Protokoll der Sitzung vom 08.09.2005

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Nun komme ich zum Themenkomplex Schulsozialarbeit. Nein, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, ich mag Ihnen auch diese Thematik nicht ersparen. Sie haben durch Ihren Rotstift bei der Schulsozialarbeit mit einem Mal ca. 70 Schulsozialarbeitsprojekte aus den Schulen verbannt. Ja, ich weiß, dass die Kommunen weiterhin die Möglichkeit haben, Schulsozialarbeiterinnen einzustellen, und dies mit den Mitteln der Jugendpauschale aus dem FAG finanzieren könnten.

Doch schauen wir uns doch einmal die Realität in den Kommunen an: Tatsache ist, dass mit der Überführung der Mittel der Jugendpauschale in das FAG die Kommunen infolge des rechtlich begründeten Drucks der Kommunalaufsicht teilweise nur noch wenig oder gar keine Finanzmittel hinzufügen, um Projekte der Kinder- und Jugendarbeit zu fördern. Die Kommunen stehen also vor der Entscheidung, das insgesamt weniger gewordene Geld unter allen Projekten aufzuteilen oder Projekte ganz sterben zu lassen. Die Kommunen haben sich hinsichtlich der Schulsozialarbeit in den meisten Fällen für Letzteres entschieden und damit eine wichtige Verzahnung von Jugendhilfe und Schule aufgegeben.

Das ist wahrlich ein trauriges Ergebnis. Sagen Sie jetzt nicht, dass es nicht absehbar war. Meine Vermutung geht eher dahin, dass das Ihr bewusster politischer Wille war.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Im Übrigen ist meine Partei nicht allein mit der Forderung nach der Förderung von qualifizierter Schulsozialarbeit. Die GEW fordert dies seit langem. Auch der Verband Bildung und Erziehung Sachsen-Anhalt fordert in seiner kürzlich veröffentlichten Studie mehr Schulsozial

arbeit. Begründet wird dies unter anderem damit, dass vermehrt ein problematisches Lernverhalten zu verzeichnen ist, das sich durch Unkonzentriertheit, Störungen des Unterrichts und auch durch Gewaltbereitschaft äußert.

Ich finde es übrigens interessant, dass gerade Lehrerinnen und auch Schülerinnen selbst Unterstützung durch Schulsozialarbeiterinnen anfordern und damit deren fachliche Leistungen anerkennen und für erforderlich halten. Welche Antwort haben Sie denn auf diese Forderung?

Im Bereich der Soziokultur sanken die Landesausgaben im Zeitraum von 2000 bis 2004 um 515 000 € auf 183 000 €. Auf Seite 60 der Antwort spricht die Landesregierung von einem „wachsenden Bedarf bei Kindern und Jugendlichen an außerschulischer künstlerisch-kultureller Betätigung“. Ja, wie denn nun? - Das ist eine Kürzung um fast 75 %, die wohl kaum allein mit dem demografischen Wandel und der Abwanderung junger Menschen glaubhaft zu begründen ist.

Zu der Problematik der häuslichen Gewalt sagt die Landesregierung, dass mehr Kooperation zwischen den Beratungs- und Schutzeinrichtungen für Frauen und denen für Kinder zu etablieren ist. Die Abschaffung des Interventionsprojektes in Halle, das eine koordinierende Funktion übernahm, ging da wohl eher in Richtung Gegenteil.

Die Forderung der Landesregierung hat vor diesem Hintergrund und angesichts der Beendigung des Landesprogramms gegen häusliche Gewalt im Jahr 2004 eher einen plakativen Wert und bedeutet eine Ohrfeige in das Gesicht derjenigen, die in den letzten Jahren in diesem Bereich engagiert tätig geworden sind. Fachpersonal ist erforderlich, auch zur Vernetzung der bestehenden Angebote.

Mit großem Interesse habe ich auch die Antworten hinsichtlich der Kinder- und Jugendkriminalität gelesen. Sie schreiben selbst, dass in den letzten Jahren der Anteil der Jugendtatverdächtigen abgenommen hat, Sie davon auch in Zukunft ausgehen und daher bei den Haushaltsmitteln entsprechend reagieren. Angesichts dessen stellt sich für mich erneut die Frage, warum wir dann eine Verschärfung des Jugendstrafrechtes brauchen.

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Sie schreiben selbst, dass eine frühzeitige Stigmatisierung junger Menschen vermieden werden muss. Da stellt sich mir erneut die Frage: Warum brauchen wir dann einen Warnschussarrest?

(Zustimmung bei der Linkspartei.PDS)

Sie schreiben, dass die Reaktionen auf Jugenddelinquenz auf Rat und Beistand ausgerichtet sein müssen und dem Erziehungsgedanken nicht entgegenstehen dürfen. Da stellt sich mir erneut die Frage: Warum brauchen wir dann die nachträgliche Sicherheitsverwahrung für jugendliche Straftäter?

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Erfreut habe ich jedoch festgestellt, dass Sie unsere Meinung teilen, dass die öffentliche und freie Jugendhilfe auch kriminalpräventiv tätig wird. Das entspricht voll und ganz unserer Intention, aber leider nicht Ihrem praktischen Handeln. Sie streichen auf der einen Seite Mittel für die Kinder- und Jugendarbeit und wollen auf der anderen Seite das bestehende Recht, das Ihrer Meinung

nach durchaus erfolgreich ist, verschärfen. Das ist ein Widerspruch, meine Damen und Herren auf der Regierungsbank.

Eine hohe Qualität in der schulischen und außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit ist nach Auffassung der Linkspartei die beste Kriminalprävention. Wenn ich auf die Kosten in der Jugendhaftanstalt verweisen darf, die die Landesregierung uns leider aufgrund eines anscheinend unvertretbar hohen Aufwandes nicht genannt hat, stelle ich nüchtern fest, dass eine solche Vorgehensweise für das Land auch allemal kostensparender ist.

An dieser Stelle möchte ich auch etwas zu unseren Finanzierungsvorschlägen sagen. Spätestens seit der Tagung des Europäischen Rates in Lissabon im Jahr 2000 ist der Ansatz überholt, dass ausschließlich Ausgaben für die Infrastruktur als Investitionen und die Bildungsfinanzierung ausschließlich als Konsum gelten. Als Ziel steckt dahinter, dass sich die Europäische Union bis zum Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum in der Welt entwickeln soll.

Die Linkspartei unterstützt diese Herangehensweise. Sie betrachtet Bildung als Investition und definiert damit ein neues Qualitätskriterium für die Haushaltspolitik in Form der Bildungsquote. Diese umfasst den Anteil der Bildungsausgaben, beginnend bei der frühkindlichen Förderung über die Schule und Ausbildung bis hin zur Weiterbildung, am Gesamthaushalt des Landes SachsenAnhalt, der momentan bei ca. 23 % liegt.

Wir sind im Übrigen mit dieser Idee nicht allein. Ich möchte hierzu Herrn Reich, den Vorstandssprecher der Kreditanstalt für Wiederaufbau, zitieren. Er sagte: Wirtschaftsförderung heißt in Zukunft vor allem auch Bildungsförderung.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung bei der SPD)

Langfristig sollte eine Vernetzung der Bildungsausgaben in allen Bereichen, wie Arbeitsmarkt, Wirtschaft, Sozial-, Kinder- und Jugendpolitik, stattfinden und die Quote auf 28 bis 30 % des Gesamthaushalts steigen.

All die Dinge, die ich in meiner Rede angesprochen habe, die in den letzten Jahren immer wieder dem Rotstift zum Opfer gefallen sind und auch in Zukunft zur Disposition stehen werden, könnten so auf solide finanzielle Beine gestellt werden; denn die Politik setzt schließlich die Prioritäten.

Das bedeutet aber nicht, nur davon zu sprechen, dass Kinder die Zukunft unseres Landes sind, sondern diese These muss eben auch durch eine ausreichende finanzielle Untersetzung realisiert werden. Das Spiel „Die Reise nach Jerusalem“ können wir uns bei Kindern und Jugendlichen wahrlich nicht leisten.

Es sind noch weitere Punkte aufgrund der Antwort der Landesregierung diskutierbar, doch ich möchte es in diesem Rahmen bei den genannten Problemfeldern belassen. Ich verspreche, dass wir in den betreffenden Ausschüssen - es geht hierbei nicht nur um die Arbeit im Ausschuss für Gleichstellung, Familie, Kinder, Jugend und Sport - im Rahmen der Selbstbefassung das Gesamtthema nicht aus den Augen lassen werden.

Ein bisschen Zeit habe ich noch. Deshalb möchte ich zum Schluss meiner Rede noch ein paar Worte an Herrn Kurze richten.

(Oh! bei der CDU)

Ich weiß ja, dass wir uns alle mitten im Bundestagswahlkampf befinden, aber Ihre Pressemitteilung vom Versagen der rot-grünen Bundesregierung im Bereich der Kinder- und Jugendpolitik kann ich so nicht stehen lassen. Ich werde hier mit Sicherheit nicht die Bundesregierung verteidigen, aber nach alldem, was aufgrund dieser Großen Anfrage an problematischen Entwicklungen zutage getreten ist, kann ich nicht verstehen, wie Sie den Mut zu einer solchen Meldung gefunden haben. Das klang eher nach einer Wirklichkeitsverdrängung, nicht nach Mut.

Sie sollten Ihre Kraft vielmehr darauf verwenden, sich für Kinder und Jugendliche oder für Kinder- und Jugendarbeit in Ihrer Koalition stark zu machen, statt andere mit Schmutz zu bewerfen; denn wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zurufe von der CDU)

Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen aller Fraktionen, wir hier in diesem Hohen Hause entscheiden jeden Tag - nicht nur im Rahmen der Haushaltsverhandlungen - maßgeblich darüber, wie die Zukunft von SachsenAnhalt, wie die Zukunft von Kindern und Jugendlichen aussieht. Diese Verantwortung sollten wir uns bei jeder zu treffenden Entscheidung in das Bewusstsein rufen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr, Frau von Angern. - Für die Landesregierung erteile ich nunmehr Herrn Minister Kley das Wort. Bitte sehr.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung war aufgefordert, einen breit angelegten Fragenkatalog zu beantworten, der die Auswirkungen der Vergabe öffentlicher Mittel auf die Situation von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in ihren verschiedenen Lebenslagen beleuchtet.

Ich habe den Eindruck - Ihre Rede, Frau von Angern, bestätigt dies -, dass diese Große Anfrage vor allem darauf angelegt war, die Konsolidierungsbemühungen und die inhaltliche Arbeit der Landesregierung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe mithilfe von Haushaltszahlen in Misskredit zu bringen

(Zuruf von Frau Bull, Linkspartei.PDS)

nach dem Motto: Nur was viel kostet, ist auch gut.

(Beifall bei der FDP und bei der CDU)

Wenn dem so wäre, müssten wir schleunigst eine Änderung der Vergabevorschriften des Landes beschließen und Aufträge künftig nur noch an den teuersten Bewerber vergeben.

(Zustimmung bei der FDP)

Dass das aber nicht so ist und eine Analyse der Lebenswirklichkeit junger Menschen allein anhand von Haushaltszahlen unvollständig bleiben muss, haben wir bei der Beantwortung der Großen Anfrage bereits im Vorwort deutlich gemacht.

Richtig ist, dass die Landesregierung - nicht zuletzt aufgrund der demografischen Entwicklung - Einsparungen vornehmen muss. Davon ist auch der Bereich der Kinder- und Jugendhilfe nicht verschont geblieben. Leider wurde durch die fragestellende Fraktion nicht nur versucht, die Wertschätzung der Kinder- und Jugendarbeit durch die Landesregierung auf Haushaltszahlen zu reduzieren; durch die Art und Weise der öffentlichen Darstellung wurden diese Zahlen auch noch so verzerrt wiedergegeben, dass sie nicht mehr den Tatsachen entsprechen.

Kritikwürdig ist beispielsweise die in der Presse wiedergegebene Aussage der Abgeordneten von Angern, mit der faktischen Abschaffung der Jugendpauschale sei es zu Einsparungen in Höhe von 6,4 Millionen € gekommen. Hiermit wird - bewusst oder unbewusst - der völlig unzutreffende Eindruck erweckt, das Land habe in diesem Bereich Einsparungen in dieser Höhe vorgenommen.

Dass das nicht der Fall ist, sondern vielmehr lediglich eine Veranschlagung im Rahmen des Finanzausgleichsgesetzes in gleicher Höhe vorgenommen wurde, ist Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, bestens bekannt. Deshalb wäre es schön, wenn wir auch in Wahlkampfzeiten bei der Wahrheit bleiben könnten.

(Zustimmung bei der FDP und bei der CDU)

Nicht nachvollziehbar ist weiterhin die anhaltende Kritik der Links-Fraktion an der Neuausrichtung der Kindertagesbetreuung. Dass es Kürzungen gegeben hat, ist unstrittig und war, wenn ich daran erinnern darf, Gegenstand eines breiten parlamentarischen Konsenses, welcher letztlich durch eine Volksabstimmung und das Verfassungsgericht bestätigt wurde. Gerade hier zeigen auch die sogar von Frau von Angern respektierten Bemühungen der Landesregierung um eine Qualifizierung der Bildungsarbeit der Tageseinrichtungen und die bundesweite Anerkennung der Versorgung in diesem Bereich, dass eine auf Haushaltsanalysen beschränkte Betrachtungsweise völlig unzureichend ist.

Insgesamt muss daher festgestellt werden, dass auch die Ausführungen von Frau von Angern nicht geeignet sind, ein düsteres Bild von der Landesförderung im Bereich der Jugendpolitik zu malen. Ich bleibe vielmehr bei der Einschätzung, dass die unternommenen Anstrengungen der Landesregierung im Gesamtgefüge der differenzierten Verantwortlichkeiten und vor dem Hintergrund der finanziellen Möglichkeiten unseres Landes durchaus beachtlich sind. Vor allem die verstärkte Qualitätsorientierung in diesem Bereich, mehr Freiheit für die Kommunen und die gezielte Förderung junger Familien haben zu einem effektiven Mitteleinsatz geführt und belegen das große Engagement der Landesregierung in der Politik für Kinder, Jugendliche und Familien.

In Sachsen-Anhalt leben Kinder und Jugendliche, die aufgrund verschiedenster Bedingungen in vielfältigsten Lebens- und Familiensituationen aufwachsen. Neben gut behüteten Kindern gibt es weniger gut behütete, neben gesunden Kindern gibt es kranke, Kinder reicher Eltern wachsen neben Kindern aus sozial schwachen Verhältnissen auf. Es gibt junge Sachsen-Anhalter, die bei bundesweiten Schulolympiaden und Sportwettkämpfen gewinnen oder als Band die Hitparaden stürmen, und es gibt junge Sachsen-Anhalter, die aufgrund verschiedenster Umstände oder Gegebenheiten im Schatten stehen und ihren Platz in der Gesellschaft noch suchen und da