Folgende Reihenfolge und Redezeiten sind vereinbart worden: SPD-Fraktion 20 Minuten, CDU-Fraktion 38 Minuten, Linkspartei.PDS-Fraktion 20 Minuten und FDP-Fraktion 13 Minuten.
Für die SPD-Fraktion erteile ich nun der Abgeordneten Frau Mittendorf das Wort. Sie steht bereits in den Startlöchern. Bitte sehr, Frau Mittendorf.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Bereich der Bildungspolitik ist seit Jahren Gegenstand kontroverser Auseinandersetzungen zwischen den Parteien. Bei den unterschiedlichen Grundpositionen ist es bis zum heutigen Tag geblieben. Trotzdem ist es in der ausklingenden Legislaturperiode gelungen, in Einzelfragen zu pragmatischen Annäherungen zu kommen und sogar gemeinsame Beschlüsse herbeizuführen. Das ist erfreulich.
Aus unserer Sicht ist die Frage des Umgangs mit den Einflussfaktoren, denen der Bildungsbereich ausgesetzt ist, entscheidend. Einige Faktoren sind nur bedingt zu beeinflussen, zum Beispiel die demografische Entwicklung oder die Globalisierung. Diesbezüglich müssen wir Strategien für den Umgang mit solchen Faktoren entwickeln.
Andere Faktoren kann man jedoch verändern, wenn man es denn will. Hierbei denke ich an die Organisation und die finanziellen Rahmenbedingungen. Meine Damen und Herren! In diesem Zusammenhang ist der amtierenden Landesregierung einiges geglückt, aber auch vieles missglückt.
(Zustimmung bei der SPD - Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Sie müssen erst einmal sagen, was! - Minister Herr Dr. Daehre: Gut geklopft!)
Sehr geehrter Herr Minister Olbertz, Vorhaben, die aus unserer Sicht notwendig und richtig waren, wurden von der SPD unterstützt und sogar mitgestaltet.
- Danke schön. - Ich denke hierbei an die Fortsetzung der inneren Schulreform und die Qualitätssicherung sowie an die Erhöhung der Autonomie von Schulen, wobei wir uns mit einem eigenen Gesetzentwurf entscheidend in die parlamentarischen Beratungen eingebracht haben. Aber auch die Einführung von Förderzentren, die flächendeckende Einführung der flexiblen Schuleingangsphase, mit der die SPD-Regierung bereits in der dritten Legislaturperiode begonnen hatte, die Erhöhung des Stundenumfangs in den Fächern Deutsch und Mathematik in der Grundschule sowie die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur fanden unsere Zustimmung.
Dem, meine Damen und Herren, standen jedoch grundlegend falsche bildungspolitische und hochschulpolitische Weichenstellungen gegenüber, die unserem Land mittelfristig Schaden zufügen werden. Vor diesem Hintergrund erscheint die Pisa-Kampagne der CDU als völlig deplatzierte Selbstbeweihräucherung.
Auf großflächigen Plakaten, in einem offenen Brief bzw. in einem Flyer an die Schulen im Land wird der Eindruck erweckt, die Verbesserung der Leistungen unserer Schüler bei Pisa 2003 stünde in einem direkten Zusammenhang mit den von Ihnen vorgenommenen Neuregelungen.
(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP - Herr Stahlknecht, CDU: Stimmt doch! - Weitere Zurufe von der CDU: Stimmt doch! - Zuruf von Frau Dr. Hüskens, FDP)
Dies, meine Damen und Herren, ist ein Missbrauch der Pisa-Ergebnisse, um die eigene Politik schönzureden;
dass der im Frühjahr 2003 im Rahmen der Pisa-Studie geprüfte Schülerjahrgang in keiner Weise von den Regelungsänderungen der CDU-FDP-Landesregierung berührt war. Sie müssen nur einmal nachrechnen.
(Zustimmung bei der SPD - Frau Feußner, CDU: Al- lein der Regierungswechsel hat - -! - Zustimmung bei der CDU- Lachen bei der SPD - Unruhe) - Auch Sie, Frau Feußner. Meine Damen und Herren! Ohne Frage, über die deutlichen Leistungszuwächse bei unseren Schülern bei Pisa 2003 freuen wir uns außerordentlich. Bemerkenswert daran ist, dass die geprüften 15-jährigen Schülerinnen und Schüler sechs Jahre lang gemeinsam gelernt haben und anschließend in einem gemeinsamen Sekundarschulbildungsgang waren. (Zustimmung bei der SPD - Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Daher die hohe soziale Selektion!)
Ich gehe eben nicht so weit, meine Damen und Herren, zu behaupten, das wäre der einzige Grund für die Leistungssteigerung. Aber die Ergebnisse zeigen zumindest, dass die Förderstufe und der gemeinsame Sekundarschulbildungsgang zu Unrecht verunglimpft wurden. Das ist das Problem.
(Zustimmung bei der SPD - Frau Feußner, CDU: Fragen Sie doch einmal vor Ort nach! - Unruhe bei der SPD)
Die Landesregierung hätte sehr gut daran getan, vor der Abschaffung tatsächlich Ergebnisse abzuwarten. Diese liegen jetzt vor. Insofern, sehr geehrter Herr Kollege Olbertz, wurden Sie Ihrem eigenen Anspruch, strukturelle Veränderungen inhaltlich zu begründen, nicht gerecht.
Meine Damen und Herren! Die Pisa-Studie bescherte Sachsen-Anhalt aber nicht nur positive Ergebnisse, sondern zeigte auch große Defizite im Hinblick auf die Chancengleichheit im Bildungssystem auf.
So sind die Chancen für Jugendliche aus unterschiedlichen sozialen Schichten, ein Gymnasium zu besuchen, ungleich verteilt.
Es kommt hinzu, dass auch im Jahr 2005 der Anteil jener Schüler, die die Schule ohne einen Abschluss verlassen haben, in Sachsen-Anhalt mit fast 12 % im Vergleich aller Bundesländer am höchsten war.
Die Angabe der Prozentzahl 8 ist eine Zahlenspielerei. Wie sie zustande kommt, wissen Sie selbst; man hat dabei nämlich in Bezug auf die Sonderschulen etwas abgerechnet.
Meine Damen und Herren! Insgesamt sind das aber beunruhigende Werte. Über diese müssen wir reden, weil sie eines verdeutlichen: Unser Land Sachsen-Anhalt verfügt über entschieden zu viele Bildungsbenachteiligte. Um diese müssen wir uns kümmern.
Meine Damen und Herren! Vor diesem Hintergrund muss analysiert werden, inwieweit die von der CDU-FDP-Landesregierung vorgenommenen Veränderungen tatsächlich dazu beitragen, diese Defizite abzubauen. Exemplarisch möchte ich an dieser Stelle vier Eckpfeiler christlich-liberaler Bildungspolitik in dieser Legislaturperiode benennen:
erstens die Wiedereinführung der Bildungswegetrennung ab Klasse 5, zweitens die Zugangsbeschränkung zum Gymnasium, drittens die Wiedereinführung des Hauptschulbildungsganges und viertens die Herabsetzung der Vollzeitschulpflicht von zehn Jahren auf neun Jahre.
All diese Neuregelungen leisten aus unserer Sicht keinen Beitrag zur Reduzierung der Chancenungleichheit.
Im Gegenteil, der von dieser Landesregierung eingeschlagene Weg zementiert die soziale Spaltung im deutschen Bildungssystem. Bisher, meine Damen und Herren, konnte mir noch kein Kollege von der CDU und von der FDP plausibel erklären, wie in einem solchen System die viel beschworene Durchlässigkeit zwischen den Schulformen gewährleistet werden soll
und welche reellen Berufschancen ein Schüler mit einem Hauptschulabschluss in unserer Gesellschaft und insbesondere in Sachsen-Anhalt hat.
Der Wissenschaftsrat prognostiziert, dass der Anteil der Arbeitsplätze mit einfachen Tätigkeitsprofilen in den nächsten zwei Jahrzehnten auf unter 20 % fallen, aber
Mit Interesse habe ich, wie wahrscheinlich Sie alle in diesem Hohen Haus, am 28. Dezember 2005 ein Interview mit dem Kultusminister zum Eignungsfeststellungsverfahren für Grundschüler in der „Volksstimme“ gelesen. In seiner heutigen Rede begründete der Minister das neue Verfahren damit, die Schüler vor dem Scheitern am Gymnasium schützen zu wollen.
Das klingt gut, ist aber in sich nicht schlüssig; denn einerseits hat die Grundschulleseuntersuchung Iglu 2004 nachgewiesen - das kann man alles nachlesen -, dass es eine Prognosesicherheit in Bezug auf Schullaufbahnempfehlungen nicht gibt. Sehr oft fließt weniger die Leistung als die soziale Herkunft in die Entscheidungsfindung ein.