Auf das Denkergebnis der Kommission kann man nicht warten. Deshalb haben wir uns in Sachsen-Anhalt auf die Begriffsdefinition aus dem Landesentwicklungsplan verständigt. Danach sind in Sachsen-Anhalt, abgesehen von den Verdichtungsräumen Halle und Magdeburg, flächendeckend ländliche Räume zu finden. Sie umfas
sen 80 % der Landesfläche oder - in absoluten Zahlen ausgedrückt - ca. 2 Millionen ha. In diesen Räumen wohnen rund zwei Millionen Menschen. Dies entspricht wiederum 80 % der Einwohner des Landes.
Ich hoffe, bei diesen Dimensionen wird jedem klar, dass die Zukunft des ländlichen Raumes in Sachsen-Anhalt auch eine entscheidende Frage für die Entwicklung unseres Landes überhaupt und für die Menschen in unserem Land ist. Ich gehe davon aus, dass alle Fraktionen dieses Hauses feststellen, dass der ländliche Raum heute mehr ist als Land- und Forstwirtschaft, obgleich diese eine große Bedeutung hat, Herr Kollege Krause.
Dorferneuerung, Abwasser- und Trinkwasserversorgung und alle diese Fragen gehen weit über den Zuständigkeitsbereich des MLU hinaus. Ich gehe davon aus, dass wir gemeinsam feststellen, dass sich die Rahmenbedingungen für die Entwicklung der ländlichen Räume in den neuen Bundesländern in einer sehr kurzen Zeit tiefgreifend verändert haben. Früher waren die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften der Dreh- und Angelpunkt des ländlichen Lebens.
Übrigens kann ich Ihnen Ihre Frage nicht beantworten. Diesbezüglich müssten Sie den Dekan oder den Kultusminister fragen, Herr Krause.
Seit der Wende gibt es diese so genannte allumfassende Verantwortung der Landwirtschaftsbetriebe nicht mehr. Die Verantwortung für die wirtschaftliche, infrastrukturelle und soziale Entwicklung verteilt sich auf viele Schultern. Das ist auch gut so; denn bei allem Respekt vor den landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften muss die Frage erlaubt sein: Wie sahen unsere Dörfer im Jahr 1990 aus?
Wenn man heute durch unser Land fährt, sieht man, dass wir trotz aller noch vorhandenen Probleme eine Menge geschafft haben. Die Straßen und Wege wurden ausgebaut. Die Wasser- und Abwassersituation hat sich deutlich verbessert. Mithilfe der Dorferneuerung wurden Häuser renoviert und Plätze gestaltet. Auch im Vergleich zu anderen Bundesländern kann ich feststellen, dass sich gerade die Dörfer in Sachsen-Anhalt sehr gut herausgemacht haben. Ich nenne nur Ummendorf als Europa-Sieger im Jahr 2004.
Ich möchte bei Ummendorf bleiben: Die Gemeinde hat dieses Ergebnis nicht vordergründig deshalb erreicht, weil staatliche Fürsorge die Grundlage gelegt hat, sondern weil in Ummendorf Eigenverantwortung, bodenständige Eigentumsentwicklung und ein aktives gesellschaftliches Vereinsleben groß geschrieben werden. Das sind die Kräfte im ländlichen Raum, die vorrangig dazu beitragen.
Es geht heute darum, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass die Menschen die Verantwortung für die Sicherstellung des ländlichen Raumes als eigenständiger Wirtschafts-, Wohn-, Erholungs-, Kultur- und Naturraum auch wahrnehmen können.
Ich hatte vorhin schon mehrfach Herrn Bullerjahn zitiert. Er hat seinem Zukunftspapier den Titel „Einsichten und Perspektiven“ gegeben. Der ländliche Raum, meine Damen und Herren, spielt darin nahezu keine Rolle.
Die PDS wiederum hat sich speziell um den ländlichen Raum gekümmert. Beide Papiere - das will ich anerkennen - beinhalten eine im Wesentlichen akzeptable Analyse der Fakten. Ich vermisse aber die perspektivischen Lösungsansätze.
Die PDS scheint nach wie vor - das hat der Redebeitrag auch bestätigt - die alte regionale Dominanz der Landwirtschaft in den Vordergrund zu stellen. Sie will auch ganz viel öffentliche Unterstützung für die verschiedensten Bereiche des dörflichen Lebens. Dies steht nun wieder im Widerspruch zu der Forderung, die Haushalte zu konsolidieren, die auch von der PDS gestellt wird.
Dagegen sehen Frau Budde wie auch der zeitweilige Vordenker Herr von Dohnanyi in Leuchttürmen die Zukunftschancen im Land. Die SPD scheint sich von dem Verfassungsgrundsatz, die Entwicklung des ländlichen Raumes gleichrangig zu verwirklichen, verabschiedet zu haben. Ihrer Schwerpunktsetzung zu folgen hieße, den Lebensraum von 80 % unserer Bevölkerung außen vor zu lassen. Das sehe ich als einseitig und falsch an. Das ist eben keine Perspektive.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir diskutieren nicht zum ersten Mal darüber, dass wir uns auf Entwicklungspotenziale konzentrieren müssen. Wir dürfen aber nicht das Dunkel abseits der Leuchttürme hinnehmen. Die Landesregierung wird durch eine Konzentration der Mittel auf Entwicklungspotenziale schwerpunktmäßig Entwicklungen anregen. Hier liegen wir vom Grundsatz her sicherlich alle nicht weit auseinander.
Nur, die Schwerpunkte werden sicherlich unterschiedlich definiert, was insbesondere die Haushaltsdebatten immer wieder belegen. Auch diesbezüglich will ich Herrn Gallert zitieren. Er sagt: Lieber in Köpfe investieren als in Beton. - Aber ohne Beton - damit meine ich die Straßen und die Kanäle - gibt es nun einmal keine Anbindung an Schulen, keine kulturelle Teilhabe und keine Lebensqualität auf dem Land.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! So vielfältig die Funktionen ländlicher Räume sind, so vielfältig sind auch ihre Probleme. Die wirtschaftliche Situation insbesondere in den peripheren ländlichen Räumen ist nicht nur in Sachsen-Anhalt sehr schwierig. Insbesondere der Rückgang der Bevölkerung macht uns zu schaffen.
Die 93 Fragen der PDS-Fraktion spiegeln diese Problembereiche wider. Sie greifen wirtschaftspolitische, bildungspolitische, sozialpolitische, infrastrukturpolitische, familienpolitische, gesundheitspolitische und sogar innenpolitische Themen auf. Als Ministerin für Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Umweltschutz bin ich naturgemäß stärker mit den Problemen im ländlichen Raum befasst. Diese Themen betreffen jedoch alle Ressorts und somit alle meine Ministerkollegen. Das heißt, einzelne Problemkreise sollten, wenn es notwendig ist, in den jeweiligen Fachausschüssen vertieft werden.
Aber wir sind uns sicherlich darin einig, dass die zukünftige Entwicklung der ländlichen Räume eine große Herausforderung für die gesamte Landespolitik ist. In Sorge um die Entwicklung im ländlichen Raum hat die Landesregierung unter Federführung des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt im Jahr 2004 hierfür entsprechen
de Grundsätze entwickelt. Diese haben wir in einen Diskussionsprozess mit den Landkreisen und den kreisfreien Städten eingebracht.
Ich denke schon, dass seither wichtige Hinweise zur zukünftigen Förderpolitik im ländlichen Raum eingegangen sind. Aber gestatten Sie mir wieder ein Zitat, diesmal ein kurioses. Ich habe ein Schreiben des Oberbürgermeisters der Landeshauptstadt Magdeburg, der in seiner Stellungnahme schreibt:
„Eine noch bessere verkehrliche Anbindung der Umlandgemeinden bedeutet nichts anderes als weiteren Bevölkerungsabfluss aus der Landeshauptstadt.“
Er spricht sich also gegen die Verkehrsanbindung aus. Am Schluss seines Schreibens bittet er die Landesregierung zu überlegen, ob nicht ländliche Gebiete innerhalb der Verdichtungsräume eine entsprechende Unterstützung aus den ländlichen Förderungsprogrammen erhalten könnten. Er will alles. Er will an der ländlichen Entwicklung partizipieren und die ländliche Entwicklung abschneiden. Das ist schon kurios. - Ein Sozialdemokrat, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Aus den angestoßenen Diskussionen für die zukünftige Entwicklung des ländlichen Raumes haben wir Handlungsansätze abgeleitet. Festgestellt wurde, für eine erfolgreiche Entwicklung benötigen wir ein fachübergreifendes Handeln, flexible Instrumente und Rahmenbedingungen, eine stärkere Beachtung der spezifischen regionalen Potenziale, eine Konzentration auf wesentliche Handlungsfelder, die Berücksichtigung von Verflechtungen in der Gesellschaft und die Akzeptanz regionaler Entwicklungsstrategien auf allen Ebenen. Nicht zuletzt brauchen wir für die Lösung der Probleme die Menschen, die dort arbeiten und leben.
Unter meiner Federführung wurde gestern die „Allianz ländlicher Raum“ gebildet. Diese Allianz wird sich bemühen, politische, wirtschaftliche und soziale Handlungsfelder ineinander greifend zu betrachten. In ihr wird die Landesregierung neben den Fachressorts möglichst viele regionale Akteure, Vertreter der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Sozialpartner bündeln.
Diese Allianz wird uns bei der Erarbeitung der Strategie für die Entwicklung des ländlichen Raumes unterstützen. Gleichfalls bietet die „Allianz ländlicher Raum“ ein Forum für die einzelnen Regionen zum Erfahrungs- und Gedankenaustausch.
Ich will Ihnen die Bezeichnung „integrierte ländliche Entwicklung“ nahe bringen. Das ist kein neues Zauberwort. Es handelt sich dabei auch nicht, wie oft befürchtet wird, um ein zusätzliches Planungselement, sondern es ist ein Instrument der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“.
Diese Konzepte sollen zukünftig die Grundlage für die regionale Entwicklung sein. Dabei geht es um weit mehr als nur um Förderfragen. Genau darin unterscheidet sich das Ganze von dem Programm „Locale“.
Die integrierte ländliche Entwicklung muss langfristig darauf ausgerichtet sein, sich selbst tragende Prozesse durch Eigenmanagement zu entwickeln und die Stärken der Region in diesen Konzeptionen hervorzuheben. Eine Förderung - das wissen wir auch - kann grundsätzlich nur als Anschubfinanzierung betrachtet werden; denn
Aber diese Konzepte können letztendlich nur dann erfolgreich sein, wenn der notwendige politikübergreifende Entwicklungsansatz von der regionalen und auch von der überregionalen Ebene akzeptiert wird, wenn die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden und - das ist nicht zu vernachlässigen - wenn der Prozess auch überschaubar bleibt. Dann merken die Menschen, dass ihr Engagement und ihre Ideen ernst genommen werden und dass es sich lohnt, sich für die Entwicklung der Heimatregion einzusetzen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass wir vor einer Neuausrichtung der Landesentwicklung zur integrierten ländlichen Entwicklung stehen. Es geht dabei nicht mehr nur um eine Vernetzung der klassischen ländlichen Entwicklungsmaßnahmen - einige hat Herr Krause genannt -, sondern es geht auch um Verknüpfungen mit den Maßnahmen der Wirtschafts-, Bildungs- und Infrastrukturpolitik. Dies muss zum einen aus fachlicher Sicht, aber auch mit Blick auf den Landeshaushalt erfolgen.
Wir brauchen im ländlichen Raum in starkem Maße außerlandwirtschaftliche Arbeitsplätze in der Industrie, im Handwerk, im Dienstleistungsbereich und im Handel. Wir brauchen Kindergärten, Schulen, kulturelle Einrichtungen und öffentlichen Nahverkehr. Aus Gründen des effektiven Einsatzes knapper Finanzmittel müssen wir in der Förderung die Möglichkeiten besser miteinander verbinden.
Es ist nicht sinnvoll, dass jeder Bereich sein „eigenes Süppchen“ kocht. Wir sollten uns lieber auf ein gemeinsames Menü einigen und schauen, wer sinnvollerweise welche Teile davon zubereitet. Die schönsten Familienfeste, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind die, zu denen jeder beiträgt und zu denen jeder etwas mitbringt.
Die Lösung dieser Aufgabe ist eine große Herausforderung und eine wichtige Voraussetzung für attraktive Standortbedingungen in Sachsen-Anhalt. In Richtung der Opposition gesagt: Ich kann Ihnen versprechen, dass die Landesregierung und die Koalitionsfraktionen sich in ihrer Sorge um den ländlichen Raum von der Opposition nicht übertreffen lassen werden. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin. - Meine Damen und Herren! Wir treten nun in die angekündigte Debatte ein. Zunächst erhält für die FDP-Fraktion der Abgeordnete Herr Ernst das Wort. Bitte sehr, Herr Ernst.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für etwa zwei Millionen Menschen - das sind ca. 80 % der Einwohner Sachsen-Anhalts - ist der ländliche Raum Wirtschafts-, Wohn-, Sozial- und Arbeitsraum. Die Erhaltung und Entwicklung des ländlichen Raums als eigenständiger Lebens- und Wirtschaftsraum in einem ausgewogenen Verhältnis zu den Verdichtungsräumen hat eine hohe Priorität.
Der Geburtenrückgang, die Abwanderung und die steigende Lebenserwartung führen im ländlichen Raum so
wohl zu einer Entvölkerung als auch zu einer Überalterung. Äußere Einflussfaktoren sind die Ursachen dafür, dass sich vorhandene Potenziale oft nicht entsprechend entfalten können. Besonders deutlich zeigt sich dies an den bundespolitischen Rahmenbedingungen, wie der Arbeitsmarkt- und der Steuerpolitik, die es in den letzten Jahren nicht geschafft haben, Deutschland im Vergleich zu anderen Industrienationen als attraktiven Wirtschaftsstandort zu erhalten.
Attraktive wirtschaftspolitische und gesetzliche Rahmenbedingungen und eine auf Wachstum ausgerichtete Förderpolitik sind nach unserer Meinung Maßnahmen, die vor allem dann, wenn sie zusammenwirken, im ländlichen Raum Kräfte freisetzen können. In die Vorbereitungsmaßnahmen zu diesem Entwicklungsprozess müssen möglichst viele regionale Akteure einbezogen werden. Unter Federführung des Ministeriums für Landwirtschaft und Umwelt wurde eine „Allianz ländlicher Raum“ gebildet, wie die Ministerin bereits erwähnte.
Förderschwerpunkte der Gemeinschaftsaufgaben „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ und „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ sind in den Regionen mit geringem Entwicklungsstand zu setzen. Wir gehen davon aus, dass mit diesen Förderinstrumenten neue Impulse für die ländlichen Regionen gegeben werden können. Deshalb muss der finanziellen Ausstattung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden.
Während die Förderung von Erzeugerzusammenschlüssen zur Verarbeitung und Vermarktung von ökologischen und regionalen Erzeugnissen sowie bei der Direktvermarktung noch zögerlich in Anspruch genommen werden, ist die Dorferneuerung die finanzstärkste Maßnahme des Operationellen Programms. Dabei liegt der Schwerpunkt der Mittelausrichtung insbesondere auf der Infrastrukturinvestition.
Die Dorferneuerung ist somit zu einem der wichtigsten Instrumente für die ländliche Entwicklung geworden, wobei es sichtbare Erfolge gibt. Ja, Frau Ministerin, Sie haben Recht: Wer mit offenen Augen durch unser Land fährt, kann inzwischen die Schönheit unserer Dörfer bewundern.