Das bleibt weiterhin, auch nach der Antwort der Landesregierung, unser Fazit. Wenn man sieht, dass Leute
nach 388 Tagen entlassen werden, weil sie nicht abgeschoben werden dürfen, zeigt sich, wie problematisch Abschiebehaft ist. Und hier geht es nur um Fälle, die im ersten Quartal des Jahres 2004 erfasst worden sind. Die Landesregierung hatte offensichtlich Angst, dass bei genauerer Erfassung noch schlimmere Zahlen das Tageslicht erblickt hätten.
In diesem Zusammenhang halte ich es auch für außerordentlich problematisch, dass es keine getrennte Unterbringung von jugendlichen und erwachsenen Abschiebehäftlingen gibt.
Abschließend bleibt mir nur festzustellen: Die Antwort der Landesregierung kann eigentlich nicht als Antwort gewertet werden. Offensichtlich war man aus den bereits genannten Gründen nicht bereit, unsere detaillierten Fragen zu beantworten. Note sechs. Setzen!
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! Ich hoffe, Herr Gärtner, Sie werden Ihr Urteil nach meinen Ausführungen doch etwas revidieren. Als diese Große Anfrage auf meinen Tisch kam, habe ich mir überlegt, was die Ursache sein könnte; denn irgendwelche spektakulären Vorfälle - ich komme noch auf einen zu sprechen - gab es bis dahin nicht. Sie nennen den Fall aus dem Jahr 1998. Dafür zeichnet diese Landesregierung, so muss man feststellen, nicht verantwortlich, wenngleich wir selbstredend in der Verantwortung aller Regierungen stehen.
Ich habe mir dann die Große Anfrage durchgelesen und bin auf die Frage 36 gestoßen, auf die ich speziell noch eingehen werde. Ich glaube wohl, sie mag der Auslöser für Ihre Große Anfrage gewesen sein. Angesichts dessen muss ich mir bei allem Recht, das Sie haben, Große Anfragen zu stellen - das ist ja ein probates Mittel der Fraktionen, die Arbeit der Landesregierung in der einen oder anderen Frage und in der einen oder anderen Angelegenheit zu hinterfragen -, doch die Frage stellen: Warum hat Ihre sonst so rege Abgeordnete Frau Knöfler, die sehr schnell zum Telefonhörer greift, eigentlich nicht bei mir angerufen? Ich hätte ihr all das erklären können, was ich jetzt - dafür danke ich, weil ich die Gelegenheit habe - vor diesem großen Publikum darlegen werde.
Im Übrigen gibt mir, Herr Gärtner, Ihre Fleißarbeit von 39 Fragen mit weiteren Unterfragen die Gelegenheit, einmal etwas Grundsätzliches über die Abschiebehaft zu sagen. Die Abschiebehaft wird in der Bundesrepublik Deutschland relativ unterschiedlich gehandhabt. 13 Bundesländer haben sich für den Vollzug innerhalb von Strafvollzugsanstalten entschieden. Drei Länder, nämlich Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Berlin, vollziehen die Abschiebehaft in gesonderten Einrichtungen.
Wenn nun die Entscheidung für den Vollzug innerhalb einer Strafanstalt getroffen worden ist, dann gelten - so sieht es jedenfalls § 171 des Strafvollzugsgesetzes vor - die Regelungen für den Strafvollzug schlechthin. Das heißt, die Fragen der Unterbringung, der Verpflegung,
des Besuchs, der Freizeitgestaltung, um nur einige zu nennen, regeln sich dann nach den allgemeinen Vorschriften unseres Strafvollzugsgesetzes. So haben wir das gehandhabt und so wollen wir das auch weiterhin handhaben.
Wir haben in diesem Land - das möchte ich auch noch einmal grundsätzlich hervorheben - ursprünglich 60 Plätze für Abschiebehäftlinge gehabt. Das war Mitte der 90er-Jahre. Diese konnten wir jetzt auf ungefähr 30 Plätze für männliche Häftlinge in der Vollzugsanstalt Volkstedt und fünf Plätze für Frauen in der Außenstelle der Vollzugsanstalt Volkstedt in Eisleben zurückführen. Tatsächlich sind diese Plätze im Jahresdurchschnitt mit ungefähr 20 Personen belegt. Der augenblickliche Stand - der stellvertretende Anstaltsleiter ist zugegen; er hat es mir gerade gesagt - sind elf männliche Häftlinge in Volkstedt und ein weiblicher Abschiebehäftling ein Eisleben. - So weit die Situation bei uns.
Herr Gärtner, Sie haben gesagt, Note sechs; dies sei eine ganz miserable Beantwortung, was die Schärfe und die Tiefe der Antworten betrifft. - Herr Gärtner, ich muss Ihnen nun sagen: Wir könnten natürlich, wenn wir es uns finanziell leisten könnten, über alle möglichen Umstände in unserem Land Statistiken führen. Wir könnten dies auch für 20 Abschiebehäftlinge, die wir im Durchschnitt in unseren Anstalten haben. Dazu haben wir uns nicht entschlossen. Auch die Vorgängerregierungen haben sich nicht dazu entschlossen, Statistiken zu den Fragen zu führen, die Sie hier im Einzelnen aufgeworfen haben.
Nur dort, wo ohnehin aufgrund von gesetzlichen Vorgaben ganz bestimmte Dinge festzuhalten sind, wie etwa die Frage des Herkunftslandes - deshalb ist ja auch die Frage 19 so genau beantwortet worden -, können wir dann, wenn Sie eine Große Anfrage stellen, tiefenscharf antworten. So ist es dann auch geschehen.
Wir haben auf keinen Fall das Parlament und insbesondere die fragestellende Fraktion brüskieren wollen. Das muss deutlich festgestellt werden. Wir müssen uns entscheiden, was wir wollen, ob wir Personal, etwa im Strafvollzug, wo es ohnehin nicht sehr üppig aussieht, für die Erstellung von Statistiken vorhalten oder für die Betreuung der dort Einsitzenden.
Die Entscheidung ist gefallen. Wir wollen keine Statistiker, wir wollen Betreuer, die sich im Strafvollzug um eine Resozialisierung der Strafgefangenen bemühen und die sich um die Abzuschiebenden bemühen, sodass diese ordnungsgemäß abgeschoben werden können. Das ist unsere Pflicht und das tun wir; darum halten wir uns an Papier und Statistiken nicht fest. Deshalb also diese zum Teil ungenaue Beantwortung.
Herr Gärtner, ich mache Ihnen einen Vorschlag. Ich bitte darum, dass der Rechtsausschuss einfach einmal mit mir nach Volkstedt geht und dass wir uns die Dinge vor Ort mit den Beamten, mit den Betreuungsvereinen, die von Halle und Magdeburg herüberkommen, und mit unserem Sozialarbeiter - ein Ausländer, der aus Afrika, aus Benin stammt -, den wir ausschließlich für diese Klientel eingestellt haben, anschauen, dass wir uns mit denen unterhalten und uns vor Ort ein Bild machen, wie das dort aussieht. Dabei können wir die JVA auslassen und uns speziell mit diesem einen Haus in der Vollzugsanstalt in Volkstedt auseinander setzen.
Ich lade also ausdrücklich den Ausschuss für Recht und Verfassung ein - da sitzt ja auch der Vorsitzende, Herr Wolpert -, bei uns vorbeizuschauen, damit wir die Dinge
sehen können und mit den Betroffenen selbst sprechen können. Dort werden Sie zu dem Urteil kommen, dass es eben doch nicht so ist, dass man uns die Note sechs dafür ausstellen kann und ausstellen muss.
Und nun zu dem Vorgang, meine Damen und Herren. Was ist passiert? - Zu Ostern saß als Abschiebehäftling ein türkischer Staatsangehöriger namens K. ein; das betrifft jetzt die Antwort auf Frage 36. Er war illegal in Deutschland eingereist, saß dort vom 16. März bis zum 18. April 2004 ein und wurde schließlich am 18. April 2004 in sein Heimatland abgeschoben.
Dieser Abschiebehäftling äußerte vor Ostern Suizidabsichten und verweigerte vor Ostern und während der Osterfeiertage die Nahrungsaufnahme. Dies veranlasste den für Abschiebehäftlinge zuständigen Abteilungsleiter nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub - das war am Ostermontag -, den Herrn K. in einen so genannten besonders gesicherten Haftraum zu überführen und ihn dort zu fesseln, also Maßnahmen der unmittelbaren Gewalt anzuordnen.
Das war, wie wir sehr schnell feststellen mussten, zu diesem betreffenden Zeitpunkt jedoch nicht mehr erforderlich. Zutreffend war nämlich, dass der Abschiebegefangene seit dem 7. April 2004, also vor Ostern, lediglich die Nahrungsaufnahme verweigert und Suizidabsichten geäußert hatte. Er wollte damit seine Abschiebung verhindern - ein Vorgang, der uns bei den Abschiebehäftlingen öfter begegnet. Während der Osterfeiertage verweigerte er die Nahrungsaufnahme, zeigte sich aber ruhig, sodass eine Selbsttötungsgefahr nicht mehr ohne weiteres unterstellt werden konnte.
Der zuständige Abteilungsleiter hatte sich, ohne sich selbst noch einmal ein Bild von der Angelegenheit zu machen, auf die Äußerungen eines Abteilungshelfers verlassen und die Überführung in den besonders gesicherten Haftraum veranlasst und zugleich die Fesselung befohlen. Dies war aus verschiedenen Gründen, insbesondere auch aufgrund der Regelungen des § 88 Abs. 1 des Strafvollzugsgesetzes, nicht zulässig. Er hätte sich vor dieser Anordnung selbst von der Notwendigkeit dieser Maßnahmen unterrichten müssen.
Wir haben dies zum Anlass genommen, gegen drei unserer dort tätigen Beamten Ermittlungen disziplinarischer Art einzuleiten. Wir haben dem Anstaltsleiter, der ja diese Maßnahme unmittelbar bestätigen musste, eine Rüge wegen schlechter Leistung ausgesprochen. Bei dem Abteilungshelfer haben wir das Verfahren eingestellt, und gegen den Abteilungsleiter läuft ein Disziplinarverfahren, das im Augenblick noch nicht abgeschlossen ist.
Sie sehen also, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben durchaus sehr rasch die notwendigen Konsequenzen aus diesem Vorgang gezogen. Dieser Vorgang ist ja auch zu Ohren und zu Wissen der in unserer Anstalt tätigen Vereinigung zur Hilfe für Flüchtlinge und Aussiedler gekommen, die von Halle aus in die Anstalt geht, um dort die Abschiebehäftlinge zu unterstützen. Wir haben sofort gehandelt.
Ich betone noch einmal, ausgehend von meiner Eingangsbemerkung: Es wäre besser gewesen, Sie hätten mich gleich angerufen, dann hätten wir dieses Missverständnis ausräumen können. Ich hoffe, dass es mir heute gelungen ist, dieses auszuräumen.
Nichtsdestotrotz bitte ich den Ausschuss, doch einmal von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, sich dieses besondere Hafthaus in der Vollzugsanstalt Volkstedt anzuschauen. - Ich danke Ihnen.
Herrn Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Ereignisse haben in letzter Zeit das Thema Abschiebung in Deutschland mehr in die Öffentlichkeit gerückt.
Da gab es zum einen im Oktober die Verurteilung der BGS-Beamten, die den Tod eines Abschiebehäftlings im Jahr 1999 zu verantworten hatten. Der betroffene Sudanese war in einer Lufthansa-Maschine in seine Heimat abgeschoben worden. Als er sich wehrte, pressten ihn die Beamten in den Flugzeugsessel, bis er erstickte. Dem BGS selbst warfen die Richter Versäumnisse bei der Ausbildung der bei Abschiebungen eingesetzten Beamten vor.
Zum anderen gab es im April dieses Jahres den Fall des türkischen Staatsangehörigen, der in der JVA Volkstedt in einen besonders gesicherten Haftraum verbracht und gefesselt worden war, da die Beamten fälschlicherweise von einer Suizidgefahr ausgingen. Diesen Fall hat der Minister eben geschildert.
Meine Damen und Herren! Der Vollzug von Abschiebungen obliegt Bundesbehörden. Die Anordnung einer Abschiebung aufgrund von Vorschriften des Ausländergesetzes obliegt unabhängigen Richtern. Allein die Abschiebehaft liegt im Verantwortungsbereich der Exekutive der Bundesländer. In Sachsen-Anhalt wird sie durch die Justizvollzugsanstalten im Weg der Amtshilfe für das Ministerium des Innern vollzogen.
Für männliche Abschiebegefangene stehen 30 Haftplätze in einem gesonderten Haus der JVA Volkstedt zur Verfügung. Für Frauen stehen fünf Haftplätze in der Frauenabteilung der JVA Eisleben zur Verfügung. Die durchschnittliche Belegung hat der Minister auch schon dargestellt. Sie liegt auf jeden Fall deutlich unter der Zahl der zur Verfügung stehenden Haftplätze.
Meine Damen und Herren! Ihnen allen und auch mir ist die Situation in den Justizvollzugsanstalten in SachsenAnhalt sehr wohl bewusst. Die Anstalten sind in aller Regel überbelegt. Das kennen wir aus dem Ausschuss für Recht und Verfassung, in dem wir seit geraumer Zeit immer wieder über die Notwendigkeit des Neubaus einer Justizvollzugsanstalt reden. Aber zumindest das Überbelegungsproblem betrifft die Abschiebungsgefangenen nicht.
Sehr bedenklich ist dagegen die personelle Ausstattung in den Justizvollzugsanstalten. Es erscheint mir sehr fraglich, ob mit dem derzeitigen Personalbestand ein ordnungsgemäßer Betrieb dauerhaft gewährleistet werden kann.
Von dieser schwierigen Situation sind natürlich auch die Abschiebungsgefangenen betroffen. Deshalb kann und sollte im Interesse der Abschiebungsgefangenen, aber auch im Interesse der ganz normalen Strafgefangenen
in Sachsen-Anhalt die Personalausstattung verbessert werden. - Herr Minister Becker, an dieser Stelle können Sie auf jeden Fall auf die Unterstützung der FDP-Fraktion zählen.
- Genau. - Ich möchte einen Fakt aus der Antwort auf die Große Anfrage positiv erwähnen. Es geht um die zur Verfügung gestellten Kapazitäten der medizinischen und psychosozialen Betreuung. Ich verweise auf die Antworten zu den Fragen 24 und 25. Diese erscheinen aus meiner Sicht zumindest in diesem Abschnitt relativ zufrieden stellend zu sein.
Die Abschiebungshaft ist keine Strafhaft. Sie hat keinen sanktionierenden Charakter. Sie hat auch keinen rehabilitierenden Charakter. Vielmehr ist die Abschiebungshaft nur eine Verwaltungsvollstreckungsmaßnahme, die allein der Durchsetzung der Ausreisepflicht dient und nur unter bestimmten Voraussetzungen von einem unabhängigen Gericht verhängt werden kann.
Die Haftgründe sind ausschließlich in dem Verhalten der betroffenen ausreisepflichtigen Personen begründet und sind somit nur von diesen beeinflussbar. Nur selten wird ein Richter feststellen, dass trotz des Vorliegens von Haftgründen das Freiheitsrecht gegenüber dem staatlichen Vollstreckungsinteresse überwiegt.
Der Antwort auf die Große Anfrage können Sie aber auch entnehmen, dass in Sachsen-Anhalt einiges getan wird, um das Eintreten von Haftgründen und damit auch den Vollzug der Abschiebungshaft möglichst zu verhindern oder zu verringern. Die Ausreisepflichtigen werden von Beginn an, auch wenn nur die Möglichkeit einer späteren Ausreisepflicht besteht, immer wieder über ihre Rechte und Pflichten belehrt. Ihnen werden auch die möglichen Folgen klar gemacht.
Zudem werden den Ausreisepflichtigen Rückkehrhilfen angeboten. Diese Programme bieten die Erstattung von Reise- und Passkosten. Sie bieten Reisebeihilfen. Sie bieten auch finanzielle Starthilfen für die Menschen in ihren Herkunftsländern. Diese Beihilfen werden auch angenommen. Das ist ein Zeichen dafür, dass diese Anreize durchaus funktionieren.
Erlauben Sie mir noch einen kleinen Ausblick in die Zukunft. Im Rahmen der Sicherheitsdebatte wurde in das ab dem nächsten Jahr geltende Aufenthaltsgesetz ein neuer Haftgrund aufgenommen. Es soll die Möglichkeit der Inhaftierung von terrorismusverdächtigen Personen aufgenommen werden, die nicht unmittelbar abgeschoben werden können.
Das ist aus der Sicht der FDP ein zu kritisierender Paradigmenwechsel im deutschen Ausländerrecht. Ein Haftgrund ist nun ein Verdacht, also eine Sache, die nicht zwangsläufig nur von der betroffenen Person abhängt, sondern durchaus im Umfeld begründet liegen kann. Zudem geht man von dem Prinzip ab, dass eine Haft nur kurzfristig und nur zur Durchsetzung einer angeordneten oder ernsthaft betriebenen Abschiebung anzuordnen ist.
Ich halte das für keine gute Sache. Ich bin auch sehr gespannt darauf, wie das in den nächsten Jahren angewendet wird. Diesen Prozess wird die FDP sehr kritisch begleiten. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Röder. - Als nächste Rednerin spricht für die SPD-Fraktion Frau Krimhild Fischer. Ich begrüße vorher noch Damen und Herren vom Ländlichen Bildungszentrum in Wanzleben auf der Südtribüne.