Protokoll der Sitzung vom 03.03.2005

Beratung

Netzwerk für Demokratie und Toleranz

Antrag der Fraktionen der CDU, der FDP, der SPD und der PDS - Drs. 4/2051

Einbringer dieses interfraktionellen Antrages ist der Abgeordnete Herr Scharf. Bitte sehr, Herr Scharf.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag ist ein Spiegel unserer Zeit. Er drückt aus, dass wir uns erneut und weiterhin der Bekämpfung des politischen Extremismus widmen müssen. Der vorliegende Antrag drückt aber auch aus, dass alle Fraktionen im Landtag von Sachsen-Anhalt in der Lage sind, in wichtigen Fragen gemeinsam Stellung zu beziehen.

Meine Damen und Herren! Das letzte Jahrhundert war ein Jahrhundert, in dem zwei Kriege die Welt erschütterten. Es hat aber auch die längste Periode in der jüngeren Zeit gebracht, in der Frieden in Mitteleuropa geherrscht hat.

Meine Damen und Herren! Sich zu erinnern, ist ein aktiver Vorgang. Geschichte will immer wieder aufs Neue reflektiert werden. Nur dann kann sie für unser Dasein

eine normative, handlungsleitende Wirkung entfalten. Wir können uns individuell und wir können uns kollektiv erinnern. Wahrhaftige Erinnerung ist jedoch immer Erinnerungsarbeit. Oft ist diese Arbeit eine Schwerstarbeit.

Die Frage, ob wir aus der Geschichte oder ob Völker aus ihrer Geschichte lernen können, ist nach meiner Auffassung bis heute unbeantwortet. Aber auf alle Fälle können Geschichten zeigen, wie Menschen Entscheidungssituationen bestanden haben, aber auch wie sie versagt haben, wie sie in Bewährungssituationen gewachsen sind, wie sie gebrochen sind, wie sie zum Teil zerbrochen sind, aber auch wie sie Kräfte entwickeln konnten, von denen sie vielleicht vorher selbst nichts geahnt haben.

Junge Menschen können lernen, dass man sich durch Wissen und Erarbeitung und Aneignung von Werten auf schwere Entscheidungen, die auf jeden im Leben einmal zukommen werden, vorbereiten kann.

Deutschland hat die Geschichte des 20. Jahrhunderts in besonderem Maße mitgeprägt. Die nationalsozialistische Regierung des Deutschen Reiches hat den Zweiten Weltkrieg entfesselt, in dessen Folge Millionen von Menschen umgekommen sind. Der Sieg über das Deutsche Reich und das Herausbilden einer Nachkriegsordnung führten zu Flucht und Vertreibung, deren man sich im Osten Deutschlands bis zum Untergang der DDR nicht öffentlich erinnern durfte. Der nationalsozialistische Rassenwahn wollte ganze Völker ausrotten und hat den Holocaust an den Juden zu verantworten.

Meine Damen und Herren! Diese wenigen Sätze wird wahrscheinlich im Landtag von Sachsen-Anhalt niemand bezweifeln. Aber die NPD und andere rechtsextremistische Gruppierung bestreiten oder relativieren diese geschichtlichen Tatsachen. Diese Fälschung der Geschichte darf von allen Demokraten nicht hingenommen werden.

(Beifall im ganzen Hause)

Dieses Fälschen von Geschichte ist in der Lage, vornehmlich junge Menschen zu verführen. Dieses Fälschen von Geschichte führt zu der Gefahr, dass andere Völker meinen könnten, von Deutschland könnte doch wieder einmal eine Gefahr für andere Völker ausgehen. Deshalb müssen wir allen rechtsextremistischen Verführern konsequent entgegenstehen.

(Beifall im ganzen Hause)

Unsere offene Gesellschaft, unsere demokratische Gesellschaft ist aber weiteren extremistischen Gefahren ausgesetzt. Der Verfassungsschutzbericht weist auch linksextremistische Straftaten aus. Das Oberlandesgericht in Naumburg hat erst kürzlich einen 26-jährigen Magdeburger wegen Brandstiftung erneut zu zweieinhalb Jahren verurteilt. Er gehörte einer linksextremen Gruppe an.

Magdeburg musste in der Nacht zum letzten Sonntag Ausschreitungen nach einem abgesagten Punkkonzert erleben. 50 bis 100 Personen der linken Szene randalierten. Es entstand ein Sachschaden von ca. 100 000 €. 56 Festnahmen und zehn verletzte Personen, davon acht Polizeibeamte, mussten registriert werden. Meine Damen und Herren! Demokraten müssen sich dagegen wehren.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und bei der FDP - Zustimmung bei der PDS)

Ich muss zu den Kollegen auf den linken Bänken auch sagen: Es gibt weiterhin eine kommunistische Plattform. Solange sich die PDS weigert, sich von dieser zu distanzieren, ist ihre Absage an jegliche Form politischen Extremismus eben nicht voll glaubwürdig.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Meine Damen und Herren! Religiöser Fundamentalismus ist in Sachsen-Anhalt noch nicht so sichtbar, dass wir ihn öffentlich als Problem behandeln. Moscheen und andere Gebetsstätten werden in Sachsen-Anhalt auch nicht per se durch den Verfassungsschutz beobachtet. Aber auch hier ist Wachsamkeit geboten. Wir gehen intensiv der Frage nach, ob sich im Umfeld religiös bedeutsamer Treffpunkte Radikalisierungs- und Rekrutierungstendenzen abzeichnen. Wir müssen auch hier wachsam sein.

Das alles heißt: Politischer Extremismus - egal, wie er sich begründen mag - muss entschieden bekämpft werden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung bei der SPD)

Das heißt aber auch, dass allen Demokraten die Instrumentalisierung dieses Kampfes gegen Extremismus zur Durchsetzung eigener politischer Ziele untersagt ist.

Wenn sich die Landesregierung, der Ministerpräsident und alle Fraktionen des Landtages und der Landtagspräsident sichtbar und hörbar für ein Netzwerk für Demokratie und Toleranz einsetzen, so soll dieses ein Zeichen, eine Ermutigung für die Öffentlichkeit, für alle Kräfte dieses Landes sein, sich allen extremistischen Bestrebungen entgegenzustellen.

Meine Damen und Herren! Demokratie und Toleranz können nicht von oben verordnet werden. Wir können aber Foren eröffnen, damit dem Anliegen engagierter Demokraten eine breite öffentliche Plattform bereitgestellt wird und daraus auf Dauer eine breite demokratische Bewegung im Land Sachsen-Anhalt erwächst.

Der Landtag von Sachsen-Anhalt ist zu diesem notwendigen Signal fähig. Sachsen-Anhalt wird auch weiterhin ein Land sein, in dem Demokraten den Extremisten keinen Zentimeter Boden überlassen werden. - Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP - Zustim- mung bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Scharf. - Meine Damen und Herren! Ich freue mich, zu dieser Debatte auf der Südtribüne Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums „Am Thie“ aus Blankenburg begrüßen zu können.

(Beifall im ganzen Hause)

Bevor wir nun in die Debatte mit fünf Minuten Redezeit je Fraktion eintreten, darf ich noch erwähnen, dass für die Landesregierung Herr Ministerpräsident Professor Dr. Böhmer darum gebeten hat, am Ende der Debatte sprechen zu dürfen.

Als erster Redner erhält für die SPD-Fraktion der Abgeordnete Herr Bischoff das Wort. Bitte sehr, Herr Bischoff.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, dass wir diesen Antrag gemeinsam eingebracht haben.

Eine wehrhafte Demokratie braucht ein abgestimmtes Vorgehen aller demokratischen Kräfte in diesem Lande.

(Beifall bei der SPD)

Das Parlament als Volksvertretung muss hierbei mit gutem Beispiel vorangehen. Aus diesem Grund ist es richtig, dass der Landtagspräsident und der Ministerpräsident gemeinsam die Bildung eines Netzwerkes für Demokratie und Toleranz anschieben und begleiten. Beide repräsentieren in Exekutive und Legislative unser Gemeinwesen und sind deshalb in hohem Maße verpflichtet, die Demokratie zu schützen und die Freiheitsrechte zu wahren.

Ich möchte es gleich zu Beginn deutlich sagen: Politischer Extremismus - auf welcher Seite auch immer - gefährdet Demokratie und Freiheit.

(Beifall im ganzen Hause)

Jeder Angriff auf die demokratische Grundordnung und den Rechtsstaat muss zurückgewiesen werden.

Für eine solche Auseinandersetzung tragen die demokratischen Parteien selbst eine große Verantwortung. Das gilt für rechtsextremistisches Gedankengut ebenso wie für linksextremistische Verhaltensweisen, die sich gegen die demokratischen Strukturen richten. Jede Partei muss in ihren eigenen Reihen dafür sorgen, dass antidemokratisches Verhalten nicht toleriert wird, dass ausländerfeindliche Äußerungen zurückgewiesen und freiheitsverletzende Aktionen nicht geduldet werden.

Gleichzeitig ist es die Aufgabe demokratischer Parteien, denen eine politische Heimat zu bieten, die sich politisch aktiv in der Gesellschaft engagieren wollen. Dass es dabei auch Randbereiche in den jeweiligen Parteien gibt, liegt in der Natur der Sache. Deshalb ist hierbei ein großes Fingerspitzengefühl nötig. Wir sollten uns nicht gegenseitig vorwerfen, die jeweils anderen wären schon nach der einen oder anderen Seite abgedriftet.

In der heutigen Debatte geht es vornehmlich um die Gefahr des Rechtsextremismus. Er ist in den Parlamenten angekommen und er hat - das müssen wir leider feststellen - mancherorts auch die Mitte der Gesellschaft erreicht.

(Zustimmung bei der SPD und bei der PDS)

Rechtsextremismus ist mit wieder zunehmender Tendenz gewalttätig; Rechtsextremismus ist dabei, die Köpfe junger Menschen zu erreichen. Deshalb dürfen wir den Rechtsextremismus nicht verharmlosen und müssen ihm aktiv begegnen.

Rechtsextremismus ist aber auch eine Bedrohung unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Er schadet dem Image des Landes, das auch auf ausländische Investoren angewiesen ist. Deutschland und insbesondere Sachsen-Anhalt müssen weltoffen bleiben, nicht nur weil die Beachtung der Menschenwürde, Toleranz und Gastfreundschaft elementare Bestandteile unseres gesellschaftlichen Konsenses sind, sondern auch weil unsere wirtschaftliche Entwicklung nicht funktionieren kann, wenn wir uns abgrenzen.

Aufgrund unserer Geschichte bleibt zudem der Auftrag, mehr als andere Länder gegen Geschichtsverfälschung und nationalistische Tendenzen vorzugehen und entsprechend aufzutreten. Dabei müssen wir beachten - das finde ich wichtig -, dass junge Menschen Identifikationsmöglichkeiten brauchen, um gern in diesem Land leben zu können. Deshalb sollten wir nicht dort leichtfertig von

Neonazis reden, wo junge Menschen auf der Suche nach Identität sind und einen gewissen Stolz auf ihre Nation artikulieren. Im Sport fällt uns allen das ja nicht schwer. In anderen Zusammenhängen ist es schwieriger, ein ungebrochenes Verhältnis zur eigenen Nation zu finden.

Vielleicht ist es an der Zeit, eine neue Sichtweise auf das Verhältnis zur eigenen Nation unter Einbeziehung der dunklen Seite der Geschichte zu formulieren. Wer sich der Dunkelheit nicht verschließt, kann das Licht viel deutlicher sehen.

Diese Aufgabe kann meines Erachtens nicht im politischen Streit gelöst werden. Eine wirkliche Debatte um unser Verhältnis zur Nation ist heute mehr als eine Frage nach dem Patriotismus; sie umfasst die Region, das Land und die Einbettung in die Europäische Gemeinschaft.

Rechtsextremismus hat - lassen Sie mich auch das sagen - viele Wurzeln. Der Hinweis auf die hohe Arbeitslosigkeit als Ursache für den Rechtsextremismus wird oft als Erklärung oder Vorwurf herangezogen.

Ich möchte hierüber keine parteipolitische Debatte eröffnen. Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen Arbeitslosigkeit und Rechtsextremismus und man kann wegen der hohen Arbeitslosigkeit nicht von Weimarer Verhältnissen sprechen.