Unser Änderungsantrag gibt der Koalition darüber hinaus die Gelegenheit, den von ihr selbst aufgestellten Grundsätzen treu zu bleiben. Lassen Sie mich die zu beachtenden Kriterien in der Reihenfolge ansprechen, wie Sie sie im Kommunalneugliederungs-Grundsätzegesetz geregelt haben.
Dem Grundsätzegesetz zufolge kann die Mindesteinwohnerzahl bezogen auf das Jahr 2015 in begründeten Fällen unterschritten werden. Diese Unterschreitung soll nicht mehr als 5 % von 150 000 betragen.
Der im Regierungsentwurf vorgesehene Zusammenschluss von Bitterfeld und Köthen hätte zur Folge, dass die Mindesteinwohnerzahl um 500 Personen mehr unterschritten wird, als es der Ausnahmetatbestand erlaubt.
Die demografische Entwicklung ist von der Landesregierung in der Sitzung des für Raumordnung zuständigen Ausschusses am 11. Februar 2005 als Begründung für ein Unterschreiten der Grenze um bis zu 5 % angeführt worden und kann folglich eine darüber hinausgehende Ausnahme nicht rechtfertigen.
Für diese gibt es auch sonst keine Begründung, zumal eine gesetzeskonforme Alternative zur Verfügung steht. Das ist der Zusammenschluss von Anhalt-Zerbst und Köthen. Bei weniger als 70 Einwohnern pro Quadratkilometer greift ein anderer Ausnahmetatbestand, bei dem keine Untergrenze für die Einwohnerzahl des neuen Landkreises vorgesehen ist.
Im Grundsätzegesetz ist weiter geregelt, dass bei der Neugliederung eines Landkreises raumordnerische, insbesondere wirtschaftliche und naturräumliche Zusammenhänge sowie historische und landsmannschaftliche Verbundenheiten berücksichtigt werden sollen. Die historische und landsmannschaftliche Verbundenheit von Anhalt muss ich in einem Land, das diesen Namen trägt, nicht besonders erläutern. Ein kleiner Landkreis Anhalt und ein kursächsischer Kreis definieren Teilregionen, mit denen sich die Menschen identifizieren können.
Hat die Elbe - Herr Wolpert hat es angesprochen - eher trennenden oder eher verbindenden Charakter? Es gibt in Sachsen-Anhalt mehrere Landkreise, zu denen problemlos Gemeinden beiderseits der Elbe gehören. Es waren die Fraktionen der CDU und der FDP, die das Gesetz zur Eingemeindung von Brambach und Rodleben nach Dessau eingebracht haben.
Lassen Sie mich aus der Einbringungsrede des Kollegen Kolze - dies war bemerkenswert - am 11. November 2004 zitieren:
„Wir haben uns von Anfang an vorgenommen, dem Prinzip der Freiwilligkeit zum Durchbruch zu verhelfen.“
„Dies deshalb, weil wir der Überzeugung sind, dass sich die schwierigen Aufgaben auf diesem Politikfeld nur dann lösen lassen, wenn wir die Menschen auf diesem Weg mitnehmen.“
„Dieses Ziel lässt sich nach unserer Überzeugung nur erreichen, indem man den vor Ort durchaus vorhandenen Gestaltungswillen nutzt und es den dortigen Akteuren überlässt, ihr eigenes Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.“
So schön hat Herr Kolze das hohe Lied der Freiwilligkeit gesungen, als es um die Eingemeindung der nordelbischen Nachbarn von Dessau ging, meine Damen und Herren.
Herr Abgeordneter Rothe, gestatten Sie Zwischenfragen von den Abgeordneten Herrn Gürth und Herrn Kolze?
Wie steht es um das Freiwilligkeitsprinzip bei der Kreisgebietsreform? - Wenn die Bernburger, wo es einen einstimmigen Kreistagsbeschluss zum Zusammengehen mit Schönebeck gibt, sich entgegen der historischen Tradition in die Region Magdeburg orientieren, dann wollen wir sie nicht hindern. Wenn demgegenüber die Zerbster ein Teil der Region Anhalt bleiben wollen - auch dies ist eindeutig belegt -, dann sollten wir sie daran nicht hindern.
Zerbst darf man nicht gegen den Willen der Menschen aus der Region Anhalt herausbrechen, vielmehr soll Zerbst mit Köthen fusionieren dürfen.
Sie alle haben in den letzten Tagen den Brief erhalten, der den übereinstimmenden Willen der vier Kreistage zum Ausdruck bringt. Herr Minister Jeziorsky, übrigens war schon die Initiative der Landräte am 16. Juni 2005 bei der Anhörung des Innenausschusses in Dessau eine eindeutige übereinstimmende Willensbekundung.
Die Kreistagsvoten beruhen auf einem Willensbildungsprozess in der Bürgerschaft selbst. Jedenfalls ist die Zahl der Gegner des Alternativvorschlags in der Region gemessen an der Zahl der Befürworter gering.
Die Identität auch der Coswiger sehe ich gewahrt. Sie bleiben in der Region Anhalt/Bitterfeld/Wittenberg. Es entsteht keine neue Grenze. Die Coswiger haben die Perspektive, dass die Grenze zu Wittenberg bei einer späteren Regionalkreisbildung fällt.
Ich komme zu dem letzten Kriterium, das im Grundsätzegesetz geregelt ist. Die Bildung der neuen Landkreise soll in der Regel durch einen vollständigen Zusammenschluss bestehender Landkreise erfolgen.
Wenn es bei dem Regierungsentwurf bleibt, wird in Bezug auf den Landkreis Anhalt-Zerbst auch dieser Grundsatz verletzt. Es ist kein Grund erkennbar, der eine Ausnahme rechtfertigen würde. Sowohl die Roßlauer als auch die Zerbster, die im Jahr 1994 in einem Kreis vereint wurden, fühlen sich in Anhalt zu Hause. Die Wahrung der regionalen Identität der Zerbster erfordert, dass der Kreis ungeteilt mit Köthen fusioniert.
Meine Damen und Herren! Wenn Sie unserem Änderungsantrag heute nicht folgen, werden wir nach der Landtagswahl eine sachgerechte Lösung im Raum Anhalt schaffen.
- Sie bezweifeln offenbar die Statthaftigkeit einer solchen Ankündigung. Ich erinnere daran, wie sich die CDUFraktion vor vier Jahren ebenfalls vor einer Landtagswahl verhalten hat. In Ihrem Positionspapier vom 26. Juli 2001 heißt es, die Landtagswahl solle aus der Sicht der CDU „auch eine Volksabstimmung über die zukünftige Verwaltungs- und Kommunalstruktur im Land sein“.
In der „Volksstimme“ vom 27. Juli 2001 wurde der damalige Fraktionsvorsitzende Professor Böhmer mit den Worten zitiert, eine „erstarkte CDU würde sich nicht an Vorgaben der SPD binden lassen, die diese zuvor allein mit der PDS ausgehandelt“ habe. Laut der „Mitteldeutschen Zeitung“ vom gleichen Tag kündigte Herr Böhmer an, bei veränderten Mehrheitsverhältnissen nach der Wahl werde sich die CDU nicht daran binden lassen und auch die beschlossenen so genannten Vorschaltgesetze wieder außer Kraft setzen. So ist es dann auch gekommen.
Meine Damen und Herren! Die SPD hat sich wiederholt bereit erklärt, mit der Koalition über einen Kompromiss bei der Kreisgebietsreform zu verhandeln. Die Koalition hat uns jedoch von der Mehrheitsbildung in allen Gebietsfragen ausgeschlossen.
In der Aktuellen Debatte am 9. September 2005 hat Ministerpräsident Böhmer klar zum Ausdruck gebracht, dass es beim Kreiszuschnitt Änderungen nur mit der parlamentarischen Mehrheit der Koalition geben kann. Damit hat er der FDP ein Vetorecht eingeräumt. Ich frage Sie, Herr Professor Böhmer: Sind Sie wirklich bereit, den Willen der vier Landkreise zu übergehen, nur damit die Kameraden Wolpert und Kosmehl von der Bitterfelder Wasserfront ihren Willen bekommen?
- Weil ein Kollege „Frechheit“ gerufen hat, frage ich jetzt einmal ganz sachlich: Ist das nicht ein zu hoher Preis für den Koalitionsfrieden?
Meine Damen und Herren! Wir lassen uns als Opposition nicht auf die Spielwiese der Kreissitzentscheidungen verweisen. Wir fordern einen Kompromiss beim Kreiszuschnitt, der die Herausbildung von Regionalkreisen fördert statt behindert. Bei einer Gesetzeskorrektur nach der Landtagswahl kann das Gesetz wie vorgesehen zur Jahresmitte 2007 wirksam werden. Die zum 1. Juli 1994 in Kraft getretene Kreisgebietsreform war vom Landtag in zweiter Lesung am 3. Juni 1993 beschlossen worden.
Meine Damen und Herren! Wir Sozialdemokraten denken nicht in herkömmlichen Kreisstrukturen, sondern wir wollen vor allem die Regionen herausarbeiten. So hat Jens Bullerjahn bei seinem Vorschlag einer Regionalisierung der Strukturpolitik vor einem Jahrzehnt schon an künftige Verwaltungsregionen gedacht.
Die jetzige Landesregierung demontiert die Regionen. Aus der Harzregion ziehen Sie nach der Schulaufsicht das ALF, das Forstamt sowie die Vermessungs- und Katasterverwaltung ab. Raumordnungsminister Dr. Daehre hat in der ersten Lesung des KommunalneugliederungsGrundsätzegesetzes am 28. Januar 2005 geäußert, dass wir die fünf Planungsregionen nach der Kreisgebietsreform nicht mehr brauchten. Sind Sie der Meinung, dass elf plus drei Regionen besser sind? Oder wollen Sie den Kommunen die Aufgabe wieder wegnehmen?
Lassen Sie mich klipp und klar sagen, Herr Dr. Daehre: Eine Abschaffung der fünf Regionen wird es mit der SPD nicht geben. Die jetzt entstehenden Kreise müssen zukunftsfähig mindestens in dem Sinne sein, dass man daraus Regionalkreise entwickeln kann.
Ein Zwischenschritt auf dem Weg zu Regionalkreisen ist hinnehmbar, wenn die Regionen gestärkt werden. Das Land Schleswig-Holstein macht das vor. Dort wird die neue Landesregierung zahlreiche Landesbehörden auflösen und die verbleibenden Aufgaben auf vier bis fünf Dienstleistungszentren in kommunaler Trägerschaft übertragen. In diesem Rahmen lässt sich auch die ausstehende Funktionalreform bewältigen, die der Landkreistag zu Recht immer wieder einfordert.