Protokoll der Sitzung vom 20.01.2006

(Zuruf von Frau Rogée, Linkspartei.PDS)

den offenen Umgang mit den Polizisten pflegt und sie nach ihren Nöten und Verbesserungsvorschlägen befragt werden. Das haben Sie nicht geschafft. Von Ihnen habe ich immer nur Kritik, Vorwürfe und irgendwelche anderen Äußerungen gegenüber der Polizei gehört. Hier von einem erheblichen Demotivationspotenzial zu sprechen, ist absolut unrichtig.

(Frau Tiedge, Linkspartei.PDS: Dann sollten Sie die Studie einmal lesen! - Frau Rogée, Linkspar- tei.PDS: Ja, das sollten Sie einmal tun!)

Das Thema der Beförderungen hat der Minister schon angesprochen. Auch das kennzeichnet natürlich Ihre Polemik, Frau Tiedge. Sie sagten, dass keine Beförderungen stattgefunden haben. Tatsächlich haben im letzten halben Jahr mehr als 1 200 Beförderungen stattgefunden. Ich denke, Ihre Wortwahl ist äußerst unangepasst.

Auch Ihre Forderung, die notwendige Strukturreform nicht gegen, sondern mit den Polizisten zu machen, entbehrt jeder Grundlage und entspricht nicht den Erfahrungen, die das Ministerium im Umgang mit der Polizei gesammelt hat. Wir haben die Strukturreform - ich erinnere an die Zeit, als wir damals die kleinsten Stationen aufgelöst haben - gemeinsam mit den Polizisten und den Polizeigewerkschaften und auf ihre Anregung hin und nicht im Alleingang durchgeführt. Das, was wir umgesetzt haben und auch bei der jetzigen Reform umsetzen, war und ist durchaus im Interesse und nach den Bedürfnissen der Polizistinnen und Polizisten vor Ort.

In vielen Gesprächen mit Polizisten und mit meinen Freunden bekomme ich immer wieder zu hören, dass die größeren Probleme weniger die Ausstattung usw. sind, sondern in dem Zusammenwirken zwischen den Einzelnen, insbesondere mit den hohen Behörden der Polizei, den Polizeidirektionen zu suchen sind.

Bei drei Polizeidirektionen für das ganze Land, wie Sie in Ihren Vorstellungen zur Strukturreform fordern, wären diese Probleme, die die Polizisten zu beklagen haben, noch wesentlich größer. - Herr Präsident, ich bin am Ende meiner Rede. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU - Zustimmung bei der FDP - Frau Tiedge, Linkspartei.PDS: Polemik pur!)

Vielen Dank, Herr Schulz. - Wir dürfen Schülerinnen und Schüler von der Sekundarschule Eilsleben auf der Südtribüne begrüßen.

(Beifall im ganzen Hause)

Nun erteile ich Herrn Rothe das Wort, um für die SPDFraktion zu sprechen.

Herr Kollege Schulz, Sie haben den - - Zunächst einmal: Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

(Heiterkeit bei der CDU)

- Ich konnte es kaum erwarten, den Kollegen Schulz anzusprechen.

Herr Kollege Schulz, Sie haben den hohen Altersdurchschnitt bei der Polizei mit einer unzureichenden Einstellungspolitik der Vorgängerregierung begründet. Richtig ist, dass der hohe Altersdurchschnitt darauf zurückzuführen ist, dass die erste CDU-FDP-geführte Landesregierung alle Polizisten im Alter von mehr als 50 Jahren nach Hause geschickt und bei den Jahrgängen, die damals jünger als 50 Jahre waren, 1 500 Polizisten mehr im Dienst gelassen hat als vergleichbare ostdeutsche Länder. Deswegen haben wir heute das Problem beim Altersaufbau.

(Zustimmung bei der SPD und bei der Linkspar- tei.PDS - Oh! bei der CDU)

Der Herr Innenminister hat sich vorhin wegen des Rückgangs der Straftaten Jahr um Jahr gelobt. So haben Sie sich ausgedrückt, Herr Jeziorsky.

(Minister Herr Jeziorsky: Ich habe die Polizei ge- lobt, Herr Rothe!)

Der Rückgang der Straftaten Jahr um Jahr ist unbestritten. Er vollzieht sich entsprechend dem Bevölkerungsrückgang.

(Unruhe bei der CDU und bei der FDP)

Die so genannte Häufigkeitszahl, das heißt die Zahl der Straftaten pro 100 000 Einwohner, stagniert dagegen seit Jahren bei 9 000. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 8 000, meine Damen und Herren. - Das zu Ihrer Erfolgsbilanz, Herr Minister.

Keine staatliche Aufgabe ist so unverzichtbar wie der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Übergriffen Dritter. Entscheidend für die Qualität der polizeilichen Aufgabenerfüllung ist gut ausgebildetes und vor allem auch motiviertes Personal. Das Land braucht solche Polizeibeamten.

Lassen Sie mich mit zwei Zitaten belegen, wie sich die besorgniserregende Situation in der Polizei darstellt. Das erste Zitat entnehme ich der Stellungnahme des Senats der Fachhochschule der Polizei vom 10. August 2004 zu

der Gesetzesnovelle, die der Landtag gestern im Wesentlichen unverändert beschlossen hat.

(Herr Tullner, CDU: Das stimmt nicht!)

Darin heißt es:

„Statt eine moderne, dynamische und flexible Organisation aufzubauen, folgt man lieber dem alten und bekannten starren Organisationssystem, in dem die menschlichen Erfahrungen keine Berücksichtigung finden. In dieser hierarchischen Organisation ist der Mensch lediglich Objekt (Be- fehlsempfänger) staatlicher Verfügungen und Anweisungen. Die Verfügungs- und Entscheidungsgewalt dient allein der Erhaltung einer Hierarchie von Kontrolle und Standardisierung der obersten Verwaltungsebene. Der Mensch als Individuum bleibt auf der Strecke.“

Das sagt der Senat der Fachhochschule der Polizei. - Das zweite Zitat ist ganz kurz:

„Es herrscht eine große Demotivation unter den Mitarbeitern.“

Das ist der Gesamteindruck von Peter Nieder, Professor für Personalwesen an der Universität der Bundeswehr in Hamburg, der für das Innenministerium die Ergebnisse seiner Arbeitsplatzanalyse für unsere Landespolizei zusammengestellt hat, und zwar im Ländervergleich erschreckende Ergebnisse.

(Frau Dr. Kuppe, SPD: Das ist ja vernichtend!)

Herr Minister Jeziorsky, Sie haben bei Ihrem Amtsantritt von Ihrem Vorgänger eine gut aufgestellte Polizei übernommen.

(Zustimmung bei der SPD und bei der Linkspar- tei.PDS - Widerspruch bei der CDU und bei der FDP - Herr Kosmehl, FDP: Herr Kollege Rothe, also! - Herr Tullner, CDU: Das ist die rosarote Brille! - Herr Kosmehl, FDP: Die rot-rote Brille!)

Eine Ihrer ersten Amtshandlungen war es, im Ministerium den für die Polizei zuständigen Abteilungsleiter auszutauschen. Auf der Abteilungsleiterebene der Ministerien werden die Beamten wie Landräte besoldet und sie tragen vergleichbar große Verantwortung. Es handelt sich allerdings nicht um politische Beamte. Daher sage ich an dieser Stelle nur, Herr Minister, dass Sie sich den Führungsstil Ihres Ministerialdirigenten zurechnen lassen müssen. Sie tragen die Gesamtverantwortung.

(Zustimmung bei der SPD und bei der Linkspar- tei.PDS - Zuruf von Frau Weiß, CDU)

Sie haben es versäumt, sich in Einzelgesprächen mit den Behörden- und Einrichtungsleitern ein eigenes Bild zu machen. Es nützt wenig, bei Kreisbereisungen Runden mit einer Vielzahl von Teilnehmern zusammenzurufen, wo die eigentlichen Probleme nicht oder nur unzureichend artikuliert werden.

Es hat an wohlwollenden sachdienlichen Hinweisen nicht gefehlt. Ich erinnere an den Antrag der SPD-Fraktion zum Thema Personalentwicklung in der Landespolizei, worüber wir am 12. Juni 2003 im Plenum sehr moderat diskutiert haben, und an die Aussprache über unsere Große Anfrage im folgenden Jahr.

Als festgestellt wurde, dass wir in der Landespolizei einen exorbitant hohen Krankenstand in Höhe von fast 10 % haben, haben Sie bei Professor Nieder, der ein

Experte für betriebliches Gesundheitsmanagement ist, die Analyse in Auftrag gegeben. Das wäre für sich genommen lobenswert, wenn Sie nicht den nach der Durchführung der Mitarbeiterbefragung im Mai/Juni/Juli 2005 erstellten 65-seitigen Bericht mit dem Titel „Ergebnisse der Arbeitssituationsanalyse“ unter Verschluss genommen hätten, obwohl in dem Bericht auf die Wichtigkeit hingewiesen wird, die Mitarbeiter über die Ergebnisse zu informieren, und von sofort - bis Ende 2005 - realisierbaren Maßnahmen die Rede ist.

Herr Minister, Sie haben sich am 3. Januar 2006 mit Angaben zur Kriminalitätsstatistik an die Öffentlichkeit gewandt, obwohl zu diesem Zeitpunkt noch gar keine gesicherten Zahlen vorlagen. Ein solches Vorpreschen hat es noch nie gegeben. Sie hätten besser von sich aus den Bericht über die Ergebnisse der Arbeitssituationsanalyse vorgelegt.

(Zustimmung bei der SPD und bei der Linkspar- tei.PDS)

Als die „Mitteldeutschen Zeitung“ am 10. Januar 2006 die Öffentlichkeit von der Existenz dieses Berichtes informiert, lassen Sie erklären, derzeit werde das Führungspersonal um Stellungnahmen gebeten. - Ich habe dann auf Behördenleiterebene nachgefragt und es stellte sich heraus, dass die Polizeipräsidenten das Papier noch gar nicht kannten. Denen haben Sie es erst nach seinem Auftauchen in der Presse zugänglich gemacht.

(Frau Dr. Kuppe, SPD: Das gibt’s nicht!)

Der Inhalt ist ja auch danach. Ich greife nur ein paar Äußerungen zum Thema Vorgesetztenverhalten heraus. Da sagen Beamte, das kooperative Führungssystem werde nur in wenigen Bereichen umgesetzt. Die Fürsorgepflicht werde missachtet. Es gebe keinen Rückhalt durch Vorgesetzte. Es werde zu wenig informiert, nur kritisiert, nicht gelobt und motiviert. - Wir haben es nicht allein mit Unmutsäußerungen aus dem mittleren und gehobenen Dienst zu tun. Der Vertrauensverlust erstreckt sich auf alle Hierarchieebenen bis in die Spitze.

Die obere Führungsebene der Polizei - das ist die Ebene der Polizeipräsidenten - hat heute vor einem Jahr an einem Seminar teilgenommen, bei dem sich die größte Zahl der geäußerten Veränderungswünsche auf das Vorgesetztenverhalten bezog. Die Behörden- und Einrichtungsleiter gaben an, sie würden häufig vor vollendete Tatsachen gestellt, sie wollten als Behördenleiter stärker einbezogen werden, mehr Handlungsfreiheit, weniger „Bombenwürfe“, mehr Gelassenheit.

(Herr Tullner, CDU: Was, Bombenwürfe?)

Es wurde auf den Unterschied zwischen Auftrags- und Befehlstaktik hingewiesen.

Herr Minister, ein Beispiel für den Umgang Ihres Hauses mit dem nachgeordneten Bereich ist die Auseinandersetzung über das Thema bedarfsorientiertes Schichtdienstmanagement, kurz BSM. Frau Tiedge hat das bereits angesprochen. In der Arbeitssituationsanalyse ist dazu zu lesen, die Betroffenen klagten über ständige, auch sehr kurzfristige Veränderungen des Dienstplans ohne Rücksprache mit den Kollegen. Durch BSM seien die Dienstabteilungen aufgelöst. Es gebe keine Gruppen und keinen Zusammenhalt mehr. Die Kommunikation zwischen den Koordinatoren und den betroffenen Beamten klappe nicht. BSM könnte funktionieren, wenn die Vorschläge der Mitarbeiter berücksichtigt würden.

Sie, Herr Minister, lassen Ihren Sprecher zu diesen Vorwürfen sagen - ich zitiere die „Volksstimme“ vom 11. Januar 2006 -:

„Schuppe räumte ein, dass es in einigen Dienststellen mit dem Schichtmanagement nicht klappt. Doch das liege daran, wie gut eine Leitung arbeite. Allerdings gebe es auch subjektive Befindlichkeiten.“

Ich frage Sie, Herr Minister: Wäre es nicht angebracht einzuräumen, dass versäumt worden ist, eine geeignete Software für BSM anzuschaffen, nicht aus Finanznot, sondern aus Sorglosigkeit? Und wie wäre es, wenn man das Bedürfnis von Menschen ernst nimmt, einem überschaubaren Arbeitskollektiv anzugehören?