Protokoll der Sitzung vom 08.07.2004

Im Bundesrat wird derzeit ein Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg beraten, der die Legalisierung der anonymen Geburt zum Gegenstand hat. Der Gesetzentwurf sieht ein neu zu regelndes Geburtsberatungsgesetz vor, das eine Beratungspflicht der Mutter als Voraussetzung für die anonyme Geburt vorschreibt.

Die Beratung soll durch Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen durchgeführt werden. Diese haben die Not- und die Konfliktlage der Frau zu prüfen. Sie haben die persönlichen Daten der Mutter aufzunehmen und dem zuständigen Standesamt zu übermitteln. Hierauf kann nur in Ausnahmefällen verzichtet werden.

Nach Vollendung des 16. Lebensjahres kann das Kind auf Antrag Einsicht in die beim Standesamt verwahrten Unterlagen über die Identität der Mutter erhalten. Um allerdings dem Begriff der anonymen Geburt gerecht zu werden, soll die Mutter vor einer Auskunftserteilung ein Vetorecht haben, wenn sie glaubhaft versichert, dass die Offenlegung ihrer Identität schwerwiegende Beeinträchtigungen für sie oder für ihre Familie bewirken würde.

Der jetzt zur Beratung vorliegende Entwurf entspricht - darauf haben Sie auch hingewiesen - in wesentlichen Teilen dem französischen Verfahren, das im Jahr 2002 eingeführt wurde. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte festgestellt, dass die französische Regelung mit der europäischen Menschenrechtskonvention zu vereinbaren ist.

Das ist letztlich auch der Grund dafür, dass das Gesetzgebungsvorhaben vom Land Baden-Württemberg erneut aufgegriffen worden ist. Dies vorausgeschickt, nehme ich zu den einzelnen Punkten Ihres Antrages wie folgt Stellung.

Unter Punkt 1 des Antrages wird gefordert, dass sich die Landesregierung im Bundesrat für eine Legalisierung der anonymen Geburt einsetzen solle. Das ist im Verlauf des bisherigen Verfahrens bereits geschehen. Das Land Sachsen-Anhalt hat im Rechtsausschuss und in sämtlichen anderen beteiligten Ausschüssen die Einbringung dieses Gesetzentwurfs in den Bundestag ausdrücklich unterstützt.

(Zustimmung von Frau von Angern, PDS)

Gegenwärtig ruhen die Beratungen jedoch, da der Ausschuss für Frauen und Jugend mehrheitlich eine Vertagung über die Sommerpause bis zum 8. September 2004 beschlossen hat. Das soll aber das Verfahren, wie mir kundgetan wurde, nicht generell aufhalten, sondern es sind noch einige Fragen zu klären.

Die in Ihrem Antrag des Weiteren geforderte Ermöglichung der Kontaktaufnahme der Mutter mit den beteiligten Behörden ist insoweit gewährleistet, als der Gesetzentwurf vorsieht, dass die Mutter dem Kind nach der Beratung oder zu einem späteren Zeitpunkt zusammen mit

ihren persönlichen Daten eine Nachricht hinterlassen kann, die dem zuständigen Standesamt in einem verschlossenen Kuvert übermittelt wird.

Auf seinen Antrag hin kann das Kind - ich sagte es schon - nach Vollendung des 16. Lebensjahres Einsicht in die von der Mutter hinterlegten Unterlagen verlangen, soweit die Mutter nicht aus besagten Gründen von ihrem Recht Gebrauch macht, dieser Einsichtnahme zu widersprechen.

Hierdurch soll auch gewährleistet werden, dass eine Identitätsprüfung der Mutter möglich ist, falls sich diese später zu dem Kind bekennen möchte. Es kann schließlich auch umgekehrt sein, nämlich dass jemand behauptet: Dieses schöne und kluge Kind gehört mir. Dann steht man vor der Frage, ob es wirklich so ist. Deshalb muss man die Möglichkeit der Identifikation auch von der anderen Seite her haben.

Das unter Punkt 3 Ihres Antrages geforderte Beratungsangebot soll durch das bereits eingangs erwähnte Geburtsberatungsgesetz gewährleistet werden. Danach ist die ergebnisoffene Beratung der Mutter eine Voraussetzung für eine anonyme Geburt.

Soweit mit dem Antrag auch gefordert wird sicherzustellen, dass die Mutter und nicht ein Dritter gegen ihren Willen das Kind zur Adoption frei gibt, gilt bereits nach jetziger Rechtslage, dass zur Annahme eines Kindes die Einwilligung der Eltern, also auch der Kindsmutter, erforderlich ist. So schreibt es § 1747 Abs. 1 Satz 1 BGB vor.

Die Einwilligung kann allerdings schon heute nach § 1748 Abs. 1 Satz 1 BGB ersetzt werden, wenn zum Beispiel ein Elternteil durch sein Verhalten gezeigt hat, dass ihm das Kind gleichgültig ist. Diese Voraussetzung wird anzunehmen sein, wenn die Kindsmutter nach der Geburt anonym bleiben will und sich nicht zu ihrem Kind bekennt. Damit wird das Kindswohl über das natürliche Recht der Eltern gestellt. An diesen Regelungen hat der Gesetzentwurf nichts geändert.

Im Ergebnis halte ich sämtliche Punkte des vorliegenden Antrages durch das gegenwärtige Gesetzgebungsverfahren bereits für erledigt. Dennoch trete ich einer Ausschussüberweisung nicht entgegen, weil es diesbezüglich sicherlich noch über sehr interessante und wichtige Fragen zu diskutieren gilt. - Danke schön.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der PDS und von Herrn Bischoff, SPD)

Vielen Dank, Herr Minister Becker. - Nun bitte die Beiträge der Fraktionen. Es spricht für die FDP-Fraktion zunächst Herr Kosmehl.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Gesellschaft, die es zulässt, dass Kinder in einem Umfeld geboren werden, das die Gesundheit oder sogar das Leben des neugeborenen Kindes und/oder der Mutter aufs Spiel setzt, ist eine unmenschliche Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die es zulässt oder ermöglicht, dass ein Kind ohne Kenntnis seiner Abstammung aufwächst, beraubt das Kind seiner Wurzeln und verletzt das Persönlichkeitsrecht des Kindes.

Das sind nur zwei Aspekte, zwei Argumente im Rahmen der Diskussion über die rechtliche Ermöglichung, also die Legalisierung der anonymen Geburt. Tatsächlich finden bereits anonyme Geburten in Deutschland statt. 40 bis 50 Fälle sollen es jährlich sein; die Dunkelziffer dürfte erheblich höher liegen.

Mit einer gesetzlichen Regelung würde zunächst - das sollte unstreitig zu begrüßen sein - Mutter und Kind eine medizinisch begleitete und überwachte Geburt ermöglicht, ohne dass sich daraus rechtliche Konsequenzen für alle Beteiligten ergäben. Daher bin ich froh, dass das Thema der anonymen Geburt über einzelne Projekte hinaus bereits den Weg in ein Gesetzgebungsverfahren gefunden hat.

Aber genau hier, bei der Umsetzung in das Recht unter Wahrung der verfassungsrechtlichen Vorgaben, ergeben sich aus der Sicht der FDP-Fraktion einige Probleme, insbesondere das bereits einleitend angesprochene Spannungsfeld zwischen der Hilfestellung für Mutter und Kind in Extremsituationen und dem verfassungsmäßig garantierten Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung. Unter anderem aus diesem Grund wird über den von der CDU-FDP-Regierung in Baden-Württemberg initiierten Gesetzesantrag für den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der anonymen Geburt seit über zwei Jahren in den Ausschüssen des Bundesrates beraten.

Heute kann festgestellt werden, dass der mittlerweile im Unterausschuss Recht zusammengeführte und verabschiedete Gesetzesantrag der Länder Baden-Württemberg und Bayern und die damit verbundene Schaffung eines umfänglichen Geburtberatungsgesetzes bereits einige unserer Bedenken ausgeräumt hat.

Da ist als Erstes die nunmehr vorgesehene eingehende, detailliert ausgestaltete Pflichtberatung der Mutter zu nennen. Aus den verschiedenen Projekten, insbesondere aus dem bayerischen Projekt „Moses“, war die Erkenntnis zu gewinnen, dass sich in einer Vielzahl der Fälle die beratene Mutter für das Kind und gegen die Anonymität entschieden hat. Das sollte unser vorrangiges Ziel sein.

Eine weitere wichtige Änderung ist die Einführung der so genannten geheimen Geburt als Vorstufe zur anonymen Geburt. Hierbei werden die Angaben der Mutter von der Beratungsstelle aufgenommen und nach der Mitteilung über die Geburt von der Einrichtung, also dem Krankenhaus, zusammen mit den Daten des Kindes in einem verschlossenen Kuvert an das Standesamt weitergeleitet. Nur in den Fällen, in denen eine extreme Konfliktsituation mit Gefahr für Leib oder Leben der Mutter oder des Kindes vorliegt, sollen diese Angaben nicht erhoben bzw. nicht weitergeleitet und somit eine anonyme Geburt ermöglicht werden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich aber noch auf einige Bedenken eingehen, die auch in der nun vorliegenden Fassung des Geburtsberatungsgesetzes bzw. des gesamten Gesetzgebungsverfahrens nicht ausgeräumt worden sind:

Ausgehend von dem vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung, ist es meines Erachtens bedenklich, dass die Mutter bei der anonymen Geburt nur freiwillige Angaben über ihre Person preisgeben soll, die das Kind mit Vollendung des 16. Lebensjahres einsehen kann. Hierzu hat der Minister ausgeführt, dass es auch noch das Vetorecht gibt. Sie kann also auch noch widersprechen. Ich

glaube, dass Freiwilligkeit nicht ausreicht und aus meiner Sicht auch verfassungsrechtlich bedenklich ist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren Kollegen der PDS! Wie Minister Herr Becker erwähnt hat, haben sich die meisten Punkte ihres Antrages bereits aufgrund des oben genannten Gesetzgebungsverfahrens im Bundesrat - spätestens im Monat September ist mit einer Verabschiedung zu rechnen - erledigt. Die FDP-Fraktion regt trotzdem eine Überweisung in den Ausschuss für Recht und Verfassung - federführend - und in den Ausschuss für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport - mitberatend - an.

Gleichzeitig regen wir an, im Rahmen der Ausschussberatungen eine Anhörung durchzuführen, die sowohl die rechtlichen als auch die menschlichen Aspekte dieses Themas eingehend beleuchtet. Dazu gehören beispielsweise auch die Frage nach den Rechten des Vaters des betroffenen Kindes und nach den tatsächlich anfallenden Kosten für Kommunen und Länder, die im Gesetzesantrag noch nicht eindeutig beziffert werden konnten.

Ich freue mich auf eine intensive Beratung in den Ausschüssen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU - Zustim- mung bei der PDS und von Herrn Bischoff, SPD)

Vielen Dank, Herr Kosmehl. - Nun erteile ich Frau Schmidt für die SPD-Fraktion das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Immer wieder hören und lesen wir von Fällen, in denen Kinder bzw. Säuglinge ausgesetzt wurden. Wie reagieren wir? - Doch meistens mit blankem Entsetzen, mit der Frage: Wie kommt eine Mutter dazu, ihr Kind einfach irgendwo hinzulegen, wo es dann meistens - bei Säuglingen innerhalb kürzester Zeit - an Unterkühlung stirbt? Wie viel Leid, wie viel Aussichtslosigkeit treibt eine Frau dazu, heimlich zu entbinden und das Baby auszusetzen? Einige der Gründe, die eine Mutter dazu bewegen, hat Frau Ferchland in ihrer Einbringungsrede bereits genannt.

Ein Wechsel der Politik, eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit für diese Problematik und die Einsicht, dass diese Mütter nicht kriminell sind, entstanden mit der Aktion „Findelkind“ in Hamburg. Damit ist auch - das ist allgemein bekannt - die Babyklappe geboren worden. Aber das allein war es nicht. Dort wird eine intensive Beratung angeboten, und zwar eine anonyme Beratung, wenn die junge Frau das so möchte. Außerdem bietet die Babyklappe die Möglichkeit, ein Kind, ein Baby, geschützt abzugeben.

Dieses Projekt war der Start für die Babyklappe - ein geschützter warmer Raum, gut überwacht, sodass dem Kind nicht nachträglich durch eventuelle Unterkühlung oder andere Gefahren etwas zustößt. Sofort erfolgt eine Pflege des Babys und die Mutter hat acht Wochen lang oder noch länger die Möglichkeit, sich zu dem Kind zu bekennen. Vor allem aber ist der Druck genommen; denn die Mutter unterliegt in dem Fall keiner Strafverfolgung.

Übergebene Kinder sind - so sagt es die Statistik - ca. zwei Stunden bis zehn Tage alt. Auch das ist ein Zeichen dafür, wie hoch der psychische Druck bei einer Mutter noch nach der Geburt ist.

Der Übergabe eines Kindes in eine Babyklappe geht eine heimliche Geburt ohne medizinische Versorgung voraus. Das ist die Crux dabei, das Kritische, und zwar für das Kind und für die Mutter; denn nicht jede Geburt verläuft reibungslos. Das wissen wir. In einer Klinik kann eine sofortige intensive medizinische Betreuung erfolgen. Gesundheitliche Schäden bei Kindern und Müttern können so weit wie möglich vermieden werden.

Aus diesem Grund ist eine Legalisierung der anonymen Geburt in einer Klinik nur zu begrüßen. Die Legalisierung würde auch die Entbindung mit falschen Sozialversicherungskarten vermeiden helfen. Darüber hinaus wären in einer Klinik eine längere Schwangerenbetreuung im Vorfeld mit einer anonymen Beratung und auch eine Beratung und Betreuung nach der Entbindung möglich. Ich bin mir ganz sicher, dass sich mehr Mütter im Anschluss an eine solche Beratung und auch nach einem Zusammensein mit dem Kind zu ihrem Kind bekennen würden.

Für das Kind kommt noch ein Vorteil dazu: Es ist nicht mehr total anonym. Zumindest das Geburtsdatum ist bekannt. Damit gilt es nicht mehr als Findelkind; denn es ist eine Angabe vorhanden.

Initiativen zur anonymen Geburt gibt es bereits seit längerem. Wir haben heute gehört, dass sich bereits der Bundesrat damit befasst und es im September noch einmal behandelt; hoffentlich wird es auch verabschiedet werden.

Aber die völlig anonyme Geburt - auch das haben wir gehört - hat auch Nachteile für das Kind. Es hat im Nachgang keine Chance, sein Herkunft zu erfahren und damit sein Menschenrecht auf Kenntnis der eigenen Identität wahrzunehmen. Ich erinnere daran - das ist heute schon gesagt worden -, dass es in Frankreich nicht nur die Möglichkeit der anonymen Geburt, sondern auch die der geheimen Geburt gibt. Dabei fließt alles mit ein, was Herr Becker vorhin gesagt hat.

Meine Redezeit geht zu Ende; deshalb will ich nicht weiter auf die rechtlichen Aspekte eingehen. Wir haben uns im Vorfeld bereits darüber unterhalten. Da die Problematik sehr wichtig ist, sollten wir uns im Ausschuss ausführlich darüber unterhalten. Der einzige Dissens in Bezug auf den Vorschlag der FDP-Fraktion besteht darin, dass ich gern den Gleichstellungsausschuss mit der Federführung betraut sehen möchte; der Ausschuss für Recht und Verfassung sollte mitberatend sein. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Vielen Dank, Frau Schmidt. - Nun spricht für die CDUFraktion Frau Brakebusch. Bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren Abgeordnete! Jeder von uns hat schon mit Erschütterung die Zeitungsmeldungen zur Kenntnis nehmen müssen, nach denen Babys direkt nach der Geburt getötet, auf Müllkippen geworfen oder einfach ausgesetzt wurden. Wir alle haben uns gefragt: Was muss in diesen jungen Müttern vorgehen, dass sie zu solchen Taten fähig sind? Wie herzlos - nein, wie verzweifelt müssen sie sein?

Um diesen Frauen einen Ausweg aufzuzeigen, wurde seit dem Jahr 2000 bundesweit eine Reihe von Baby

klappen eröffnet. Dort haben die Frauen die Möglichkeit, ihr Neugeborenes anonym abzugeben, ohne dass das Kind dabei zu Schaden kommt. Doch bis zum Abgeben in einer so genannten Babyklappe sind sowohl die Mutter als auch das Kind erheblichen Gefahren ausgesetzt. Die betroffenen Mütter sehen sich häufig gezwungen, nach einer verheimlichten Schwangerschaft den Säugling allein und ohne medizinische Hilfe zur Welt zu bringen.

(Heiterkeit bei der FDP)

- Ich denke nicht, dass das so lustig ist, Herr Dr. Schrader.

(Zustimmung von Herrn Tullner, CDU - Frau Rö- der, FDP: Nein, nein, nicht deswegen!)