Zum Schluss noch ein Wort - ich werde jetzt einige Punkte überspringen - zur allgemeinen Wehrpflicht, weil diese auch immer wieder zur Debatte steht. Auch wenn Minister Struck gebetsmühlenartig der Wehrpflicht das Wort redet, handelt er mit seinen Entscheidungen genau entgegengesetzt. Die Standortentscheidungen in Verbindung mit den veränderten Einberufungskriterien sind ein weiterer Schritt zur Abschaffung der Wehrpflicht.
In dieser Armee - ich sage ganz deutlich: in dieser Armee - brauchen wir die Wehrpflicht nicht mehr. Wenn wir uns erstens nur noch auf Auslandseinsätze konzentrieren - das machen wir ja -, ist die Wehrpflicht nicht mehr begründbar, zumal für Auslandseinsätze ohnehin nur Zeit- und Berufssoldaten sowie freiwillig länger dienende Wehrpflichtige infrage kommen. Diese sind in meinen Augen keine Wehrpflichtigen mehr. Dazu kommt zweitens die immer größer werdende Wehrungerechtigkeit, wenn nur noch ein Drittel aller jungen Männer eines Geburtsjahrgangs tatsächlich eingezogen wird.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte gerade diese Wehrstruktur für falsch. Wir müssen uns wieder mehr dem Heimatschutz widmen.
Dazu werden Strukturen benötigt, die den Einsatz von Wehrpflichtigen wieder rechtfertigen würden, auch vor dem Hintergrund der Wehrgerechtigkeit. Aus einem Pool von Heimatschutzverbänden kann dann auch die Bundeswehr wieder ihren Bedarf an Nachwuchs rekrutieren.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident, ich entschuldige mich dafür, dass ich meine Redezeit um einige Zeit überschritten habe. Ich bin am Ende meiner Rede. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Schulz. - Meine Damen und Herren! Bevor wir die Debatte fortsetzen, begrüßen Sie bitte auf der Südtribüne Schülerinnen und Schüler des GerhartHauptmann-Gymnasiums Wernigerode.
Nun erteile ich dem schon angekündigten Herrn Dr. Thiel für die PDS-Fraktion das Wort. Bitte sehr, Herr Dr. Thiel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kosmehl, so richtig verstehe ich Ihr Bedauern über die gefallenen Entscheidungen nicht; denn der Bundestag hat ja in der bekannten Konstellation vier gegen eins, sprich vier Fraktionen gegen die PDS-Fraktion, vor vier Jahren gemeinsam die so genannte Bundeswehrreform auf den Weg gebracht, die anstelle der traditionellen Landesverteidigung auf weltweite Einsatzfähigkeit deutscher Soldaten setzt. Die Schließung von Bundeswehrstandorten im Land ist die logische Konsequenz dieser Politik.
Wir bedauern als PDS-Fraktion außerordentlich, dass nicht die Abrüstung das ausschlaggebende Argument für die Standortaufgabe war, sondern das Bedürfnis, auf weltweiten Schauplätzen zu agieren, oder - so hat es Herr Struck als oberster Befehlshaber formuliert; ich zitiere -:
„Struktur und Stationierung der Bundeswehr waren bisher zu sehr orientiert an der alten Sicherheitslage, das heißt, im Kern an den Szenarien des Kalten Krieges. Sie spiegelten die neuen Bedürfnisse einer weltweit operierenden Bundeswehr in keiner Weise wider.“
Die Debatte, meine Damen und Herren, über die zivilen Konfliktbearbeitungsstrategien bleibt dabei ebenso auf der Strecke wie die überfälligen Neufestsetzungen der Haushaltsprioritäten im Bund.
Die Ausgaben für zivile Lösungen bleiben marginal. Die qualitative Aufrüstung hat eben ihren Preis. Wenn momentan über ein Ausgabevolumen von 3 Milliarden € für neue Panzer nachgedacht wird, dann kann man nicht davon sprechen, dass hier Abrüstung betrieben wird. Solange auch vom Bundeshaushalt her der Verteidigungsetat ein deutlich Vielfaches des Entwicklungshilfeetats beträgt, so wird sichtbar, dass ein Missverhältnis zwischen ziviler und militärischer Konfliktprävention herrscht.
Wir betrachten den Einsatz für die Stärkung des Völkerrechtes als Mittel für die Konfliktbewältigung als wichtiger, als sich für das Recht des Stärkeren einzusetzen. Der Irak macht doch jeden Tag deutlich, wohin einseitiges militärisches Denken führt. Deshalb auch unser klares Nein zum Verfassungsentwurf für die EU, der die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern. - Herr Rothe, nicht abzurüsten, sondern die Fähigkeiten zu verbessern. Auf diesen Kurs hat sich auch die Bundeswehr begeben.
Kern der so genannten Transformation ist die Schaffung von drei Kräftekategorien: Eingreifkräfte, Stabilisierungskräfte und Unterstützungskräfte. Vorrangiges Ziel sind dabei multinationale Einsätze zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung. Was diesem Ziel nicht dient, ist laut Konzeption der Bundeswehr nachrangig.
Sicherheit, meine Damen und Herren, ist heute weder militärisch noch unilateral zu haben. Frieden ist einfach mehr als die Abwesenheit von Krieg.
Die Forderung, dass von deutschem Boden kein Krieg mehr ausgehen solle, kann man nicht damit übergehen, dass unsere Soldaten schließlich in Afghanistan oder sonst wo die Waffe in der Hand haben.
Wir als PDS wollen eine Europäische Union, die Krieg und militärische Gewaltanwendung zur Lösung von Konflikten ablehnt; deshalb unsere Forderung nach Reduzierung der Truppen der Bundeswehr auf 100 000 Mann und nach Abschaffung der Wehrpflicht. Wir sind also in dem Sinne pro Bundeswehr, Herr Schulz, aber für die Beschränkung der Aufgabe der Bundeswehr auf die reine Landesverteidigung, und sind nicht für den Aufbau einer Interventionsarmee unter dem Deckmantel des Krieges gegen den internationalen Terrorismus.
Bereits Anfang 2001, als eine Streichliste für Bundeswehrstandorte kursierte, wurde durch die PDS-Landes
parlamentarier von der Bundesregierung ein Aufschub der Standortschließungen gefordert, bis sie eine Konzeption mit wirtschafts- und sozialverträglichen Lösungen - Konversionsmaßnahmen eingeschlossen - für die betroffenen Standorte vorgelegt hat.
Bundes- und Landesregierung haben es in all den Jahren versäumt, trotz massiver Bürgerproteste eine solche alternative Konzeption für die Zukunft strukturschwacher Regionen, in denen riesige Bundeswehrstandorte liegen, zu entwickeln. Ein Beispiel dafür ist das zähe Ringen um die Umsetzung eines Konzeptes Naturpark Colbitz-Letzlinger Heide. Das wäre ein Erfolg versprechendes Konzept für die Konversion in Sachsen-Anhalt gewesen.
Meine Herren Kosmehl und Schulz, jeder, der wirtschaftlichen Wohlstand vom Militär abhängig macht, begibt sich in höchste Unsicherheit;
denn Armeen richten ihre Strategien nicht an den Erfordernissen regionaler Entwicklung aus. Der Bund trägt als Eigentümer der Bundeswehrimmobilien auch eine besondere Verantwortung für die perspektivische Weiterentwicklung im Interesse der Allgemeinheit.
Wenn also beispielsweise in Hohenmölsen, in meinem eigenen Wahlkreis, bisher ca. 40 Millionen € investiert wurden und weitere 10 Millionen € folgen sollten, dann spricht das für einen modernen Bundeswehrstandort. Dort sind mehr als 700 Menschen tätig, sei es in Uniform oder zivil. Die Zahlen haben Herr Kosmehl und Herr Schulz hier in eindrucksvoller Weise dargelegt.
Die PDS fordert von der Bundesregierung, dafür Sorge zu tragen, dass den betroffenen Regionen langfristige Perspektiven gegeben werden. Aufgrund von Strukturreformen innerhalb der Bundeswehr werden Standorte aufgegeben, die oft intakt und modernisiert sind. Die neue Konversion ist also vor allem eine Kompensationsaufgabe. Die Bundeswehr ist in den betroffenen strukturschwachen Regionen ein maßgeblicher Verbraucher, auf dessen Bedarf sich Wirtschaft und Handel eingestellt haben. Ich glaube, hierin sind wir alle einer Meinung.
Verbunden mit der Standortaufgabe ist daher meist ein beträchtlicher Abbau von Arbeitsplätzen. Berechnungen zufolge geht durch den Wegfall der Kaufkraft ein Arbeitsplatz pro sieben Soldaten verloren. Bei einem Standort wie Hohenmölsen mit etwa 770 Dienstposten sind das 110 Arbeitsplätze im örtlichen Einzelhandel, im Handwerk, in kleinen und mittelständischen Unternehmen. Das steckt eine solche Gemeinde nicht ohne weiteres weg. Darin sind wir uns in diesem Hohen Hause auch einig.
Standortaufgaben haben zugleich auch eine erheblich geringere Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt zur Folge. Primär ist es Sache der Kommunen, ehemalige Kasernen und andere militärische Grundstücke einer zivilen Nutzung zuzuführen. Aber, meine Damen und Herren, der Markt regelt dieses Problem nicht; denn wir haben in Sachsen-Anhalt nirgendwo einen Mangel an Gewerbeflächen.
Ein Standort muss planungsrechtlich vorbereitet werden, das heißt, für ein Gewerbe- und Industriegebiet müssen baurechtliche Voraussetzungen geschaffen werden; neben der Aufstellung von Bebauungsplänen müssen auch
die Flächennutzungspläne geändert werden. Die Kosten belaufen sich dafür oftmals auf mehr als 100 000 €. Die Wehrbereichsverwaltung, die ehemalige Bundesvermögensverwaltung und auch die Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Vertrieb nur zu bitten, die Kommune bei der erfolgreichen Konversion ehemaliger militärischer Liegenschaften zu unterstützen, reicht nicht aus.
Der Bund negiert das Problem und verweigert auch die Auflage neuer Förderinstrumente. Die Länder - das wissen wir selbst - können angesichts der angespannten Haushaltslage nur begrenzte Hilfen gewähren; deshalb unsere Forderung, dass zum Beispiel Bund und Land sich dafür einsetzen mögen, die vorhandene, hoch modernde Infrastruktur in ein öffentlich-rechtliches Stiftungskapital zu überführen, um die Grundlagen für die Neuansiedlung von Technologie- und Forschungsunternehmen zu schaffen. Statt der fantasielosen Schließung der Bundeswehrstandorte sind sie von einer bundeseigenen Stiftung als Technologieparks zu erschließen. Das wäre ein Weg im Rahmen einer wirklich nachhaltigen Wirtschaftsentwicklung.
Nach Aussage von Struck können für Konversionsmaßnahmen Mittel der Europäischen Union, der Gemeinschaftsaufgabe oder Mittel der Städtebauförderung genutzt werden. Da wird schon die Frage interessant, welche Prämissen die Landesregierung in den Haushaltsberatungen setzen wird, wenn diese Mittel immer knapper werden. In den bisherigen Debatten haben diese Fragestellungen jedenfalls keine Rolle gespielt.
Laut Aussage von EU-Kommissar Jacques Barrot auf eine Anfrage des PDS-Abgeordneten André Brie hin ist im Vorschlag der Kommission für die Kohäsionspolitik 2007 bis 2013 die weitere Unterstützung der Mitgliedstaaten und der Regionen der EU bei der Konversion von Militärstandorten vorgesehen. Für die neuen Mitgliedstaaten sei geplant, die Förderung größtenteils über eine neue Generation von Konvergenzprogrammen zu gewähren. Der größte Teil dieser Mittel würde auf die neuen Mitgliedstaaten und deren Regionen konzentriert.
Die gezielte Bereitstellung dieser Mittel für Konversionsmaßnahmen sollte bereits während der Programmplanungsphase erfolgen. Es ist also an der Zeit, dass sich sowohl die Bundesregierung als auch wir uns rechtzeitig dafür einsetzen, dass die Möglichkeiten der Konvergenzprogramme auch zur weiteren Förderung der Konversion bei uns und in anderen Ländern genutzt werden. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Dr. Thiel. - Meine Damen und Herren! Für die Landesregierung hat nun Herr Staatsminister Robra in Vertretung des Ministers des Innern um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Staatsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach dem neuen Stationierungskonzept der Bundeswehr müssen mit Ausnahme des Saarlandes bis zum Jahr 2010 alle Länder mehr oder weniger große Verluste hinnehmen. Das Bundesverteidigungsministerium hat dies nach ausschließlich militärisch-funktionalen und betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten entschieden.
Das wollen wir nicht grundsätzlich infrage stellen, solange es für alle Standorte gilt und nicht etwa dort, wo zugleich der Abzug von amerikanischen Soldaten droht, wiederum innerdeutsch doch Kompromisse und Zugeständnisse gemacht werden. Die Landesregierung hat insofern das Wort des Staatssekretärs Biederbick aus dem Bundesministerium der Verteidigung, dass dies nicht geschehen wird, sondern dass in allen Regionen mit gleichem Maß gemessen wird.
Meine Damen und Herren! Im Vergleich zu anderen Bundesländern nimmt Sachsen-Anhalt im Hinblick auf die Stationierungsstärke seit jeher einen der hintersten Plätze ein. Ebenso verhält es sich in Bezug auf das Verhältnis von stationierten Soldaten zu vorhandener Übungsplatzfläche. Das darf sich so nicht weiterentwickeln. Auch wir brauchen eine angemessene Repräsentanz der Bundeswehr in der Fläche. Der Bürger in Uniform ist uns willkommen.
Die Bundeswehr stellt in Sachsen-Anhalt einen wichtigen Impulsgeber für die Wirtschaft dar und ist ein bedeutender Garant für Ausbildungs- und Arbeitsplätze in den Regionen unseres Landes. Das wird besonders spürbar in den Regionen Havelberg und Klietz, Gardelegen und Letzlingen, Burg, Genthin, Altengrabow, Blankenburg, Dessau, Halle, Weißenfels und Hohenmölsen und letztlich auch in der Region um Jessen mit dem nahe gelegenen Fliegerhorst Schönewalde-Holzdorf.
Erfreulich ist insoweit - Herr Schulz hat bereits darauf hingewiesen - der Fortbestand des Standortes Schönewalde in Brandenburg an der Grenze zum Altkreis Jessen, der sogar einen Aufwuchs um mehr als 700 Soldaten erfährt. Die Bundeswehr ist in dieser Region der größte Arbeitgeber. Von den gegenwärtig dort beschäftigten 440 Zivilbediensteten kommen allein ca. zwei Drittel, 290 Zivilbedienstete, aus Sachsen-Anhalt.
Herr Rothe, der Aufwuchs in Letzlingen ist eine direkte Folge des neuen Heidekompromisses. Insofern hängt auch dort das eine mit dem anderen zusammen, auch wenn mit dem Kompromiss selbst keine Rechtsverpflichtungen insofern zu übernehmen waren und auch nicht übernommen werden konnten.
Meine Damen und Herren! Im Wissen um die nachteiligen Folgen von Standortreduzierungen und -auflösungen für die regionale Wirtschaftskraft hat sich die Landesregierung frühzeitig - seit Dezember 2002 - und wiederholt beim Bundesverteidigungsministerium für den Erhalt der Einrichtungen und Dienststellen der Bundeswehr in Sachsen-Anhalt stark gemacht.
Herr Kollege Jeziorsky hat sich diesbezüglich in mehreren Briefen an Bundesminister Struck gewandt und sich für den Erhalt sowohl der Bundeswehrstandorte als auch der Einrichtungen der territorialen Wehrorganisation im Land Sachsen-Anhalt eingesetzt. In Gesprächen mit Herrn Staatssekretär Biederbick vom Bundesministerium der Verteidigung habe auch ich die nachteiligen Wirkungen möglicher Standortentscheidungen dargelegt und die ablehnende Haltung der Landesregierung zu Einschnitten beim aktuellen Stationierungsumfang deutlich gemacht. Herr Ministerpräsident Professor Böhmer hat das in einem persönlichen Brief vom 25. Oktober 2004, also eine Woche vor der Entscheidung in Berlin, an Bundesminister Struck nochmals ausdrücklich bekräftigt.
Ich hätte mir gewünscht, dass sich die frühere Landesregierung hinsichtlich der Entscheidung über die Auflösung des Pionierstandorts Dessau in den Jahren 1996