisung des Antrages in die beiden genannten Ausschüsse seine Zustimmung gibt, den bitte ich um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Zustimmung bei der PDS- und bei der SPD-Fraktion. Gegenstimmen? - Bei der CDU-Fraktion. Enthaltungen? - Keine. Damit ist eine Überweisung des Antrags in die genannten Ausschüsse mehrheitlich abgelehnt worden.

Wir stimmen nun über den Antrag als solchen ab. Wer dem Antrag in der Drs. 4/1613 seine Zustimmung gibt, den bitte ich nochmals um das Zeichen mit der Stimmkarte. - Zustimmung bei der PDS-Fraktion und vereinzelt bei der SPD-Fraktion. Gegenstimmen? - Bei der CDU- und bei der FDP-Fraktion. Enthaltungen? - Etliche Enthaltungen bei der SPD-Fraktion. Damit ist dieser Antrag mehrheitlich abgelehnt worden. Der Tagesordnungspunkt 15 ist damit erledigt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung

Modernes Zuwanderungsrecht für Deutschland

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/1621

Änderungsantrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/1659

Einbringerin für die SPD-Fraktion ist die Abgeordnete Frau Krimhild Fischer. Bitte sehr, Frau Fischer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor fast genau einem Jahr haben wir an gleicher Stelle bereits eine Aktuelle Debatte zum Zuwanderungsgesetz auf Antrag der FDP-Fraktion geführt. Genau zu diesem Zeitpunkt wurde durch die Bundesregierung der Vermittlungsausschuss zu diesem Gesetzentwurf angerufen. Jetzt ist ein Jahr vergangen, in dem die Verhandlungen weitergingen. Leider waren sie zum größten Teil von taktischen Erwägungen geprägt. Aber, meine Damen und Herren, es ist vollbracht.

Seit heute wissen wir, dass sich die Bundesregierung und die Opposition endgültig auf einen Zuwanderungskompromiss geeinigt haben.

(Zustimmung von Herrn El-Khalil, CDU)

Bundesinnenminister Schily, sein bayerischer Amtskollege Günther Beckstein und der saarländische Ministerpräsident Peter Müller haben sich heute auf einen Gesetzestext verständigt. Die drei Politiker rechnen mit einer breiten Zustimmung im Bundestag und im Bundesrat.

Nun möchte ich Sie nicht langweilen mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes, wir kennen sie alle. Aber einige wesentliche Stationen möchte ich ganz kurz erwähnen und Ihnen in Erinnerung rufen.

Bereits im Jahr 2000 begann die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Zuwanderung. Otto Schily setz

te im September 2000 eine unabhängige Kommission Zuwanderung ein, deren Bericht Anfang Juli 2001 vorlag. Dieser fand seinen Niederschlag im Gesetzentwurf der rot-grünen Koalition vom November 2001. Die CDU legte unter Leitung von Peter Müller eine eigene Zuwanderungskonzeption vor. Auch die FDP legten ihre Vorstellungen zur Zuwanderung dar.

Es fanden zahlreiche Beratungen im Bundestag und im Bundesrat statt, in denen Rot-Grün bereits auf die Forderungen von CSU und CDU einging. Zahlreiche Änderungsanträge der CDU wurden bereits während der Beratungen berücksichtigt und es kam zur Abstimmung im Bundesrat. Diese Abstimmung ist uns sicherlich noch allen in guter Erinnerung. Denn daran hat sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes angeschlossen.

Im Jahr 2003 wurde erneut ein Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht und nach der dortigen Verabschiedung in den Bundesrat überwiesen. Die Bundesregierung rief nun, wie gesagt, im Juni vergangenen Jahres den Vermittlungsausschuss an. Jetzt endlich, am 25. Mai dieses Jahres, kam es zu einem Kompromiss zwischen dem Bundeskanzler Gerhard Schröder und der Opposition. Dieser Kompromiss sollte durch die Herren Schily, Beckstein und Müller noch in Gesetzesform gegossen werden.

Nach dem nun beschlossenen Kompromiss gingen alle Beteiligten davon aus, dass dieser nicht mehr verhandelbar ist und von keiner Seite neue Forderungen aufgesattelt werden. Umso verwunderter schaute ich gestern in die Tageszeitung. Dort konnte ich lesen, dass es in der Union wieder einmal Streit um das Thema Zuwanderung gibt und CSU-Abgeordnete dem Gesetz nicht zustimmen wollen, vornweg Herr Seehofer.

(Minister Herr Dr. Daehre: Haben Sie nicht gera- de gesagt, dass Sie sich geeinigt haben?)

Das Kuriose ist nur, dass sie einem Gesetz nicht zustimmen wollen, das ihr eigener Minister, Herr Beckstein, verhandelt hat. Ich habe aber die Hoffnung, dass sich die Mehrheit in der CDU und CSU zu dem Kompromiss bekennt, und gehe ferner davon aus, dass das Gesetz nun am 30. Juni im Vermittlungsausschuss behandelt wird und am 9. Juli im Bundestag und im Bundesrat eine Mehrheit findet.

Es ist ein Gebot der Fairness, dass einmal Vereinbartes gilt und nicht wieder durch neue Forderungen verändert werden sollte. Das gilt für alle Beteiligten.

Warum soll es überhaupt ein Zuwanderungsgesetz in Deutschland geben? Dass Deutschland seit Jahrzehnten einen Einwanderungsland ist, darüber besteht nun zum größten Teil, auch parteiübergreifend, Konsens. Seit dem Jahr 1954 wanderten rund 31 Millionen Menschen in Deutschland ein, im gleichen Zeitraum wanderten 22 Millionen Menschen aus, also unter dem Strich eine Nettozuwanderung von neun Millionen Menschen nach Deutschland. Diese Realität wird von fast allen mittlerweile anerkannt - fast, sage ich, denn in Bayern, speziell bei Herrn Seehofer, scheint diese Realität immer noch nicht Einzug gehalten zu haben.

Die Zuwanderung ist eine Bereicherung für unser Land, bedarf aber einer offenen Atmosphäre in der Gesellschaft, damit wir überhaupt attraktiv für die Zuwanderung werden; denn im weltweiten Wettbewerb um die besten Köpfe hinkt Deutschland derzeit noch hinterher.

Die Wirtschaft sieht den Fachkräftemangel als wichtigstes Innovationshemmnis an und fordert seit Jahren ein Zuwanderungsgesetz. Es gilt also, Regeln dafür aufzustellen, wie die Zuwanderung geschehen soll.

Ein weiteres Problem unserer Gesellschaft ist die demografische Entwicklung. Die Bevölkerung wird bis zum Jahr 2050 um 17 Millionen Menschen abnehmen, ohne Zuwanderung würden es sogar 23 Millionen Menschen sein. Gleichzeitig wird sich die Altersstruktur der Gesellschaft verändern.

Wenngleich zurzeit die Zuwanderung für das Land Sachsen-Anhalt nicht die wesentliche Rolle spielt, weil der Ausländeranteil in unserem Land sehr gering ist, bleibt festzuhalten, dass es ein großer Reformschritt in der Geschichte der Bundesrepublik ist, dass ein Zuwanderungsgesetz verabschiedet wird, das die wirtschaftlichen und die arbeitsmarktpolitischen Interessen Deutschlands berücksichtigt, aber auch unseren humanitären und völkerrechtlichen Verpflichtungen gerecht wird.

Das Zuwanderungsgesetz, so wie es verabschiedet werden wird, stellt einen Kompromiss dar. Dessen sind wir uns bewusst. Wir hätten sicherlich an der einen oder anderen Stelle mehr erreichen wollen. Aber es bleibt positiv festzuhalten, dass nach jahrelanger Diskussion nun endlich ein Ergebnis vorliegt. Es zeichnet sich ein breiter gesellschaftlicher Konsens ab. Verschiedene Gruppierungen, wie Gewerkschaften, Kirchen und die Wirtschaft, fordern seit Jahren ein Zuwanderungsgesetz für Deutschland.

Dieses Zuwanderungsgesetz hat nun vier Schwerpunkte; ursprünglich waren es drei: Arbeitsmigration, Integration und humanitäre Fragen. Nach den Anschlägen in Madrid wurde ein vierter Punkt aufgenommen, nämlich die Sicherheitsfragen.

Das Ausländerrecht wird wesentlich vereinfacht. Von bisher fünf Aufenthaltsgenehmigungen wird die Zahl auf zwei Aufenthaltsgenehmigungen reduziert. Die Asylverfahren sollen zukünftig beschleunigt werden und der Aufenthaltsstatus für Menschen, die Opfer nichtstaatlicher oder geschlechtsspezifischer Verfolgung sind, wird verbessert.

Darüber hinaus wird eine Härtefallklausel und eine Härtefallkommission eingerichtet, die Einzelfälle beleuchten soll. Diese Regelung wird befristet eingeführt, damit man Erfahrungen sammeln und diese dann auswerten kann, ob sich eine solche Härtefallregelung als wirksam herausstellt. Die Härtefallregelung wird im Übrigen auch von einigen CDU-Vertretern gefordert, zum Beispiel von Herrn Schönbohm. Wir halten die Einrichtung einer Härtefallkommission in unserem Land nach wie vor für richtig und hoffen, dass sie auch hier in Sachsen-Anhalt eingerichtet wird.

Das Gesetz enthält als zweite Säule Regelungen zur Arbeitsmigration. Danach ist der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Nicht-EU-Ausländer nur gegeben, wenn für die Stelle bundesweit kein Bewerber zur Verfügung steht. Hierüber sollten auch keine Unwahrheiten verbreitet und Ressentiments gegen Ausländer geschürt werden, dass diese Arbeitsplätze wegnehmen würden.