Protokoll der Sitzung vom 16.09.2004

Aber selbst dann sind diese von Menschen geschaffenen Barrieren irgendwann vom Leben eingeholt worden. Die Debatten ranken heutzutage überall um die Schaffung optimaler Bedingungen, um gezielte Steuerungen auch unter dem Blickwinkel, entscheiden zu müssen, ob alles, was machbar ist, auch zur Anwendung kommen sollte.

Wie schwierig das ist, hat gerade der Ethikrat vorgeführt. Da wird einerseits auch über den europäischen Forschungsraum gesprochen. Da zeigt die OECD-Studie deutliche Reserven für das Bildungswesen Deutschlands in Gänze auf. Da reden wir über Wege, wie wissenschaftliche Exzellenz auch beim Nachwuchs gefördert werden kann, und vieles andere mehr.

Andererseits berät die Föderalismuskommission von Bund und Ländern über die Neuaufteilung der Macht

zwischen Bund und Ländern. Im Zuge dessen droht das große Thema „Zukunftsfähige Bildungspolitik“ zwischen den Steinen dieses Machtspiels zerrieben zu werden. Ich fürchte, dass dabei eine Prioritätensetzung erfolgt, die mit den eigentlichen Erfordernissen von Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologieentwicklung nur wenig zu tun haben wird.

Geredet wird dort natürlich zuerst übers Geld. Aber statt sich über Wege einer Bündelung auch dieser knappen Ressource mit effektivstem Einsatz für das Gesamtsystem und natürlich auch im Interesse der Bundesbürger zu verständigen, werden Vorschläge besprochen, die eine Zerstückelung des Gesamtpotenzials zur Folge haben könnten oder vielleicht sogar zur Folge haben werden.

Mit dem Anspruch der Länder, zusätzliche Kompetenzen in der Bildungspolitik, wie Hochschulbau, Wissenschaftsförderung, Berufsbildung, Bildungsplanung, auf sich ziehen zu wollen, drohen der Wissenschaft neu errichtete Provinzgrenzen statt der nötigen Mobilität. Ich weiß, dass Sie das zum Hochschulbau anders sehen, dass wir da also mehr einer Meinung sind. Ich will das hier erwähnen.

Hans-Olaf Henkel, der Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, bemerkt dazu:

„Schon seit vielen Jahren setze ich mich für eine Reform des Föderalismus und eine Reform unserer Reformfähigkeit ein. Dazu gehört ohne Zweifel eine Bereinigung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern, eine Reform des Länderfinanzausgleichs und ein Neuzuschnitt von Bundesländern.“

Weiter sagt er:

„Es gibt jedoch einen Bereich, in dem die Zusammenarbeit von Bund und Ländern entscheidend ist für Deutschlands Zukunft. Eine Abkehr von der gemeinsamen Forschungsförderung beschädigt die ohnehin schon seit Jahren unterfinanzierte, überregulierte und dabei doch international immer noch konkurrenzfähige öffentliche Forschungsstruktur.“

Ich will Ihnen eines sagen: Es ist mir in den letzten Jahren nicht oft passiert, dass ich Herrn Henkel Recht geben konnte, aber in dieser Bewertung stimme ich ihm ausdrücklich zu.

(Beifall bei der PDS)

Noch im Mai hatten die Ministerpräsidenten der Länder beschlossen, die gemeinsame Forschungsförderung von Bund und Ländern zu erhalten. Aber schon gibt es Einzelstimmen, die das infrage stellen. Ministerpräsident Herr Beck aus Rheinland-Pfalz mit seiner gewaltigen wissenschaftspolitischen Kompetenz rechnet Einsparungen auf der einen wie auf der anderen Seite auf. Alle eint die Auffassung von der Ökonomisierung des Wissens. Alles, was nicht mittel- oder unmittelbar wirtschaftlich verwertbar erscheint, droht ebenfalls unter die Räder zu kommen.

(Herr Schomburg, CDU: Das ist so bei Sozis!)

- Wieso? Das machen Sie doch, nicht wir!

(Herr Gallert, PDS, in Richtung SPD-Fraktion zei- gend: Der meint die da!)

- Ach die da meint er. Alles klar! Missverständnis!

(Zuruf von Herrn Schomburg, CDU)

- Gut, ich bin beruhigt.

Für eine stärker auf das Gemeinwohl ausgerichtete Forschung im Sinne von Lösungsansätzen für die großen gesellschaftlichen Probleme und Herausforderungen gibt es kaum noch Protagonisten und für den Osten werden die sich abzeichnenden Entscheidungen nach meinem Verständnis gravierende zusätzliche Nachteile für ein langfristige Entwicklung eigenständiger Entwicklungs- und Beschäftigungspotenziale bringen. Das, finde ich, können wir nicht hinnehmen.

Ich hoffe daher sehr, dass der Landtag diesem Antrag nicht nur zustimmt, sondern dass die Landesregierung dann auch alles unternimmt, um ihn umzusetzen.

Zum CDU-Antrag sei angemerkt: Zunächst liest er sich ganz nett. Wenn man dann auf der einen oder anderen Seite die Formulierungen hinterfragt, stellt man fest, dass diese Formulierungen ihrerseits durchaus auch durch eine Verantwortungsteilung, wenngleich unter Umständen nur im Einzelfall, unterwandert werden können. Ich halte das aber für nicht akzeptabel. Diese Unbestimmtheit ist mir zu unsicher.

Dass auch besondere Landesinteressen, wie Sie schreiben, zu vertreten sind, kann ja wohl vorausgesetzt werden. Mir geht bei dieser gesamten Problematik aber vor allem um besonderes Forschungsinteresse und deshalb halte ich Ihren Antrag für zu weich gespült. - Danke schön.

(Beifall bei der PDS)

Danke, Frau Abgeordnete Dr. Sitte. - Als Vertreter der Landesregierung hat Kultusminister Professor Dr. Olbertz um das Wort gebeten. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich denke, wir sind uns alle darin einig, dass die Absicht der Bundesbildungsministerin, die Leibniz-Gemeinschaft aufzulösen und die Einrichtungen teilweise anderen Wissenschaftsorganisationen zuzuordnen oder in die alleinige Zuständigkeit der Sitzländer zu überführen, ein Signal in die falsche Richtung ist.

(Zustimmung bei der CDU und bei der PDS)

Bei den Bemühungen, den Wissenschaftsstandort Deutschland zu stärken und international attraktiver zu machen, sind der Erhalt der Leibniz-Gemeinschaft und die Fortsetzung der gemeinsamen Förderung durch den Bund und die Länder unabdingbar. Die internationale Leistungsfähigkeit des Wissenschafts- und Forschungsstandortes Deutschland kann nur durch gemeinsame Anstrengungen von Bund und Ländern verbessert werden. Auch das erfordert das Gebot der Effizienz der Forschung, also eine bundesweite Koordination und die Vermeidung von Forschungslücken oder unnötigen Parallelstrukturen.

Die Leibniz-Gemeinschaft ist inzwischen wesentlich mehr als die Blaue Liste von 1990, deren vorrangiges Strukturmerkmal damals der gemeinsame Finanzierungsschlüssel von Bund und Ländern war.

Die WGL ist eine der erfolgreichsten Forschungsorganisationen Deutschlands geworden. Die große Zahl gemeinsamer Berufungen - es sind ca. 150 -, jährlich 500 Doktoranden und mehr als 700 Leibniz-Forscherinnen und -Forscher, die, eng vernetzt mit den Universitäten, an deutschen und zum Teil auch an ausländischen Hochschulen lehren, aber auch die Vielzahl erfolgreicher Kooperationen, etwa mit dem Akademischen Austauschdienst, dem Max-Planck-Institut, der Helmholtz- und der Fraunhofer-Gesellschaft, innerhalb der Wissenschafts- und Forschungslandschaft belegen dies.

Die Leibniz-Gesellschaft braucht weder einen Vergleich mit anderen Forschungsorganisationen bezüglich eingeworbener Drittmittel noch das Ergebnis der Systemevaluation durch den Wissenschaftsrat zu scheuen. Bei der letzten Evaluationsrunde des Wissenschaftsrats war ich selbst als ständiges Mitglied des Ausschusses und als Kommissionsvorsitzender über Jahre hinweg daran beteiligt. Ich weiß also, wovon ich rede, wenn ich die Qualität der Leibniz-Institute hervorhebe.

Die Institute stehen glänzend da. Das gilt auch für die in Sachsen-Anhalt angesiedelten fünf Blaue-Liste-Einrichtungen. Die Regierungschefs der Länder haben deshalb in der Sitzung der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung am 6. Mai 2004 beschlossen, dass die Forschungsförderung eine gemeinschaftliche Aufgabe von Bund und Ländern bleiben soll.

Bei den Leibniz-Instituten - Frau Dr. Sitte hat sie aufgeführt - handelt es sich um renommierte Forschungseinrichtungen, die national und auch international hohe Wertschätzung genießen. Sie sind eine wichtige Säule der forschungspolitischen Schwerpunktsetzung des Landes. Ihre wissenschaftliche Exzellenz wird nicht zuletzt durch die hohe Einwerbung von Drittmitteln, insbesondere der Deutschen Forschungsgemeinschaft, bestätigt. Jeder von Ihnen weiß, dass an diese Drittmittel am schwierigsten heranzukommen ist, weil der Qualitätsmaßstab sozusagen unerbittlich ist.

Von den fünf Instituten des Landes sind allein im Jahr 2003 Drittmittel in Höhe von ca. 13 Millionen € eingeworben worden und rund 600 Veröffentlichungen in renommierten Fachzeitschriften erfolgt.

Die Landesregierung, vertreten durch Herrn Professor Böhmer, nimmt die vorgenannte Position mit Nachdruck auch in den Verhandlungen der Kommission von Bundestag und Bundesrat zur Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung, also in der so genannten Föderalismuskommission, ein.

Die Regierung steht in vollem Umfang hinter unseren WGL-Instituten; denn sie sind eine wesentliche Triebfeder und ein wichtiger Motor der Forschung. Deshalb setzen wir uns mit Nachdruck für die Beibehaltung der gegenwärtigen Trägerschaft und Mischfinanzierung ein.

Die institutionelle Förderung der Institute der Leibniz-Gesellschaft erfolgt gemäß Ausführungsvereinbarung zur Rahmenvereinbarung Forschungsförderung zu je 50 % durch Bund und Länder. Dabei sind - auch das ist gesagt worden - Bundesmittel in Höhe von 24,5 Millionen € im Geschäft; den gleichen Anteil muss das Land zur Verfügung stellen.

Wenn sich der Bund aus der Förderung zurückziehen würde, müsste das Land den gleichen Beitrag also allein aufbringen. Ohne einen Aufwuchs in dieser Größenordnung durch den Bund wäre die Finanzierung der Institute

durch Sachsen-Anhalt praktisch nicht mehr zu gewährleisten.

Ich mache aber noch auf etwas anderes aufmerksam: Das wäre eine weitere Benachteiligung für die wirtschaftlich nicht so starken neuen Bundesländer; denn hierbei ist die überproportionale Verteilung der Leibniz-Institute auf die neuen Länder zu berücksichtigen. Weit mehr als 40 % der Institute also, nämlich 39 von 85, befinden sich eben in den neuen Ländern einschließlich Berlin. Dies hängt mit der Umwandlung der Akademieinstitute nach der Wende zusammen und mit der Kontinuität einer oft langen Forschungstradition, an die mit der Gründung der Blaue-Liste-Institute im Osten angeknüpft werden konnte.

Dass Frau Bulmahn ausgerechnet diese Institutionen zu Disposition stellt,

(Zustimmung bei der PDS - Frau Dr. Sitte, PDS: Ja!)

zeigt für mich einmal mehr das gestörte Verhältnis dieser Bundesregierung zu den neuen Ländern.

(Beifall bei der CDU, bei der PDS und bei der FDP - Zustimmung von der Regierungsbank)

Diese Position ist mir übrigens schon aus der Diskussion zum Ganztagsschulprogramm bekannt. Ich habe manchmal den Eindruck: In Berlin sitzen die Leute zusammen und überlegen, was sie am wenigsten interessiert. Das ist der Osten, und dann gibt es den direkten Schluss auf die Institute, wenn es um die Neuorganisation der Gemeinschaftsaufgaben geht.

(Zuruf von Frau Bull, PDS)

Ich muss an dieser Stelle allerdings anmerken, dass die Frage der Leibniz-Gesellschaft, Frau Dr. Sitte, nun nicht losgelöst von der Gesamtdiskussion über die Gemeinschaftsaufgaben behandelt werden kann. Wir haben es hierbei nämlich nicht mit einem isolierten Einzelproblem zu tun. Deshalb muss ich dringend davon abraten,

(Zuruf von der PDS)

aus den offenen Problemen in institutionelle Einzelfallfragen zu wechseln. Die Debatte über die Leibniz-Institute ist vielmehr exemplarisch für die Zukunft der Gemeinschaftsaufgabe im Ganzen, also der Gemeinschaftsaufgabe der außeruniversitären Forschungsförderung. Deswegen kann man sie auch nur in ihrem Gesamtzusammenhang aufrufen, diskutieren und lösen.

(Frau Dr. Kuppe, SPD: Sehr richtig!)

Deshalb kann ich auch nicht empfehlen, dem PDS-Antrag in der vorliegenden Fassung zuzustimmen. Wohl aber sollten wir das Anliegen hier in der Debatte aufgreifen und bekräftigen.