Protokoll der Sitzung vom 03.03.2005

Um den Anforderungen der Entsenderichtlinie gerecht zu werden, hat man so viele Ausnahmen bereits in dem Richtlinienentwurf aufgeführt - ich kann sie im Einzelnen einmal vorlesen: Mindestlohn, Höchstarbeitszeit, Mindestruhezeit, bezahlter Mindestjahresurlaub, Mindestlohnsätze, Bedingungen für die Überlassung von Arbeitskräften, Sicherheit, Gesundheitsschutz, Hygiene, Arbeitplatzschutzmaßnahmen für Schwangere, Kinder und Jugendliche etc.; ich kann das gar nicht alles vortragen, weil schon wieder das Ende der Redezeit angezeigt wird -, dass wir einen Richtlinienentwurf vorliegen haben, der genau einem Kernproblem entspricht, das wir in Deutschland haben, dass nämlich neben viel zu hohen Steuern und Abgaben das größte Wettbewerbshindernis die Bürokratie ist.

Mit der Richtlinie der Europäischen Kommission würde ein zusätzliches Maß an Bürokratie innerhalb der Europäischen Union auf uns treffen, das nicht dem eigentlichen Ziel der Richtlinie entspricht.

(Zustimmung von Herrn Dr. Sobetzko, CDU)

Außerdem möchte ich auf eine Anhörung am 11. November 2004 verweisen, in der eine Reihe von Problemen aufgelistet wurde, die allesamt ernst zu nehmen sind und aus diesem Grund dazu führen, dass die Richtlinie, wie sie im Entwurf vorliegt, nicht in Kraft treten darf - vom Anwendungsbereich, der nicht präzise genug formuliert ist und zu Rechtsunsicherheit führt, bis zum Herkunftslandprinzip und der Frage der Kontrolle. Warum soll das Herkunftsland Polen, Slowenien oder Tschechien Interesse daran haben, einen Handwerker oder Freiberufler aus diesen Ländern daraufhin zu kontrollieren, wie er seine Dienstleistung in Magdeburg erbringt? - Das werden wir nicht erleben. Insofern wird das Ganze in der Praxis ausgehebelt werden. Es gibt noch eine Reihe von Kritikpunkten, die ernsthaft auszudiskutieren sind.

Deswegen schlägt die CDU-Fraktion folgendes Verfahren vor: Wir wollen nicht die Landesregierung auffordern, diese Richtlinie zurückzuweisen oder darauf auf der Bundesebene zu drängen, weil das kein Schritt nach vorn wäre, sondern eher ein Vertagen des Problems auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.

(Zustimmung von Herrn Felke, SPD)

Das Thema ist angesichts der hohen Arbeitslosigkeit und dem, was Frau Dr. Klein sagte, von zu großer Bedeutung, weil es in der Tat noch ein weiteres Kernproblem gibt: Geht man jetzt sektoral oder horizontal vor? - Das wäre ein totaler Bruch mit dem, was die EU bisher generell gemacht hat, die Umkehr aller bisherigen Prinzipien. Aus diesem Grund müssen wir uns dem Thema stellen.

Wir schlagen vor, den Antrag der PDS-Fraktion, so wie er ist, in die folgenden Ausschüsse zu überweisen: Wirtschaft und Arbeit, Bundes- und Europaangelegenheiten sowie Gesundheit und Soziales - weil natürlich die Dienstleistungen, die mit dem Menschen im Gesundheitssektor unmittelbar zu tun haben, besonders betroffen und wichtig sind. Federführend sollte der Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit sein, weil es im Kern eine Frage der Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen und des Arbeitsmarktes ist.

Außerdem - damit möchte ich schließen - schlagen wir vor, dass die drei genannten Ausschüsse sich vielleicht auf einen zeitnahen Termin für eine gemeinsame Anhörung verständigen, in der alle wichtigen Organisationen und Fachverbände zu diesem Thema angehört werden sollten. - Vielen Dank, für Ihre Aufmerksamkeit. Ich empfehle die Überweisung des vorliegenden Antrages.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Vielen Dank, Herr Gürth. - Für die SPD-Fraktion spricht nun Herr Tögel.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist viel gesagt worden. In dem Eingangsstatement von Herrn Thiel ist viel Richtiges zu Kritikpunkten gesagt worden. Ich möchte diese in meinem Redebeitrag nicht noch einmal nennen, weil sich vieles wiederholen würde. Ich will aber ausdrücklich sagen, dass ich mich nicht daran erinnern kann, in den Jahren, in denen ich gemeinsam mit Herrn Rehberger ein Parlamentsmandat teile, jemals so viel Übereinstimmung mit Ihnen gefunden zu haben wie heute. Ich bin völlig mit dem einverstanden, was Sie zur Analyse gesagt und an Vorschlägen unterbreitet haben.

(Minister Herr Dr. Rehberger: Sie machen Fort- schritte!)

- Vielleicht auch Sie, Herr Dr. Rehberger. Das kann man ja auch so sehen.

Ich will an dieser Stelle also nicht allzu viel hinzufügen. Ich will bloß noch ein paar Punkte ergänzen, die mir in Vorbereitung auf dieses Thema eingefallen sind. Es ist aus meiner Sicht ein bisschen zu wenig über die Chancen gesagt worden, die die Dienstleistungsrichtlinie bietet.

(Zustimmung von Frau Röder, FDP)

Wie in der vergangenen Woche der bayerische Europaminister Sinner am Rande der AdR-Tagung in Brüssel sagte, sind es bayerische Handwerker an der tschechischen Grenze, die die Dienstleistungsrichtlinie fordern. Der Europastaatssekretär Harms aus Brandenburg - einigen von uns noch als Kultusminister bekannt - hat gesagt, dass die Brandenburger Industrie- und Handels

kammern die Dienstleistungsrichtlinie fordern. Es ist ein wichtiges Element der Lissabonstrategie für mehr Wachstum und Beschäftigung. Wenn wir dieses Instrument der Liberalisierung, die Dienstleistungsrichtlinie, völlig ad acta legen, dann können wir auch nicht erwarten, dass zentrale Ziele der Lissabonstrategie erfüllt werden.

Es gibt natürlich sehr viele Kritikpunkte. Ich teile in großen Teilen das, was Sie, Herr Thiel, gesagt haben. Man muss aber auch einmal sagen, dass das Herkunftslandprinzip eigentlich als etwas Positives in die Diskussion gebracht worden ist. Es ging nicht darum, durch das Herkunftslandprinzip Kontrollen zu verhindern, sondern darum, dass auch der kleine Handwerker aus Frankreich, ohne sich mit den Rechtsvorschriften in Spanien beschäftigen zu müssen, über die Grenze fahren und seine Leistungen in Spanien anbieten kann. Dass das innerhalb eines gemeinsamen europäischen Binnenmarkts möglich sein muss, das war eigentlich der Ansatzpunkt. Das hat sich jetzt völlig ins Gegenteil verkehrt, weil in diesem Zusammenhang eigentlich nur noch von den Risiken gesprochen wird.

Ein weiterer Punkt, den ich noch nennen will, ist, dass wir die Dienstleistungsrichtlinie auch brauchen, weil ansonsten der Europäische Gerichtshof Fakten schaffen wird. Wir haben schon im Rahmen der Daseinsvorsorge Entscheidungen des EuGH, die uns dazu zwingen: das Altmarktrans-Urteil, das inzwischen zu einem Begriff in Brüssel geworden ist, oder auch die Frage der Deponie in Lochau. Wir können es uns einfach nicht leisten, dass der EuGH, der ausschließlich auf die Regeln des Binnenmarkts zurückgreift, hierzu Recht spricht und damit Fakten schafft. Es muss eine europäische Rechtsvorschrift geben.

Darüber, wie diese aussieht, können wir gern diskutieren. Aber es muss eine geben, damit es nicht dem EuGH überlassen wird, der ausschließlich nach Binnenmarktregeln entscheidet, weil das nach europäischem Recht derzeit die einzige Grundlage ist.

Dass der Entwurf so nicht bleiben kann, ist von allen Seiten gesagt worden; das ist allgemein Konsens. Darüber besteht übrigens auch in Brüssel Konsens. Der EUBotschafter Deutschlands hat letztens vor der nationalen Delegation des AdR in Brüssel sehr deutlich gesagt, dass alle Mitgliedsstaaten mit dem Entwurf der EUDienstleistungsrichtlinie Probleme haben.

Am 15. Januar hat Bundeskanzler Schröder mit dem Kommissionspräsidenten Barroso darüber gesprochen. Barroso hat in der letzten Woche vor dem AdR-Plenum eindeutig gesagt, dass die Dienstleistungsrichtlinie überarbeitet werden wird.

Ich will auch diesbezüglich den Wirtschaftsminister unterstützen: Es nützt überhaupt nichts, wenn die Kommission einen neuen Vorschlag vorlegt. Es ist schon eine Vielzahl von Informationen zusammengekommen.

In der letzten Woche hat die SPE-Fraktion im Europäischen Parlament eine Anhörung durchgeführt. Die Sozialpartner sind über den Wirtschafts- und Sozialausschuss sowieso schon mit einbezogen. Es gibt auch innerstaatliche Diskussionen.

Dies würden wir alles ad absurdum führen. Dies sollte mit einfließen. Deshalb sind wir als SPD-Fraktion dagegen, dass der Entwurf zurückgezogen wird; vielmehr plädieren wir dafür, es eher so zu machen, wie Herr

Schönfelder es gesagt hat, nämlich dass bis Ende des Jahres eine neue Fassung vorgelegt wird.

Die britische Ratspräsidentschaft hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, über eine neue Fassung dieses Entwurfs bis zum Ende des Jahres abschließend zu beraten. Ob das gelingt, weiß ich nicht; denn ich sage Ihnen ganz offen: Ich kenne für die vielfältigen Probleme keine Lösung. Wer eine Lösung kennt, durch die man die Probleme regeln kann, wäre ein Anwärter für den Nobelpreis.

Insofern ist es sicherlich sinnvoll, dass wir uns in den Ausschüssen darüber unterhalten und verständigen. Wir werden keine Lösung finden. Aber wir können uns mit dem Thema beschäftigen. Das wird uns sicherlich nicht schaden. Auch wir sind also für eine Überweisung des Antrages in die Ausschüsse.

Vielen Dank, Herr Tögel. Es sind ja doch noch fünf Minuten geworden. - Nun spricht für die FDP-Fraktion Frau Röder.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die PDS hat mit ihrem Antrag ein Thema aufgegriffen, das für die Wirtschaft, aber auch für die Verwaltung in diesem Land von großer Bedeutung ist. In den letzten Wochen ist das Thema sehr emotional und auch ohne das gebotene Mindestmaß an Sachlichkeit in den Medien diskutiert worden. Ich bin erfreut darüber, dass dieses Thema hier eine große Sachlichkeit erfahren hat.

Auch die FDP beantragt eine Überweisung zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Wirtschaft und Arbeit und zur Mitberatung in den Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten sowie in den Ausschuss für Gesundheit und Soziales.

Meine Damen und Herren! Wir betrachten es heute als selbstverständlich, dass wir Waren, die in Portugal, in Irland oder in der Slowakei ordnungsgemäß und rechtmäßig hergestellt wurden, in Deutschland kaufen können, ohne dass sie einem weiteren Zulassungsverfahren unterliegen. Genau dieses Prinzip soll nun auf die Dienstleistungen angewandt werden, die mehr als zwei Drittel des europäischen Bruttoinlandsprodukt ausmachen. Ziel ist eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Europas. Das hat im freien Warenverkehr schon ganz hervorragend funktioniert. Damit haben wir sehr gute Erfahrungen in Europa gemacht. Darum sollten wir uns diesem grundsätzlichen Ziel in keiner Weise verschließen.

Dieses Ziel soll erreicht werden, indem ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der Freisetzung der neuen Dynamik und der Sicherung von Mindeststandards in den Mitgliedstaaten gewahrt werden soll.

Die FDP begrüßt den optimistischen Ansatz, den Herr Tögel gerade dargestellt hat. Wir sehen insbesondere die Chancen in dieser Richtlinie, erkennen aber durchaus, dass in zahlreichen Details noch sehr großer Veränderungs- bzw. Verbesserungsbedarf besteht.

Der Kernpunkt der Richtlinie ist das Herkunftslandsprinzip; Herr Tögel hat das schon dargelegt. Ich kann seine Ausführungen nur unterstützen. Ich war erst vor wenigen Wochen bei einem Bauunternehmen in Magdeburg zu

Besuch. Diese Branche ist hier im Land extrem gebeutelt. Der Bauunternehmer erzählte mir, dass er in Polen und in Ungarn arbeiten will, dass er dort Aufträge haben will, dass er dort schon zahlreiche Kontakte hat, für ihn aber eine erhebliche rechtliche Unsicherheit hinsichtlich der Frage besteht, an was für Vorschriften und Zulassungsvoraussetzungen er sich halten muss.

Genau unter diesem Gesichtspunkt sollten wir das Herkunftslandprinzip und diese Richtlinie auch sehen: Sie eröffnet nämlich Chancen auch für deutsche Unternehmer.

(Zustimmung bei der CDU)

Kritikwürdig ist allerdings die Kontrolle des Herkunftslandprinzips; denn auch ich kann mir nicht vorstellen, dass irische Behörden in ernsthafter Weise kontrollieren, ob irische Unternehmen in Deutschland die Vorschriften einhalten. In Bezug auf die Kontrolle sollte man ernsthaft prüfen, ob diese nicht vom Bestimmungsland durchgeführt werden sollte.

Wie schon gesagt wurde, gibt es zahlreiche Ausnahmen vom Herkunftslandprinzip. Gleichzeitig sollen alle europäischen Richtlinien, die wir schon haben, weiter gelten, zum Beispiel auch die für die Arbeitnehmerentsendung.

Es soll im Weiteren ein Screening der Mitgliedsstaaten dahin gehend stattfinden, ob die bei ihnen bestehenden Genehmigungserfordernisse diskriminierungsfrei und transparent sind und ob sie vorhersehbar gestaltet sind. Auch das ist zu begrüßen.

Die Einführung eines einheitlichen Ansprechpartners ist durchaus ein Problem. Es ist für den Dienstleistungserbringer von Vorteil und sehr wünschenswert, stellt allerdings die Mitgliedstaaten vor sehr große Herausforderungen. Es ist in Deutschland noch ungeklärt, wer dieser einheitliche Ansprechpartner sein sollte, wer das leisten könnte und mit welchem bürokratischen Aufwand das verbunden wäre. Das ist also ein Punkt, über den man sich im Land Sachsen-Anhalt durchaus Gedanken machen muss und bei dem man zu einer sinnvollen Lösung für alle Beteiligten kommen muss.

Lassen Sie mich noch kurz einige Worte zum Thema Verbraucherschutz sagen. Der Europäische Verbraucherschutzverband hat in der Anhörung vor dem Europäischen Parlament im November 2004 die Richtlinie im Grundsatz ausdrücklich begrüßt. Er hat nur wenige Punkte, zum Beispiel die Kontrolle durch das Herkunftsland, bemängelt. Bei den Verbraucherschützern fand diese Richtlinie offenbar sehr große Zustimmung. Auch das sollten wir nicht außer Acht lassen.

Ich befürworte ebenfalls, in den Ausschüssen eine Anhörung zu dem Thema durchzuführen.

(Beifall bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Röder. - Zum Abschluss der Debatte erteile ich Ihnen, Herr Dr. Thiel, noch einmal das Wort.

Vielen Dank, Herr Präsident, für diese Möglichkeit. - Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir noch kurz einige Ausführungen. Was die Intention des Antrages betrifft, so ist klar geworden, dass im Prinzip in allen Fraktionen Diskussionsbedarf besteht. Deswegen würden wir

den Verfahrensvorschlag der CDU-Fraktion aufgreifen, um eine direkte Abstimmung, vor der Sie alle Angst haben, zu vermeiden.

(Unruhe)

- Das ist ja das Problem, das wir alle miteinander haben. Wir haben alle Angst vor dem Räderwerk und dem Dschungel in Brüssel. Bis ein neuer Vorschlag kommt - Herr Minister Rehberger, Sie haben es gesagt -, werden wieder ein, zwei Jahre vergehen und wir kommen nicht voran. Sie haben ja gesagt, ein schlechter Vorschlag sei besser als keiner.