Unabhängig von der Beurteilung der Ursachen dafür müssen wir eingestehen: Der jetzige Verfassungsvertrag ist in der vorliegenden Fassung gescheitert - auch wenn sich manche Politiker noch gegen diese so einfache wie logische Einsicht wehren.
Wir sollten aber auch eines nicht vergessen: Mit dem vorläufigen Scheitern des Verfassungsvertrages ist Europa nicht am Ende. Mit dem Vertrag von Nizza hat die EU bei aller Unzulänglichkeit im Detail eine rechtskräftige und funktionsfähige Grundlage. Entscheidend bleibt der politische Wille zur Einigung in den zur Lösung anstehenden Sachfragen.
Der verfassunggebende Prozess, der fortgesetzt werden muss, braucht einen neuen identitätsstiftenden Anlauf. Die eingetretene Denkpause sollte dazu genutzt werden, sich darüber zu verständigen, was wir an unbestreitbaren Fortschritten im Verfassungsvertrag haben, wo wir eventuell nachbessern müssen, um seine Akzeptanz zu erhöhen, ob es möglich ist, Teile des Verfassungsentwurfs, beispielsweise das Frühwarnsystem und die verstärkte Einbeziehung der nationalen Parlamente, auch ohne Vertragsänderung in Kraft zu setzen und ob wir nicht einen neuen, längerfristig arbeitenden Zukunfts
konvent auf den Weg bringen sollten, in dem die Fragen der weiteren Entwicklung Europas in enger Rückkopplung mit den Bürgerinnen und Bürgern in den Mitgliedsstaaten diskutiert werden, ohne die Alltagspolitik zu blockieren. Wir werden im Rahmen eines Interreg-III CProjektes, das wir mit Partnerregionen starten, Antworten auf diese Fragen suchen.
Im Erweiterungsprozess muss jeder weitere Schritt von breiter Unterstützung getragen werden, die es nur geben wird, wenn die selbst gesetzten Bedingungen in nachvollziehbarer Weise strikt angewendet werden. Für die Türkei sollte das Ziel einer privilegierten Partnerschaft in das Verhandlungsmandat der Europäischen Union aufgenommen werden; denn eine Vollmitgliedschaft erscheint auf lange Sicht nicht nur unrealistisch, sondern auch unzuträglich für den Erfolg des Integrationsprozesses in der EU der 25 oder sogar der 27.
In seiner Gesetzgebung wird sich Europa auf das Wesentliche konzentrieren müssen. Zurzeit sind mehr als 600 Gesetzgebungsvorschläge in Arbeit. Ich appelliere an alle Beteiligten, die Vorhaben unter den Gesichtpunkten Wettbewerbsfähigkeit, Kosten, Entbürokratisierung und Subsidiarität zu überprüfen.
Die Landesregierung hält an ihrer Strategie zur Sachinformation der Bürgerinnen und Bürger über Grundfragen der europäischen Integration fest. Ich kann Sie nur bitten, in Ihren Gremien das Gleiche zu tun. Wir brauchen den Dialog über Europa als Teil unserer eigenen Politik. Wir müssen in unserem eigenen Interesse mithelfen, die Kluft zwischen den europäischen Institutionen und der europäischen Öffentlichkeit zu überwinden. Dies kann nur geschehen, wenn EU-Organe und Mitgliedstaaten ihre Verantwortung für den Integrationsprozess als Ganzes gemeinsam wahrnehmen.
Auch die Europäische Kommission - das will ich unterstreichen - muss sich endlich ihrer Verantwortung für die politische Führung der strategischen Debatte über die Zukunft Europas stellen. Sie war im Juni leider ein Totalausfall.
Meine Damen und Herren! Wie eingangs erwähnt, entstand die Debatte um die Krise Europas aus dem Zusammenfallen des Scheiterns des Verfassungsvertrages mit der nicht erreichten Einigung über die finanzielle Vorausschau. Lassen Sie mich daher noch einige Anmerkungen zu diesem Punkt und zu seinen Auswirkungen auf unser Land machen.
Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, die Lage zu dramatisieren. Auch früher war die Zeit immer knapp; Frau Dr. Klein hat das bereits erwähnt. Selbst für den Fall, dass eine Einigung nicht zustande käme, sieht Artikel 272 des EG-Vertrages das Verfahren für die Aufstellung des jährlichen Haushalts vor. Der Beschluss über die Eigenmittel gemäß Artikel 269 des EG-Vertrages gilt unbegrenzt bis zu einer Änderung. Entscheidend sind also auch in dieser Frage nicht die institutionellen Hürden, vielmehr ist der Wille der Mitgliedstaaten entscheidend, einen ausgewogenen Kompromiss zu finden, der auch als Einstieg in neue Prioritäten genutzt werden sollte.
Wer allerdings Umschichtungen von Agrarausgaben in den Bereich Wissenschaft und Forschung fordert, muss wissen, dass der Agrarbereich vollständig vergemeinschaftet ist. Wer dies ändern will, muss nationale Kofinanzierung hinnehmen. Dies könnte zulasten der nationalen Ausgaben für Wissenschaft und Forschung gehen,
die heute in der Summe aller nationalen Haushalte weit höher sind als die vergemeinschafteten Agrarausgaben.
Die Landesregierung weist nachdrücklich darauf hin, dass ein möglichst baldiger Abschluss der Finanzverhandlungen insbesondere im Interesse des pünktlichen Anlaufs der neuen Strukturfondsförderperiode unbedingt erforderlich ist. In allen anderen Ausgabenbereichen, auch in der Agrarpolitik, könnten auf der Basis der Jahreshaushalte die Zahlungen nach Artikel 272 des EGVertrages weiterlaufen, aber in der EU-Strukturförderung dürften in Ermangelung der neuen Verordnung keine neuen Programme genehmigt werden. Die ärmsten und am meisten problembeladenen Regionen Europas wären damit in erster Linie die Leidtragenden eines Scheiterns der Verhandlungen.
Um keine Zeit zu verlieren, treiben wir - wie hier bereits besprochen - die Vorbereitung der neuen Programmperiode im Land parallel zu den Brüsseler Verhandlungen voran. Auch Kommissarin Hübner hat die strategischen Leitlinien für die Politik im Zeitraum von 2007 bis 2013 planmäßig vorgelegt, obwohl sie noch nicht wirklich weiß, wie viel Geld zur Verfügung steht. Wir werden uns dazu fristgemäß äußern.
Gestatten Sie abschließend noch den Hinweis, dass ich die Auswirkungen auf das Haushaltsjahr 2006, die in der Begründung zu dem Antrag der PDS-Fraktion zum Ausdruck kommen, aus Landessicht nicht bestätigen kann. Es trifft zu, dass in Brüssel die Aufstellung des Haushalts für das Jahr 2006 kontrovers verläuft. Dies ist vor dem bekannten Hintergrund des Verteilungskampfs zwischen Zahler- und Empfängerstaaten auch nicht verwunderlich. Die Frist für die Haushaltsaufstellung läuft noch bis Anfang Oktober dieses Jahres. Nach der vergangenen Sitzung des Haushaltsausschusses des Rates zeigte sich der britische Vorsitz optimistisch, bis dahin einen Kompromiss finden zu können. Auch wenn es weitere Probleme gäbe, könnten im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung unsere Bedürfnisse abgedeckt werden. Ich sehe insofern keine aktuellen Probleme für das letzte Jahr der laufenden Förderperiode.
„Nur eine starke, demokratische Europäische Union sichert die Zukunft unseres Kontinents in einer unsicheren Welt.“
Vielen Dank, Herr Staatsminister Robra. - Meine Damen und Herren! Die Debatte wird fortgesetzt durch den Beitrag der FDP-Fraktion. Es spricht zu Ihnen Herr Abgeordneter Kosmehl. Bitte sehr, Herr Kosmehl.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Angesichts der Ereignisse in London, in Europa, die wir heute zur Kenntnis nehmen mussten, ist es schwer, über eine Krise Europas zu sprechen, wenn es dabei lediglich um die Frage des Geldes und die Frage einer Verfassung geht. Ich will mich deshalb, ebenso wie der
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Titel der heutigen von der PDS-Fraktion beantragten Aktuellen Debatte spricht von der Krise der Europäischen Union. Auch die Printmedien haben sich seit einigen Wochen mit Schlagzeilen wie beispielsweise „Aufstand in Europa“, „Tiefer Riss durch die Reihen“ oder „Die Stunde null von Brüssel“ an dieser Debatte beteiligt.
Ja, die Europäische Union befindet sich in einer Krise. Doch die Ereignisse in den letzten Wochen, die gescheiterten Referenden in Frankreich und in den Niederlanden sowie der gescheiterte Rat von Brüssel haben nicht zu dieser Krise geführt. Vielmehr sind sie Ergebnis und Ausdruck einer bereits länger andauernden Krise der Europäischen Union.
Fakt ist: Die Geschichte der Europäischen Union von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bis hin zu der heutigen Europäischen Union, über den Binnenmarkt und über die gemeinsame Währung, den Euro, ist aus unserer Sicht eine Erfolgsgeschichte.
Frau Dr. Klein, wenn Sie argumentieren, der Neoliberalismus sei der Grund dafür, dass sich die Bürger abwendeten, so muss ich Ihnen entgegentreten und Sie darauf hinweisen, dass es die Wirtschaftspolitik in der jetzigen Europäischen Union und der früheren Europäischen Gemeinschaft war, die Europa aufgebaut, die Europa stark gemacht und die zu dieser Erfolgsgeschichte und letztlich auch dazu geführt hat, dass mit der Erweiterung der Europäischen Union im Mai 2004 die Teilung Europas fast 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs endlich aufgehoben wurde.
Ich gebe Ihnen darin Recht, dass es uns allen - ich beziehe mich ausdrücklich ein; das gilt nicht nur für die Regierungschefs - in den vergangenen Jahren immer seltener gelungen ist, die Bürgerinnen und Bürger von diesem Erfolg Europas zu überzeugen und sie an diesem Erfolg teilhaben zu lassen. Man könnte auch sagen: Wir haben vergessen, die Menschen mitzunehmen. Das gilt beispielsweise für die Erweiterung, die wir alle für richtig halten. Das muss man natürlich aber auch vermitteln.
Ich hatte auch im Zusammenhang mit der Verfassung den Eindruck, dass viele nicht daran interessiert waren, die Verfassung den Menschen nahe zu bringen und für die Verfassung zu werben. So machen es sich einige vielleicht zu leicht, die jetzt erklären, sie seien schon immer für ein geringeres Tempo gewesen, sie seien schon immer für institutionelle Reformen gewesen. Das hilft uns in der Debatte über die Zukunft der Europäischen Union nicht weiter.
Viele waren schnell dabei, die Schuld für das Scheitern des Rates von Brüssel beim britischen Premierminister oder beim niederländischen Ministerpräsidenten zu suchen. Aber waren es wirklich diese beiden? Oder haben nicht auch der französische Präsident und der deutsche Bundeskanzler - etwa durch ihr Festhalten an der 1%-Grenze - einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet?
Letztlich muss unser Blick nach vorn gerichtet werden. Wir müssen uns der Debatte über die Zukunft Europas stellen. Wir müssen sie offen führen. Insofern begrüße ich ausdrücklich, dass Premierminister Blair bei der Vorstellung des Programms der britischen Ratspräsidentschaft genau eine solche Debatte angestoßen hat.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich noch einmal zwei Punkte verdeutlichen. Aus meiner Sicht ist es bedauerlich, fast tragisch, dass ein Vertrag über eine Verfassung für Europa, der erstmals nicht ausschließlich vom Rat der Regierungschefs, sondern in einem breiten Konvent erarbeitet wurde, in zwei Referenden abgelehnt wurde. Ich hatte gehofft, dass das offenere, dass das transparentere Verfahren und die breitere Beteiligung den Bürgern eine Zustimmung erleichtern könnte. Allerdings gehört dazu auch, dass man den Bürgern die Dinge vermittelt.
Auch wenn sich abzeichnet - der Herr Staatsminister hat auf die Statistik hingewiesen -, dass viele von denen, die mit Nein gestimmt haben, europäische Themen als Ablehnungsgrund angeführt haben, so waren dies aus meiner Sicht gleichwohl keine durchschlagenden Gründe, die gegen die Verfassung sprachen. Vieles war nur nicht richtig vermittelt worden.
Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, wie es weitergehen soll. Ich denke, wir sollten die Denkpause dazu nutzen, die Verfassung selbst, aber auch die europäische Idee in den Mitgliedstaaten unter den Bürgerinnen und Bürgern bekannter zu machen und für beides, für den Verfassungsvertrag und für die europäische Idee, in der wir alle unsere Zukunft sehen, zu werben.
Wenn man dies macht, wenn man sich dieser Aufgabe stellt, dann gibt es aus meiner Sicht gute Chancen, dass die Verfassung in einem zweiten Anlauf auch in Frankreich und in den Niederlanden ratifiziert wird. Bisher ist es den Mitgliedstaaten stets gelungen, in einem zweiten Anlauf Referenden zu europäischen Verträgen, beispielsweise zu den Verträgen von Maastricht und Nizza, erfolgreich abzuschließen.
Herr Staatsminister, ich bekenne ausdrücklich: Ich gehöre zu denjenigen, die an dieser Verfassung festhalten, die diese Verfassung nicht aufgeben wollen. Es ist eine ausgezeichnete, eine gute Verfassung für die Zukunft Europas. Dafür sollten wir weiter kämpfen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Schwieriger ist es im Hinblick auf die Frage, wie wir das Nichtzustandekommen der finanziellen Vorausschau für die Jahre 2007 bis 2013 lösen wollen. Gerade diese finanzielle Vorausschau bildet die Grundlage für die zukünftige Strukturfondspolitik in der Europäischen Union. Ein Nichtzustandekommen der finanziellen Vorausschau hat durchaus Auswirkungen auf Sachsen-Anhalt.
Wir sollten alles daransetzen, die planmäßigen bzw. selbst gesetzten zeitlichen Hürden zu nehmen, um die operationellen Programme aufzustellen, um den nationalen Rahmenplan zu verabschieden, sodass SachsenAnhalt, aber auch die Bundesrepublik Deutschland gut aufgestellt sind, wenn die finanzielle Vorausschau kommt. Ich gehe davon aus, dass die finanzielle Vorausschau noch unter der britischen Ratspräsidentschaft zustande kommen wird. Ich teile - ich will das nicht weiter ausführen -, Frau Dr. Klein, Ihre Skepsis hinsichtlich der britischen Ratspräsidentschaft und ihrer Anliegen ausdrücklich nicht.
Wir sollten in eine Debatte über die Zukunft der Finanzpolitik der Europäischen Union eintreten. Dafür müssen alle Punkte zur Diskussion gestellt werden. Damit kann man eine Politik finden, die die Zukunft der Europäischen Union sichert. - Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Kosmehl. - Für die SPDFraktion spricht nun die Abgeordnete Frau Budde. Bitte sehr, Frau Budde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Sozialdemokraten stehen in der Tradition von Willy Brandt und Helmut Schmidt. Diese beiden haben - auch mit Politikern anderer Parteien zusammen - ganz entscheidend die Grundlagen dafür gelegt, dass die Europäische Union das ist, was sie heute ist.
Vor dem Hintergrund der heutigen Geschehnisse in London ist es umso wichtiger, dass wir über die politische Region Europa reden und dass wir das, was der Hintergrund war, nämlich die Europäische Union zu schaffen, wirklich weiter gestalten.
Überall auf der Welt finden sich große Regionen als Wirtschaftsregionen, aber auch als politische Regionen zusammen. Deshalb ist es wichtig: Wir brauchen Europa; wir brauchen eine Verfassung, die von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und deren Bürgerinnen und Bürgern getragen wird.
Die Risiken, die die Menschen nicht nur in den Ländern, die nein gesagt haben, sondern auch in Deutschland gegenwärtig häufig mit der EU verbinden, beruhen sehr oft auf nichts anderem als nationalem Unvermögen, mit der Europäischen Union umzugehen und deren Vorgaben in nationales Recht umzusetzen.
Europa kann auf eine beeindruckende Entwicklung in den letzten 50 Jahren zurückblicken. Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges haben sich die Europäer in vielen kleinen und größeren Integrationsschritten zur Europäischen Union zusammengefunden. Der europäische Binnenmarkt, aber auch die gemeinsame Währung, der Euro, sind nur zwei Beispiele für diese Entwicklung. Auch Europas Rolle als politische Macht in der internationalen Politik hat kontinuierlich an Bedeutung gewonnen.
In Deutschland stimmte der Deutsche Bundestag am 12. Mai 2005 mit überwältigender Mehrheit dem Vertrag über die Europäische Verfassung zu. Der Bundesrat billigte die Verfassung am 27. Mai 2005. In beiden Häusern war eine Zweidrittelmehrheit notwendig.
Aber nach dem Nein zur Europäischen Verfassung durch Frankreich und die Niederlande sowie nach der Verschiebung der Ratifizierung durch die Briten wäre auch ein einfaches „Weiter so!“ nicht gegangen. Dies wäre ganz sicher kein Weg gewesen, damit umzugehen. Insofern ist es, denke ich, richtig, dass der Rat eine Denkpause verordnet hat. Das war eine folgerichtige Entscheidung. Ich bedauere allerdings ein wenig, dass bei dieser Entscheidung der innere Denkanstoß fehlt. Dieser hätte ganz sicher für eine wesentlich stärker zielgerichtete Denkpause gesorgt.
Klar ist, dass eine erneute Vorlage der gleichen Verfassung in den Ländern, in denen es ein Nein zur Verfassung gegeben hat, nicht möglich ist. Klar ist aber auch, dass respektiert, akzeptiert und berücksichtigt werden muss, dass es in vielen Mitgliedstaaten ein Ja zur Verfassung gegeben hat.
Ich glaube im Übrigen nicht, dass es die Inhalte der Verfassung waren, die zu einem Nein bei der Abstimmung