bösartige Unterstellung, daraus zu konstruieren, dass in diesem Hause Leute sitzen, insbesondere in den Koalitionsfraktionen, die dieses wollen.
Wenn Sie diesen Stil bis zur Landtagswahl betreiben sollten, dann passiert etwas ganz Gefährliches. Immer dann, wenn der Sozialstaat, der in Deutschland an internationalen Maßstäben gemessen gut funktioniert, diskreditiert und in Grund und Boden geredet wird, meinen Damen und Herren, stehen die Extremisten von rechts und links auf und fühlen sich bestätigt. Wenn Sie unverantwortlich reden, dann sind Sie an dieser möglicherweise entstehenden Situation mit schuld, meine Damen und Herren.
Herr Scharf, wollen Sie noch Nachfragen beantworten? - Gut. Es gibt Nachfragen von Frau Bull und von Frau Dr. Klein.
Herr Scharf, Sie haben die Debatte als sozialpopulistisch bezeichnet. Deswegen würde ich Sie gern fragen. Die Bundesregierung hat zwei Armuts- und Reichtumsberichte veröffentlicht. Im Zeitraum zwischen der Veröffentlichung des ersten und des zweiten Berichts war bei der Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen ein Anstieg der Armut um 4,2 Prozentpunkte zu verzeichnen. Das Land Sachsen-Anhalt liegt dabei mit 19,3 % um 6 Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt. In der Altersgruppe der bis 15-Jährigen liegt Sachsen-Anhalt mit 8,7 Prozentpunkten über den Daten der alten Länder. Deswegen meine Frage: Erschließt sich für Sie der Zusammenhang zwischen Armut, sozialer Desintegration und Gewalt tatsächlich nicht?
Frau Bull, diesen Zusammenhang gibt es nach meiner Auffassung tatsächlich. Aber ich will Ihnen ganz deutlich sagen, dass ich die Statistik dieser Armutsberichte wegen der methodischen Grundlagen überhaupt nicht anerkenne. Ich muss es einmal sagen. Ich habe es als Mathematiker nie eingesehen, warum jemand, der weniger als 50 % des durchschnittlichen Einkommens erhält, einfach arm ist.
Meine Damen und Herren! Es gibt eine Fehlinterpretation. Wenn jemand nicht in der Lage ist, die materiellen und die kulturellen Grundbedürfnisse zu erlangen, dann ist er in meinen Augen arm. Aber nach dieser statistischen Definition haben wir an der Armutsstatistik überhaupt nichts geändert, wenn sich die Einkommen von heute auf morgen verdoppeln. Das kann doch nur ein methodischer Fehler sein,
- Was heißt Konsens? Mit mir hat niemand bei dieser Frage Konsens erreicht. Das muss ich einmal ganz ehrlich sagen.
Wenn ein Bericht wegen seiner wissenschaftlichen Grundlage in meinen Augen Unsinn ist, dann sage ich das an dieser Stelle einmal ganz deutlich.
Ich sage aber auch ganz deutlich, dass ich damit das Thema Armut nicht wegdiskutiere. Das ist wirklich ein schlimmes Thema.
Zum Thema Verschuldung hätte ich zwar noch einige Fragen; aber das sei einmal dahingestellt. Führende Wirtschaftswissenschaftler, auch konservative, gehen sicherlich davon aus, dass man nicht unbedingt die tiefste Krise nutzen sollte, um Schulden abzubauen. Dass es während der Zeit der guten Konjunktur versäumt worden ist, ist nicht unser Problem.
Aber meine Frage lautet ganz konkret: Was ist der Unterschied zwischen einem befristeten Arbeitsverhältnis und einem künftigen Arbeitsverhältnis mit einer Probezeit von zwei Jahren? Das ist mir bisher anhand der Veröffentlichungen nicht klar geworden. Da Sie das betonten, würde ich das gern wissen wollen.
Frau Dr. Klein, jetzt bringen Sie mich in eine etwas schwierige Situation. Ich kann jetzt rechtlich nicht genau interpretieren, was die in Berlin ausverhandeln werden. Ich kenne auch nur die Zeitungsmeldungen, die ich gelesen habe.
Aber eines gebe ich Ihnen mit auf den Weg: Es ist in meinen Augen nicht gut, dass in den letzten Jahren immer mehr Regelarbeitsverhältnisse in befristete Arbeitsverhältnisse umgewandelt worden sind und die Menschen regelmäßig, meistens kurz vor Weihnachten, warten mussten, ob sie einen neuen befristeten Arbeitsvertrag bekommen. So baut niemand für sich soziale Sicherheit auf. So gründet er keine Familie usw. Es gibt einen Rattenschwanz von Problemen.
Auf der anderen Seite kann ich auch die Arbeitgeber verstehen, die in diesen wirtschaftlich schwierigen Zeiten einfach unsicher sind, ob sie die Arbeitnehmer auf Dauer halten können. Wir haben mithilfe des Teilzeit- und Befristungsverhältnisses jetzt schon die Möglichkeit, ohne Angabe von Gründen für bis zu zwei Jahre befristet einzustellen. Warum gehen wir nicht den ehrlichen Schritt und sagen: Die ersten 24 Monate, in denen man sich die Arbeitnehmer wirklich ansehen muss - -
- Ja, sehen Sie sich die Lehrerschaft an. Bevor nicht ein Schuljahr abgeschlossen ist, wissen Sie eigentlich nicht, was der taugt. Was wollen Sie da mit einem halben Jahr anfangen? Es gibt auch andere Berufe, in denen Sie sich die Leute länger ansehen müssen.
Aber ich bin der Auffassung, dass man nach 24 Monaten eigentlich wissen müsste, ob man den haben will. Das wäre in meinen Augen ein sauberer Kompromiss. Ob die den in Berlin finden, weiß ich nicht. Aber ich kann ihn rechtlich nicht genau interpretieren. Das muss ich zugeben.
Ich habe eine Nachfrage. Die gegenwärtige Probezeit beträgt ein halbes Jahr. Vor allem wenn es um Arbeitsmarktmaßnahmen oder um Lohnzuschüsse geht, wird das Arbeitsverhältnis häufig prompt beendet. Der Betreffende muss unabhängig davon, ob er sich bewährt hat, raus, weil dann der Nächste kommt und die nächsten Zuschüsse bringt. Das ist sehr häufig Praxis. Ich befürchte ganz einfach, dass diese Praxis dann nach zwei Jahren einsetzt.
Beim Probearbeitsverhältnis müssen die Betroffenen ohne Begründung gehen und bekommen nicht unbedingt ein qualifiziertes Arbeitszeugnis. Deswegen stellt sich für mich wirklich die Frage: Was bringt uns das?
Ich würde einmal sagen, das ist jetzt nicht der Zeitpunkt, um Gesetze auszulegen, die es noch nicht gibt. Sehen wir uns das einmal genauer an, wenn die Koalitionsverhandlungen vorbei sind. Sie haben Befürchtungen ausgesprochen. Ich habe Hoffnungen ausgesprochen. Sehen wir es uns einmal an, wenn wir die Papiere haben.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Ministerpräsident, offenbar hat der eigene Fraktionsvorsitzende den Aufruf, bei dem Thema nicht zu polarisieren und das nicht für den Wahlkampf zu nutzen, nicht richtig zugehört. Ich würde eher Ihnen zustimmen, dass man das Thema in dieser Art und Weise tatsächlich nicht als Wahlkampfthema nutzen sollte.
Aber ich gehe davon aus, dass wir im Landtag zumindest bezüglich der Feststellung übereinstimmen, dass es zum einen eine deutlich voranschreitende soziale Polarisierung in Deutschland und in Sachsen-Anhalt gibt. Diese schreitet zunehmend voran. Das ist kein statischer Zustand.
Zum anderen gehe ich davon aus, dass wir diesen Polarisierungsprozess nicht nur aufhalten, sondern möglicherweise auch umkehren wollen. Die Analysen sind doch sehr erschreckend. Darin wird über real existierende Parallelstrukturen berichtet, von Bevölkerungsschich
ten, die völlig losgelöst voneinander und aneinander vorbei leben, die kaum noch Berührungspunkte miteinander haben, wenig voneinander wissen und zwischen denen die Brücken einer normalen Kommunikation abgebrochen sind.
Wenn ich jetzt die Debatte im Landtag verfolge, dann habe ich ein bisschen das Gefühl, dass wir diesbezüglich auch in der Politik zwei Parallelwelten haben. Die einen reden nur über die Haushaltskonsolidierung, die Haushaltpolitik und die in diesem Zusammenhang bestehenden Notwendigkeiten, die mit Sicherheit niemand infrage stellt, und die anderen reden nur über die sozialen Problemlagen.
Ich denke, es ist unsere Aufgabe, zwischen beiden Seiten eine Brücke herzustellen und Lösungen dafür zu finden und nicht nur die Parallelwelten in der Politik und in der Wahrnehmung zu beschreiben.
Ich möchte das an dem Beispiel deutlich machen, das Sie, Herr Ministerpräsident, genannt haben. Wenn Sie sagen, dass wir sowohl quantitativ als auch qualitativ ein hohes Niveau in der Kinderbetreuung haben, dann ist das durchaus richtig. Ich halte es jedoch nicht für richtig, dass man sich hinsichtlich der Vorgaben des EU-Gipfels von Barcelona an der unteren Grenze orientiert. Auf diese Weise kann man keine Brücke zwischen den beiden politischen Themen herstellen.
Man sollte sich eher an französischen oder anderen Modellen orientieren und schauen, welche Ergebnisse dort erreicht werden und wie wir uns hier verbessern können. Das erreicht man nicht, indem man sagt: Wir haben doch schon mehr als diese paar Prozent, die europaweit gefordert werden. Das kann sicherlich nicht das Niveau sein, an dem wir uns orientieren sollten.
(Minister Herr Kley: Wir haben mehr als Frank- reich, liebe Kollegin! - Zuruf von Ministerpräsident Herrn Prof. Dr. Böhmer)
- Wir haben aber andere Strukturen, lieber Kollege. - Es muss erlaubt sein, darüber nachzudenken, ob andere Strukturen in der Kinderbetreuung und im Schulsystem nicht auch bessere und andere Ergebnisse hervorbringen. Wenn wir uns das Nachdenken darüber verbieten, dann befinden wir uns viel mehr in einer Parallelgesellschaft, als das durch soziale Polarisierung überhaupt hergestellt werden kann.
Meine Damen und Herren! Wenn in diesen Analysen angeführt wird, dass es in der Gesellschaft Parallelstrukturen gibt, dann bezieht sich das eben nicht auf Frankreich, sondern auf die innere Situation in Deutschland. Wir in Deutschland und insbesondere wir in SachsenAnhalt haben aufgrund des geringen Ausländeranteils das Problem der Migration zwar nicht in dem Maße wie in Frankreich, aber wir haben dieses Problem innerhalb unserer Gesellschaft, und zwar in jeder unserer Städte und in jeder unserer Kommunen.
Das ist nicht die gleiche Situation wie in Großstädten wie Köln, Düsseldorf, Essen, Stuttgart oder anderen, sodass man vielleicht Parallelen ziehen und sagen könnte, Herr Gallert, dass so etwas mit Parallelgesellschaften, die nicht immigriert sind, passieren könnte. Ich will mich deshalb auf die Probleme in unserer eigenen Gesellschaft beschränken.
Ich sehe drei große Gräben, die sich durch unsere Gesellschaft ziehen und die die Ursachen für diese Polarisierung sind. Das sind auch unsere drei Ansatzpunkte für die Gestaltung durch die Politik.
Das ist zum Ersten die Teilhabe an Bildung - dazu haben wir heute Morgen bereits eine ausführliche Debatte geführt -, zum Zweiten die Teilhabe an Arbeit und zum Dritten das verfügbare Einkommen. Dieses bestimmt natürlich auch in gewissem Maße den Sozialstandard.