Protokoll der Sitzung vom 19.01.2006

Diese erfreuliche Entwicklung wurde jedoch durch den von der Landesregierung eingeschlagenen Kurs gefährdet. Die Mittel für die Hochschulen wurden gekürzt. Die Kürzungen im Hochschulbereich gehen mit einer „Bereinigung“ der Strukturen einher. Das bedeutet, dass die

Ausbauzielgrößen der Hochschulen abgesenkt und die Angebote abgebaut werden.

Die Folgen sind Personalabbau, verminderte Investitionen und vermehrt - das ist das Problem - hochschulinterne Zulassungsbeschränkungen. Bereits heute lässt sich prognostizieren, dass die bisherigen Standortvorteile unserer Hochschulen, zum Beispiel die gute Betreuungsrelation, Schritt für Schritt gemindert werden.

Insbesondere die Vorgaben zu den Personaleinsparungen in den Zielvereinbarungen veranlassten die Hochschulen zu einer drastischen Anwendung von Zulassungsbeschränkungen für die Studiengänge.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Wollen Sie Mas- se oder Klasse?)

So hat sich die Zahl der Studiengänge, die einer Zulassungsbeschränkung unterliegen, allein an der MartinLuther-Universität Halle-Wittenberg von 72 auf über 110 im laufenden Wintersemester erhöht.

(Herr Dr. Schrader, FDP: Das ist doch okay!)

Das wiederum führte dazu, dass die Zahl der Studienanfänger an Sachsen-Anhalts Hochschulen zum ersten Mal zurückging; in diesem Wintersemester sogar von ca. 10 000 auf 8 000 Studienanfänger, also um etwa 20 %.

Allerdings stehen uns bei den Studierendenzahlen die wirklichen Herausforderungen noch bevor. Im Jahr 2007 verlassen der letzte Abiturientenjahrgang nach 13 Schuljahren und der erste nach zwölf Schuljahren die Schule. Das sind zusätzlich 8 000 Schulabgänger mit Hochschulreife, die unsere Hochschulen wegen des beschriebenen Umstrukturierungsprozesses nicht aufnehmen können. Darauf sind sie nicht vorbereitet.

Deshalb müssen wir bei der Aufstellung des Haushaltsplans 2007 in Form eines Sonderprogramms Vorsorge treffen, damit die Hochschulen zusätzliche Handlungsspielräume erhalten. Wenn nichts getan wird, legt das Land selbst die Grundlage für die Abwanderung junger Menschen.

Es klingt schon wie Hohn, wenn der Kultusminister den Studierenden empfiehlt, eine Studienrichtung zu wählen, die nicht so stark nachgefragt wird. Mit solchen Beiträgen, Herr Olbertz, lösen wir das Problem nicht.

(Zustimmung bei der SPD - Zurufe von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz und von Herrn Tullner, CDU)

Ab dem Wintersemester 2009/2010 erreichen die geburtenschwachen Nachwendejahrgänge die Hochschulen. Ab diesem Zeitpunkt wird sich infolge der demografischen Entwicklung das Problem stellen, wie das Land die akademische Nachwuchsgewinnung absichern kann. Wir brauchen gezielte Gegenmaßnahmen, wie zum Beispiel die Schaffung zusätzlicher Möglichkeiten zur Erlangung der Hochschulzugangsberechtigung, und eine gezielte Werbung bei Studierenden aus anderen Bundesländern und auch aus dem Ausland.

Unverzichtbar für die Hochschulen ist eine größere Gestaltungsfreiheit. Die Hochschulgesetznovelle, die in dieser Legislaturperiode beschlossen wurde, wird diesem Anspruch nicht gerecht.

(Herr Tullner, CDU: Warum?)

- Dafür reicht mir jetzt leider die Zeit nicht.

(Herr Minister Prof. Dr. Olbertz und Herr Tullner, CDU, lachen)

- Da brauchen Sie gar nicht zu lachen.

Überlebenswichtig ist eine verlässliche und auskömmliche Finanzierung. Daher streben wir neben der Regelfinanzierung über die Budgets und dem Sonderprogramm „Doppelter Abiturientenjahrgang“ eine Aufstockung der Mittel durch einen Innovationsfonds zur Profilentwicklung und Exzellenzförderung an.

Meine Damen und Herren! Die SPD Sachsen-Anhalts hat im vergangenen Jahr mit der Broschüre „Bildungsland Sachsen-Anhalt 2020“ umfangreiche konzeptionelle Vorstellungen für die nächsten 15 Jahre entwickelt. Denn eines ist klar: Der Faktor Bildung wird künftig noch stärker als heute die persönliche und berufliche Entwicklung des Einzelnen und der Gesellschaft bestimmen. Wir treten daher nachhaltig für eine Qualitätsoffensive in der schulischen Bildung ein, die eine kontinuierliche Fortsetzung innerer Schulreformen zum Ziel hat.

Frau Abgeordnete, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zu beantworten?

Nein, dazu bin ich nicht bereit. - Darüber hinaus streben wir in einem unabhängigen Bildungskonvent eine umfassende Diskussion über die Weiterentwicklung unseres Schulsystems an.

(Unruhe bei der CDU)

Meine Damen und Herren, ich bitte um Ruhe. Bitte lassen Sie Frau Mittendorf fortfahren.

Im Ergebnis dieser Debatte erhoffen wir uns eine Empfehlung für ein zukunftsfähiges, tragfähiges, vor allen Dingen gerechtes und international ausgerichtetes leistungsfähiges Bildungssystem. Internationale Vergleiche zeigen, dass ein längeres gemeinsames Lernen vor allem dann zu verbesserten Ergebnissen führt, wenn im Unterricht stärker differenziert sowie mit flexiblen Lehrplänen und individuellen Fördersystemen auf die unterschiedlichen Bedürfnisse einer heterogenen Schülerschaft eingegangen werden kann.

(Minister Herr Prof. Dr. Olbertz: Genau das ist es, was wir machen! - Zuruf von Frau Feußner, CDU)

- Wir sind durchaus bei einigen Dingen einer Meinung.

(Lachen und Beifall bei der CDU - Zuruf von der FDP: Frau Mittendorf, was erzählen Sie uns hier?)

Daher werden wir in dem Bildungskonvent unseren Vorschlag einer allgemeinbildenden Schule, in der die Schüler acht Jahre lang gemeinsam lernen, zur Diskussion stellen. Dabei begründet sich dieser Vorschlag nicht nur mit pädagogischen, sondern auch mit schulplanerischen Argumenten. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung kann das längere Lernen in einer Schule vor allem in der Fläche dazu beitragen, wohnortnahe Schulangebote vorzuhalten. Dass die Landesregierung

diese Überlegung als nicht so abwegig ansieht, zeigt zum Beispiel die vom Minister aufgezeigte Lösung in Havelberg.

In diesem Zusammenhang sagen wir jedoch ganz klar: Wir erachten es als notwendig, von übereilten Strukturveränderungen an unseren Schulen abzusehen. Grundlegende Veränderungen unseres Schulsystems benötigen eine breite gesellschaftliche Mehrheit und ausreichend Zeit zur Planung, Vorbereitung und Umsetzung.

(Zustimmung bei der SPD - Frau Feußner, CDU: Das lässt ja hoffen!)

Meine Damen und Herren! Ich möchte hinzufügen: Das Ergebnis der gestrigen Umfrage in der „Volksstimme“ wird dabei von uns nicht überbewertet, stellt aber durchaus eine Ermunterung und viel Rückenwind dar, das aufgezeigte Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.

(Zuruf von Herrn Tullner, CDU)

Sehr geehrter Herr Paqué, nun hoffe ich, dass ein Universitätsprofessor mit den Techniken des verstehenden Lesens vertraut ist. Somit sollte es auch Ihnen nicht entgangen sein, dass die Aussagen von Jens Bullerjahn in dem Interview in der „Volksstimme“ und meine Aussagen in der Bildungsbroschüre und meine heutigen Aussagen absolut identisch sind.

(Herr Bullerjahn, SPD: Das wird er nicht verstehen!)

Die erfolgreiche Umsetzung einer AOS in SachsenAnhalt kann nur gelingen, wenn sie von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit getragen wird.

Frau Abgeordnete, Sie haben Ihre Redezeit bereits um fünf Minuten überschritten. Ich bitte Sie, zum Ende zu kommen.

Ich komme zu meinen letzten drei Sätzen, Herr Präsident.

Meine Damen und Herren! Eine künftige Landesregierung hat nach unserer Meinung im Bildungsbereich folgende Schwerpunktaufgaben:

erstens die Verbesserung der Bildungschancen von Kindern aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien,

(Frau Feußner, CDU: Das ist richtig! Machen wir!)

zweitens die Reduzierung des hohen Anteils von Schulabgängern ohne Abschluss,

(Frau Feußner, CDU: Machen wir! - Zuruf von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

drittens die weitere Verbesserung des Wissens- und Kompetenzerwerbs bei den Schülern,

(Frau Feußner, CDU: Machen wir!)

viertens die Erhöhung des Anteils der Studienberechtigten eines Jahrgangs, aber auch der Studienabsolventen,

fünftens die Schaffung von Rahmenbedingungen, die die nationale und internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Hochschulen sichern.

(Frau Feußner, CDU: Machen wir auch! - Zuruf von Minister Herrn Prof. Dr. Olbertz)

Für die Umsetzung dieser Zielsetzungen haben wir ein Paket von Instrumentarien und Maßnahmen geschnürt, die wir in der kommenden Legislaturperiode, wenn möglich - davon gehen wir aus - in der Regierungsverantwortung, umsetzen wollen. - Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD)