Protokoll der Sitzung vom 14.04.2005

Im Rahmen der Anhörungen wurden unterschiedliche Positionen der Kommunen dargelegt: Der Gesetzentwurf wurde überwiegend begrüßt; von einigen wurde jedoch auch Ablehnung deutlich gemacht.

Dank des Stenografischen Dienstes, der in kürzester Zeit die Niederschriften über die Anhörungen fertig stellte, war es dem federführenden Ausschuss möglich, am 7. März 2005 eine zusätzliche Sitzung durchzuführen, in der über vier Änderungsanträge der Fraktionen der CDU und der FDP, über fünf Änderungsanträge der Fraktion der SPD und über eine Vielzahl von Änderungsanträgen der Fraktion der PDS, die in Form einer Synopse vorlagen, beraten wurde.

In dieser Sitzung wurde mit 7 : 6 : 0 Stimmen eine vorläufige Beschlussempfehlung verabschiedet, über die der Innenausschuss am 9. März 2005 beriet und dieser in unveränderter Fassung ebenfalls mit 7 : 6 : 0 Stimmen zustimmte.

Im Rahmen der Erarbeitung einer Beschlussempfehlung an den Landtag in der 40. Sitzung am 6. April 2005 wurden ein weiterer Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP, ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD und nochmals der Änderungsantrag der Fraktion der PDS zur Beratung vorgelegt. In der abschließenden Beratung über den Gesetzentwurf wurde mit 7 : 6 : 0 Stimmen eine Beschlussempfehlung an den Landtag verabschiedet, die Ihnen nun in Form einer Synopse in der Drs. 4/2124 vorliegt.

Sehr geehrte Abgeordnete, ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu dieser Beschlussempfehlung. - Danke schön.

(Zustimmung bei der CDU, bei der FDP und von der Regierungsbank)

Danke, Frau Weiß. - Für die Debatte sind zehn Minuten Redezeit je Fraktion vorgesehen. Als erster Debattenredner hat für die Landesregierung der Minister für Bau und Verkehr Herr Dr. Daehre um das Wort gebeten. Bitte sehr, Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ihnen liegt heute ein Gesetzentwurf zur Stadt-Umland-Problematik und zur Kreisneugliederung, der Entwurf eines Kommunalneugliederungs-Grundsätzegeset

zes, vor. Wenn man dieses Wortes ein paar Mal übt, dann kann man es auch aussprechen. Ähnliches gilt für das Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf zunächst den Vertretern der Fraktionen und vor allen Dingen allen, die sich im Lande an diesem Thema beteiligt haben, herzlich danken. Ich weiß, dass das ein spannendes Thema ist.

Frau Präsidentin, ich dachte zuerst, Sie würden „ohne Debatte“ sagen. Das wäre, meine ich, ein bisschen zu kurz gegriffen; denn wir wollen uns mit diesem Thema beschäftigen und müssen uns auch damit beschäftigen.

Ich darf vorwegschicken, dass wir dieses Problem seit 1993 vor uns hertragen. Seit 1993 sprechen wir davon, dass wir insbesondere in der Region Halle ein StadtUmland-Problem haben. In Magdeburg hält sich das etwas in Grenzen, aber ich meine, auch dort ist das Problem gegeben.

Ich will jetzt nicht damit anfangen zu erzählen, wer nun alles in der Vergangenheit das Problem schon hätte lösen können. Vielmehr ist es heute mein Appell zu sagen: Jetzt haben wir ein Gesetz - ich komme darauf noch im Einzelnen zu sprechen -; lasst uns mit diesem Gesetz anfangen zu arbeiten.

Wir sollten nicht wie bei Hartz IV und bei anderen Sachen in Deutschland immer darüber diskutieren, bevor wir es umgesetzt haben, bevor wir es auf den Weg gebracht haben. Diesen Appell richte ich auch an die Opposition; denn ich bin der Meinung, dass wir jetzt endlich eine gesetzliche Grundlage schaffen, auf der zunächst das Stadt-Umland-Problem gelöst werden soll.

(Zustimmung von Herrn Schröder, CDU)

Meine Damen und Herren! Welche Situation haben wir? - Wir haben die Situation, dass wir die Städte, die Oberzentren Magdeburg und Halle - für Dessau trifft es nur bedingt zu -, stärken wollen. Es ist unheimlich wichtig, dass die Oberzentren Magdeburg und Halle - ich konzentriere es einmal darauf, ohne Dessau zu vergessen; denn das Stadt-Umland-Problem existiert in Dessau nicht - auch von außen wahrgenommen werden und dass sie oberzentrale Funktionen wahrnehmen.

Dann haben wir als Zweites das Umland. Das Umland muss erkennen, dass es nur stark ist, weil das Oberzentrum und die eine oder andere Autobahn in der Nähe sind.

Wir alle müssen begreifen, dass wir nur miteinander, mit dem Oberzentrum und mit dem Umland, in einen Wirtschaftsraum eintauchen können. In einem solchen Wirtschaftsraum schaffen wir Arbeitsplätze, meine Damen und Herren, und können dafür sorgen, dass in Magdeburg das Orchester, das Theater und der Zoo erhalten werden. Es sollte nicht dazu kommen, dass in der einen oder anderen Umlandgemeinde vielleicht eine Einrichtung gebaut wird, die in Magdeburg geschlossen werden muss. Das trifft auf Halle genauso zu. Damit sollten wir jetzt beginnen.

Ich habe die herzliche Bitte, dass jeder in den § 1 des Gesetzentwurfes sieht. § 1 besagt: Die Finanzbeziehungen zwischen der Stadt und dem Umland müssen neu geregelt werden. Die Oberbürgermeister von Halle und Magdeburg fangen immer mit dem Thema der Zwangseingemeindungen an; das ist genau das, was sie wollen. Wir sagen: Die Finanzbeziehungen müssen neu geregelt werden.

Wir schlagen des Weiteren die Zweckverbandsbildung oder die Bildung von interkommunaler Zusammenarbeit vor. Wie sich das letztlich nennt, ist mir fast egal.

Ich bin den Abgeordneten dafür dankbar, dass in den Gesetzentwurf die Vorschrift aufgenommen worden ist, dass die freiwillige Phase bis zum 30. Juni 2006 abgeschlossen sein muss. Wenn es mit der Freiwilligkeit nicht klappt, dann werden wir diese Zwangszweckverbände bilden. Und wenn auch das nicht funktioniert, dann wird es Zwangseingemeindungen geben, und zwar nach den Kriterien, die festgeschrieben worden sind. Das sind keine willkürlich gewählten Kriterien. Das sind raumordnerische Kriterien, die in der ganzen Bundesrepublik Deutschland gelten.

Ich denke, damit ist das scharfe Schwert der Eingemeindung am Ende da, sodass sich auch die Umlandgemeinden bewegen und die freiwillige Phase nutzen müssen. Ich bin davon überzeugt, dass es in den Umlandgemeinden Bewegungen geben wird.

Der Ihnen allen sicherlich nicht ganz unbekannte Bürgermeister aus dem Sülzetal - er ist schon allein aufgrund seines Gewichtes nicht zu übersehen; er ist übrigens auch anwesend, hat aber einen besonderen Platz - hat den Vorschlag unterbreitet, den Wirtschaftsraum Magdeburg - das könnte für Halle genauso gelten - zu definieren und als Lösung der Stadt-Umland-Problematik in diesem Wirtschaftsraum nicht nur die Zweckverbandsbildung anzusehen, sondern sich darüber zu unterhalten, einen gemeinsamen Hebesatz für diese Region festzulegen.

Ich bin Uwe Schrader dankbar, der es auf den Punkt gebracht hat: Was nützt es, wenn Magdeburg die eine oder andere Kommune eingemeindet? Dann hätte die Kommune nämlich den gleichen Hebesatz und der Investor würde in die nächstgelegene Kommune gehen. Damit verlagern wird das Problem immer weiter nach außen und haben überhaupt kein Problem gelöst.

Der Oberbürgermeister der Stadt Magdeburg sagt: Wir haben verhindert, dass Gübs eingemeindet werden kann. Ich darf den Hallensern sagen: Gübs hat ungefähr 700 Einwohner. Aber ich will dem Ort nicht zu nahe treten, vielleicht sind es auch ein paar mehr. Wenn das Problem von Magdeburg dadurch gelöst werden soll, dass eine Gemeinde mit 700 Einwohnern nach Magdeburg eingemeindet wird, dann haben wir uns irgendwo nicht verstanden. Das kann nicht der Weg sein. Es muss eine partnerschaftliche Beziehung zwischen dem Umland und der Stadt geben.

Ein weiterer Punkt ist natürlich eine gemeinsame Flächennutzungsplanung. In diesem Zusammenhang wird der Vorwurf erhoben: Was soll das eigentlich?

Ich kann dazu nur eines sagen: Alle 15 Jahre müssen die Flächennutzungspläne überarbeitet und abgestimmt werden. Was soll uns daran hindern, das eine oder andere so abzustimmen, dass wir für die Zukunft dem Investor einen gemeinsamen Flächennutzungsplan und einen Ansprechpartner anbieten können?

Ich sage das mit Blick auf die Ansiedlung von DHL in Halle und in Leipzig, über die wir alle sehr froh sind. Allerdings gibt es zwischen dem Flughafen Halle/Leipzig und der Grenze der Stadt Halle eine große Fläche mit vielen Kommunen und natürlich die Stadt Halle selbst. Der Investor DHL steht nun vor der Frage, mit wem er eigentlich sprechen soll.

Es wäre eine einmalige Chance, für diesen Bereich - ich habe bereits Frau Häußler, den Landrat, den Landkreis, den Finanzminister, der im Aufsichtsrat sitzt, den Wirtschaftsminister und Herrn Reinbothe von der DHL eingeladen - eine gemeinsame Flächennutzungsplanung zu erarbeiten und sich so zu einigen, dass für DHL ein Ansprechpartner zur Verfügung steht und das Unternehmen nicht mit verschiedenen Bürgermeistern verhandeln muss. Dann könnte die Fläche gemeinsam vermarktet werden.

Auch Frau Häußler muss erkennen, dass es nur auf diesem Weg geht. Sie kann nicht nur Forderungen stellen. Ich könnte jetzt wie unser aller Bundeskanzler von fördern und fordern reden. Ich denke, man muss beides mit auf den Weg bringen. Das wäre jetzt die Nagelprobe, es auf diese Weise zu probieren.

Meine Damen und Herren! Wir machen damit ernst. Noch im Mai wird die Landesregierung die Umlandgemeinden nach Magdeburg zu einer Beratung einladen, bei der das Raumordnungsministerium federführend ist. Wir werden uns mit den Bürgermeistern zusammensetzen und darüber beraten, wie wir die Sache angehen.

Ich habe die große Hoffnung, dass das klappen wird, weil nicht nur die Gemeinde Sülzetal, sondern auch der Bürgermeister der Gemeinde Mittelland Herr Keindorff eindeutig erklärt hat, dass dies der richtige Weg sei. Wir müssen auch verhindern, dass wir Mittel für Projekte im Umland verwenden, die wir im Oberzentrum dringend brauchen. Dafür und für die Zusammenarbeit setze ich mich ein.

Meine Damen und Herren! Abschließend möchte ich zu diesem Thema noch eines sagen - ich hoffe, ich trete damit niemandem zu nahe -: Bisher hat an diesem Rednerpult noch keiner gestanden, der selbst aus dem Umland kommt und so deutlich für die Oberzentren geworben hat.

(Zuruf von der SPD)

Meine Damen und Herren! Sie müssen auch daran denken, dass die Bürger, die in den Orten im Umfeld der Oberzentren wohnen, mit einem gewissen Selbstbewusstsein sagen: Warum will uns der Landesgesetzgeber eigentlich vorschreiben, dass wir dahin oder dorthin gehen sollen? Wir sitzen alle in einem Boot. Deshalb sollten wir das erst einmal freiwillig probieren. Zwang gab es bis zum Jahr 1990 genug, meine Damen und Herren. Das kann nur das letzte Mittel sein. Aber es muss doch möglich sein, das letztlich gesetzlich umsetzen.

Deshalb appelliere ich noch einmal an alle Beteiligten, sich im Mai an einen Tisch zu setzen. Wir haben zwölf Monate Zeit für Verhandlungen. Ab dem 1. Juli 2007 - das ist ein Zeitraum von zwei Jahren, meine Damen und Herren - können auch Zwangseingemeindungen vorgenommen werden. Das ist nicht nur ein überschaubarer Zeitraum, sondern das ist auch das richtige Signal für die Lösung der Stadt-Umland-Problematik.

Nun zum zweiten Punkt, der Kreisgebietsreform. Schließlich interessiert die Stadt-Umland-Problematik nur noch relativ wenige. Im Moment gibt es ein weitaus größeres Thema; denn wir haben mit diesem Gesetzentwurf das Passepartout geschnitten, den Rahmen gesetzt. In diesem Rahmen kann Sachsen-Anhalt jetzt ausgestaltet werden.

Das sieht folgendermaßen aus: Die Insiderkennzahl - ich will es noch einmal für den einen oder anderen sagen, der es vielleicht noch nicht nachgelesen hat - sind Landkreise, die im Jahr 2015 in der Regel 150 000 Einwohner aufweisen. Von dieser Kennzahl kann um 5 % abgewichen werden, weil es sich um einen demografischen Faktor handelt und wir nicht genau wissen, ob in dem jeweiligen Landkreis im Jahr 2015 tatsächlich 150 000 Einwohner leben werden. Das heißt, eine Einwohnerzahl von 142 500 pro Landkreis wäre dann noch konsensfähig. Es sollte auch kein Thema sein, wenn es nur 142 066 Einwohner sein sollten, weil die Prognosen eine 95-prozentige Wahrscheinlichkeit aufweisen.

Solche Kreise dürften aber von der Opposition dann nicht als eine Ausnahme betrachtet werden; sonst hieße das, unfair miteinander umzugehen. Aber wir haben die klare Vorgabe, dass die Zahl von 150 000 Einwohnern die Zielvorstellung ist. Vielleicht wird es der eine oder andere von Ihnen noch erleben. Ich weiß nicht, wie das bei mir aussieht. Aber vielleicht sagen wir im Jahr 2015: Mein Gott, der Daehre hat damals gesagt, das Ziel seien 150 000 Einwohner und nun sind es 170 000. Dann können wir uns alle die Hand schütteln und sagen: Lieber Herr Bullerjahn, Donnerwetter, wir haben umgesteuert.

(Herr Bullerjahn, SPD: Sie können es einmal ma- chen!)

- Nein, wir haben umgesteuert, meine Damen und Herren. Das ist doch die Frage. Wir müssen auch einmal ein bisschen Optimismus hineinbringen und nicht immer nur über die negativen Zahlen diskutieren.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Es scheint manchmal, dass wir auf dem Wege sind, das Land selbst aufzulösen. Wenn wir das wollen, sagen wir: Im Jahr 2020 leben in Sachsen-Anhalt nur noch 1,8 Millionen Menschen; Sachsen und Thüringen, macht euch schon einmal bereit, wir kommen und ihr sollt uns aufnehmen. - Das kann doch nicht der Weg sein. Im Gegenteil, wir müssen einmal Optimismus zeigen. Deshalb wählen wir diese Landkreisgröße.

(Herr Bullerjahn, SPD: So ein System hatten wir doch vor dem Jahr 1990!)

- Ich sage es noch einmal: Ihr hattet jahrelang Zeit, das Problem zu lösen. Ich habe vorhin gesagt, dass ich nicht polemisieren möchte. Aber wenn eine ehemalige Ministerin für Raumordnung und ein ehemaliger Staatssekretär, die heute jeweils Oberbürgermeister sind und die es in der Hand hatten, Änderungen einzuleiten und nichts getan haben, heute kluge Reden halten, dann ist bei mir die Schmerzgrenze erreicht, meine Damen und Herren.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Der größte Landkreis soll 300 000 Einwohner haben. Damit haben wir ein Zeichen gesetzt, auch wenn die Einführung einer Obergrenze von der Opposition nicht ganz so positiv gesehen wird. Aber die Vertretung von 300 000 Menschen ist für einen Kreistag, in dem Kommunalpolitik Spaß machen soll, gerade noch überschaubar. Schließlich könnten wir anstelle von Kreistagen mit äußerst unterschiedlichen Interessenlagen auch zwei Bezirksparlamente einrichten. Das kennen wir alles. Das hatten wir alles schon einmal. Das wollen wir nicht. Die Identifikation mit der Region muss noch möglich sein. Die Obergrenze von 300 000 Einwohnern lässt vieles zu.

Ich darf Ihnen noch eine Rechnung aufmachen: Es gibt 2,5 Millionen Sachsen-Anhalter. Ziehen Sie davon die Einwohnerzahlen der Oberzentren und der Städte Salzwedel und Stendal ab. Dann kommen Sie auf 1,8 Millionen Einwohner.

Meine Damen und Herren, ich würde gern einmal wissen, ob Sie so mutig sind und eine Landkarte nach unseren Vorgaben mit der Obergrenze von 300 000 Einwohnern pro Landkreis malen, die Sie der Öffentlichkeit als Ihre Vorstellung von der Struktur in Sachsen-Anhalt präsentieren. Diskutieren Sie nicht immer darüber, ob es elf oder zehn Landkreise geben soll, sondern sagen Sie den Leuten einmal, was Sie sich vorstellen.

(Herr Bullerjahn, SPD: Was soll das jetzt?)

- Nein, unter diesen Maßgaben. Bei 1,8 Millionen Einwohnern können Sie noch sechs Landkreise malen, nicht fünf. Machen Sie das bitte einmal, dann kommen Sie nämlich mit den Zahlen auch hin.