Protokoll der Sitzung vom 09.12.2005

Gesetzentwurf der Landesregierung - Drs. 4/2114

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres - Drs. 4/2514

Änderungsantrag der Fraktion der SPD - Drs. 4/2532

Die erste Beratung fand in der 57. Sitzung des Landtages am 14. April 2005 statt. Berichterstatter des Ausschusses ist der Abgeordnete Herr Kosmehl. Bitte sehr, Herr Kosmehl.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Landesregierung in der Drs. 4/2114 wurde in der 57. Landtagssitzung am 14. April 2005 zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Inneres und zur Mitberatung in den Ausschuss für Recht und Verfassung überwiesen.

Die erste Beratung im Ausschuss für Inneres fand in dessen 50. Sitzung am 1. Juni 2005 statt. Hierbei wurde eine Anhörung zu dem Gesetzentwurf beschlossen.

Die Anhörung fand in der 55. Sitzung des Innenausschusses am 6. Juli 2005 statt. Neben einer Vielzahl von schriftlichen Stellungnahmen, die dem Ausschuss für Inneres zugegangen waren, wurden Probleme und Denkanstöße in der Anhörung vorgebracht, von denen ich nur einige exemplarisch nennen will.

So hat Herr Lorentz, der Direktor beim Bundesamt für Verfassungsschutz, den Gesetzentwurf als notwendig und in die richtige Richtung weisend bezeichnet und ihn begrüßt, da er sich an der Entwicklung des Bundesverfassungsschutzgesetzes und des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes nach In-Kraft-Treten des Terrorismusbekämpfungsgesetzes orientiert.

Weiterhin hat Herr Neumann, Landesbeauftragter für den Datenschutz des Landes Mecklenburg-Vorpommern, zum Einsatz des IMSI-Catchers ausgeführt, Unbeteiligte seien unter Umständen betroffen, mit technischen Kenntnissen sei der Einsatz feststellbar und somit gegebenenfalls der Erfolg nicht gegeben.

Herr Professor Dr. Gusy von der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Bielefeld hat etwa kritisiert, dass der Gesetzentwurf eine Reihe so genannter dynamischer Verweisungen enthalte. Das heißt, es werde auf das Bundesgesetz in seiner jeweils geltenden Fassung verwiesen und Änderungen des Bundesgesetzes führten automatisch zu Änderungen des Landesgesetzes. Das Bundesverfassungsgericht sehe das nicht gern.

Der Landesbeauftragte für den Datenschutz des Landes Sachsen-Anhalt, Herr Dr. von Bose, hat darauf hingewiesen, dass es Unterschiede im Verfassungsschutzverbund von Bund und Ländern gibt, zum Beispiel bei IMSICatchern, da es im § 17a Abs. 6 im Entwurf des Verfassungsschutzgesetzes in der vorgelegten Fassung nicht nur um Terrorismusabwehr, sondern auch um die Bekämpfung des gewaltbereiten Inlandsextremismus gehe. Fraglich sei, ob das Zitiergebot gemäß Artikel 20 Abs. 1 Satz 2 der Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt - darin wird der Gesetzgeber verpflichtet, bei möglichen Grundrechtseinschränkungen das betreffende Grundrecht zu nennen - hinreichend beachtet worden sei.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der 60. Sitzung des Ausschusses für Inneres am 12. Oktober 2005 erfolgte die Erarbeitung der vorläufigen Beschlussempfehlung an den mitberatenden Ausschuss für Recht und Verfassung unter Einbeziehung der Änderungsanträge der Fraktionen der CDU und der FDP sowie der vom Gesetzgebungs- und Beratungsdienst vorgebrachten redaktionellen und sprachlichen Änderungen.

Die Beratung im mitberatenden Ausschuss für Recht und Verfassung erfolgte in der 43. Sitzung am 26. Oktober 2005 und abschließend in der 44. Sitzung am 10. November 2005. Darin wurde die Verabschiedung einer Beschlussempfehlung an den federführenden Ausschuss für Inneres beschlossen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der 62. Sitzung des Ausschusses für Inneres am 16. November 2005 erfolgte die Verabschiedung der Ihnen heute vorliegenden Beschlussempfehlung an den Landtag. Es sind dort weitere Änderungsanträge der Fraktionen der FDP und der CDU eingearbeitet worden. Das Abstimmungsergebnis lautete 7 : 2 : 2 Stimmen.

Ich bitte Sie, der Beschlussempfehlung ebenfalls Ihre Zustimmung zu geben. - Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP - Zustimmung bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kosmehl, für die Berichterstattung. - Meine Damen und Herren! Bevor wir in die Debatte eintreten, hat für die Landesregierung der Minister des Innern Herr Jeziorsky um das Wort gebeten. Bitte sehr, Herr Minister.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf verfolgt die Landesregierung insbesondere das Ziel, der Verfassungsschutzbehörde zusätzliche Mittel und Instrumente an die Hand zu geben, damit sie auch künftig ihre schwierigen Aufgaben der Vorfeldaufklärung im Bereich des Terrorismus und des gewaltbereiten Inlandsextremismus erfüllen kann.

Wenn wir uns die Terroranschläge von London in diesem Jahr ansehen und bewerten und darüber hinaus Schlussfolgerungen aus den Erkenntnissen über den 11. September 2001, die Anschläge von Madrid am 11. März 2004 und das Geschehen im Irak, in Afghanistan und anderswo ziehen, dann wird deutlich, dass die Strukturen und Strategien des internationalen Terrorismus nicht statisch sind, sondern sich verändern und schnell weiterentwickeln. Terroristen agieren konspirativ und verfügen über weitreichende logistische Fähigkeiten.

Um mit dieser Bedrohung fertig zu werden, muss der Verfassungsschutz mit den erforderlichen Befugnissen ausgestattet sein. Nur so kann er seiner Aufgabe der Vorfeldaufklärung Erfolg versprechend nachkommen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lassen Sie mich die Eckpunkte des vorliegenden Entwurfs kurz skizzieren. Der Verfassungsschutz des Landes erhält nach Artikel 1 des Gesetzentwurfes das Recht, auch solche Bestrebungen zu beobachten, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten, da sie ein gefährlicher Nährboden für den wachsenden Terrorismus sind.

Entsprechend den Regelungen des Terrorismusbekämpfungsgesetzes des Bundes passt Artikel 1 die Befugnisse des Landesverfassungsschutzes an die des Bundesamtes für Verfassungsschutz an. Es sind danach Auskunftspflichten für Geldinstitute, Luftverkehrsunternehmen, Postdienstleister, Telekommunikationsdienstleister und Teledienstanbieter vorgesehen.

Die rechtlichen Hürden bei den neuen Befugnissen sind sehr hoch gesetzt. Entweder müssen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer Katalogstraftat nach dem Artikel-10-Gesetz gegeben sein oder aber es müssen tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für verfassungsschutzrelevante Schutzgüter vorliegen.

Das Anordnungsverfahren sowie die Verarbeitung der erhobenen personenbezogenen Daten in Bezug auf Löschung, Kennzeichnung und Übermittlungseinschränkungen orientieren sich an den strengen Voraussetzungen des G10-Verfahrens. Das Verfahren unterliegt der Kontrolle der G10-Kommission. Die G10-Kommission ist ein unabhängiges, von der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtages bestelltes Gremium. Damit wird eine sehr hohe parlamentarische Kontrolldichte ermöglicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Weiterhin sollen mit dem Gesetzentwurf die Regelungen zur Registereinsicht und zu den Auskunfts- und Übermittlungsbefugnissen bzw. zum Einsatz des IMSI-Catchers erweitert werden. Von den entsprechenden Befugnissen soll auch zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes bzw. zur Beobachtung des gewaltbereiten Inlandsextremismus Gebrauch gemacht werden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Artikel 2 des Gesetzentwurfs schafft die erforderliche gesetzliche Grundlage für Sicherheitsüberprüfungen, die aus Gründen des Geheimschutzes oder des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes erforderlich sind. Aufgabe des Geheimschutzes ist es, die materiellen und personellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Unbefugte keine Kenntnis von Verschlusssachen erhalten. Daher soll das Gesetz zum einen den personellen Geheimschutz in öffentlichen Stellen umfassen, zum anderen soll es die Sicherheitsüberprüfung von Personen in nichtöffentlichen Stellen regeln, die insbesondere an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebens- und verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt werden oder werden sollen. Das Gesetz soll damit die untergesetzlichen Sicherheitsrichtlinien vom 19. Oktober 1992 ersetzen.

Darüber hinaus trifft das Gesetz Regelungen für den vorbeugenden personellen Sabotageschutz auf Landesebene. Hierbei geht es um die Sicherung der Funktionsfähigkeit öffentlicher Einrichtungen und Infrastrukturen, die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und die deshalb vor so genannten Innentätern geschützt werden müssen. Mit dem Gesetz wird für die mit einer Sicherheitsüberprüfung verbundenen Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung die verfassungsrechtlich geforderte gesetzliche Grundlage geschaffen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mit dem Gesetzesvorhaben ist schließlich in Artikel 3 ein neues Landesausführungsgesetz zum Artikel-10-Gesetz verbunden. Damit werden die Änderungen des Artikel-10-Gesetzes des Bundes berücksichtigt und die landesrechtlichen Vorschriften durch die Schaffung eines neuen Stammgesetzes und die Ablösung des bisherigen Ausführungsgesetzes angepasst.

Die Kontrollbefugnis der G10-Kommission als eines unabhängigen, von der parlamentarischen Kontrollkommission des Landtages bestellten Gremiums erstreckt sich nicht nur wie bisher auf die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen nach dem Artikel-10-Gesetz und auf Mitteilungen an die Betroffenen, sondern auf den gesamten Prozess der Verarbeitung der nach dem Artikel-10-Gesetz erlangten personenbezogenen Daten.

Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass die G10-Kommission dem Landesbeauftragten für den Datenschutz Gelegenheit zur Stellungnahme bezüglich der Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz zu Vorgängen geben kann, die in der Zuständigkeit der G10-Kommission liegen. Auf diesem Weg kann die Kommission den Sachverstand des Landesbeauftragten für den Datenschutz nutzen.

Ferner obliegt der G10-Kommission die Kontrolle der Ausübung der neuen Auskunftsbefugnisse der Verfas

sungsschutzbehörde nach Artikel 1, da das Verfahren nach den Grundsätzen des G10-Verfahrens ausgestaltet ist.

In intensiven parlamentarischen Beratungen sowohl im Innenausschuss wie auch im Ausschuss für Recht und Verfassung hat der Gesetzentwurf noch inhaltliche Änderungen erfahren, die in der nun vorliegenden Beschlussempfehlung dokumentiert sind.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Herausforderungen des internationalen Terrorismus sowie des Extremismus können wir nur begegnen, wenn der für die Vorfeldaufklärung zuständige Verfassungsschutz in die Lage versetzt wird, Erkenntnisse über Strukturen und Strategien von Terroristen und Extremisten zu gewinnen. Hierzu ist eine ständige Anpassung seiner rechtlichen Grundlagen notwendig.

Der heute zur Abstimmung vorliegende Gesetzentwurf wird den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen gerecht. Deswegen bitte ich Sie, dem Gesetzentwurf zuzustimmen. - Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Vielen Dank, Herr Minister. - Meine Damen und Herren! Wir treten nun in eine Fünfminutendebatte ein. Als erster Redner erhält für die SPD-Fraktion Herr Rothe das Wort. Bitte sehr, Herr Rothe.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die SPD-Fraktion wird dem Sicherheitsüberprüfungs- und Geheimschutzgesetz zustimmen, welches den Artikel 2 des vorliegen Artikelgesetzes bildet. Es ist ein rechtsstaatlicher Fortschritt, dass derartige Überprüfungen, die einen erheblichen Eingriff in die individuelle Freiheit darstellen, auf eine formalgesetzliche Grundlage gestellt werden.

Demgegenüber lehnen wir Artikel 1 des Gesetzentwurfes, durch den das Verfassungsschutzgesetz geändert wird, in der vorliegenden Form ab. Ihnen liegt ein Änderungsantrag der SPD-Fraktion vor, in dem wir einige Forderungen wiederholen, die wir schon in den Ausschussberatungen gestellt haben.

Herr Minister, Sie haben von intensiven Beratungen in den Ausschüssen gesprochen. Ich hatte den Eindruck nicht. Herr Kosmehl hat aus der Anhörung zitiert. Diese war substanziell. Wir hätten uns auch entsprechend substanziell im Ausschuss, sowohl im Innen- als auch im Rechtsausschuss, mit dem Gesetzentwurf befassen können. Das ist leider nicht geschehen. Ich denke, das Parlament hat das Recht, sowohl Änderungen substanzieller Natur als auch notwendige Ergänzungen vorzunehmen.

Ich darf daran erinnern, dass nach Einbringung des Gesetzentwurfes Gerichtsentscheidungen ergangen sind, die eine Ergänzung erforderlich machen. Ich meine damit das Urteil des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs vom 21. Juli 2005 zum sächsischen Verfassungsschutzgesetz und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli 2005 zum niedersächsischen Polizeigesetz.

Es war in den Ausschussberatungen im Grunde unstreitig, dass wir infolge dieser Urteile unser Verfassungsschutzgesetz um eine Regelung zum Schutz des Kern

bereichs privater Lebensgestaltung ergänzen müssen. Der Datenschutzbeauftragte des Landes hat dazu einen konkreten Formulierungsvorschlag gemacht; nur leider haben wir seinen Sachverstand nicht genutzt. Der Vorschlag ist sachlich ausgereift; er setzt die Rechtsprechung zeitnah um.

Wir geben Ihnen mit unserem Änderungsantrag heute noch einmal die Gelegenheit, dem zu folgen, was Herr Dr. von Bose vorschlägt. Ich denke, man sollte nicht abwarten, bis sich die Innenminister auf eine Formulierung geeinigt haben. Wenn diese Formulierung besser sein sollte, kann man unser Gesetz wieder ändern.

Während die Koalition - so mein Eindruck - beim Schutz von Bürgerrechten mit Neuregelungen eher zögerlich ist, antizipiert sie bei der Verstärkung von Eingriffskompetenzen Bedrohungslagen, die noch gar nicht real sind. Beispielsweise hat man Rucksackterroristen im jugendlichen Alter in Deutschland noch nicht gesehen. Wir sind gegen die Absenkung des Alters, ab dem Daten generell erfasst werden dürfen, von 16 auf 14 Jahre, und wir sind gegen die Einbeziehung von Kindern, also unter 14-Jährigen, die bestimmter Straftaten verdächtigt werden. Diese Ausdehnung der Speichererlaubnis ist unverhältnismäßig. Hierzulande ist dafür ein praktisches Bedürfnis nicht erkennbar.

(Beifall bei der Linkspartei.PDS)

Hinsichtlich der Ausdehnung der Speicherfrist auf Fälle, in denen zwischenzeitlich keine neuen Erkenntnisse angefallen sind, machen wir der Regierungsmehrheit das Kompromissangebot, die Bundesregelung zu übernehmen, also zu differenzieren.

Wir lehnen die Einführung des so genannten IMSI-Catchers ab, durch den mit beträchtlichem Aufwand Handynummern ermittelt werden sollen. Es wäre zumindest kurzfristig eine Vielzahl Unbeteiligter betroffen.

Die FDP hat die datenschutzrechtliche Fragwürdigkeit dieses Instruments erkannt und gewisse Einschränkungen durchgesetzt. Das reicht uns aber nicht. Wir wollen auf den IMSI-Catcher verzichten.

Ein weiterer Punkt: Wir wollen die Berichterstattung in der und durch die Parlamentarische Kontrollkommission qualifizieren, so wie es auf der Bundesebene geregelt ist.

Zu Artikel 3 des Gesetzentwurfes: Wir beantragen, dass eine Entscheidung über die endgültige Nichtinformation eines von Abhörmaßnahmen Betroffenen durch die G10Kommission nur einstimmig erfolgen kann, weil auch hier ein besonders schwerwiegender Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung vorliegt.