Protokoll der Sitzung vom 14.04.2005

Im Berichtszeitraum haben sich 766 Bürgerinnen und Bürger an den Ausschuss gewandt. Wir haben mit unserer Arbeit, denke ich, auch erreicht, dass Politik zum Anfassen war, haben gezeigt, dass Politik auch Bodenhaftung hat.

Bei diesen Petitionen wird aber auch deutlich, dass die Entscheidungen, die wir im politischen Bereich oder im administrativen Bereich getroffen haben, bei den Bürgern nicht immer auf Verständnis stoßen und erklärt werden müssen oder dass sie zum Teil auch nicht erklärbar sind. Manchmal ist uns Hilfe möglich, manchmal ist sie uns nicht möglich, weil uns Gesetze auch einengen.

Im genannten Berichtszeitraum konnten wir für 90 Petenten eine positive Entscheidung herbeiführen. Das ent

spricht einem Anteil von etwa 13 % aller eingegangenen Petitionen.

An diese Arbeit werden immer hohe Erwartungen gestellt, aber - das muss ich auch sagen - dieser Ausschuss ist in besonderer Weise an Recht und Gesetz gebunden und deswegen kann er Unmögliches nicht möglich machen. Deswegen werden auch nicht alle Blütenträume von Petenten reifen können.

Wie nah Komik und Tragik in der täglichen Arbeit beieinander liegen, möchte ich an zwei Beispielen deutlich machen. Es ist von uns gefordert worden, den Weihnachtsmann abzuschaffen; das wäre im Landesinteresse nötig, weil er viel zu konsumorientiert wäre.

(Heiterkeit)

Ich meine, das liegt nicht im Landesauftrag. Das können wir nicht tun. Wir haben das als eine lustige Geschichte angesehen.

Des Weiteren hatten wir einen Petenten, der bei einem Fußballspiel in eine Gruppe von Hooligans geraten ist. Diese Hooligans haben die Polizei angegriffen; etliche Beamte sind verletzt worden. Die Polizei hat sich gewehrt und hat die Hooligans zurückgetrieben. Dabei hat einer einen Schlag abgekommen. Das ist für ihn tragisch. Man kann der Polizei dafür aber sicherlich keinen Vorwurf machen.

Es gab noch andere medienwirksame Fälle, beispielsweise das Problem, dass wir aufgrund einer neuen Tierische-Nebenprodukte-Verordnung der EU kleine Haustiere nicht mehr bei uns zu Hause im Garten bestatten dürfen; Katzen sind danach Sondermüll.

(Heiterkeit)

Wir haben diese Petition an das Europäische Parlament weitergeleitet.

Wir werden im Oktober in Berlin bei der Tagung der Petitionsausschüsse von Bund und Ländern über dieses und einige andere Probleme diskutieren, beispielsweise über die Nacherhebungsverfahren bei Abwasserverbänden, über die Frage der Schweinezucht auf Flugplätzen, über die Frage der Windkraft und auch über die Frage des zunehmenden Verkehrslärms; denn das ist ein Problem, mit dem sehr viele Menschen in zunehmendem Maße belastet sind.

Natürlich gehört es auch zu der Arbeit des Petitionsausschusses, Ortstermine wahrzunehmen. Wir haben das in einer sehr guten Art und Weise getan, und zwar machen wir das in der Regel so, dass Vertreter der Regierung und der Oppositionsparteien dorthin gehen. Man findet in der Regel auch vernünftige Lösungen. Man spricht mit den Petenten und mit den Behörden. In der Regel haben wir es geschafft, eine Lösung zu finden und Frieden zu stiften. Das ist eine Aufgabe, die in diesem Ausschuss besonders schön ist.

Wir haben auch vier Petenten, davon zwei Bürgerinitiativen, zu direkten Anhörungen bei uns im Landtag gehabt. Hierbei haben sich neue Aspekte ergeben, die die Entscheidungen im Ausschuss deutlich beeinflusst haben.

Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie auch für dieses Jahr ermutigen, den Bilanzbericht zu lesen; denn Sie finden in ihm eine Fundgrube von Wissen und von Anregungen für die politische Arbeit im Sinne der Bürgerinnen und Bürger von Sachsen-Anhalt. Wenn wir uns nämlich nur nach uns selbst richten, wenn wir immer nur nach innen schauen, dann haben wir kaum die Chance,

dem Bürgerwillen nachzukommen. So sehen wir eigentlich unsere politische Arbeit als Ausschuss.

Natürlich wird, wie gesagt, nicht jede Petition Erfolg haben. Aber es fällt auch uns als Parlamentarier hier in diesem Hohen Hause immer schwerer, die zunehmende Masse an Gesetzen zu erklären, insbesondere dann, wenn sie kaum noch verständlich und fassbar sind. Wir müssen wirklich daran arbeiten, dass wir vor Gesetzesänderungen oder vor neuen Gesetzen intensiver prüfen: Ist das notwendig oder ist es nicht notwendig?

Dazu möchte ich an dieser Stelle einmal Montesquieu zitieren. Er wird in der letzten Zeit sehr häufig zitiert, man hört aber oft nicht auf ihn. Er sagte:

„Wenn es nicht absolut notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es absolut notwendig, kein Gesetz zu machen.“

Vielleicht als kleiner Rat zum Schluss - Otto von Bismarck hat das Beispiel gern angeführt - die Praxis einer Stadt in Altgriechenland: Wer ein neues Gesetz einbringen wollte, der konnte das tun, er musste sich aber mit einem Strick um den Hals auf einen Tisch stellen. Wenn die Menschen gesagt haben, das Gesetz ist gut, dann hat man ihm den Strick abgenommen. Wenn die Menschen aber gesagt haben, das Gesetz ist schlecht, dann wurde der Tisch weggenommen. - Vielleicht sollte man sich das heute auch einmal überlegen.

(Heiterkeit bei der CDU)

Werte Kolleginnen und Kollegen, vor Ihnen liegt ein Papier, das geeignet ist, die Stimmungen und Meinungen vieler Menschen im Land deutlich zu machen. Es ist zwar nur ein Ausschnitt aus dem großen Bereich dessen, was wir in der Politik erleben, aber es sollte Anlass sein, unsere politische Tätigkeit immer wieder kritisch zu reflektieren und zu hinterfragen. In diesem Sinne bitte ich Sie: Lesen Sie dieses Papier und handeln Sie danach. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Geisthardt. - Eine Debatte dazu soll nicht stattfinden. Ich sehe auch keine weiteren Wortmeldungen.

Wir stimmen jetzt über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Petitionen in der Drs. 4/2033 ab. Darin empfiehlt der Ausschuss für Petitionen, die in den Anlagen 1 bis 9 aufgeführten Petitionen mit Bescheid an die Petenten für erledigt zu erklären. Darüber stimmen wir jetzt ab. Wer stimmt zu? - Nahezu alle. Stimmt jemand dagegen? - Niemand. Gibt es Stimmenthaltungen? - Das ist nicht der Fall. Damit können wir die Petitionen als erledigt betrachten. Der Tagesordnungspunkt 12 ist beendet.

Ich rufe nun, wie bereits von mir angekündigt, den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Beratung

Sachsen-Anhalts Wege in eine kinder- und familienfreundliche Gesellschaft

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/2118

Änderungsantrag der Fraktion der PDS - Drs. 4/2146

Ich bitte zunächst Frau Dr. Kuppe, den Antrag einzubringen. Bitte schön.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Die Landesregierung hatte öffentlich und auch im Zusammenhang mit der Beratung über den familienpolitischen Antrag der PDS-Fraktion im Landtag angekündigt, im Jahr 2004 sowohl ein familienpolitisches Leitbild vorstellen als auch ein Familienleistungsgesetz in den Landtag einbringen zu wollen. Letzteres - nunmehr der Entwurf eines Familienfördergesetzes - ist in der vergangenen Woche in das Anhörungsverfahren gegangen und soll den Landtag vor der Sommerpause zur ersten Lesung erreichen. Wir halten es für erforderlich, dass zumindest zeitgleich das familienpolitische Leitbild der Landesregierung, abgestimmt mit den Partnerverbänden und -organisationen im Landesbündnis für Familien, vorgelegt wird.

Über die Fraktionsgrenzen hinweg sind wir uns gewiss darin einig, dass die demografische Herausforderung, die Bevölkerungsentwicklung insbesondere in Ostdeutschland komplexe Lösungen erfordert. Deren Wirkungen werden allerdings erst mittel- bis langfristig spürbar werden. Kurzatmigkeit wird nicht zum Ziel führen.

Um welches Ziel geht es? - Unser Ziel als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist es, mit mittel- und langfristigen Maßnahmen zu solchen Rahmenbedingungen in Sachsen-Anhalt und in Deutschland beizutragen, die mithelfen, dass sich mehr junge Menschen für Kinder entscheiden, dass Kinder und Jugendliche gute Entwicklungsmöglichkeiten haben, dass sich junge Menschen - vor allem junge Frauen - für das Hierbleiben entscheiden, dass junge Familien nach Sachsen-Anhalt gelockt werden und dass sich alle Generationen in Sachsen-Anhalt wohl fühlen.

In einer Studie des Teams von Perspektive Deutschland 2004 äußerten 86 % der befragten Frauen zwischen dem 20. und dem 34. Lebensjahr, dass sie sich ein bis vier und mehr Kinder wünschen; im Durchschnitt also 1,8 Kinder je Frau. Die Realisierung liegt bei nur 1,3 Kindern je Frau, in Ostdeutschland noch darunter. Frauen mit Hochschulreife oder Hochschulabschluss bekommen durchschnittlich lediglich 1,1 Kinder. 40 % von ihnen bleiben kinderlos, obwohl auch bei ihnen der Wunsch nach Kindern bestand. Zwischen Kinderwunsch und Kinderwirklichkeit klafft eine große Lücke. Damit nimmt Deutschland im internationalen Vergleich der Geburtenhäufigkeit einen erschreckenden hinteren Platz ein.

Wenn 80 % der jungen Erwachsenen sagen, dass sie Kinder haben und gleichzeitig erwerbstätig sein wollen, liegt hier sicherlich der Dreh- und Angelpunkt einer zur Familiengründung Mut machenden Politik.

(Zustimmung bei der SPD)

Bei der von Ihnen, Herr Minister Daehre, und Ihnen, Herr Minister Kley, gemeinsam mit Frau Professor Dienel konzipierten und im November des vergangenen Jahres im Landtag durchgeführten Tagung stand das Abwanderungsverhalten junger Menschen, standen ihre Gründe für die Abwanderung aus Sachsen-Anhalt im Mittelpunkt. Die Studie von Frau Professor Dienel und ihrem Wissenschaftlerinnenteam gibt aber auch Empfehlungen, wie das Hierbleiben und die Familiengründung gefördert werden können.

Diese Anregungen wie auch die Diskussionen mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Hinweise von Praktikerinnen und Praktikern vor Ort haben Eingang gefunden in den vierten Beitrag zur Zukunftsdiskussion des SPD-Landesverbandes SachsenAnhalt „Familie 2020 - Wege in eine kinderfreundliche Gesellschaft“.

Unser Leitbild für eine kinderfreundliche Gesellschaft rückt das Kind in den Mittelpunkt und stärkt die Familien in einer solidarischen Gesellschaft. Kinder sind willkommen - so steht es in unserem Leitbild -, Kinder werden respektiert und besitzen eigene Rechte. Kinder sind nicht allein eine Privatangelegenheit, sondern ein öffentlicher Schatz. Strukturelle finanzielle Benachteiligungen für Familien werden überwunden. Für behinderte Kinder und Kinder mit Migrationshintergrund stehen integrative Maßnahmen im Vordergrund. Väter übernehmen eine aktive, eine gestaltende Rolle im Zusammenleben der Generationen.

(Herr Gürth, CDU: Sehr gut!)

Mütter sind gleichberechtigt in den Arbeitsmarkt integriert. Politik wird mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gestaltet.

(Herr Gürth, CDU: Wunderbar! Das alles steht darin?)

Das fördert das Grundvertrauen in die demokratischen Institutionen und hilft, dass Familien ihr Leben selbst in die Hand nehmen.

(Herr Gürth, CDU: Das alles steht darin?)

- Das alles steht darin, Herr Gürth. Ich empfehle Ihnen die Broschüre zur geflissentlichen Lektüre.

(Herr Gürth, CDU: Ich werde sie gleich morgen lesen!)

Zur Umsetzung dieses Leitbildes schlagen wir in acht Grundsätzen, in acht Leitlinien mittelfristig und langfristig zu verwirklichende Schritte und Maßnahmen vor. Zudem entwickeln wir eine Vorstellung davon, wie im Jahr 2020 eine kinderfreundliche Gesellschaft in Sachsen-Anhalt aussehen wird. Wir sprechen dabei nicht von einer fernen Utopie, sondern von einer unter sich verändernden Rahmenbedingungen erreichbaren Vision. Das bedeutet aber auch: Wir müssen uns anstrengen, wir müssen Prioritäten setzen und wir müssen neue Denkansätze zulassen.

Unsere acht Leitlinien lauten:

Kinder sind nicht allein eine private Familienangelegenheit, sondern zugleich eine gesellschaftliche Verpflichtung.