Protokoll der Sitzung vom 12.11.2004

Insgesamt sinkt die Anzahl der Dienstposten im Land - auch das wurde angesprochen - von 7 500 auf künftig 6 100. Auf 1 000 Einwohner kommen künftig 2,4 Dienstposten. Herr Kosmehl hat es sehr dramatisch formuliert, dass wir hiermit weit unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Aber, meine Damen und Herren, wir lagen in Sachsen-Anhalt schon immer weit unter dem Durchschnitt der Bundeswehrdienstposten pro Einwohner.

Beziehen wir nun aber den Standort Holzdorf, der zum brandenburgischen Schönewalde gezählt wird, mit ein, der um 720 Dienstposten auf 2 300 aufwächst, können wir sagen: Wir verlieren - in Anführungszeichen - nur 680 Bundeswehrdienstposten im Lande.

Meine Damen und Herren! Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen. Andere Länder - ich denke etwa an Hessen oder Sachsen - hat es viel härter getroffen.

(Frau Weiß, CDU: Gott sei Dank!)

Wir müssen aber auch zugeben, dass wir kein Land mit einer hohen Bundeswehrdichte sind; ich habe das gerade angesprochen. Seit 1991 hatte Sachsen-Anhalt ebenso wie das Saarland die geringsten Einbußen infolge von Stationierungsentscheidungen der Bundeswehr zu tragen. Auch das ist ein Fakt, den man zur Kenntnis nehmen muss.

Wie lauten nun die Argumente der Bundesregierung? - Minister Struck begründet die neue Standortkonzeption mit militärisch-funktionalen und betriebswirtschaftlichen Erfordernissen. Diese Argumentation ist in meinen Augen nicht haltbar. Sowohl aus militärischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht hätte er dann Strukturen schaffen müssen, die Verbände in der Größenordnung einer Brigade bzw. eines Regimentes an einem Standort vorsehen.

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

Zum Glück sind wir davon noch weit entfernt. Ich weiß nicht, wie viele Standorte in Sachsen-Anhalt dann übrig geblieben wären, wahrscheinlich nur noch Weißenfels.

Eine weitere Aussage in seiner Konzeption ist, dass ein Kernelement dieser Reform unter anderem - ich zitiere -

„... der Verzicht auf Fähigkeiten und Strukturen, die ausschließlich der Landesverteidigung im herkömmlichen Sinne dienen, ist.“

Damit hat er deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er der Landesverteidigung keinen besonderen Stellenwert beimisst. Ich halte dies für eine ganz gefährliche Entwicklung.

Meine Damen und Herren! Strucks Begründungen seines Standortskonzepts sind an den Haaren herbeigezogen. Der eigentliche Grund dafür ist die Unterfinanzierung der Bundeswehr, an der immer wieder und seit Jahren herumgedoktert wird, und zwar auf Kosten der nationalen Sicherheit.

(Zustimmung von Herrn Ernst, FDP)

Gerade jetzt muss sich der Minister gegen einen erneuten Angriff Eichels zur Streichung weiterer 500 Millionen € zur Wehr setzen.

(Zustimmung von Herrn Kosmehl, FDP)

Zur wirtschaftlichen Bedeutung. Die Standortschließungen und der Personalabbau sind gerade für uns im

Osten ein herber Rückschlag. Die Bundeswehrstandorte leisten in den entsprechenden Regionen einen unwahrscheinlich hohen Beitrag für die regionale Wirtschaft. So sind zum Beispiel in den letzten Jahren in der Elb-HavelKaserne in Havelberg ca. 70 Millionen € verbaut worden. Ich komme aus diesem Standort. Ich habe dort nur einheimische Firmen gesehen, die diese Aufträge bekommen haben.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU, und von Frau Wybrands, CDU)

Ferner bekommen, angefangen vom Bäcker, bis zu 100 verschiedene Firmen aus der Umgebung Aufträge mit einem Gesamtvolumen von 850 000 € pro Jahr aus dieser Kaserne heraus. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 25 % in der Region Havelberg wäre ein Abzug der Bundeswehr für diese Stadt der Todesstoß gewesen.

Hohenmölsen steht nun leider vor einer solchen verheerenden Entwicklung. Der 10 000-Seelen-Ort verliert bis zum Jahr 2010 770 Dienstposten. Diese Entscheidung ist aus wirtschaftlicher Sicht nicht nachzuvollziehen. Auch in diesen Standort wurde unwahrscheinlich viel investiert: 50 Millionen € in Unterkunftsbereiche, Kfz-Hallen, Sportanlagen, Straßen, Ver- und Entsorgungseinrichtungen und vieles mehr. Erst im April dieses Jahres wurde eine komplett sanierte Truppenküche übergeben.

Ein Top-Bundeswehrstandort wird aufgegeben. Die Auswirkungen auf die heimische Wirtschaft, auf die Sozialeinrichtungen und auf das gesellschaftliche Leben in der Stadt werden katastrophal sein. Daher müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um eine sinnvolle Nachnutzung der Kaserne zu bekommen.

(Zustimmung von Herrn Dr. Thiel, PDS)

Bei allem Respekt vor Minister Struck: Hier enttäuscht er mich gewaltig. Anstatt konkrete Angebote zu machen, äußert er nur schwammig, dass - auch das ist ein Zitat - ein gemeinsames Interesse an kooperativer Zusammenarbeit mit den Kommunen bestehe. Oder er sagt:

„Die Wehrbereichsverwaltungen, die Bima und die gebb“

- ich will die Abkürzungen nicht ausführen -

„werden gebeten, die Kommunen zu unterstützen.“

Der dann folgende allgemeine Verweis auf GA, EFRE, ESF und Städtebauförderungsmittel zeigt, dass die Bundeswehr kein Konzept für eine erfolgreiche Konversion der betroffenen Liegenschaften hat.

(Zustimmung von Herrn Kosmehl, FDP)

Dazu ist sie aber verpflichtet.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU, und von Herrn Brumme, CDU)

Sie darf das Land und die Kommunen nicht im Regen stehen lassen.

Ich fordere deshalb von der Bundesregierung eine verbilligte Abgabe der nicht mehr benötigten Standorte, sich an der Sanierung der Altlasten zu beteiligen und die Verfahren zur Freigabe entsprechender Liegenschaften zu entbürokratisieren und zu beschleunigen.

Doch nun zu dem für mich wichtigsten Aspekt dieser Frage, der sicherheitspolitischen Bedeutung. Meine sehr

verehrten Damen und Herren! Die wirtschaftspolitische Bedeutung der Bundeswehr steht außer Frage. Ich habe dazu etwas ausgeführt. Die eigentliche Aufgabe der Bundeswehr ist sie aber nicht. Die Bundeswehr ist dazu da, Deutschland zu verteidigen. An dieser Verteidigungsfähigkeit hat sie sich zu messen.

Das neue Standortkonzept ist ein Ausfluss der veränderten Sicherheitsstrategie, die fernab jeder Realität die Fähigkeit zu Landesverteidigung und Heimatschutz aufs Spiel setzt. Das sind die eigentlichen Auswirkungen auf Sachsen-Anhalt. Wer Deutschland allein mit einer auf Auslandseinsätze gerichteten Bundeswehr sichern will, verkennt die Gefahren, die auch in unserem eigenen Land drohen.

(Herr Geisthardt, CDU: Genau so ist es!)

Er verkennt auch, wie schnell sich weltpolitische Veränderungen vollziehen können.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Wenn ich mir Lukaschenko, Kutschma und andere ansehe, dann bin ich mir nicht sicher, was ich in einigen Jahren von diesen Herrschaften zu erwarten habe. Herr Rothe hat Recht: Die Sowjetunion gibt es nicht mehr. Aber es gibt andere Gefahren, nichtstaatliche Gefahren, die uns heute drohen.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU, und von Herrn Geisthardt, CDU)

Nun sagen die Sicherheitsexperten, dass die Vorwarnzeiten für einen möglichen militärischen Angriff ausreichen, um notwendige Verteidigungsstrukturen im eigenen Land wieder aufzubauen.

Meine Damen und Herren! Ich traue der Bundeswehr zu, dass sie das schafft. Aber ich traue unserer Politik nicht, dass sie dafür rechtzeitig die notwendigen Beschlüsse fasst.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Offenbar muss erst etwas passieren, damit die Bundesregierung ihre Sicherheitspolitik auf aktuelle Bedrohungen ausrichtet. Wir müssen in der Lage bleiben, jederzeit auch zu Hause den Schutz unserer Bürger und der Bündnispartner zu sichern. Das wird uns nicht mehr gelingen, wenn wir die Truppe aus der Fläche abziehen, wenn wir alle nicht aktiven Verbände sowie die Reservelazarettorganisation auflösen oder die territorialen Strukturen der Bundeswehr abbauen.

Die Abschaffung der Verteidigungsbezirks- sowie der Verbindungskommandos wird die Fähigkeit der Truppe zur Abwehr asymmetrischer Bedrohungen im Inland weiter beschneiden. Schon die Auflösung der Verteidigungskreiskommandos war seinerzeit ein Fehler; das wurde leider unter einer CDU-Regierung beschlossen.

(Zustimmung von Frau Weiß, CDU)

Meine Redezeit ist gleich zu Ende. - Herr Präsident, ich bitte um eine kleine Verlängerung; die Bundeswehr liegt mir sehr am Herzen.

(Frau Weiß, CDU, und Herr Geisthardt, CDU, la- chen)

Erinnern wir uns noch an das Elbehochwasser im Jahr 2002. Wir wären ohne die Bundeswehr abgesoffen. Verbindungsoffiziere waren in allen Katastrophenschutzstäben und im Arbeitsstab des Innenministeriums ver

treten. In beiden VBKs wurden täglich insgesamt bis zu 7 000 Soldaten für das Land Sachsen-Anhalt eingesetzt. Diese Einsatzfähigkeiten stehen uns für zukünftige Katastrophen nicht mehr zur Verfügung. Wir haben auch keine Reserven mehr, um kurzfristige Mobilisierungen durchzuführen. Im Jahr 2002 war es das Elbehochwasser. Wer weiß, wenn es irgendwann einmal Piesteritz, Leuna oder das Wasserstraßenkreuz Magdeburg betrifft.

Zum Schluss noch ein Wort - ich werde jetzt einige Punkte überspringen - zur allgemeinen Wehrpflicht, weil diese auch immer wieder zur Debatte steht. Auch wenn Minister Struck gebetsmühlenartig der Wehrpflicht das Wort redet, handelt er mit seinen Entscheidungen genau entgegengesetzt. Die Standortentscheidungen in Verbindung mit den veränderten Einberufungskriterien sind ein weiterer Schritt zur Abschaffung der Wehrpflicht.