Sie ist bestrebt! Ich wollte der Landesregierung eigentlich zumindest partiell ein gewisses Engagement nicht absprechen.
Kommen wir zu einzelnen Aussagen. Hinsichtlich des ländlichen Raumes wird von der Landesregierung festgehalten und bestätigt: Ein großer Teil der Seniorinnen und Senioren wird auch zukünftig auf dem Lande leben.
Wir wissen, dass im Rahmen der Dorferneuerung seit dem Jahr 1991 beinahe 1 Milliarde € zum Einsatz kamen. Die Mittel waren aber nicht und sind auch jetzt nicht an die Umsetzung barrierefreier Lösungen gebunden.
Im Gegenteil: Dörfer erhalten bei der Neugestaltung ihrer Plätze nur dann Fördermittel, wenn sie unter Verwendung von Kopfsteinpflaster den mittelalterlichen Zustand wiederherstellen.
Bei unserem Besuch im ALF in Halberstadt wurde uns auf Nachfrage dieser aus meiner Sicht unhaltbare Zustand bei der Vergabe der Fördermittel bestätigt:
Bei der Genehmigung von Projekten wird das Kriterium der Barrierefreiheit kaum herangezogen. So richtig der Verweis auf Darlingerode ist, so falsch ist die Aussage, dass zahlreiche Kommunen großen Wert auf eine barrierefreie Maßnahmeumsetzung gelegt haben. Selbst wenn
Zu den Themen Bildung und Schule wird aus den Antworten auf die zweite und dritte Frage im Abschnitt IV deutlich, welche Bedeutung die Landesregierungen seit dem Jahr 1991 dem gemeinsamen Unterricht und der Schaffung der materiellen, technischen und baulichen Voraussetzungen für einen gemeinsamen Unterricht beigemessen haben. Hier heißt es:
„Die Anzahl der Schülerinnen und Schüler im gemeinsamen Unterricht wurde erstmalig zum Schuljahr 2001/2002 erfasst“.
„Der Anteil der Maßnahmen, der zur Herstellung der Barrierefreiheit aufgewendet wurde, ließe sich nachträglich nur mit einem unvertretbar hohen Aufwand ermitteln“.
Aus der mitgelieferten Tabelle wird deutlich: In den letzten fünf Jahren hat sich die Zahl der Schülerinnen und Schüler im gemeinsamen Unterricht mehr als verdoppelt.
Aber die Statistik trügt. Das Land Sachsen-Anhalt ist damit nicht einfach nur an letzter Stelle aller Bundesländer, sondern wir sind absolut abgeschlagen die Letzten hinsichtlich des gemeinsamen Unterrichts. Ein verändertes Herangehen an die Lösung der damit verbundenen Fragen seitens der Landesregierung sehe ich - zumindest nach den mir vorliegenden Informationen - nicht.
Selbstverständlich kann ich dem Argument mit dem Aufwand bei der Ermittlung der Investitionen in barrierefreie Schulen folgen, wobei man aber auch sagen muss: Was ich nicht weiß, hat mich nicht interessiert. Es hat mich nicht interessiert, also war es kein wichtiges Thema. Nicht folgen kann ich jedoch der nach wie vor seitens des Kultusministeriums geübten Praxis, Fördermittel zu vergeben, ohne dass mit diesen Millionen der barrierefreie Zugang hergestellt wird.
Zum Tourismus. Auch der Tourismus im Land SachsenAnhalt wurde mit erheblichen öffentlichen Mitteln sowohl im Bereich der Infrastruktur als auch im Bereich der gewerblichen Wirtschaft gefördert. Wir reden über eine Größenordnung von 1,4 bis 1,6 Milliarden €. Der Effekt im Sinne von Barrierefreiheit war leider nur sehr gering. Dennoch bemühte sich das Land seit dem Jahr 2000 um Verbesserungen. Allerdings stagnieren die Bemühungen seit 2003.
Beinahe alle Initiativen, beispielsweise in der Region Anhalt/Wittenberg oder im Harz, wurden nicht fortgeführt. Der Beirat bei der Landesmarketinggesellschaft arbeitet faktisch gar nicht.
In anderen Bundesländern sieht das aber anders aus. So haben beispielsweise der Behindertenbeauftragte des Landes Brandenburg und die IHK Potsdam eine Konferenz in Rheinsberg organisiert, auf der die Fortschritte beim barrierefreien Tourismus sowie die internationalen Verbindungen dargestellt wurden und auf der beispielsweise erklärt wurde, wie man Wasserwanderwege barrierefrei gestalten kann, und zwar von Finnland bis nach Österreich. Das sind wirkliche Maßnahmen.
In Sachsen-Anhalt hat man das Gefühl, dass die Landesregierung schläft, obwohl sie angeblich früher aufsteht. Die Landesregierung - ich habe schon einmal darauf hingewiesen - ist bestrebt, etwas zu tun. Die Worte „ist bestrebt“ sagen sehr viel aus.
Aber die Landesregierung ist nicht einfach nur nicht so richtig aktiv - nein, mit der Novellierung der Landesbauordnung sendet sie, so meine ich, angesichts der großen und umfassenden Aufgaben das falsche Signal aus. In den allgemeinen Anforderungen wird auf die für die nächsten Jahre notwendige Schwerpunktsetzung, nämlich auf die Schaffung von Barrierefreiheit, nicht hingewiesen. In § 49 werden die Anforderungen an die barrierefreie Gestaltung öffentlicher Gebäude im Vergleich zu der Landesbauordnung aus dem Jahr 2001 zurückgeführt.
Der zuständige Minister, der zumindest verbal und wortgewaltig die Notwendigkeit barrierefreier Lösungen befürwortet, initiiert einerseits den Wettbewerb für barrierefreie Kommunen - der ausgelobte Betrag beläuft sich auf 1,2 Millionen € -, streicht aber andererseits das mit 5 Millionen € veranschlagte Wohnraum-Anpassungsprogramm. Einerseits kann ich ihm Engagement nicht absprechen, andererseits schafft er es nicht, seine Baubehörden entsprechend anzuleiten, um die Barrierefreiheit umzusetzen.
Meine Damen und Herren! Fassen wir die Daten und Fakten zusammen, so wird deutlich, dass sich die Landesregierung angesichts der großen Herausforderungen der Notwendigkeit einer konsequenten barrierefreien Gestaltung der Gesellschaft verschließt. Ihre Ressorts arbeiten voneinander abgeschottet; ein gemeinsames, aufeinander abgestimmtes Handeln ist kaum erkennbar.
Sie hat aus meiner Sicht die Bedeutung der Barrierefreiheit für die Zukunftsfähigkeit unseres Landes nicht erkannt. Wenn wir also, um Barrierefreiheit herzustellen, zuerst die Barrieren in den Köpfen beseitigen müssen, dann müssen wir bei der Landesregierung anfangen. - Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Dr. Eckert. - Bevor ich nun Herrn Minister Kley für die Landesregierung das Wort erteile, haben wir die Freude, Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Osterburg auf der Südtribüne begrüßen zu können.
Sehr geehrter Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Fraktion der PDS hat sich mit Datum vom 30. Mai 2005 mit einer Großen Anfrage „Barrierefreies Sachsen-Anhalt“ an die Landesregierung gewandt.
In der Beantwortung stellt die Landesregierung klar, dass sie es als eine vorrangige staatliche Aufgabe ansieht, allen Menschen in Sachsen-Anhalt mit ihren unterschied
lichen Bedürfnissen eine selbstbestimmte Teilhabe am Leben in einer Gesellschaft ohne Barrieren zu ermöglichen. So entsteht Freiheit im Einzelnen als Teil der Verantwortung für die Gesellschaft. Der Abbau von Barrieren ist eine ständige Herausforderung für die Demokratie und eine Grundvoraussetzung für den Ausbau des Schutzes der Menschenwürde.
Den Antworten auf die zahlreichen Fragen kann entnommen werden, dass in den letzten 15 Jahren in unserem Land viel erreicht wurde. Einen erheblichen Anteil an den Veränderungen hatten dabei die Menschen mit Behinderungen selbst. Als Experten in eigener Sache haben sie beispielsweise als Mitglieder des Landesbehindertenbeirates die Landesregierung beraten oder in den Gremien des runden Tisches für Menschen mit Behinderung mitgewirkt. Für diese engagierte Arbeit möchte ich mich bei den ehrenamtlich Tätigen ganz herzlich bedanken.
Trotz aller Bemühungen haben wir das ehrgeizige Ziel, eine durchgängige Barrierefreiheit zu schaffen, leider noch nicht erreicht. Dabei darf nicht außer Acht gelassen werden, dass eine Reihe von Maßnahmen, mit denen wir heute schrittweise beginnen und die wir zum Teil gesetzlich festgeschrieben haben, unter Umständen erst in Jahren oder gar in Jahrzehnten flächendeckend wirken werden. Gleichwohl kann ich jedoch feststellen, dass es selbst zwischen dem Zeitpunkt der Beantwortung der Großen Anfrage und dem heutigen Tag eine durchaus beachtenswerte Fortentwicklung gegeben hat.
So fand beispielsweise am 14. September 2005 das erste behindertenpolitische Forum unseres Landes statt. Die Barrierefreiheit war dabei eines der bestimmenden Themen. So konnte dort von dem Vertreter des Kultusministeriums vorgetragen werden, dass sich die Anzahl der gemeinsamen Unterrichtsstunden für Schülerinnen und Schüler mit und ohne Behinderung stetig erhöht hat. Waren es im Jahr 2001 lediglich 202 Schülerinnen und Schüler mit Behinderung, die gemeinsam mit ihren nichtbehinderten Schulkameraden unterrichtet wurden, steigerte sich die Anzahl auf 623 im laufenden Schuljahr 2005/2006. Selbst wenn die Zahlen noch nicht die wünschenswerte Größenordnung erreicht haben, wurden hier doch erhebliche Fortschritte erzielt.
Am 24. Oktober 2005 wurde der Beirat für den öffentlichen Personennahverkehr gegründet. Hier konnte das Ministerium für Bau und Verkehr mitteilen, dass schrittweise geplant sei, Informationen über barrierefreie Verkehrsverbindungen in das elektronische Informationssystem „Nahverkehr Sachsen-Anhalt“ aufzunehmen. Damit können Menschen mit Behinderungen in absehbarer Zeit über das Internet die für sie notwendigen Informationen erhalten, um barrierefrei durch Sachsen-Anhalt reisen zu können.
Hinsichtlich der touristischen Erschließung unseres Landes für Menschen mit Behinderungen ist dies ein besonderer Meilenstein. Eine Arbeitsgruppe des runden Tisches für Menschen mit Behinderungen hat übrigens diesen Vorschlag unterbreitet.
Anlässlich der Bundestagswahl 2005 hat der Landeswahlleiter die Anzahl der barrierefrei erreichbaren Wahllokale erhoben. Damit liegen erstmals belastbare Daten vor. Bisher war nicht immer zwischen behindertenfreundlichen und barrierefreien Örtlichkeiten unterschieden worden. Landesweit verfügen wir über durchschnitt
lich 37,2 % barrierefreie Wahlräume. Die Werte haben allerdings eine Spannweite von 8,5 % in der Stadt Halle bis zu 63,1 % im Landkreis Jerichower Land.
Mit dem Ziel der deutlichen Verbesserung der Situation hat der Beauftragte der Landesregierung für die Belange behinderter Menschen gemeinsam mit dem Landeswahlleiter für die anstehende Landtagswahl 2006 die Initiative ergriffen. So soll zukünftig landeseinheitlich bereits in den Wahlbenachrichtigungen symbolhaft auf die Barrierefreiheit oder auf die Behindertenfreundlichkeit der Wahllokale hingewiesen werden.
Weiterhin wurden in den zurückliegenden Jahren Hunderte von barrierefreien Einrichtungen, zum Beispiel Heime, Werkstätten für Behinderte, Beratungsstellen etc., geschaffen, die als Wahllokale genutzt werden können. Erste Einrichtungsträger haben bereits ihre Unterstützung signalisiert und überlegen, parallel zur Wahl einen Tag der offenen Tür zu veranstalten. Da die Kommunen für die Bereitstellung der Wahlräume verantwortlich sind, wurden einerseits die Kreiswahlleiter und andererseits die freien und privaten Verbände der Wohlfahrtspflege angesprochen.
Wenn wir jetzt alle Seiten zusammenbringen, dann erreichen wir damit nicht nur mehr Barrierefreiheit der Wahllokale, sondern auch eine deutlich höhere Attraktivität der Wahlen. Gleichzeitig wird für die Menschen mit Behinderungen die Wahrnehmung ihres demokratischen Wahlrechts und damit auch ihre stärkere Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in der Gemeinschaft ermöglicht.
Manchmal müssen wir nur beharrlich genug sein, um die gesteckten Ziele zu erreichen und dabei Schritt für Schritt voranzuschreiten. Ein anderes Mal ist es ausreichend, wenn wir kreativ denken und vorhandene Ressourcen anders als bisher nutzen. Manchmal müssen wir auch Gesetze ändern.
Diese Landesregierung lässt sich in jedem Fall von dem Ziel leiten, weitestgehend Barrierefreiheit zu verwirklichen. Dabei sind wir - das meine ich - auf einem guten Weg.
Vielen Dank, Herr Minister Kley. - Nun kommen die Beiträge der Fraktionen. Wir beginnen mit der CDU-Fraktion. Es spricht Herr Schwenke. Bitte schön, Herr Schwenke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Dr. Eckert, ich schätze Sie wegen Ihres Fachwissens und Ihres Engagements; das wissen Sie. Aber wenn man Sie manchmal reden hört, dann meint man, man lebte in einer trostlosen Welt voller Diskriminierung und Benachteiligung. Ich denke, das ist nicht real.
Ich denke, die Wirklichkeit sieht durchaus anders aus. Das Glas ist nicht halb leer. Es ist auch nicht nur halb voll. Es ist mindestens dreiviertel voll.