Protokoll der Sitzung vom 04.03.2005

Beratung

Strategische Neubewertung siedlungsspezifischer Abwasserbehandlungsanlagen

Antrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/2046

Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 4/2075

Ich bitte Herrn Dr. Köck, den Antrag für die PDS-Fraktion einzubringen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU und von der FDP, weshalb vermuten Sie hinter jedem Antrag der Opposition etwas Böses?

(Frau Dr. Hüskens, FDP, lacht)

Lesen Sie doch bitte erst einmal die Begründung. Mit Ihrem Alternativantrag kastrieren Sie das Grundanliegen des vorliegenden Antrages.

(Zuruf von Herrn Hacke, CDU)

Sie schneiden - in Anführungszeichen - genau den reproduktiven Teil weg, der darauf gerichtet ist, sich den

drängenden Problemen des ländlichen Raumes zu stellen, die sich aufgrund der demografischen Entwicklung für die Infrastruktur abzeichnen. Die Grundaussagen des Berichts, den Sie mit Ihrem Alternativantrag einfordern, kann ich Ihnen jetzt schon nennen. Ich zitiere dazu aus der Mitteilung der Landesregierung vom 9. Mai 1997 zum Beschluss des Landtages aus dem Jahr 1996 zu dem Thema „Genehmigung siedlungsspezifischer Abwasserbehandlungsanlagen“:

„Die Wasserbehörden handeln bei der Genehmigung von siedlungsspezifischen Abwasserbehandlungsanlagen nicht restriktiv. Derartige Anlagen werden überall dort zugelassen, wo dies vom Einleitungsgewässer her möglich ist. Ihr Bau kann gefördert werden, soweit er die wirtschaftlichste Lösung darstellt und Haushaltsmittel zur Verfügung stehen. Siedlungsspezifische Abwasserbehandlungsanlagen werden von den Wasserbehörden ebenso als dauernde Lösungen akzeptiert wie zentrale überörtliche Anlagen.

Dezentrale Abwasserbehandlungsanlagen werden in Bereichen, die auf absehbare Zeit nicht zentral entsorgt werden können, als langfristige Lösungen zugelassen. Für bestimmte Gebiete werden zurzeit“

- also 1997 -

„Abwasserbeseitigungspläne erarbeitet, deren Festlegungen bindend sind. Die Entwürfe dieser Pläne enthalten sowohl siedlungsspezifische Abwasserbehandlungsanlagen sowie auch Gebiete, in denen dezentrale Abwasserbehandlungsanlagen vorgesehen sind.“

Man muss sich fragen, ob die Bedingungen von 1997 noch aktuell sind oder ob nicht eigentlich die Erkenntnisse der Gegenwart zu anderen Überlegungen zwingen.

Herr Hacke, ich will ausdrücklich - das unterscheidet sich von den Aussagen, die die Frau Ministerin vorhin getroffen hat - Ihr Engagement hervorheben und auch das der Landesregierung würdigen bei den Bemühungen, ein Modellvorhaben zur Organisation der dezentralen Abwasserbeseitigung über öffentlich-rechtliche Aufgabenträger in Sachsen-Anhalt anzuschieben. Aber sehr viel mehr als ein Modellversuch ist es bisher noch nicht.

Eine Frage wäre zum Beispiel: Könnte dieses Modell das Modell der Zukunft für den ländlichen Raum werden oder nicht?

Positiv ist auch die Novelle zum Wassergesetz in diesem Punkt zu werten. Die Gemeinden und Verbände haben nun die Befugnis erhalten, auf der Grundlage eines genehmigten Abwasserbeseitigungskonzepts eine Selbstbefreiung von der Abwasserbeseitigungspflicht vorzunehmen, das heißt, das Abwasser per Satzung aus der kommunalen Beseitigungspflicht ganz oder teilweise auszuschließen.

Aber diese Regelung läuft ins Leere, weil die Behörden ihre eigenen Gesetze haben: den Abwasserbeseitigungsplan. Sie müssen diese Konzepte prüfen. Das dauert mindestens anderthalb Jahre. In dieser Zeit werden auch die letzten Gebiete, die noch nicht zentral angeschlossen sind, an eine zentrale Kläranlage angeschlossen. In den Abwasserbeseitigungsplänen sind allenfalls Splittersiedlungen mit wenigen Einwohnern von solchen Lösungen ausgenommen.

Lassen Sie mich einen Blick in die Praxis werfen. Die Ortschaften Krüden, Senst, Bornum, Kleinleitzkau, Polenzko, Bornstedt, Salzfurtkapelle, Schortewitz, Krosigk, Dankerode, Neudorf, Stangerode - die Liste der Orte ließe sich noch verlängern - baten uns in den vergangenen Jahren um Unterstützung, um siedlungsspezifische Abwasserlösungen realisieren zu können. Erfolgsquote: null.

Selbstverständlich gab es in jedem Fall ein plausible Begründung dafür, dass eine siedlungsspezifische Lösung gerade in dem speziellen Fall nicht möglich war. Ein treuer Augenaufschlag bei den Beamten im Ministerium oder im RP war die Zugabe. Grundsätzlich sei man Kleinkläranlagen und siedlungsspezifischen Lösungen gegenüber ausgesprochen wohlwollend eingestellt. Aber wie der Zufall so spielt: Bedauerlicherweise hatte ich jedes Mal die Ausnahme erwischt, die der Grundsatz zulässt.

In der Regel lief es so ab: Die Gemeinde hat eine dezentrale Lösung beschlossen. Prompt folgten Vorgaben mit höheren Einleitbedingungen, das Angebot einer überdurchschnittlich hohen Förderung für die Überleitung in eine große, zentrale Kläranlage. Zog auch das nicht, erfolgte die Versagung der wasserrechtlichen Erlaubnis, gab es keine Fördermittel für Alternativlösungen. Blieb die Ablehnung der Gemeinde trotzdem bestehen, kam der Druck - so weit die Praxis.

Die Erschließung der letzten Gebiete, die für eine zentrale Abwasserentsorgung vorgesehen sind, steht unmittelbar bevor. Dabei handelt es sich durchweg um ländliche Räume.

Deshalb - damit komme ich zum Ausgangspunkt zurück - sollten alle Planungen und vor allem die Abwasserbeseitigungspläne nochmals kritisch überprüft werden. Ich hätte zu gern erfahren, wie sich die Landesregierung dieser Problematik stellt.

Wenn Abwasserbeseitigungslösungen einer Förderung in Höhe von 70 % bedürfen, um sie der Bevölkerung gegenüber vertreten zu können, schrillen zumindest bei mir die Alarmglocken; denn einen Fördereuro kann man eben nur einmal ausgeben.

Wer miterlebt hat, wie sogar die Mitglieder des Petitionsausschusses wie Tennisbälle von einer Gummiwand abprallten, dem muss zwangsläufig das alte internationale Sprichwort in den Sinn kommen: Die Hunde bellen, doch die Karawane zieht weiter. Wohin die Karawane ihren Weg lenkt, das hätte ich schon zu gern erfahren. - Danke.

(Zustimmung bei der PDS und bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Dr. Köck. - Für die FDP-Fraktion spricht nun Herr Kehl.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Köck, die angesprochenen Fragen stellen Sie sicherlich völlig zu Recht. Das Thema Abwasserbeseitigung ist ein Thema in Sachsen-Anhalt, es war ein Thema und es wird uns auch noch eine Weile beschäftigen.

Die neue Landesregierung hat bereits zahlreiche Lösungen aufgezeigt und Entschuldungen in erheblichem Um

fang vorangetrieben, die zu einem Großteil noch auf Versäumnisse nach der Wende zurückzuführen sind.

Die Frage der dezentralen Abwasserbeseitigung spielt eine zentrale Rolle. In einigen Verbänden, etwa im AZV Fuhne und auch in denen, die Sie angesprochen haben, ist man sich innerhalb der Kommune nicht einig. Man tritt dem AZV bei, klagt sich dann wieder heraus und möchte nun eine dezentrale Lösung haben. Man stellt eine Kostenrechnung auf, bei der man nur sein eigenes Gebiet betrachtet, aber nicht das Gesamtgebiet, das der AZV betreut, und nimmt dann eben auch keine Rücksicht darauf, was das letztlich für die Gebühren der restlichen Mitglieder des Abwasserzweckverbandes bedeutet.

Trotzdem denke ich, dass die Frage der dezentralen Lösungen näher beleuchtet werden sollte. Das sollte man nicht an Einzelfällen festmachen; man sollte die Frage vielmehr generell stellen. Man sollte sich im Ausschuss auch einmal etwas zu der Frage der Kleinstkläranlagen, etwa der Schilfkläranlagen, vortragen lassen. Wie gut sind diese Anlagen wirklich? Sind sie so stabil wie andere Anlagen? Macht es Sinn, im Einzelfall nebenan eine Kleinkläranlage zu bauen? Geschieht dies womöglich nur aus dem Grund, dass man sich nicht an einem AZV beteiligen möchte?

Ich denke, das ist eine wichtige Diskussion, die wir im Ausschuss führen sollten. Ich möchte das nur ungern von vornherein auf bestimmte Einzelfälle konzentrieren.

Aus Ihrer Begründung geht meines Erachtens hervor, dass Sie dabei auf die Kiez-Problematik abstellen möchten. Ich finde, wir sollten das Problem nicht an irgendwelchen populistischen Sachen festmachen, sondern es grundsätzlich beleuchten.

(Herr Dr. Köck, PDS: Wenn Sie so eine Assozia- tion haben, dann freue ich mich! - Zuruf von Herrn Grünert, PDS)

Deshalb würde ich Sie bitten, unserem Alternativantrag zuzustimmen. Er ist insbesondere in der Begründung anders. Wir würden dann im Ausschuss darüber beraten. - Schönen Dank.

(Zustimmung bei der FDP und von Herrn Borg- wardt, CDU)

Vielen Dank, Herr Kehl. - Nun Herr Oleikiewitz für die SPD-Fraktion, bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Spätestens seit dem Papier von Herrn Bullerjahn haben wir ein Problem. Wir haben uns in der Vergangenheit offensichtlich zu wenig damit beschäftigt, wie sich die demografische Entwicklung in unserem Land auf das Thema Abwasser auswirken könnte. Ich gebe zu, dass das Thema der dezentralen Abwasseranlagen auch zu unserer Regierungszeit nicht die dominierende Rolle gespielt hat, die es möglicherweise hätte spielen müssen.

Ich glaube, die Frage, die wir klären müssen, die mit der Demografie zusammenhängt, muss lauten: Wie wollen wir zukünftig Gebiete, die weit abseits liegen, die möglicherweise wegen der demografischen Entwicklung nicht mehr angenommen werden, aus denen die Leute wegziehen, wo die Leute aussterben, infrastrukturell versorgen, bei Abwasser und anderen Medien?

Aus diesem Grunde, denke ich, ist es sinnvoll, sich über die Frage der dezentralen Lösungen zu unterhalten. Ich finde, dass der Antrag der PDS-Fraktion an dieser Stelle richtig ist, zur richtigen Zeit kommt und dass der Alternativantrag der Fraktionen der CDU und der FDP, so wie es Herr Köck dargestellt hat, für mich diesen Berichtsauftrag leider verwässert.

Ich hätte schon gern gewusst, welche Konzepte die Landesregierung zu diesem Thema hat, insbesondere was die weitere Zukunft betrifft, oder ob sie überhaupt schon etwas hat. Das würde ich gern im Ausschuss hören. Deswegen wird die SPD-Fraktion dem Antrag der PDS zustimmen. - Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und bei der PDS)

Vielen Dank, Herr Oleikiewitz. - Nun erteile ich Herrn Hacke das Wort, um für die CDU-Fraktion zu sprechen.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Oleikiewitz, was die Landesregierung vorhat, können Sie gleich hören. Zunächst aber erst einmal:

Meine Damen und Herren! Die PDS-Fraktion wünscht eine strategische Neubewertung der siedlungsspezifischen Abwasserentsorgung und begründet dies mit der negativen demografischen Entwicklung im Land. Sie unterstellt dabei vor allem, dass auf dem Land die Einwohnerzahlen stark rückgängig sein werden.

Doch sie vergisst dabei, dass nach der gültigen Rechtslage nicht die Bürger an eine Abwasserentsorgung angeschlossen sein müssen, sondern deren bebaute Grundstücke. Selbst bei anhaltend starker Landflucht werden wir es in absehbarer Zeit nicht erleben, dass sich die Anzahl der zu erschließenden Grundstücke so verringern wird, dass wir im ländlichen Raum die siedlungsspezifische Abwasserentsorgung ungeachtet aller wirtschaftlichen und ökologischen Betrachtungen zur Regellösung machen müssen.

Ein Missachten der Einzelfallprüfung wäre nach heutiger Rechtslage sogar ein Gesetzesverstoß. Pragmatische Lösungen, die dies außer Acht lassen, sind deshalb fehl am Platze und werden die Bürger in unserem Land teuer zu stehen kommen.

Zum anderen, meine Damen und Herren, ist die Abwasserentsorgung eine kommunale Aufgabe. Das war bisher so, und nach der heutigen Beschlussfassung zum Wassergesetz wird dies auch so bleiben. Vorgeschriebene Regellösungen, wie von Ihnen gewollt, würden die Verantwortung für diese Aufgabe auf die Landesebene hochziehen. Das ist mit uns nicht zu machen.