Protokoll der Sitzung vom 17.12.2004

(Heiterkeit bei der SPD und bei der PDS)

Denn ich bin der Meinung, dass der Kompromiss, wenn er zustande gekommen wäre, ein guter Kompromiss gewesen wäre. Er ist aber nicht zustande gekommen. Die Schuld können Sie nicht bei uns suchen. Wir haben uns sehr weit aus dem Fenster gehängt, wie man volkstümlich sagt.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Aber die Option war es doch!)

- Sie haben es verdorben, und so ist es, wie es ist.

(Zustimmung bei der SPD - Zuruf von Herrn Dr. Daehre, CDU)

Die SPD-Fraktion lehnt außerdem eine Erhöhung der Mindestzügigkeit bei Gesamtschulen ab. Dazu gibt es einen Änderungsantrag. Meine Damen und Herren, seien Sie bitte ehrlich. Die Erhöhung der Mindestzügigkeit hat unserer Auffassung nach doch nur einen Zweck: Sie wollen die weitere Gründung von Gesamtschulen in der Fläche verhindern. Seien Sie ehrlich, geben Sie es zu.

(Frau Feußner, CDU: Quatsch!)

Eingang in das Schulgesetz muss nach unserer Meinung eine erweiterte Regelung zur Erprobung von abweichenden Organisationsformen der Schulen finden. In Sachsen einigten sich die Koalitionspartner CDU und FDP darauf, Schulen einzurichten, an denen ein längeres gemeinsames Lernen möglich sein soll. Mit den von uns vorgeschlagenen Regelungen können diesbezügliche Abweichungen beim Aufbau und bei der Gliederung des Schulwesens auch in unserem Land erprobt werden.

Dem Entschließungsantrag der CDU- und der FDP-Fraktion, der letztlich eine Regelung aus dem SPD-Entwurf aufgreift, werden wir zustimmen, auch wenn wir uns diesbezüglich eine gesetzliche Regelung gewünscht hätten. Scheinbar haben Sie endlich erkannt, dass aufgrund der rigiden Vorgaben zur Schulentwicklungsplanung auch solche Sekundarschulen von der Schließung bedroht sind, die bisher als bestandsfähig galten.

Meine Damen und Herren! Wir wissen insbesondere seit Pisa, dass das deutsche Schulsystem zwei gravierende Probleme aufweist: ein Leistungsproblem und ein Gerechtigkeitsproblem. Über die Ergebnisse, die sich in der neuen Pisa-Untersuchung gezeigt haben, hat Frau Hein vor mir ausführlich referiert. Darauf gehe ich jetzt nicht noch einmal ein.

Es zeigt sich tatsächlich, dass Verbesserungen in einem Bereich der Schule entstehen, der zwar sehr wichtig ist, aber der Bereich, in dem die meisten „nicht vorankommen“, ist der Bereich der Sekundarschule und insbesondere der Hauptschule. Das heißt, wir brauchen verstärkte Maßnahmen, die große Streuung der Leistungen zu reduzieren und jungen Menschen unabhängig von der sozialen Herkunft eine gerechte Entwicklungsmöglichkeit zu geben. Ein Schulsystem, das keinen Nachteilsausgleich schafft, ist unsozial. So etwas sollte es in einem sozialen Staat nicht geben.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Das oft gebrauchte Argument, es liege nicht nur an den Strukturen, stimmt eben nur zum Teil. Fakt ist, die Schulstruktur organisiert eine institutionelle Auslese und damit eine Ausgrenzung. Längeres gemeinsames Lernen, verbunden mit einem vernünftigen Instrumentarium der individuellen Förderung der Leistungsstarken, aber auch der nicht so Leistungsstarken, verbunden mit einer inneren Schulreform und einer anderen Lehr- und Lernkultur müssen die Alternative hierzu sein.

(Zustimmung von Frau Fischer, Naumburg, SPD)

Frau Feußner, Sie haben in einem Beitrag in der „Volksstimme“ gesagt, Sie seien bereit, sich nach der Verabschiedung des Gesetzentwurfes mit uns auch über langfristige Änderungen der Strukturen zu unterhalten. Den Artikel kann ich Ihnen heraussuchen. Wir denken, dass

das dringend nötig ist; denn genau die Pisa-Sieger haben ähnliche Prozesse hinter sich. Sie haben in der Regel in einem breiten gesellschaftlichen Konsens diese grundlegenden Veränderungen herbeigeführt.

Deshalb war die Arbeit der vergangenen Wochen doch nicht umsonst, auch wenn der Kompromiss nicht zustande gekommen ist, Herr Olbertz, weil wir sehen, dass es Wege gibt, über einzelne Punkte die grundlegenden Fragen zu lösen.

(Zustimmung von Herrn Dr. Schellenberger, CDU, und von Herrn Tullner, CDU)

Wir werden diese Diskussion öffentlich führen und unsere Vorstellungen dazu in absehbarer Zeit im Rahmen der von uns angestoßenen Zukunftsdebatte in den Raum stellen. Ich hoffe, wir werden dann auch noch einmal zu einem offenen Gespräch kommen und die Konsense herbeiführen, die notwendig sind. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD - Zustimmung von Herrn Gal- lert, PDS, und von Herrn Dr. Thiel, PDS)

Vielen Dank, Frau Mittendorf. - Nun hören wir den Beitrag der CDU-Fraktion. Es spricht Frau Feußner. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schulgesetzänderungen sind, solange dieser Landtag im Land Sachsen-Anhalt existiert, nichts Neues bzw. nichts Einmaliges. Heute werden wir das mittlerweile neunte Gesetz zur Änderung des Schulgesetzes des Landes verabschieden. Die Vielzahl der Gesetzesänderungen ist sicherlich keine Glanzleistung. Diese Novelle bringt aber keine strukturellen Änderungen mit sich, sondern sie ist durch wesentliche inhaltliche Neuerungen geprägt, welche schon lange im Gespräch sind und die auch mehrfach von verschiedenen Stellen gefordert wurden.

Auch wenn wir mehr Kontinuität für unsere Schulen und dies zu Recht einfordern, kann das System Schule nicht stillstehen, was uns auch die jeweiligen Untersuchungsergebnisse bescheinigt haben. Wir wollen schließlich für alle unsere Schüler ein qualitativ hochwertiges Schulsystem anbieten, in dem auch unsere Schüler eine entsprechende Förderung erfahren, damit sie die Schule mit einem bestmöglichen Abschluss verlassen können.

Das erfordert Anstrengungen und die Leistungsbereitschaft von allen Seiten. Aus diesem Grund haben wir uns wirklich darum bemüht, Frau Mittendorf, - die SPDFraktion hatte auch einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht - wesentliche Punkte, die aus unserer Sicht kompromissfähig sind, zu übernehmen. Leider ist es - Herr Scharf hat es gestern auch schon einmal gesagt - nicht zu einem vollkommenen Kompromiss gekommen.

Ein wesentlicher und eigentlich der einzige Punkt, bei dem wir keine Einigung erzielen konnten, ist die verbindliche Schullaufbahnempfehlung. Sie haben das in Ihrer Darbietung bereits sehr intensiv dargelegt. Wir haben uns über diese Problematik schon mehrfach unterhalten und haben darüber schon einige Diskussionen geführt. Dabei hat sich immer wieder herausgestellt, dass wir gegensätzliche Auffassungen vertreten.

Nun ist es nicht so, dass ich mich mit Ihren Argumenten nicht kritisch auseinander gesetzt hätte. Ich habe auch einen aktuellen Beitrag zur Schullaufbahnempfehlung und zum Bildungserfolg in der Zeitschrift des Philologenverbandes „Profil“ gefunden, der wiederum genau unsere Auffassung bestätigt und die Argumente der PDS und der SPD widerlegt.

Leider kann ich diesen Gastkommentar von Herrn Professor Dr. Kurt Heller aus Zeitgründen nicht vollständig wiedergeben. Ich würde Ihnen diesen aber unbedingt zur Lektüre empfehlen. Einiges, was seine wissenschaftlichen Untersuchungen ergeben haben, möchte ich jedoch daraus zitieren. Er spricht von so genannten sechs Mythen.

Mythos 1: Die frühzeitige Schullaufbahnentscheidung verhindert optimale individuelle Bildungserfolge. - Das widerlegt er.

Mythos 2: Nur die gemeinsame Beschulung auch in der Sekundarstufe I garantiert maximale Chancengerechtigkeit. - Das widerlegt er.

Mythos 3: Sozialer Chancenausgleich und individuelle Bildungserfolge gelingen in Einheitsschulsystemen besser als in einem gegliederten Schulwesen. - Das widerlegt er.

Mythos 4: Schuleingangsprognosen sind am Ende der vierjährigen Grundschule weniger treffsicher als nach der sechsten Jahrgangsstufe bzw. Orientierungs- oder Förderstufe. - Das widerlegt er auch.

Mythos 5 - -

Frau Feußner, möchten Sie eine Frage von Herrn Reck beantworten?

Am Ende.

Mythos 5: Lern- und Leistungskontrollen beeinträchtigen vor allem in der Grundschule die Lernfreude und die Lernmotivation der Schüler. - Auch dieses widerlegt er.

Mythos 6: Der schulische Umgang mit dem Differenzierungsproblem gelingt an integrierten Gesamtschulen besser als in dem in Deutschland traditionellen dreigliedrigen Schulsystem. - Alle diese Mythen, wie er sie bezeichnet, widerlegt Herr Professor Dr. Heller in diesem wissenschaftlichen Beitrag.

(Unruhe bei der SPD)

Das Fazit seines Beitrages ist: Eine Verschiebung der Schullaufbahnentscheidung in die Sekundarstufe würde für die meisten Schüler keine Vorteile, wohl aber erhebliche Nachteile mit sich bringen. Diese betreffen nicht nur Leistungsaspekte, sondern tangieren die gesamte Persönlichkeitsentwicklung der Jugendlichen und damit letztendlich auch deren Zukunftschancen.

Dass eine gleiche schulische Behandlung ungleicher individueller Lern- und Leistungsvoraussetzungen nachweislich zur Vergrößerung und nicht zur Verringerung von unerwünschten und auch ärgerlichen Begabungs- und Leistungsunterschieden in der Schule führt, ist inzwischen eine psychologische Binsenweisheit, die jedoch noch längst nicht bei allen Bildungspolitikern - und dies zum Schaden unserer Kinder und Jugendlichen - verinnerlicht worden ist.

Diesem Beitrag braucht man nichts mehr hinzuzufügen. Wir haben mit dieser Regelung zur verbindlichen Schullaufbahnempfehlung eine langjährige Forderung von einer Vielzahl von Verbänden und Betroffenen umgesetzt.

(Zustimmung bei der CDU - Frau Weiß, CDU: So ist es!)

Werte Damen und Herren! Zu weiteren Aspekten des Schulgesetzentwurfes. Dieses Schulgesetz ist von Inhalten geprägt - ich sagte es bereits -, um der allgemeinen Qualitätsdebatte Rechnung zu tragen, und nicht davon, die unsägliche Strukturdebatte wieder zu eröffnen. Auch hier kann ich ein Zitat anführen. Frau Behler, ehemalige Kultusministerin der SPD in Nordrhein-Westfalen, hat vor einer Woche genau zu dieser Strukturdebatte folgende Ausführungen in der „FAZ“ gemacht - mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitiere ich -:

„Wenn die internationalen Vergleichsuntersuchungen“

(Unruhe bei der SPD)

- ich würde an Ihrer Stelle zuhören; es geht schließlich um eine ehemalige Kultusministerin Ihrer Partei -

„und der Vergleich der Bundesländer untereinander eines deutlich gezeigt haben, dann dass der ostdeutsche Streit um die Schulstruktur obsolet ist. Diese bildungspolitisch begründete Debatte, die in Deutschland seit Jahrzehnten verhindert hat, die eigentlichen Problemzonen zu lokalisieren und effektiv zu verbessern, sollte zu den Akten gelegt werden.“

Ich glaube, man kann auch diesem Zitat nichts hinzufügen.

(Zustimmung von Herrn Schomburg, CDU)

Wir haben versucht, gerade diese Problemzonen zu lokalisieren, um eine entsprechende Antwort darauf zu geben. Uns ist wohl bewusst, dass wir damit bei den nächsten Pisa-Untersuchungen nicht gleich auf einen vorderen Platz schnellen werden; denn all diese Intentionen benötigen für ihre Umsetzung auch Zeit. Die Ergebnisse werden also nicht sofort messbar sein.

Die Einführung von Förderschulen bzw. Förderzentren setzt nämlich auch einen Prozess des Umdenkens im Land voraus. Es geht darum, auch zu versuchen, mehr Schüler als bisher mit entsprechender sonderpädagogischer Begleitung an allgemein bildenden Schulen zu integrieren.

Die gemeinsam von der KMK verabschiedeten Bildungsstandards werden auch in Sachsen-Anhalt als Maßstab in den einzelnen Schulformen und Schulfächern definiert. Eine verbesserte Vergleichbarkeit der Klassen, der Schulen und der Länder untereinander wird dadurch möglich. Anerkennungsprobleme untereinander werden minimiert und nicht verstärkt, Frau Hein, wie Sie das darstellen wollten.