Protokoll der Sitzung vom 16.09.2004

- Moment, lassen Sie mich weiterreden. - Der jeweilige Tariflohn der Branche minus 30 %, das ist der niedrigste Satz, zu dem ein Arbeitsloser einen Job akzeptieren muss.

(Frau Bull, PDS: Es ist nicht im Ernst Ihre Ar- mutsgrenze!)

Was die Einführung eines Mindestlohnes erreichen könnte, wäre allenfalls ein politisches Signal in Richtung der von Hartz IV Betroffenen.

Es sprechen aber noch weitere Argumente gegen einen Mindestlohn. Einige wurden schon genannt. Die Befürchtung von Schwarzarbeit oder auch die Umgehung eines solchen Mindestlohns wurden angesprochen. Es gibt zahlreiche Landschaftsarchitekten oder Landschaftsgärtner, die Straßen bauen und offiziell nicht mehr im Baugewerbe beschäftigt sind.

Erwähnt wurde bereits, dass die Tarifhoheit in den Händen der Sozialpartner liegt und der Staat sich nicht einzumischen hat. Es gibt in Deutschland das Instrument der Allgemeinverbindlichkeitserklärung. Herr Metke wollte das im Wirtschaftsausschuss ansprechen. Diese Möglichkeit hat das Bundeswirtschaftsministerium und es nutzt sie auch in einigen Bereichen. Genau auf diesem Wege, dass der Gesetzgeber die Beschlüsse der Sozialpartner nachzeichnet, wird in anderen europäischen Ländern de facto ein Mindestlohn festgelegt. Wie gesagt, diese Möglichkeit hat der Bundeswirtschaftsminister auch heute, er kann sie nutzen. Unter diesem Aspekt ist die Festlegung eines gesetzlichen Mindestlohnes überflüssig.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung zu der Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Danke, Frau Abgeordnete Röder. - Für die SPD-Fraktion wird der Abgeordnete Herr Metke sprechen. Bitte.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, dass insbesondere die Redebeiträge von CDU- und FDP-Fraktion deutlich gemacht haben, dass wir sehr wohl im Ausschuss darüber hätten diskutieren müssen; denn in einer Fünfminutendebatte kann man in der Tat dieses Thema nicht behandeln. Das hat man insbesondere bei Herrn Laaß gesehen, der einiges durcheinander geworfen hat. Das war zumindest mein Eindruck.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Meine Damen und Herren! Obwohl es in der Vergangenheit immer wieder Diskussionen zur Einführung von Mindestlöhnen gab, hat der Gesetzgeber auf der Bundesebene auf gesetzlich geregelte Mindestlöhne bisher verzichtet. Die geplante Zumutbarkeitsanordnung im Zusammenhang mit der Umsetzung von Hartz IV hat aktuell eine erneute Diskussion ausgelöst.

Noch fehlen die konkreten Erfahrungen, da die verschärfte Zumutbarkeitsanordnung erst zum 1. Januar 2005 in Kraft treten soll; aber bereits jetzt ist absehbar, dass bei einer konsequenten Anwendung durch die Arbeitsverwaltung ein freier Fall der Löhne nach unten befürchtet werden muss. Das ist in der Debatte noch einmal deutlich geworden.

Ursprünglich war von der Bundesregierung geplant, die Tarifentgelte der jeweiligen Branchen bzw. das ortsübliche Entgeltniveau als untere Grenze für die Zumutbarkeit eines Arbeitsplatzes festzulegen. Zur Wahrheit gehört deshalb die Tatsache,

(Zuruf von Frau Bull, PDS)

dass Union und FDP im Vermittlungsausschuss dafür gesorgt haben, dass diese Regelung ersatzlos gestrichen wurde.

(Zustimmung bei der SPD - Beifall bei der PDS)

Die verschärfte Zumutbarkeitsanordnung wird sich insbesondere in Ostdeutschland in erheblichem Umfang negativ auswirken. So können beispielsweise junge Menschen, die nach ihrer Ausbildung nicht übernommen werden und familiär ungebunden sind, bereits nach kurzer Zeit auf Billigjobs und dann sehr wahrscheinlich in die westlichen Bundesländer vermittelt werden. Das Problem der Abwanderung aus Sachsen-Anhalt wird damit zusätzlich potenziert.

(Zustimmung von Frau Ferchland, PDS)

Um es anders auszudrücken: Mit dieser Regelung treiben wir junge Leute geradezu aus dem Land.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Ich halte diesen Punkt bei der Umsetzung von Hartz IV übrigens für eine Frage, die im Rahmen der so genannten Monitoring-Gruppe weiter verfolgt werden muss, da nach meiner Auffassung hierbei die spezifisch ostdeutsche Situation völlig ausgeblendet wurde.

Meine Damen und Herren! Einen gesetzlich geregelten Mindestlohn gibt es derzeit in der Bundesrepublik Deutschland nicht und dafür gab und gibt es gute Gründe. Politisch und rechtlich galt und gilt: Die Gestaltung von Löhnen und Gehältern ist nicht Sache des Staates,

sondern die Angelegenheit der jeweiligen Tarifvertragsparteien. Das ist der Kern des Prinzips der Tarifautonomie, die im Übrigen gemäß Artikel 9 Abs. 3 des Grundgesetzes unter besonderem Schutz steht.

Nachdem die SPD auf der Bundesebene im vergangenen Herbst gerade erst die Tarifautonomie gegen Angriffe der FDP und der Union verteidigen musste, werden wir als Landtagsfraktion keiner Regelung zustimmen, die das Prinzip der Tarifautonomie außer Kraft setzt.

Da mögen Sie murren, aber ich darf Sie daran erinnern, dass das, was dort geplant war, im Rahmen der Betriebsverfassung genau dazu geführt hätte, dass faktisch die Tarifautonomie ausgehöhlt worden wäre. Durch Ihre Vorschläge wäre in der Tat die Tarifautonomie Makulatur geworden. Insofern ist es schon verwunderlich, dass hier jetzt zum Teil Krokodilstränen vergossen werden, wenn es um diese Frage geht. Ich denke, das muss man schon sachbezogen und vernünftig diskutieren.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Metke?

Zum Schluss gern.

Ja.

Gleichwohl sehen wir auch die Notwendigkeit, für einige Branchen und Bereiche Mindestentgeltbedingungen zu regeln; denn für uns gilt nach wie vor der Grundsatz, dass Löhne und Gehälter existenzsichernd sein müssen. In vielen Branchen, beispielsweise dem Gartenbau, dem Friseurhandwerk oder dem Bewachungs- und Gaststättengewerbe, mit Stundenlöhnen weit unter 5 € brutto kann davon keine Rede mehr sein.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Vorhin sind schon die Regelungen angesprochen worden, die auf der Grundlage der Allgemeinverbindlichkeit existieren. In der Tat ist hierfür das Tarifvertragsgesetz die Grundlage. Genau hierin sehen wir Möglichkeiten, für einzelne Branchen Mindestentgeltbedingungen zu regeln, ohne in die Tarifautonomie einzugreifen; denn gemäß § 5 des Tarifvertragsgesetzes besteht die Möglichkeit, zwischen den Tarifvertragsparteien vereinbarte Tarifverträge durch eine Verordnung auf Landes- oder Bundesebene für allgemeinverbindlich zu erklären, sodass alle Unternehmen der Branche an diese Mindestbedingungen gebunden sind.

Wir würden damit das eine tun, nämlich den verfassungsrechtlichen Schutz der Tarifautonomie nicht antasten, ohne das andere zu lassen, nämlich Mindestentgeltbedingungen branchenbezogen und regional festzuschreiben.

Ich will kurz darauf eingehen, wie wir mit dem Antrag der PDS-Fraktion umgehen wollen, das heißt mit der Rücküberweisung des eigentlich nicht beratenen Antrages. Wir wollen dieser Rücküberweisung zustimmen. Sollte die Rücküberweisung nicht die Zustimmung der Mehrheit finden, werden wir die Beschlussempfehlung des Ausschusses ablehnen. - Schönen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Es gab zwei Nachfragen, Herr Metke.

Ja, gern.

Von dem Abgeordneten Herrn Gallert und von dem Abgeordneten Herrn Kosmehl. Bitte sehr.

Herr Metke, das Problem, das ich mit Ihrer Position habe, ist, dass Sie sagen: Wir haben zumindest in verschiedenen Branchen ein reales Problem. Sie haben sie aufgezählt.

Es gibt durchaus, insbesondere im Osten, die Situation, dass es Stundenlöhne zwischen 3 € und 4 € gibt. Wir wissen, wie sich die Entwicklung in diese Richtung mit Hartz IV beschleunigen wird.

Sie sagen, wir haben diesen Missstand. Sie konstatieren ihn selbst. Sie sagen: Das Instrument, das wir eigentlich brauchten, um diesen Missstand zu beheben, nämlich die so genannte Allgemeinverbindlichkeitserklärung, existiert schon. Offensichtlich funktioniert dieser Weg aber nicht. Wenn Sie den gesetzlichen Mindestlohn aus dieser tarifrechtlichen Sicht ablehnen, dann sagen Sie doch einmal: Warum funktioniert es jetzt nicht? Was müsste getan werden, damit es funktioniert?

Es ist ganz gut, dass man das im Rahmen der Plenardebatte vertiefen kann. Das ist nämlich genau das Problem; denn man hat im Ausschuss nicht darüber diskutiert. In der Tat wird die Allgemeinverbindlichkeitserklärung nur dann zukunftsfähig sein und funktionieren, wenn man Änderungen beim Verfahren vornimmt.

Es gibt beispielsweise ein Vetorecht der Arbeitgeberverbände, sowohl beim Bundesarbeitsministerium als auch zum Teil auf der Länderebene. Dieses Vetorecht hat in der Vergangenheit immer dazu geführt, dass die Arbeitgeberverbände, wenn sie etwas nicht wollten, einfach gesagt haben: Nein, das wollen wir nicht. Damit war das Thema vom Tisch.

Wenn man über die Allgemeinverbindlichkeit diskutiert - in dem Antrag ging es darum, dass man das im Bundesrat zum Thema macht -, muss natürlich auch an diesem Punkt eine Änderung vorgenommen werden.

Eine weitere Voraussetzung ist, dass in der jeweiligen Branche 50 % der jeweiligen Arbeitnehmer tarifgebunden sein müssen. Wenn das so wäre, brauchte man keine Allgemeinverbindlichkeit. Dann würden sie ihre Tarifverträge sozusagen selbst erkämpfen können. Auch hierbei wäre eine Änderung notwendig.

Aber für uns gehört das zum Gesamtkomplex der Frage: Wie regele ich auch nicht existenzsichernde Löhne in diesen Branchen? Das geht nur in Verbindung mit einer Änderung hinsichtlich des Vetorechts und der Quoren. Dann wird ein Schuh daraus und dann kann es auch zukünftig funktionieren.

(Zuruf von Herrn Gallert, PDS)

- Das kann unter Umständen schwieriger werden als ein Mindestlohn, das ist wahr.

Herr Abgeordneter Kosmehl, bitte sehr.

Herr Kollege Metke, ich unterstelle, dass Sie sich natürlich für die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter stark machen und deren Interessen vertreten wollen.

Der Angestellten auch.

(Heiterkeit bei der SPD und bei der PDS)