Protokoll der Sitzung vom 06.10.2005

(Zurufe von Frau Mittendorf, SPD, und von Frau Bull, Linkspartei.PDS)

Wie wollen wir das gemeinsam regeln? - Wir haben gerade gehört, dass das Kultusministerium daran schon seit März 2004 arbeitet. Wie alle gehört haben, ist diese Arbeitsgruppe schon fleißig im Gange. Deshalb ist es sicherlich auch kein Problem, Ende des Jahres die Berichterstattung im Ausschuss zur Kenntnis zu nehmen.

Wenn wir uns unseren Fahrplan anschauen, dann sollten wir uns - wir haben uns schon verständigt - im Ausschuss im Januar 2006 mit dem Thema befassen und dann dezidiert das Thema berufsbildende Schule unter dem Aspekt eines leistungsfähigen flächendeckenden Netzes für unser Sachsen-Anhalt in Angriff nehmen. So

gesehen, mit dieser kleinen Änderung können wir dem Antrag zustimmen. - Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Wol- pert, FDP)

Vielen Dank, Herr Dr. Schellenberger. - Zum Abschluss spricht noch einmal Frau Mittendorf, wenn Sie es denn wünscht. - Sie wünscht es nicht. Damit ist die Debatte abgeschlossen.

Wir stimmen über den Antrag der SPD-Fraktion in Drs. 4/2401 ab. Wer stimmt zu? - Das sind offensichtlich alle. Stimmt jemand dagegen? - Niemand. Stimmenthaltungen? - Auch nicht. Damit ist dieser Antrag angenommen worden und der Tagesordnungspunkt 12 beendet.

Ich rufe nunmehr den für heute letzten Tagesordnungspunkt, den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung

Konzept zur Hochbegabtenförderung im Land Sachsen-Anhalt

Antrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/2402

Änderungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP - Drs. 4/2424

Ich bitte zunächst die SPD-Fraktion, den Antrag einzubringen. Es spricht Frau Mittendorf.

Vielen Dank, Herr Präsident. - Meine Damen und Herren! An den Anfang meiner Rede möchte ich ein Zitat von Herrn Dr. Volk von der FDP-Fraktion aus dem vergangenen Jahr stellen. Nach einem Arbeitstreffen Ihrer Partei im März 2004 konstatierten Sie - ich zitiere aus den Unterlagen -: Nachholbedarf gebe es in SachsenAnhalt auf dem Gebiet der Hochbegabtenförderung. Die bisherigen Initiativen reichten nicht aus. Es müsse in den nächsten Jahren ein schlüssiges Konzept für eine generalistische Förderung herausragender Schüler entwickelt und umgesetzt werden.

Wo Sie Recht haben, Herr Dr. Volk, haben Sie Recht. Aber dieses schlüssige Konzept liegt leider nicht vor.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Seit Jahren! - Mi- nister Herr Dr. Daehre: Oh, das ist ja erstaunlich!)

- Herr Minister, Sie sind nach mir dran; dann können wir das noch einmal besprechen.

In den dreieinhalb Jahren ihrer Regierungszeit hat es die Landesregierung leider versäumt, ein solches Konzept vorzulegen. Es existieren ohne Frage verschiedene Einzelmaßnahmen, wie zum Beispiel Spezialistenlager für begabte Schülerinnen und Schüler oder Förderangebote in Kreisarbeitsgemeinschaften. Es fehlt jedoch der rote Faden, ein umfassendes Konzept, das die anspruchsvolle Aufgabe der Hochbegabtenförderung in ihrer Gesamtheit betrachtet und die notwendigen schulischen und außerschulischen Maßnahmen miteinander vernetzt.

Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Mühe macht und im Internet unter den Stichworten „Hoch

begabtenförderung in Sachsen-Anhalt“ nachforscht, findet man vornehmlich Informationsplattformen von Elterngruppen bzw. Elterninitiativen, die aufklären, Probleme aufzeigen, Anregungen geben und Fördermöglichkeiten benennen. Bei allem Respekt und aller Freude über das Engagement der Eltern von hochbegabten Kindern und Jugendlichen zeugt dieser Umstand aber auch von der unbefriedigenden Situation, in der sich eben diese Eltern und diese Kinder selbst befinden. Andere Bundesländer sind nach meiner Information weiter als Sachsen-Anhalt.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Ja, das stimmt!)

So beklagen viele Betroffene die unzureichenden Möglichkeiten einer angemessenen Förderung von Kindern und Jugendlichen, bei denen eine Hochbegabung diagnostiziert wurde.

An dieser Stelle muss man eines klar betonen: Begabung ist nicht automatisch mit hoher Leistung gleichzusetzen, genauso wie gute Leistungen nicht eine hohe Begabung bedeuten müssen. Hochbegabte sind nämlich nicht immer Einsenschreiber oder Musterschüler. Hochbegabung bedeutet eine hohe Denkfähigkeit, eine schnelle Informationsverarbeitung, ein sehr gutes Gedächtnis, eine ausgeprägte Konzentrationsfähigkeit, also eine allgemeine intellektuelle Fähigkeit. Das Besondere ist nicht die einseitige Begabung für einen bestimmten Bereich, sondern die über mehrere Bereiche gehende intellektuelle Fähigkeit, die regelmäßig mit einem hohen Intelligenzquotienten einhergeht.

Fakt ist: Wie alle Kinder müssen auch hochbegabte Kinder die Möglichkeit erhalten, ihre speziellen Fähigkeiten zu entwickeln. Das gelingt aber eben nur durch eine gezielte Förderung.

Meine Damen und Herren! Das Problem beginnt aber schon viel früher. Die Grundlage für die Förderung bildet zunächst - das scheint mir ein ganz großes Problem zu sein - die Erkennung einer Hochbegabung. Das ist in der Praxis leider nicht immer gegeben. Wenn Hochbegabungen nicht erkannt werden, droht diesen Schülerinnen und Schülern häufig eine geistige und soziale Isolation mit der Folge von Verhaltensauffälligkeiten oder Lernstörungen. Fast 50 % der Hochbegabten leiden an schulischen, psychischen und sozialen Schwierigkeiten. Nicht selten verlassen hochbegabte Jugendliche die Schule ohne einen Abschluss.

Das, meine Damen und Herren, ist sowohl für die betreffende Person, als auch für die Gesellschaft ein inakzeptabler Zustand. Ich glaube, kein Land - auch nicht unser Land - kann es sich erlauben, auf das vorhandene Potenzial hochbegabter Kinder und Menschen zu verzichten.

Meine Damen und Herren! Die Arbeitsgruppe Bildung der SPD hat in ihrer Broschüre „Bildungsland SachsenAnhalt 2020“ bereits im April dieses Jahres die Notwendigkeit eines Programms zur Hochbegabtenförderung betont und notwendige Bestandteile eines Konzepts dargelegt. Mit unserem Antrag untermauern wir diesen Anspruch. Aus unserer Sicht muss ein Gesamtkonzept zur Hochbegabtenförderung unter anderem folgende Gesichtspunkte berücksichtigen:

Erstens. Erforderlich ist eine spezifische Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte im Hinblick auf das Erkennen einer Hochbegabung. Dazu zählt eine Sensibilisierung für die typischen Symptome und Randerscheinungen. So haben zum Beispiel viele hochbegabte Kinder erheb

liche Schwierigkeiten, sich dem durchschnittlichen Unterrichtsalltag anzupassen. Das für sie häufig zu langsame Lerntempo und wiederholte Erklärungen langweilen sie und führen zu Desinteresse an schulischen Dingen. Dies kann bei Nichterkennung der Hochbegabung zu Schulproblemen führen und im Extremfall zu einer Überweisung an eine Förderschule. Die Schwierigkeit entsteht dadurch, dass die Symptome, die ich benannt habe, auch bei überforderten Kindern auftreten können.

Zweitens. Auch die Eltern müssen über diese Symptome aufgeklärt werden. Wissen Eltern um die Hochbegabung, fragen sie nach optimalen Möglichkeiten der Förderung ihres Kindes. Es kommt auch darauf an, die Eltern frühzeitig über die Folgen fehlender Förderung aufzuklären.

Drittens. Ein Maßnahmenkatalog zur gezielten Förderung der Schüler nach Feststellung einer Hochbegabung ist einfach unabdingbar. Dazu zählen die Ausweitung spezieller Schulangebote für besondere Begabungen, spezielle Förderstunden, aber auch eine Individualisierung des Unterrichts sowie die Aufstellung individueller Förderpläne. Um dies umsetzen zu können, müssen die Schulen aber über die notwendigen personellen Ressourcen verfügen.

Viertens. Wir brauchen eine Weiterentwicklung der Kreisarbeitsgemeinschaften - die es zum Teil schon gibt - zu einem Netz regionaler Fördergruppen.

Fünftens. Wir sollten hinarbeiten auf die Entwicklung von Kooperationsmodellen zwischen Schulen, den regionalen Fördergruppen und den Hochschulen in unserem Land.

Meine Damen und Herren! Dies alles und noch viel mehr sollte Eingang in ein Gesamtkonzept zur Hochbegabtenförderung in Sachsen-Anhalt finden. Wir wünschen uns die Vorlage dieses Konzeptes bis zum Januar 2006. Wenn dies eher möglich ist, wie im Änderungsantrag von CDU und FDP beschrieben, umso besser.

Zum Schluss einige Worte zu dem Änderungsantrag. Meine Damen und Herren von CDU und FDP, ich sage es ungern, aber ich sage es trotzdem: Ihr Änderungsantrag ist an Überflüssigkeit nicht zu überbieten. Er kommt daher wie ein vergnatzes Kind, dem man sein Spielzeug weggenommen hat. Ich freue mich, dass wir in der Zielsetzung übereinstimmen, dass Sachsen-Anhalt ein Gesamtkonzept zur Hochbegabtenförderung benötigt. Ich hoffe, dass ein solches Konzept zügig und erfolgreich umgesetzt wird. - Dabei will ich es belassen. Ich denke, Sie sollten diesen Änderungsantrag zurückziehen und unserem Antrag zustimmen; denn er ist auf jeden Fall der weitergehende. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD)

Vielen Dank, Frau Mittendorf. - Zunächst erteile ich Herrn Minister Olbertz das Wort. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich den Antrag der SPD-Fraktion las, musste ich mich daran erinnern, dass ich mir als Kind, wie wahrscheinlich viele andere Kinder, überlegt hatte, wie man sich bei einem Marathonlauf einige hundert Meter vor

dem Ziel unbemerkt in die Büsche schlagen, ein paar Runden abwarten und dann kurz vor dem Feld wieder auftauchen und allen voran die Ziellinie nehmen kann.

(Heiterkeit bei allen Fraktionen)

Um der heutigen Debatte in vollem Umfang zu entsprechen, hätte ich vor dem Start allerdings noch flammende Reden gegen jede Laufdisziplin schlechthin halten müssen, jedenfalls dann, wenn nicht alle zugleich ins Ziel kommen.

Wie soll man mit einem solchen Antrag umgehen, wenn, nachdem vor wenigen Jahren noch die Förderstufe eingeführt und das 13. Schuljahr durchgeboxt wurde, nun plötzlich die Hochbegabtenförderung entdeckt wird? Chancengleichheit war damals das Stichwort, nicht Hochbegabtenförderung. Zuerst Breitenförderung, dann eher halbherzig vielleicht auch Begabtenförderung, vor allem aber bitte nicht Elite.

Es lässt sich mühelos belegen, dass das Thema „Hochbegabtenförderung“ unter der Vorgängerregierung ein Tabuthema war.

(Zustimmung bei der CDU und von Minister Herrn Dr. Daehre)

Bei der Diskussion um die Einführung des 13. Schuljahres war die Rede von der Brechung des Bildungsprivileges für Reiche und Mächtige,

(Minister Herr Dr. Daehre: Ja!)

das man - wörtlich - „immer nur der eigenen Kaste zu (gestand) , auch um den Preis von Privatschulen zur individuellen Förderung“. Das war ein Zitat von Frau Kauerauf in der Plenarsitzung am 26. Juni 1997. So wurde die ohne das 13. Schuljahr drohende Gefahr der Elitebildung heraufbeschworen. Ich erinnere mich genau daran.

Liebe Frau Mittendorf, es macht mich geradezu stutzig, wenn Sie ein gutes Gedächtnis als Merkmal von Hochbegabung beschreiben.

(Zustimmung bei der CDU - Frau Mittendorf, SPD: Das können wir schon!)

Wer fordert denn bis heute das Länger-gemeinsamLernen und verlegt sich dabei ganz auf die Binnendifferenzierung? Jeder weiß doch, dass Hochbegabtenförderung und Binnendifferenzierung nun mal nicht zusammengehen können.

(Unruhe bei der SPD - Frau Dr. Kuppe, SPD: Doch!)