Protokoll der Sitzung vom 18.06.2004

Meine Damen und Herren! Ähnlichen Diskussionsbedarf sehen wir in Bezug auf die Frage der Beendigung der Wahlperiode. Behalten wir die bisherige Regelung bei, landen wir in nicht allzu ferner Zukunft mit der Wahl im Winter - gut, wir Älteren vielleicht nicht mehr, aber die Jüngeren auf alle Fälle.

(Herr Bischoff, SPD: Zu Weihnachten!)

Zum einen findet dann der Wahlkampf in der kalten Jahreszeit statt. Zum anderen würde es nicht gerade die Wahlbeteiligung erhöhen, wenn die Wählerinnen und Wähler bei schlechtem Wetter zur Wahl gehen müssten - leider.

Meine Damen und Herren! Diese und andere Anregungen wurden bei uns in der Fraktion gemacht und unsere Vertreterinnen und Vertreter im Rechtsausschuss werden diese Bemühungen um eine Konsensfindung weiter verfolgen.

Meine Damen und Herren! Abschließend noch eine Bemerkung zum Landtagsinformationsgesetz und zu der dazugehörigen Vereinbarung. Die SPD-Landtagsfraktion

begrüßt es, dass dieses Arbeitsergebnis erreicht werden konnte. Ich erkenne an, dass dies ein Erfolg der regierungstragenden Fraktionen gegenüber der Landesregierung ist. Ich weiß, wovon ich spreche; denn ich blicke auf eine achtjährige Zeit als Minister zurück. Solche Regelungen müssen gegenüber der Landesregierung erst einmal durchgesetzt werden.

Sicherlich mag man beklagen, dass im Gesetz nicht viel mehr als in der Verfassung selbst steht. Aber im Zusammenspiel mit der dazugehörigen Vereinbarung, die die Informationspflichten der Landesregierung detailliert regelt, beschreiten wir in Sachsen-Anhalt richtigerweise einen gangbaren und im Bundesvergleich auch üblichen Weg.

Meine Damen und Herren! Ich komme zum Ende. Bei der Beratung über die heutigen Vorschläge wünsche ich allen Beteiligten eine glückliche Hand. Eine Verfassung ist kein beliebiges Gesetz - das ist bereits mehrfach gesagt worden -, das man nach Lust und Laune ändern kann. Ich würde es begrüßen, wenn wir so sorgsam arbeiten, dass wir erst in späteren Jahren wieder einen Änderungsbedarf an dieser Verfassung feststellen. Dann - das sage ich auch - wünsche ich mir ganz persönlich jedoch eine ausführliche Verfassungsdiskussion mit den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Dr. Püchel. - Ich erteile nun der Vorsitzenden der PDS-Fraktion Frau Dr. Sitte das Wort. Bitte.

Danke schön. - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Tatsächlich, am 16. Juli 1992, also fast genau vor zwölf Jahren, beschloss der Landtag als verfassungsgebende Versammlung mit der erforderlichen Mehrheit von zwei Dritteln, nicht jedoch mit den Stimmen der Mitglieder der PDS-Landtagsfraktion, die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt. Das Land erhielt also eine Verfassung, die Ausdruck der demokratischen Verfasstheit des Landes war und ist und die den grundlegenden Rechtsrahmen für das Zusammenleben der Menschen hier unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen, aber auch vor dem besonderen Hintergrund der Erfahrung mit der DDR-Verfassungswirklichkeit bildete.

Mancher nun ist nach wie vor darum bemüht, der PDS Verfassungsfeindlichkeit nachzusagen und es genau mit diesem Umstand zu begründen, dass wir damals der Landesverfassung unsere Zustimmung verweigert haben. Das war selbstverständlich keine Totalverweigerung gegenüber einer Landesverfassung, sondern es hatte sehr wohl inhaltliche Gründe.

Eine Vielzahl von Änderungsanträgen belegte dies. Anträge mit Bezug auf Grundrechte, zur Ausweitung demokratischer Rechte der Mitbestimmung der Bürgerinnen und Bürger, zur Aufnahme einklagbarer sozialer Rechte sowie von Minderheitenrechten fanden im Landtag damals keine parlamentarische Mehrheit. Selbst unsere Forderung nach einem Volksentscheid zur Landesverfassung wurde damals ebenso abgelehnt, wie ich glaube, auch von der FDP.

Recht schnell war zu bemerken, dass man der Konsequenz verschiedener Verfassungsentwürfe Runder Tische - weder des zentralen in Berlin noch jener in den Ländern - nicht folgen wollte. Dafür sorgten nicht zuletzt Ratgeber, deren Hinweise sich vor allem aus den Erfahrungen im Umgang mit dem Grundgesetz speisten. In vielerlei Hinsicht gingen nämlich die oben angeführten Verfassungsentwürfe auch über die Ansätze des Grundgesetzes hinaus. Mehr Demokratie zu wagen - das traute man sich vor diesem Hintergrund dann doch nicht so recht.

So wurden Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide zwar als Formen direkter Demokratie aufgenommen, sie wurden aber bislang durch die hohen Quoren erheblich behindert. Es bedarf, wie sich gerade erst gezeigt hat, eines erheblichen Aufwandes und eines fast generalstabsmäßigen Herangehens, um die Hürden letztendlich zu überwinden. Allein die mentale Stärke zu entwickeln, sich dieser Aufgabe offensiv zu stellen, bedarf schon eines ausgeprägten Gerechtigkeitsempfindens, eines ziemlich starken Widerstandswillens und vieler Formen der gegenseitigen Ermutigung.

Über lange Jahre blieb es lediglich das Ziel, ein größeres Gleichgewicht zwischen repräsentativer und direkter Demokratie herzustellen. Letztlich mussten für das derzeitige Volksbegehren gegen das Kinderfördergesetz rund 317 000 Unterschriften gesammelt werden, um am Ende - sage und schreibe - 260 588 anerkannte Unterschriften für dessen Zulässigkeit zu bekommen.

Insbesondere die genannten Kritikpunkte waren es, derenthalben wir damals den Beschluss über die Landesverfassung nicht mitgetragen haben. Das zieht aber nichts zwangsläufig die Konsequenz und den Schluss nach sich, dass die PDS die geltende Verfassung nicht anerkennt oder gar missachtet. Im Gegenteil: Diskussionen, Forderungen und Anträge der anderen im Landtag vertretenen Parteien in den letzten Legislaturperioden, die aus unserer Sicht erhebliche Einschränkungen von Grund- und Freiheitsrechten darstellten - ich möchte nur an die Verschärfung des Polizeigesetzes oder des Straftäterunterbringungsgesetzes erinnern -, haben uns mehrmals in die Situation gebracht, die Landesverfassung und das Grundgesetz gegen derartige Aushöhlungen zu verteidigen.

(Beifall bei der PDS)

Aus unserer Sicht sollten in der Verfassung Maßstäbe für eine humane Gestalt der sozialen und individuellen menschlichen Existenzen verankert sein, die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger des Landes unterstützt werden und weitreichende individuelle Gestaltungsmöglichkeiten gegeben sein. Wir sind für die verfassungsrechtliche Verankerung von mehr demokratischem Engagement, wollen Demokratie lebendiger gestalten und viele Bürgerinnen und Bürger ermutigen, sich für das Gemeinwesen einzusetzen, um die Mitwirkung über die Wahlbeteiligung hinaus zu fördern oder sogar herauszufordern.

Nach nunmehr zwölf Jahren bahnt sich also - wie schon erwähnt - auf der Grundlage eines Kompromisses zwischen allen vier Landtagsfraktionen erstmalig eine Änderung der Landesverfassung an, unter anderem für eine Erleichterung der Volksgesetzgebung sowie für eine Stärkung der direkten Demokratie. Wir begrüßen das ausdrücklich, betonen aber zugleich, dass unsere Vorstellungen ursprünglich darüber hinausgingen und sich

insbesondere an der vom Thüringer Landtag am 13. November 2003 einstimmig beschlossenen Verfassungs- und Gesetzesänderung zur Erleichterung von Volksbegehren und Volksentscheiden in Thüringen anlehnten. Wir hielten das auch für das Land Sachsen-Anhalt für akzeptabel.

Nichtsdestotrotz akzeptiert die PDS-Fraktion den eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt vor allem vor dem Hintergrund, dass sonst die Gefahr besteht, keinerlei Erleichterungen hinsichtlich plebiszitärer Elemente umsetzen zu können. Das würde sich bei dem absehbaren starken Rückgang der Bevölkerungszahl doppelt negativ auswirken und sich als noch größeres Problem darstellen.

Mit der eingebrachten Änderung sollen insbesondere drei wesentliche Ziele erreicht werden. Es sind noch einige Punkte mehr, aber das sind die drei Ziele, die wir hier für erwähnenswert halten.

Das erste Ziel ist die Absenkung der Quoren für eine Volksinitiative von 35 000 auf 30 000 Unterschriften sowie für Volksbegehren von 250 000 notwendigen Unterschriften auf 11 % der wahlberechtigten Bevölkerung.

Die meisten Staaten Europas und Nordamerikas und alle deutschen Bundesländer kennen Formen direkter Demokratie. In den zuletzt genannten Bundesländern - bis auf Bayern - sind die Hürden durch die Zahl der notwendigen Unterschriften, durch die geforderten Zustimmungsquoren sowie Fristen zum Teil derart hoch, dass das Institut der Volksinitiative, des Volksbegehrens und des Volksentscheides in der Verfassungswirklichkeit nur eine geringe Rolle spielen kann.

Mit der beabsichtigten Änderung der Quoren soll die repräsentative Demokratie weder in ihrem Stellenwert herabgesetzt oder gar gefährdet noch durch die direkte Demokratie ersetzt werden. Direktdemokratische Elemente ergänzen also unter diesem Blickwinkel das repräsentative System. Die Gesetzgebung durch das Parlament bleibt die Regel.

Ich möchte an dieser Stelle den Verfassungsrechtler Johannes Rux aus Berlin zitieren. Er schreibt:

„Das bayerische Beispiel zeigt, dass Volksabstimmungen keine Gefahr für die Stabilität eines politischen Systems mit sich bringen müssen. Die viel beschworene Gefahr, dass Parlamentarier durch Plebiszite dazu verführt würden, die Verantwortung für kritische Entscheidungen auf die Bürger abzuwälzen, erscheint angesichts der praktischen Erfahrung unbegründet.“

Im Übrigen will ich erwähnen, dass Politikerinnen und Politiker derzeit wahrlich nicht den Eindruck erwecken, als ob sie bereit wären, wichtige Fragen den Bürgerinnen und Bürgern zur Entscheidung zu überlassen. Ich weise damit auf die bereits erwähnte EU-Verfassung.

(Beifall bei der PDS)

Plebiszitäre Elemente dürfen sich also nicht nur als schmückendes Beiwerk einer möglichen Korrektur staatlicher Entscheidungen darstellen, sondern müssen vom Verfassungsgesetzgeber als eine tatsächliche Ergänzung der repräsentativen Demokratie durch Elemente einer partizipativen Demokratie gewollt sein. Der erste Schritt auf diesem Weg wurde mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zurückgelegt.

Das zweite Ziel ist die Verlängerung der Wahlperiode von vier auf fünf Jahre. Dieser Zeitraum - das wissen wir - ist bereits in vielen Landtagen gängige Praxis. Dabei sollten bei der beabsichtigten Verfassungsänderung durchaus folgende Aspekte abgewogen werden:

Erstens. Mit einer kontinuierlichen Erneuerung der demokratischen Legitimation des Parlaments über eine Wahl durch die Bürgerinnen und Bürger des Landes wird auch eine eventuell notwendige Wahlkorrektur möglich.

Zweitens. Der Ausbau plebiszitärer Elemente muss als wirkliches Gegengewicht zur unmittelbaren Demokratie stehen, um die direkten Mitwirkungsmöglichkeiten der Menschen an politischen Entscheidungsprozessen zu verbessern.

Drittens muss die Möglichkeit eines wirksamen und kontinuierlichen Agierens des Parlamentes gegeben sein.

Viertens. Neue Parlamentarier erhalten die Möglichkeit, sich intensiver in ihr neues Aufgabenfeld einzuarbeiten.

Fünftens. Das letzte Jahr einer Legislaturperiode wird in der Regel unter dem Blickwinkel des Wahlkampfes genutzt.

Sechstens ist die Realisierung größerer und mutiger Reformvorhaben im Sinne von Verbesserungen möglich.

Im Interesse des Ausbaus plebiszitärer Elemente und damit als Bestandteil des Verfassungskompromisses wird die PDS-Fraktion einer Verlängerung der Wahlperiode zustimmen.

Das dritte Ziel - darüber hat Professor Spotka schon ausführlich gesprochen - ist die verfassungsrechtliche Ausgestaltung der Wahl der Mitglieder des Landesverfassungsgerichtes, des Präsidenten des Landesrechnungshofes und des Landesbeauftragten für den Datenschutz als explizite Aufgabe des Landtages. In diesem Zusammenhang soll auch das Recht des Landtagspräsidenten zur Ernennung und Entlassung von Amtsinhabern gestärkt werden. Wir halten das für absolut sachgerecht und angemessen.

Die Mitglieder der Fraktion der PDS werden den vorliegenden Gesetzentwurf zur Verfassungsänderung mittragen. Er ist ein Kompromiss, bleibt allerdings hinter unseren Vorstellungen von modernen verfassungsrechtlichen und direktdemokratischen Regelungen zurück. Aber er ist e i n Meilenstein und Impuls auf den Weg zu einer modernen, zeitgemäßen und zukunftsorientierten Landesverfassung. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Dr. Sitte. - Bevor für die FDP-Fraktion der Fraktionsvorsitzende Herr Lukowitz spricht, möchte ich Auszubildende der Berufsschule I Magdeburg auf der Tribüne begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Soeben hat Frau Sitte darauf hingewiesen: Am 16. Juli dieses Jahres jährt sich zum zwölften Mal der Geburtstag unserer Landesverfassung. Das ist ein wichtiger und auch erfreulicher

Teil unserer sachsen-anhaltinischen Landes- und Staatsgeschichte. Herr Dr. Püchel hat das, glaube ich, umfassend begründet.

Verfassungen sind der Idee nach dauernde Grundsicherungen, das ruhende, beharrende, stabilisierende Moment des staatlichen Lebens. Die oft entfesselte Dynamik des Tagesgeschehens oder auch von politischen Launen sollten und dürfen in der Verfassungspolitik keinen Platz haben. Allzu häufige Verfassungsänderungen, meine Damen und Herren, schaden dem Ansehen einer Verfassung. Das wurde in Sachsen-Anhalt über ein Jahrzehnt beherzigt, dank auch der verantwortungsvollen und behutsamen Amtsführung der drei bisherigen Präsidenten dieses Hauses: Präsident Keitel, Präsident Schaefer und Präsident Spotka. Das würdigen die Liberalen im Landtag von Sachsen-Anhalt ausdrücklich, meine Damen und Herren.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Aber auch Verfassungen müssen lebendig sein und erlebte Staatspraxis ihrer Zeit und die in ihr wirkenden Menschen und ihre Ideen widerspiegeln.

Wenn also heute erstmals ernsthaft - weil von einem breiten verfassungspolitischen Konsens dieses Hauses getragen - nach zwölf Jahren bewährter Verfassungspraxis an die Änderung der Landesverfassung herangegangen wird, ist mir doch ein Blick in deren Entstehungsgeschichte auch persönlich sehr wichtig, weil ich dies Anfang der 90er-Jahre auch persönlich miterleben durfte.

Ich möchte in Erinnerung rufen, dass wir am 25. Juni 1992 in diesem Saal, der damals noch ein anderes, ja provisorisches Aussehen hatte, unsere Landesverfassung in zweiter Lesung beraten haben. Es war - alle, die dabei waren, werden sich sicherlich mit mir erinnern - der Tag der Beratung über die Beschlussempfehlung des Verfassungsausschusses zu den drei vorliegenden Verfassungsentwürfen, über zahlreiche Änderungsanträge, über den Bericht des Vorsitzenden des eigens dafür eingerichteten Ausschusses Herrn Dr. Reinhard Höppner, der eine unermüdliche Arbeit an dieser Verfassung geleistet hat, und einer, wie ich noch heute finde, sehr denkwürdigen Aussprache in diesem Haus.