Protokoll der Sitzung vom 27.01.2005

Ja.

Herr Dr. Molkenbuhr, Sie nehmen die Wahl an. Ich beglückwünsche ich Sie im Namen des Hohen Hauses zu Ihrer Wahl.

Damit, meine Damen und Herren, ist der Tagesordnungspunkt 2 a beendet. Nach der sich jetzt anschließenden Übergabe der Ernennungsurkunde durch Herrn Ministerpräsidenten Professor Böhmer setzen wir in ca. einer halben Stunde mit der feierlichen Vereidigung von Herrn Dr. Molkenbuhr fort.

Die Zwischenzeit nutzen wir und beraten den Tagesordnungspunkt 3:

Erste Beratung

Etablierung einer Mitteldeutschen Wissenschaftsregion Halle/Leipzig/Jena

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/1975

Alternativantrag der Fraktionen der FDP und der CDU - Drs. 4/2014

Einbringerin für die SPD-Fraktion ist die Abgeordnete Frau Dr. Kuppe. Bitte sehr, Frau Dr. Kuppe.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Herren und Damen Abgeordnete! Seit nunmehr zehn Jahren gibt es den Mitteldeutschen Universitätsverbund Halle/Leipzig/Jena. Hierbei handelt es sich im Wesentlichen um eine allgemeine Universitätspartnerschaft mit gegenseitiger Anerkennung von Studienleistungen und einem gemeinsamen Projekt zur Lehrevaluation. Hinsichtlich universitärerer Forschungsbereiche gibt es vereinzelt Projektkooperationen. Vor allem gibt es einige gemeinsame Sonderforschungsbereiche, aber keine Koordinierung, Profilentwicklung oder Schwerpunktsetzung in abgestimmter, übergreifender Form.

Ähnlich sieht es mit den Wissenschaftsbeziehungen zum außeruniversitären Forschungs- und zum Wirtschaftsbereich aus. Gerade hier existiert bei geringen geografischen Entfernungen im Raum Halle/Leipzig/Jena eine große Ballung mit mehr als 20 außeruniversitären Forschungseinrichtungen der Fraunhofer-, der Max-Planck-, der Helmholtz- und der Leibniz-Gesellschaft und mit einer Reihe von Forschungs-GmbHs sowie anderer etablierter Unternehmen.

Obwohl es teilweise überschneidende Forschungs- und Entwicklungsinteressen gibt, definiert sich derzeit jeder der drei Standorte im Wesentlichen als eine eigene kleine Wissenschaftsregion, die durchaus mit den beiden anderen in Konkurrenz steht. Weder in der Eigen- noch in der Außenwahrnehmung tritt die mitteldeutsche Wissenschaft und Forschung beispielsweise bei der Biotechnologie als einheitlicher Akteur auf, der auch im europäischen und globalen Rahmen als starker Innovationspool mit großen Kompetenzen und überzeugender Leistungskraft wirksam wird.

Sehen wir uns am Beispiel der Biotechnologie die Profile der einzelnen Standorte an. Zum Standort Halle. Halle blickt auf eine lange Forschungs- und Entwicklungstradition im Bereich der Chemie zurück. In den 60er-Jahren des vorigen Jahrhunderts sind die Bereiche Biochemie und Biotechnologie vehement hinzugekommen. Namen wie Abderhalden, Ziegler, Langenbeck, Mothes und Schellenberger stehen stellvertretend für diese Entwicklung. Heute weist die Martin-Luther-Universität renommierte Institute für Biochemie, Biotechnologie, Bioengineering, Biologie und Genetik aus.

Auf dem Weinberg-Campus wirken weiterhin das Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie, die Max-Planck-Forschungsgruppe für die Enzymologie der Proteinfaltung und das Umweltforschungszentrum Halle-Leipzig. Diese räumliche Nähe hat zu einer starken Kooperation der Universität mit diesen außeruniversitären Forschungsbereichen geführt. Das ist eine der Stärken des Standortes Halle.

Mit den zusätzlichen intensiven Kooperationen mit dem Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben liegen Forschungsschwerpunkte des Standortes Halle in der molekularen Pflanzengenetik, der Züchtungsforschung und der Wirkstoffforschung. Der regionale Wachstumskern „Rekombinante therapeutische Proteine“ arbeitet an der Entwicklung therapeutischer Proteinwirkstoffe.

Im Wissenschafts- und Innovationspark haben sich, ausgehend vom Biozentrum, bereits zahlreiche Firmen mit

biotechnologischem Hintergrund etabliert. Zwei Technologie- und Gründerzentren sind ausgelastet; das dritte entsteht.

Zum Standort Leipzig. Die Universität Leipzig war lange durch den Schwerpunkt Geisteswissenschaften geprägt. In jüngerer Zeit entwickelt sich der Standort Leipzig aber auch zu einem Standort der Biotechnologie. Neben der Universität spielen die Max-Planck-Institute für Kognitions- und Neurowissenschaften und für neuropsychologische Forschung, das Umweltbiotechnologische Zentrum, das Sächsische Institut für Angewandte Biotechnologie und das Interdisziplinäre Zentrum für Klinische Forschung im Bereich Forschung und Entwicklung der Biotechnologie eine wichtige Rolle. Unterdessen hat auch mehr als ein Viertel der in Sachsen ansässigen Biotechnologie-Firmen seinen Sitz in Leipzig.

Zum Standort Jena. Das wissenschaftliche Profil von Jena ist nach wie vor ausgesprochen von der feinmechanisch-optischen Tradition geprägt. Daneben ist aber auf dem Beutenberg-Campus inzwischen auch ein erfolgreicher Forschungs- und Entwicklungsbereich in der Biotechnologie etabliert worden, der insbesondere durch die beiden Max-Planck-Institute für Biogeochemie und chemische Ökologie und die beiden Leibniz-Institute für molekulare Biotechnologie und für Naturstoffforschung geprägt wird. In Jena ist das Kompetenznetz Bio-Instrumente beheimatet, das vor allem die Technologiefelder Individualmedizin, zielorientierte Wirkstoffentwicklung, Nanobiotechnologie und Bioinformatik im Blick hat.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Außer dem bereits erwähnten Universitätsverbund ist eine wissenschaftliche Kooperation zwischen den drei Zentren relativ gering ausgeprägt. Positiv hervorzuheben sind aber zwei Aktivitäten. Zum einen hat die Initiative „Regionenmarketing Mitteldeutschland“ im Oktober des vergangenen Jahres einen Innovationspreis Mitteldeutschland kreiert. Damit ist erstmals eine einheitliche Auszeichnung für wissenschaftliche und für wirtschaftliche Innovationen für die Region Mitteldeutschland geschaffen worden.

Für den zweiten Kooperationsansatz steht die Bio Mitteldeutschland GmbH mit Sitz in Halle, die nicht nur bei der Umsetzung der Biotechnologieoffensive in SachsenAnhalt als Projektmanagerin wirkt, sondern auch bereits für ein gemeinsames Marketing der mitteldeutschen Biotechnologie die Kontakte nach Leipzig und nach Jena knüpft und pflegt.

Beispiele anderer Wissenschaftsregionen in Deutschland und in Europa lassen zur Bündelung der Kräfte zwei Hauptmuster erkennen. Entweder steht eine gemeinsame Leitthematik im Vordergrund oder die Kooperation ist relativ breit angelegt und setzt auf Themenvielfalt.

Dem ersten Muster folgt beispielsweise die so genannte Bio-River-Region mit den Städten Aachen, Jülich, Bonn, Köln und Düsseldorf, alle in Nordrhein-Westfalen gelegen.

In die Region fallen vier Universitäten, das Forschungszentrum Jülich, zwei Max-Planck-Institute, ein Fraunhofer- und ein Leibnizinstitut mit biotechnologischer Ausrichtung sowie drei Viertel der über 300 Biotechnologie- und Life-Science-Unternehmen in Nordrhein-Westfalen.

Die Bio-River-Region wurde erst im Jahr 2003 offiziell etabliert; die Anfänge liegen wesentlich früher. Sie wird

von einem Trägerverein zentral koordiniert und vermarktet. Diesem Trägerverein gehören Unternehmen, die IHK, Forschungseinrichtungen und die Kommunen an. 380 biotechnologische Arbeitsgruppen und 18 Gründerzentren fühlen sich der Bio-River-Region zugehörig.

Ein Beispiel für das zweite Muster ist die Wissenschaftsregion Nordwest, die bereits seit dem Jahr 1990 besteht. Sie ist Bundesländer und Staaten übergreifend organisiert mit den Standorten Bremen, Oldenburg, Emden und Groningen in den Niederlanden. Hierbei spielt nicht eine gemeinsame Leitthematik, sondern ein Bündel an Schnittstellen verschiedener Forschungsinteressen eine Rolle. Ausdruck findet das beispielsweise im HanseWissenschaftskolleg als Gemeinschaftseinrichtung der Länder Bremen und Niedersachsen, in der Hanse-LawSchool als gemeinsamer Studiengang der Hochschulen Bremen, Oldenburg und Groningen und den institutionalisierten multilateralen Forschungskooperationen in den Bereichen Materialwissenschaften, Meeresforschung und Klimaforschung. Aufgrund der gewählten Struktur ist ein gemeinsames Profil der Wissenschaftsregion Nordwest aber eher gering entwickelt.

Meine Damen und Herren! Für eine mitteldeutsche Wissenschaftsregion halte ich die Fokussierung auf bestimmte Leitthematiken für erfolgversprechend. Deutliche Schnittmengen weisen die drei Standorte Halle, Leipzig und Jena bei den jeweiligen Forschungs- und Entwicklungsinteressen im Bereich der Biotechnologie auf. Das ergibt sich aus dem Gesagten.

Nicht zu vernachlässigen sind aber auch gemeinsame Berührungspunkte auf geisteswissenschaftlichem Gebiet, beispielsweise bei den Themen Reformation und Aufklärung mit den entsprechenden Beziehungen unter anderem zu den Luther-Zentren und der Tourismuswirtschaft. Auch der Komplex der Materialwissenschaften bietet einen Fundus von gemeinsamen Entwicklungspotenzialen, die einfach genutzt werden müssen.

Unverzichtbar wäre aber in jedem Fall, sorgfältig zu prüfen, welche Alleinstellungsmerkmale bei einer gemeinsamen Dachmarke die mitteldeutsche Wissenschaftsregion von anderen, konkurrierenden europäischen Regionen unterscheidet.

Die Wissenschaftsregion Nordwest hat in den letzten 15 Jahren immer wieder erfahren, wie viel Sand bei einer grenzüberschreitenden Kooperation im Getriebe sein kein. Daher fallen den Landesregierungen von SachsenAnhalt, Sachsen und Thüringen wichtige Mittler- und Moderatorenfunktionen bei der Einrichtung und dem Ausbau einer mitteldeutschen Wissenschaftsregion zu, vor allem in Bezug auf die rechtlichen und die materiellen Rahmenbedingungen.

Im Falle der engeren wissenschaftlichen Kooperation der drei Standorte in der Biotechnologie bietet die von den drei Ländern schon im Jahr 2002 gegründete Initiative Mitteldeutschland einen direkten Anknüpfungspunkt.

Der Staat kann und soll - ich denke: er muss - solche Prozesse befördern. Vom Grundsatz her handelt es sich aber um eine Frage der internen Wissenschaftsorganisation. Das will ich hier noch einmal klarstellen.

Mit den im Antrag genannten Partnern könnten solche Vorhaben angepackt und umgesetzt werden wie

− der Ausbau des mitteldeutschen Universitätsverbundes unter Einbeziehung außeruniversitärer Forschungseinrichtungen,

− die Öffnung der interdisziplinären Zentren der MartinLuther-Universität für die beiden anderen Standorte,

− die Einrichtung von standortübergreifenden Graduiertenkollegs unter dem Aspekt der Exzellenzförderung,

− die Einrichtung eines gemeinsamen biotechnologisch orientierten Wissenschaftskollegs unter Einbeziehung auch der relevanten Fachhochschulen wie beispielsweise in Sachsen-Anhalt der Fachhochschule Anhalt und der Fachhochschule Merseburg

− die Auflage eines gemeinsamen Forschungsförderprogramms Biotechnologie oder auch

− die einheitliche Schwerpunktsetzung bei der Förderung von Existenzgründungen in diesem Bereich.

Auf diesem Wege ließe sich nach unserer Überzeugung ein mitteldeutsches Forschungsdreieck mit hoher Ausstrahlungskraft und mit direkter Wechselwirkung auf die wirtschaftliche Entwicklung in unserer Region entwickeln. Die Schenkel dieses mitteldeutschen Forschungsdreiecks, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind übrigens verlängerbar nach Magdeburg, Dresden, Erfurt und darüber hinaus, wenn der thematische Zusammenhang dies sinnvoll erscheinen lässt.

Die Koordinierung der übergreifenden Anstrengungen könnte beispielsweise von einem gemeinsamen Forschungsrat übernommen werden. Von Sachsen-Anhalt aus betrachtet, bietet sich möglicherweise, Herr Professor Olbertz, das jetzt noch etwas diffus erscheinende Wissenschaftszentrum Wittenberg als Hülle für einen solchen gemeinsamen Forschungsrat an. Aber das sind letztlich nachrangige Betrachtungen.

Meine Damen und Herren! Welche Cluster in welcher Größenordnung und in welcher Struktur sich langfristig in der europäischen Wissenschaftslandschaft behaupten werden, ist noch offen. Aber eine Wissenschaftsregion - wie beschrieben - in Mitteldeutschland mit einer hohen Dichte an Forschungsinstitutionen, mit einer hohen Dichte an Unternehmen und Ausbildungsmöglichkeiten birgt ein weitaus größeres Entwicklungspotenzial in sich, als es die Summe der Einzelpotenziale ergeben wird. Genau darum geht es.

(Zustimmung bei der SPD)

Meine Damen und Herren! Die SPD-Fraktion schlägt vor, diesen Gesamtkomplex federführend im Ausschuss für Bildung und Wissenschaft und mitberatend im Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit intensiv zu beraten. Vielleicht können sich die Koalitionsfraktionen angesichts ihres sehr weich formulierten Alternativantrages einem solchen Verfahren anschließen. Dann könnten wir bei uns, im Landtag von Sachsen-Anhalt, einen wesentlich solideren Umgang mit dem wirklich wichtigen Zukunftsthema der Entwicklung von Wissenschaft und Forschung im mitteldeutschen Raum praktizieren, als es im Thüringer Landtag der Fall war. Ich wäre Ihnen sehr dankbar dafür. - Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Dr. Kuppe. - Meine Damen und Herren! Begrüßen Sie mit mir auf der Südtribüne Schülerinnen und Schüler des Europa-Gymnasiums Gommern sowie Seniorinnen und Senioren aus Roßlau und auf der

Nordtribüne Damen und Herren vom Europäischen Bildungswerk für Beruf und Gesellschaft e. V. Magdeburg.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion eintreten, hat für die Landesregierung Minister Herr Professor Dr. Olbertz um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Der Antrag der SPD-Fraktion zur Etablierung einer mitteldeutschen Wissenschaftsregion und in Verbindung damit eines mitteldeutschen Forschungsdreiecks hat gute Gründe. Ich muss nach der Rede von Frau Dr. Kuppe auch sagen, dass das eine mir eigentlich willkommene Kommentierung der Programmatik gewesen ist, die wir längst verfolgen. Das meine ich in einem sehr positiven Sinn; denn das heißt, diese Programmatik ist angekommen, sie wird kommuniziert, sie wird aufgegriffen. Genau das ist gewollt.