Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben in dieser Woche den 15. Jahrestag des 9. Novembers 1989 begangen. Ich freue mich, dass im Ergebnis des von den Ostdeutschen erzwungenen Falls der Mauer heute in ganz Deutschland abgerüstet wird.
Wie sehr beides miteinander zusammenhängt, wird aus den Erinnerungen Hans-Dietrich Genschers deutlich. Ich habe der FDP-Fraktion zuliebe darin nachgelesen. Genscher beschreibt ein Gespräch im Februar 1990 mit dem amerikanischen Außenminister Baker darüber, wie man die Sowjetunion für die Mitgliedschaft eines vereinigten Deutschland in der Nato und in der Europäischen Gemeinschaft gewinnen könne. Genscher sagte laut seinen Erinnerungen in Washington zu Baker:
„In Europa sei eine Lage zu schaffen, die auch für die Sowjetunion Vorteile bringe. Nur so könne die sowjetische Führung gewonnen werden.“
„Angesichts der fortschreitenden Verhandlungen in Wien über Truppenreduzierungen müsse man schließlich auch an eine Reduzierung der Truppen im vereinigten Deutschland denken, das unter Umständen weniger Soldaten als die alte Bundesrepublik Deutschland haben könnte. Dies liege ohnehin in der Logik der West-Ost-Entwicklung. Wenn die Sowjetunion bereit sei, der deutschen Vereinigung im Rahmen der Nato zuzustimmen, wenn es ein neues Verhältnis der Bündnisse und andere entsprechende Entwicklungen gäbe, dann würden die Streitkräfte so oder so überall reduziert. Der einseitige deutsche Schritt sei dann lediglich eine Vorwegnahme dessen, was auch alle anderen letztlich tun würden.“
Meine Damen und Herren! Auch die jetzt stattfindenden Abrüstungsschritte sind eine Folge des europäischen Revolutionsjahres 1989. Standen wir uns damals in Europa waffenstarrend gegenüber, so haben wir jetzt die Chance einer friedlichen Entwicklung und die nötigen Mittel dafür, wenn wir tatsächlich abrüsten. Wenn der Bund die Verteidigungsausgaben des Jahres 1989 fortschreiben müsste, gäbe es wohl kaum den finanziellen Spielraum für den in wenigen Wochen in Kraft tretenden Solidarpakt II.
Der Ministerpräsident hat am 27. Oktober 2004 in Weißenfels gesagt, zum ersten Mal sei Deutschland nur von Staaten umgeben, zu denen freundschaftliche Beziehungen auf vertraglicher Grundlage bestehen. Allein aus dieser Situation heraus sei ein „vernünftiger Strukturwandel“ bei der Bundeswehr unumgänglich, „auch wenn die Konsequenzen hier und da weh tun“. Da kann ich Herrn Professor Böhmer nur zustimmen. - Ich freue mich, dass Sie jetzt nicken, Herr Kosmehl. Der Tenor vorhin bei Ihnen war etwas anders.
Der Herr Innenminister hat sich - so heißt es in einer Pressemiteilung seines Hauses vom 27. Oktober 2004 - bereits im Dezember des letzten Jahres in einem Brief an Verteidigungsminister Struck für den Erhalt der Einrichtungen der territorialen Wehrorganisation in Sachsen-Anhalt eingesetzt. Mit der geplanten Abschaffung der Verteidigungsbezirkskommandos, die in Magdeburg und Halle ansässig sind, gingen wichtige Ansprechpartner auf regionaler Ebene verloren, so Herr Jeziorsky.
Die FDP-Fraktion, so eben auch Herr Kosmehl, ist wegen des Katastrophenschutzes besorgt, dass die beiden VBKs zu einem neuen Landeskommando zusammengelegt werden sollen. Warum besteht die FDP auf einem Kommando der Bundeswehr auch in Halle wegen des Katastrophenschutzes, obwohl sie doch wie wir der Meinung ist, dass die Zuständigkeit dafür im Sinne eines zweistufigen Aufbaues bei den Landkreisen und im Ministerium angesiedelt werden sollte?
Das Landesverwaltungsamt hat, wie die „MZ“ am 10. November 2004 berichtete, auf Weisung des Innenministeriums eine landesweite Stabsübung durchgeführt, die von extremen Hochwasserlagen an Saale und Elbe ausging. Dabei gab es erhebliche Defizite. Ein Mitarbeiter des Stabes wird in der „MZ“ wie folgt zitiert: „Es war eine echte Katastrophe in der simulierten Katastrophe.“
Die Sprecherin des Landesverwaltungsamtes räumte ein, das vorläufige Ergebnis könne im besten Fall als zufrieden stellend gelten. Tatsächlich müsse an kürzeren Informationswegen gearbeitet werden.
Wir meinen, kürzere Informationswege erreicht man, wenn man sich für einen zwei- statt dreistufigen Aufbau des Katastrophenschutzes entscheidet. Die CDU hat sich in dieser Frage isoliert,
und die FDP sollte ihre Position zu den militärischen Kommandobehörden der bei ihr schon vorhandenen Erkenntnis anpassen, dass das Landesverwaltungsamt keine wichtige Rolle im Katastrophenschutz spielen darf, getreu dem Kosmehl-Wort: „In der Katastrophe führen statt verwalten.“
Wenn das Innenministerium den Landratsämtern als Katastrophenschutzbehörden unmittelbar vorgesetzt ist, reicht das künftige Landeskommando der Bundeswehr in Magdeburg als militärischer Ansprechpartner völlig aus. Auch in größeren Bundesländern wird es im Übrigen nur e i n solches Landeskommando geben.
Meine Damen und Herren! Statt für die Beibehaltung der Verteidigungsbezirkskommandos hätte sich die Landes
regierung besser an anderer Stelle engagieren sollen. Am Standort Hohenmölsen gehen 700 Dienstposten verloren. Bürgermeister von Fintel, ein CDU-Mann, hat die Untätigkeit der Landesregierung hinsichtlich dieses Standortes mehrfach scharf kritisiert.
Der Innenminister hat die Standortschließung in Hohenmölsen als „nicht erfreulich“ bezeichnet. Er sieht Sachsen-Anhalt im Vergleich mit anderen Ländern weniger betroffen, weil es im Land ohnehin vergleichsweise wenige Soldaten und Standorte gebe. Das ist eine interessante Logik, aber keine Interessenvertretung.
Sicherlich sollte man den Einfluss des Landes auf Stationierungsentscheidungen der Bundeswehr nicht überschätzen. Der Bundesverteidigungsminister macht ja auch keine Standortpolitik, sondern Verteidigungspolitik. Das heißt, er soll nach fachlichen Kriterien die Dislozierung der Streitkräfte optimieren. Ich bezweifle nicht, dass dies auch seine maßgeblichen Entscheidungskriterien waren.
In der Tat, Herr Kosmehl, kommt Thüringen weitaus glimpflicher davon als Sachsen-Anhalt. Wir haben künftig eine Stationierungsdichte von 2,4 Dienstposten je 1 000 Einwohner. Thüringen hat 3,7 Dienstposten je 1 000 Einwohner. Härter trifft es Sachsen mit nur noch 1,1 Dienstposten je 1 000 Einwohner, wobei dem Vernehmen nach Herr Milbradt sich dort engagiert hat und auch der thüringische Innenstaatssekretär, ein ehemaliger Bundeswehroffizier, seinen Einfluss geltend gemacht hat. Ich habe solches bei uns nur in Bezug auf die beiden Militärbürokratien, nämlich die Verteidigungsbezirkskommandos, vernommen.
Während einer früheren Debatte zur Bundeswehr am 15. September 2000 habe ich gefordert, dass bei der bevorstehenden Bundeswehrreform die Verringerung der Zahl der Arbeitsplätze nicht in Sachsen-Anhalt durchgeführt werden soll, sondern dass man statt auf die Einwohnerzahl auch auf die räumliche Ausdehnung des Landes abstellen sollte. Aber dies - Herr Kosmehl, Sie selbst haben ähnlich argumentiert - ist ein veralteter Standpunkt; denn das klassische Szenario raumgreifender Operationen gilt für uns nicht mehr. Der Stellenwert der Territorialverteidigung ist zurückgegangen. Das heißt auch, dass gepanzerte Verbände weniger wichtig sind als andere Einheiten. Vor diesem Hintergrund betrachte ich es als einen Glücksfall, dass man vor wenigen Jahren in Weißenfels von Panzerverbänden übergegangen ist zu einem Sanitätskommando. Das hat Bestand.
Das Land Sachsen-Anhalt hatte ein wertvolles Unterpfand für Verhandlungen mit der Bundeswehr auch über eigene Anliegen, und zwar den Südteil der Colbitz-Letzlinger Heide. An dessen militärischer Nutzung ist die Bundeswehr interessiert. Das Land zieht sich nun ohne vertragliche Gegenleistungen aus der Heide zurück. Dieser Verzicht wurde eingeleitet durch Sprüche wie: „Jedes Wochenende 1 000 Magdeburger richten mehr Schaden an als die Bundeswehr.“ - Das hat Landrat Webel gesagt, der Feldwebel von Haldensleben.
Ich fühle mich immer an meine militärische Grundausbildung erinnert, wenn ich Herrn Webel höre. Aber das nur nebenbei.
Die Akzeptanz der Bundeswehr in der Heide, Herr Gallert, wird allerdings nicht bloß von Bürgermeistern be
hauptet, sondern sie ist auch in der Bevölkerung vorhanden. Auf die zivile Nutzung des Südteils der Heide ohne entsprechende Gegenleistung der Bundeswehr zu verzichten, das kann nicht richtig sein. Da hat die Landesregierung eine Chance vergeben, etwas auszuhandeln in Bezug auf andere Standorte oder für die Heide selbst. Immerhin - das will ich anerkennen - gibt es auch ohne vertragliche Bindung in der Heide künftig 90 Dienstposten der Bundeswehr mehr.
Im Saldo verliert Sachsen-Anhalt - das hat Herr Kosmehl beschreiben - allerdings 1 400 Dienstposten, wobei man in der Tat noch einmal 600 Dienstposten in Dessau dazurechnen muss, wo über den Abbau bereits entschieden worden war, aber mit der Ausführung noch nicht begonnen worden war, als der Verteidigungsminister sein neues Konzept bekannt gab.
Meine Damen und Herren! Von verschiedenen Seiten wurden in den letzten Tagen Forderungen an den Bund gestellt, zusätzliche Konversionsmittel zur Verfügung zu stellen. In das Horn hat auch Herr Kosmehl wieder geblasen. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass im Jahr 1993 eine Neuaufteilung der Umsatzsteuer zwischen dem Bund und den Ländern vorgenommen worden ist. Diese Umverteilung von zwei Prozentpunkten zugunsten der Länder erfolgte mit der Begründung, dass die Länder Konversionsmittel für die von Standortschließungen betroffenen Gemeinden zur Verfügung stellen. Alle Länder, auch Sachsen-Anhalt, vereinnahmen seitdem diese Steueranteile, unabhängig davon, ob sie Konversionsprojekte fördern. Trotzdem ist es immer legitim, zusätzliche Hilfen vom Bund zu fordern, wenn man Landespolitiker ist.
Vor allem aber, Herr Kosmehl, kommt es darauf an, dass wir im Land Abrüstung nicht als Abbau erleben, sondern als Chance. Ich frage mich, ob Sie sich mit Herrn Dr. Rehberger schon einmal über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen einer Rückführung der Staatsquote ausgetauscht haben. Ich denke, Konversionsprobleme sind eher auszuhalten als die Szenarien, die bis vor 15 Jahren die Politik und bisweilen auch das Lebensgefühl der Menschen in Europa prägten.
Die Standortentscheidungen des Bundesministers der Verteidigung sind nur vordergründig Abbauentscheidungen. Sie setzen Ressourcen frei, die uns letztlich helfen werden, die wirtschaftliche Entwicklung anzukurbeln und die Arbeitslosigkeit zurückzudrängen. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Rothe. - Für die CDU-Fraktion erteile ich nunmehr dem Abgeordneten Herrn Schulz das Wort. Bitte sehr, Herr Schulz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es schon merkwürdig, dass wir heute, nach dem Bekanntwerden der Standortschließungen, eine Aktuelle Debatte zu diesem Thema führen; denn die Entscheidungen sind gefallen. Diese Debatte hätten wir mindestens vor einem Monat halten sollen.
Da diese Strukturentscheidung nicht der parlamentarischen Entscheidungshoheit unterliegt, sondern exeku
tives Handeln des Verteidigungsministeriums ist, haben wir leider nicht allzu viele Einflussmöglichkeiten. Herr Rothe hat dies auch schon angesprochen. Aber, liebe Kollegen, wir haben trotzdem einiges dazu beigetragen, dass wir beim BMVg auf Kooperation stoßen. Ich denke nur an unsere Beschlüsse zur Übertragung des Namens „Sachsen-Anhalt“ auf das Logistikregiment 17 in Burg oder unsere Aufkündigung des Heide-Kompromisses zur weiteren militärischen Nutzung des Südteils des Truppenübungsplatzes Altmark.
Im Übrigen freut es mich, gleich Herrn Dr. Thiel zu hören. Ich vermute, es liegt wahrscheinlich daran, dass er der einzige in der PDS-Fraktion ist, der sich nicht über den Truppenabzug freut. Wir können heilfroh sein, dass die unzähligen parlamentarischen Angriffe des Kollegen Gärtner von der PDS-Fraktion auf die Bundeswehr nicht zu gleich lautenden Beschlüssen des Landtages geführt haben.
Doch nun zu den Fakten des Standortkonzeptes: Von den derzeit noch 570 Standorten der Bundeswehr werden zukünftig nur noch 392 existieren. Minister Struck setzt damit seine Politik des Abbaues der Bundeswehr in Raten fort. Zuvor hatten bereits Rudolf Scharping am 16. Februar 2001 mit seinem Ressortkonzept und Peter Struck selbst am 21. Mai 2003 mit der Auflösung von Geschwadern und Flugabwehrraketenverbänden sowie am 25. November 2003 mit der Neustrukturierung der Depotorganisation die Auflösung von 136 Standorten verfügt. Damit beziffert sich die Zahl der von Rot-Grün aufgelösten Standorte in nur drei Jahren auf nunmehr 241. Am deutlichsten wird das Heer betroffen sein. Es schrumpft von sieben auf fünf Divisionen und von bislang 22 auf zwölf Brigaden.
Anhand der mittelfristigen Finanzplanung - das betrifft nicht nur die jetzt vorgeschlagenen weiteren Einsparungen von 500 Millionen € - ist schon heute absehbar, dass weitere Eingriffe in die Standortplanung unausweichlich sein werden. Für unser Bundesland bedeutet Strucks Standortkonzept neben der Aufgabe der Standorte Roßlau, Prettin und Dessau aufgrund älterer Entscheidungen den Verlust von fünf weiteren Standorten auf zukünftig elf.
Am schmerzlichsten trifft uns die Aufgabe des Standortes Hohenmölsen mit seinen 770 Dienstposten. In fünf weiteren Standorten verringert sich die Personalstärke, in Burg am deutlichsten um 370 Dienstposten. Trotzdem - darüber sind wir heilfroh - bleibt Burg die größte Garnison in Sachsen-Anhalt.
An vier Standorten wird die Zahl der Soldaten sogar aufgestockt. Am bedeutendsten wäre hierbei die Aufstellung eines Stützpunktes zivil-militärische Zusammenarbeit beim Panzerpionierbataillon 803 in Havelberg mit 200 Dienstposten.
Struck beabsichtigt auch, die territoriale Organisation der Bundeswehr aus der Fläche abzuziehen. Die Verbindungskommandos auf Kreisebene werden abgeschafft, ebenso die VBKs, die durch ein Landeskommando am Sitz der jeweiligen Landesregierung ersetzt werden sollen.
Auch die Reduzierung der Zahl der Kreiswehrersatzämter trifft unser Land. Die Standorte in Stendal und in Wittenberg werden aufgelöst; in Halle wird eine Außenstelle von Magdeburg errichtet.
Insgesamt sinkt die Anzahl der Dienstposten im Land - auch das wurde angesprochen - von 7 500 auf künftig 6 100. Auf 1 000 Einwohner kommen künftig 2,4 Dienstposten. Herr Kosmehl hat es sehr dramatisch formuliert, dass wir hiermit weit unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Aber, meine Damen und Herren, wir lagen in Sachsen-Anhalt schon immer weit unter dem Durchschnitt der Bundeswehrdienstposten pro Einwohner.