Protokoll der Sitzung vom 06.10.2005

(Unruhe bei der SPD - Frau Dr. Kuppe, SPD: Doch!)

Liebe Frau Mittendorf, ich habe, offen gestanden, immer mehr Schwierigkeiten, Sie zu verstehen.

(Zustimmung bei der CDU)

In der politischen Auseinandersetzung braucht man starke, authentische Alternativen, die aus eigenständigen Konzepten und Denktraditionen erwachsen, nicht kalkulierte Aktionen, mit denen man einsammelt, was man bekommen kann, und sei es beim politischen Mitbewerber.

Ihrem Antrag kann ich wirklich nicht viel abgewinnen, dem Thema allerdings durchaus; denn es ist ein klassisches, man kann fast sagen, alteingesessenes Thema christlich-liberaler Bildungspolitik.

(Zustimmung von Minister Herrn Dr. Daehre und von Herrn Jantos, CDU)

Umso mehr würde ich mich freuen, wenn sich bei diesem Thema ein bildungspolitischer Konsens anbahnen würde, so überraschend es uns bei diesem Thema vorkommen mag.

(Frau Dr. Kuppe, SPD: Es geht doch nicht um Ideologie!)

Ich würde mich darüber aufrichtig freuen. Dazu brauchen wir allerdings nicht zur Vorlage eines eigenen Konzepts aufgefordert zu werden, wohl aber können wir berichten. Ich berichte gern dem Ausschuss, wie dieses Konzept längst ausgearbeitet wird.

Nun ist es nicht leicht und vielleicht nicht abschließend möglich, für die Hochbegabung eine genaue Definition anzubieten. Der bedingt messbare Quotient der Intelligenz spielt sicherlich eine Rolle, wobei man aber einschränken muss, dass es zu seiner Aussagekraft höchst unterschiedliche Auffassungen gibt.

Außerdem erstreckt sich eine Hochbegabung oft auf bestimmte, nicht alle geistigen Potenziale. Hinzu kommt, dass Begabung allein zunächst nur eine Möglichkeit bezeichnet, nicht schon deren Ausschöpfung. Damit sich die Begabung tatsächlich in Leistung manifestiert, bedarf es weiterer Bedingungen, die teils in der Persönlichkeit liegen, teils aber auch in der Umwelt, dort insbesondere in individueller Zuwendung und Förderung, ich könnte auch sagen, in Differenzierung.

Die Realität ist manchmal einfacher als die wissenschaftliche Diskussion. Ein gewisser Anteil - ob 1 % oder 2 % oder mehr, das kann hier offen bleiben - der Kinder und Jugendlichen weist Fähigkeiten auf, die sie deutlich von anderen unterscheiden.

Von den Eltern und der Umgebung wird eine solche Begabung übrigens nicht immer nur als Bereicherung empfunden. Um den Wissensdurst zu stillen, bedarf es oft enormer Anstrengungen, und auch die Sorge, dem Kind nicht gerecht zu werden, ist groß. Denn - darin liegt die inzwischen bekannte tragische Seite - wenn Hochbegabte - da haben Sie Recht - nicht gefördert werden, stellt sich keineswegs einfach nur eine normale Begabung ein, der man dann mit den üblichen Angeboten entsprechen könnte, sondern es kann bis zum völligen Schulversagen kommen. Spätestens hier tut sich in der Tat ein pädagogischer oder bildungspolitischer Imperativ auf.

Zunächst gibt es einige strukturelle Ansatzpunkte, die auch für die Hochbegabtenförderung hilfreich sein können. Ich möchte an dieser Stelle kurz einflechten, auf eine Anfrage oder einen Antrag, die Hochbegabungsförderung zu behandeln, kann man nicht mit Formen der Begabungsförderung antworten, wie das übrigens im Jahr 2000 bei der Antwort auf eine Kleine Anfrage durch die Landesregierung geschehen ist. Hochbegabtenförderung ist etwas anderes als Begabtenförderung.

Gleichwohl gibt es strukturelle Voraussetzungen, wie etwa die flexible Schuleingangsphase, die Kooperation zwischen den Vorschuleinrichtungen und den Grundschulen, das Überspringen von Schuljahrgängen, auch die Schullaufbahnberatung, die alle strukturelle Rahmenbedingungen betreffen, selbst aber natürlich noch keine Hochbegabtenförderung sind; denn die Möglichkeiten müssen nun mit inhaltlichen Angeboten gefüllt werden. Dazu arbeiten wir in der Tat seit längerem an einem neuen Konzept zur Hochbegabtenförderung im Land. Hinzu kommen aber auch Wettbewerbe wie „Jugend

forscht“ und „Jugend musiziert“, in denen Schülerinnen und Schüler aus Sachsen-Anhalt übrigens auffällig oft als Sieger hervorgehen,

(Zustimmung von Frau Feußner, CDU)

teilweise sogar auf internationalem Podium. Ausgangspunkte für die Behandlung des Themas waren natürlich auch Gespräche mit Eltern, die sich an Landtagsfraktionen und das Kultusministerium wandten, und mit Schulen, die sich aufgeschlossen und interessiert daran zeigten, in ihrer Arbeit mehr Angebote für Hochbegabte zu entwickeln.

Ohne die weiterführenden Schulen und natürlich die Hochschulen, etwa bei dem Thema „Frühstudium“, ausnehmen zu wollen, scheint mir der dringendste Handlungsbedarf bei den Grundschulen zu liegen, weil im frühen Kindesalter entscheidende Weichen ge- oder verstellt werden können. Insbesondere gibt es Defizite bei der Diagnosefähigkeit und bei unterstützenden Förderangeboten in den Regelschulen. Eine exakte Beurteilung dieser bestehenden Defizite und Entwicklungsmöglichkeiten bedarf jedoch einer umfassenden und seriösen Evaluierung, die durch das Kultusministerium für den Zeitraum des ersten Halbjahres 2006 vorgesehen ist.

Auf drei Punkte muss man besonderes Augenmerk legen: Erstens auf eine möglichst frühzeitige Diagnostik, damit bereits am Beginn der Schullaufbahn mit einer geeigneten Förderung begonnen werden kann oder sie am besten noch aus der Kindergartenzeit fortgesetzt werden kann. Wenn derzeit dafür die Grundschule im Blick ist, muss künftig durch die frühere Zusammenarbeit zwischen Schulen und Kindertagesstätten die Ausdehnung in den vorschulischen Bereich angestrebt werden.

Zweitens. Die bisherige Begabtenförderung ist gegenwärtig vorrangig auf den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich ausgerichtet. Ich denke, es scheint angeraten, künftig auch den musisch-ästhetischen Bereich zu betonen und vielleicht auch den geisteswissenschaftlich-philosophischen Bereich; denn dort gibt es auch erstaunliche Begabungen, ganz zu schweigen vom Bereich der sprachlichen Begabung.

Drittens erscheint es notwendig, eine schulformübergreifende Koordinierungs- und Beratungsinstanz zu schaffen, die folgende Aufgaben wahrnehmen könnte: die Bündelung und Koordinierung regionaler Aktivitäten, also Elterninitiativen, Schulprogramme usw., den Aufbau eines Netzwerkes von Schulen, die über gute Bedingungen und Erfahrung in der Förderung hochbegabter Kinder verfügen, Öffentlichkeitsarbeit - das ist ein ganz wichtiger Punkt -, Aufklärung und Information über das Phänomen Hochbegabung und die Verpflichtung, die für uns daraus erwächst, die Beratung und Unterstützung von Eltern, Mittler zwischen Schulen und Eltern bei Problemen einschließlich Krisenintervention, die Beratung von Lehrkräften in Bezug auf Fördermöglichkeiten, Planung, Evaluation und Problemlösung, die Entwicklung von externen Förderangeboten, etwa nach dem Beispiel der Ferienangebote, die es im Saarland für Hochbegabte gibt, und schließlich die Einbeziehung wissenschaftlicher Instanzen, weil wir uns nichts vormachen dürfen - für die Wissenschaft ist das Phänomen der Hochbegabung nach wie vor in vielen Punkten ein Rätsel.

Eckwerte für ein weiterentwickeltes Konzept zur Förderung von Begabten und Hochbegabten könnten dem Ausschuss ohne weiteres bis Januar 2006 vorgelegt

werden. Eine tiefergehende Analyse bedarf jedoch der Auswertung der vorgesehenen Evaluation.

Der Änderungsantrag hat wiederum überhaupt nichts mit der Vorstellung zu tun, irgendjemandem ein geliebtes Spielzeug wegzunehmen, sondern schlicht und ergreifend mit Glaubwürdigkeit und Authentizität in der Politik. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Minister Olbertz. - Nun spricht für die CDU-Fraktion Frau Feußner, wenn sie es möchte.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Hochbegabung ist die Disposition für herausragende Leistungen, aber nicht Leistung selber. Hochbegabung setzt sich aus sehr guter Motivation, sehr guter Kreativität und aus überdurchschnittlichen Fähigkeiten auf einem oder auch auf mehreren Gebieten zusammen. Hochbegabung kann nur unter bestimmten Umständen zu Hochleistung führen. Hochbegabung führt aber nicht zwangsläufig oder automatisch zu außerordentlichen Leistungen. - So oder in ähnlicher Weise könnte man Hochbegabung vielleicht definieren.

Von intellektueller Hochbegabung spricht man häufig dann, wenn eine sehr hohe Intelligenz vorliegt. Zirka zwei Drittel unserer Bevölkerung verfügen über einen IQ zwischen 85 und 115. Von Hochbegabung spricht man bei einem IQ ab 130, wobei man nicht allein am Intelligenzquotienten festmachen kann, ob ein Kind zur Gruppe der Hochbegabten gehört. Man ermittelt ca. 2 % der Menschen, die einen sehr hohen IQ besitzen; diagnostiziert werden davon allerdings gerade im Hochbegabtenbereich nur wenige. Das hängt auch damit zusammen, dass man sich in der Vergangenheit eher mit den Schülern beschäftigt hat, die extrem niedrige Leistungen erbringen. Ihnen galt, wenn auch nicht in ausreichendem Maße, in der Vergangenheit mehr Aufmerksamkeit, als sie sogar den diagnostizierten Hochbegabten zuteil wurde.

Während Behinderte also in der Regel aufgefangen werden, drohen Hochbegabte unerkannt und missverstanden ins Abseits zu driften. Deshalb sind diesbezüglich erste Schritte wie Aufklärung, Früherkennung und Diagnose notwendig. Dies muss zukünftig landeseinheitlich geregelt werden. Diese Diagnostizierung muss von kompetenten Fachleuten vorgenommen werden.

Hochbegabte müssen intellektuell gefördert werden. Wenn dies nicht geschieht, kann es zur Störung ihrer Persönlichkeit kommen; denn diese Kinder reflektieren, ebenso wie Behinderte, ihr Anderssein. Häufig kommt es ohne eine Förderung zur Unterforderung bzw. zur Verweigerung von Leistungen oder sogar zu Störungen des Sozialverhaltens innerhalb des Umfeldes dieser Kinder. Deshalb ist es unabdingbar, dass die individuelle Förderung nach entsprechender Diagnose frühzeitig einsetzt, das heißt bereits im Kindergarten bzw. in der Grundschule.

Eine unabdingbare Voraussetzung dafür ist nicht nur die Aufklärung der Erzieher und Pädagogen, sondern auch deren Qualifikation. Die Sensibilisierung der Lehrkräfte auf der einen Seite erfordert auf der anderen Seite aber auch qualitativ anspruchsvolle Fortbildung, um entsprechende Förderangebote entwickeln zu können.

Dabei müssen die Eltern dieser Kinder eng einbezogen werden. Eine Beratungsstelle für betroffene Eltern ist demzufolge erforderlich. Es ist wichtig, Netzwerke zu schaffen, die über eine gewisse Beratungskompetenz verfügen. Diesbezüglich ist es lobenswert, dass sich viele betroffene Eltern in Eigeninitiative im Land gefunden haben, um sich auszutauschen, um sich Ratschläge zu holen und auch um auf diesbezügliche Probleme aufmerksam zu machen, da die Politik - ich beziehe uns selbst indirekt auch mit ein - bisher nicht ausreichend reagiert hat. Die Erfahrungen dieser Initiativen sollten unbedingt genutzt werden, um eine Erfolg versprechende Konzeption erfolgreich umzusetzen.

Verehrte Anwesende! Die SPD-Fraktion hat sich nun dieses Themas angenommen, das sie - der Minister sagte es bereits - in der Vergangenheit eher stiefmütterlich behandelt hat. Begriffe wie Hochbegabung bzw. Eliteförderung waren vor Jahren noch verpönt; hingegen wurde die Gleichbehandlung überbetont. Heute wird dies hoch gehalten. Ich denke nur an die Aktion von Frau Bulmahn zur Auslobung von Elitehochschulen.

Grundsätzlich hat bei Ihnen also wahrscheinlich ein Erkenntnisprozess stattgefunden, sodass man wieder, Gott sei Dank, ideologisch unverbrämt, wie ich hoffe, über diese Themen sprechen und diskutieren kann. Das wäre vom Ansatz her sehr zu begrüßen. Aber alle Aktionen, die auch der Minister bereits genannt hatte, lassen mich eher daran zweifeln bzw. bestärken mich in meiner Skepsis.

Sie haben die Inhalte Ihres Bildungspapiers aus Ihrem Wahlprogramm 2020 fast wörtlich in einen Antrag gegossen, um die Landesregierung aufzufordern, eine Gesamtkonzeption nach Ihren Vorstellungen zu erarbeiten. Das sollte der Landesregierung auch nicht schwer fallen - Herr Olbertz hat dies eben beschrieben -, da wir, die Landesregierung und die Fraktion, schon seit geraumer Zeit an einer solchen Konzeption arbeiten.

Wie der Minister bestätigte, sind wir jetzt schon in der Lage - dies begründet auch unseren Änderungsantrag -, Ihnen dieses Konzept vorzustellen. Wir brauchen also keinen zeitlichen Rahmen, sondern könnten das in einer der nächsten Ausschusssitzungen sofort vorstellen. So weit sind wir an dieser Stelle bereits.

(Zustimmung bei der CDU)

Wir brauchen also keine zeitliche Verschiebung; wie Sie sie unter einem Anstrich vermerken; denn an dieser Stelle sind wir schon viel weiter.

Die Ziele, die wir mit unserer Konzeption verfolgen, sind ähnlich, aber nicht unbedingt mit Ihren identisch. Wir haben sicherlich im Ausschuss genügend Zeit, um fachlich qualifiziert und, wie ich hoffe - ich betone es noch einmal -, ideologisch wertfrei darüber zu diskutieren. - Danke.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Frau Feußner. - Nun erteile ich Frau Dr. Hein das Wort, um für die Linkspartei.PDS zu sprechen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Mittendorf, die Linkspartei tut sich mit diesem Thema

noch schwer - so wurden Sie, Frau Mittendorf, in der „Volksstimme“ jüngst zitiert. Entsprechend wäre zu erwarten, dass wir heute diesem Antrag nicht zustimmen.

Ich könnte dieses Kompliment allerdings auch gut zurückgeben - das wissen Sie -; denn in den Gesprächen der letzten Jahren mit vielen der Gewerkschaft oder der SPD nahe stehenden oder ihnen angehörenden Bildungsexperten, meist allerdings aus dem Westen, sind solche Vorschläge tatsächlich auf brüske Ablehnung gestoßen. Das wissen Sie so gut wie ich. Die Linke hat da offensichtlich ein Problem. Ich versichere Ihnen aber: Die Linkspartei.PDS in Sachsen-Anhalt hat dies nicht.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS - Oh! bei der CDU - Frau Feußner, CDU: Nicht mehr! Sie hat- ten sie!)

- Ich glaube nicht, dass Sie die Linkspartei.PDS so gut kennen, dass Sie wissen, was wir hatten.

(Frau Feußner, CDU: Ich kenne Sie aber schon ein paar Jahre und weiß, was Sie hier verkün- den!)

Auch wenn Sie das nicht wahrhaben wollen, haben wir unseren Schwerpunkt schon sehr lange auf individuelle Förderung gelegt; das ist ein Grundsatz linker Bildungspolitik, zumindest hier in Sachsen-Anhalt und nicht nur hier. Individuelle Förderung betrifft eben auch Begabungen und Hochbegabungen.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Aber das Problem, über das wir hier reden