Protokoll der Sitzung vom 13.11.2015

darin einig, dass wir die Arbeitspflicht beibehalten wollen. - Danke.

Danke sehr, Frau Ministerin. - Es ist eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Als erste Debattenrednerin wird Frau von Angern für die Fraktion DIE LINKE sprechen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Die Änderungen der Landschaft der Justizvollzugsanstalten in Sachsen-Anhalten - das ist schon benannt worden - sind inzwischen auch mit unseren Stimmen auf den Weg gebracht worden. Die Strukturen stehen damit, zumindest vorerst. Ich sage ganz ausdrücklich für meine Fraktion: Wir hätten vor der Entscheidung über die Strukturen lieber über die Inhalte geredet und hierüber beschlossen, weil es aus unserer Sicht nicht zu einem Sachzusammenhang in dieser Art und Weise führen sollte.

Nun wird mit dem heutigen Tag immerhin neun Jahre nach der Föderalismusreform erstmalig auf der Landesebene in Sachsen-Anhalt der Strafvollzug auch inhaltlich geregelt. Dass damit tatsächlich Weichen für einen modernen Strafvollzug in Gänze gestellt werden, mag ich zumindest anzweifeln.

Wie ich bereits in meiner Rede bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfes erwähnte, weicht der vorliegende Gesetzentwurf an einigen Stellen und an für meine Fraktion wichtigen Stellen vom bisherigen Musterentwurf der Bundesländer deutlich ab. Mir sind dabei insbesondere zwei Punkte wichtig, bei denen es deutliche Differenzen zu anderen Bundesländern gibt.

Leider wurden im Prozess der parlamentarischen Beratung diesbezüglich keine Änderungen vorgenommen. Ein Änderungsantrag meiner Fraktion, gestellt im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung, fand keine Mehrheit.

Strafgefangene werden zunächst grundsätzlich im geschlossenen Vollzug untergebracht, um ihre Eignung für den offenen Vollzug sachgerecht prüfen zu können, und Sachsen-Anhalt - darauf bezog sich unser Änderungsantrag - behält die Arbeitspflicht für erwachsene Strafgefangene und Jugendliche im Justizvollzug bei.

Diese gesetzliche Regelung ist für meine Fraktion von grundlegender Bedeutung und Entscheidung und kann so nicht mitgetragen werden. Deshalb haben wir im Ausschuss auch einen entsprechenden Änderungsantrag gestellt, der von der Mehrheit der Ausschussmitglieder leider abgelehnt wurde.

Wir vertreten dabei folgende Auffassung: Arbeit muss dem Angleichungsgrundsatz Rechnung tragend freiwillig sein. Von der Aufnahme einer allgemeinen Arbeitspflicht für Straf- und Jugendstrafgefangene soll unserer Ansicht nach abgesehen werden, da stattdessen der gezielte Einsatz individueller Arbeitsmaßnahmen, welcher der Resozialisierung stärker Rechnung trägt, im Vordergrund stehen muss.

Auch wenn Arbeit im Gegensatz zu Arbeitstraining und arbeitstherapeutischen Maßnahmen keiner spezifisch behandlerischen Zielsetzung dient, so werden hierdurch doch positive Effekte für die Resozialisierung und die Eingliederung erzielt, da die Gefangenen einen strukturierten, ausgefüllten Tag haben und ihre Arbeit als sinnvoll erleben; zumindest darin sehe ich durchaus Einigkeit in unserem Ansinnen.

Mit Blick auf die Erfahrungen in Mecklenburg Vorpommern und Brandenburg kann ich uns alle nur dazu ermuntern, diesen Weg zu gehen. Dort wird diese Praxis mit Erfolg, mit einer hohen Arbeitsquote - dabei teile ich ausdrücklich nicht die Ausführungen der Frau Ministerin - und vor allem nachhaltig, weil sie von Anfang an am Resozialisierungsziel orientiert ist, ausgeübt.

Sollte unser Änderungsantrag wie schon im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung keine Mehrheit finden, werden wir daher und auch mindestens aus einem weiteren Grund den vorliegenden Gesetzentwurf ablehnen.

Eine weitere Fehlausrichtung sehen wir in dem Versuch, vollzugsöffnende Maßnahmen durch den Einsatz der sogenannten elektronischen Fußfessel in ihrer Anwendung zu erhöhen. Grundsätzlich: Ja, wir haben ein erhebliches Problem bei den Lockerungsmaßnahmen und bei der Auslastung des offenen Vollzugs in Sachsen-Anhalt, und, ja, es besteht dringender Handlungsbedarf - im Übrigen auch zum nachhaltigen Schutz der Bevölkerung.

Im Vergleich zu allen anderen Ländern befinden wir uns hier jeweils im letzten Drittel. Ich kann auch hierzu nur sagen: Schauen wir auf ein Land wie Brandenburg, das sehr gute Erfahrungen gemacht hat, das sehr viel mutiger ist beim Ausspruch von Lockerungsmaßnahmen und das damit eben nicht etwa mehr schlechte Erfahrungen macht als wir.

Sehr geehrte Damen und Herren! Es stört Sie ganz offenbar, dass die Vollstreckungskammer in Stendal das Mittel der elektronischen Fußfessel nicht zum Einsatz bringt. Doch anstatt solche Schlupflöcher beim Richtervorbehalt gesetzlich zu normieren, sollten Sie vielleicht lieber einmal fragen, warum die Richterinnen und Richter dies so tun. Ich kann dazu nur auf meinen Redebeitrag zur elektronischen Fußfessel verweisen, über die wir hier schon diskutiert haben, in dem ich be

reits die Unsinnigkeit dieses Instruments dargestellt habe.

Abschließend noch ein Wort zum Thema Einzelunterbringung, das uns in der vergangenen Ausschusssitzung noch einmal beschäftigt hat. Ja, es gibt dank der Beschlussfassung auch mit unseren Stimmen im Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung eine Abmilderung der Übergangsvorschrift zur Einzelunterbringung. Doch auch das ist nicht das, was aus meiner Sicht einem menschenwürdigen Strafvollzug entspricht, der natürlich auch den Auftrag hat, das Gewaltpotenzial im Vollzug zu minimieren.

Daher sage ich es deutlich: Wir werden den Gesetzentwurf heute, in der zweiten Lesung, ablehnen. - Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Frau Kollegin von Angern. - Als nächster Debattenredner wird Herr Dr. Brachmann für die SPD sprechen.

Zuvor möchten wir Studentinnen und Studenten der Fachschule für Agrarwirtschaft Haldensleben bei uns begrüßen. Seien Sie recht herzlich willkommen!

(Beifall im ganzen Hause)

Herr Brachmann, Sie haben das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Weiterentwicklung des Justizvollzugs bringen wir das letzte große Projekt der Rechts- und Justizpolitik in dieser Legislaturperiode zu Ende.

Gesetzgeberisch haben wir den Justizvollzug auf ein neues Fundament gestellt. Ich will daran erinnern: Jugendstrafvollzugsgesetz, Untersuchungshaftvollzugsgesetz, Gesetz zum Vollzug der Sicherungsverwahrung. Was fehlte, war die gesetzliche Regelung für den Erwachsenenvollzug. Diese liegt Ihnen nunmehr vor. Dass das Ministerium diese Gelegenheit genutzt hat, mit dem Entwurf gewissermaßen - es ist gesagt worden - eine Kodifikation vorzulegen, die alle Bereiche umfasst, ist, denke ich, ein guter Weg.

Mit Blick in die Koalitionsvereinbarung können wir sagen, wir haben geliefert. Die Koalitionsvereinbarung ist an dieser Stelle abgearbeitet und erfüllt worden. Es ist mir wichtig, mich beim Ministerium, bei unserer Ministerin für die über die Jahre kontinuierliche Arbeit auf diesem Feld zu bedanken.

Ich werde heute nicht noch einmal die Grundzüge aufzeigen - das habe ich bei der Einbringung des

Gesetzentwurfes getan -, wie ein konsequent auf Resozialisierung ausgerichteter Justizvollzug auszusehen hat. Ich möchte nur noch einmal auf das Grundproblem aufmerksam machen, nämlich darauf, dass der Justizvollzug jedenfalls bislang nicht die Ergebnisse erreicht, was die Rückfallquote anbelangt, wie wir es aus anderen europäischen Ländern, insbesondere den skandinavischen, kennen. Auch innerhalb der Länder der Bundesrepublik gibt es dabei schon Unterschiede.

Es muss uns künftig besser gelingen, die Gefangenen während der Haftzeit so zu fördern, dass diese nach der Haftentlassung wirklich in der Lage sind, durch soziale Eingliederung ein Leben ohne weitere Straftaten zu führen.

Ein konsequent auf eine straffreie Zukunft des Betroffenen ausgerichteter Justizvollzug ist zugleich - auch darin kann ich meiner Ministerin beipflichten - ein konsequenter Opferschutz. Der Staat erfüllt damit in wirksamer Weise seine Schutzpflicht gegenüber den Bürgern.

Das Gesetz schafft, wie gesagt, die rechtliche Grundlage, um zu einer neuen Vollzugsphilosophie zu gelangen. Das allein genügt aber nicht. Wir müssen auch die sachlichen und personellen Voraussetzungen dafür vorhalten, damit dieses Gesetz mit Leben erfüllt werden kann.

Das sind zum einen die Haftanstalten. Haftanstalten, in denen das Licht nur durch eine Lichtzeile oben in den Haftraum hineingelangt, passen nicht mehr in unsere heutige Zeit.

Zum anderen ist der Justizvollzug auch personell - ich wiederhole mich an dieser Stelle gegenüber früheren Debatten - auf Kante genäht. Wenn es bei den Zielzahlen des PEK bleibt, wird es nicht besser gelingen, das Vollzugsziel - ich habe es bereits zitiert - zu erfüllen.

Noch einige Gedanken zur Arbeitspflicht, Frau von Angern. Es ist gesagt worden, der Mustergesetzentwurf, der auch Grundlage für das Gesetzgebungsverfahren in Sachsen-Anhalt war, sah das zunächst nicht vor. Die Länder haben es aber unterschiedlich umgesetzt. Es gibt eine ganze Reihe von Ländern, die aus guten Gründen bei der Arbeitspflicht geblieben sind.

Ich kann der Ministerin beitreten - Sie haben noch einmal nachgefragt -: Es sind in der Tat zwei unterschiedliche Paar Schuhe, zum einen die Arbeitsquote im Vollzug und zum anderen die Frage, ob wir die Arbeit auch im Sinne der sozialen Integration als Pflicht im Justizvollzug normieren.

Als ich dazu noch einmal nachgelesen habe, bin ich auf Michael Hinrichsen gestoßen. Das ist der Vorsitzende des Bundes des Strafvollzugsbediensteten in Schleswig Holstein. Er hat zu dieser Frage einmal Folgendes formuliert:

„Der Strafvollzug koste in etwa die Lohnsteuer von 700 000 Arbeitnehmern.“

„Wie kann der Strafvollzug auf Akzeptanz hoffen, wenn sich so viele Menschen dafür krumm machen - und Gefangene nicht zur Arbeit verpflichtet werden?“

Auch diese Sichtweise gilt es zu respektieren. Insoweit, Frau von Angern, werden wir auch heute Ihren Änderungsantrag ablehnen und der Beschlussempfehlung zustimmen. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Zustimmung bei der SPD)

Danke sehr, Herr Kollege. - Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN spricht der Abgeordnete Herr Herbst.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprachen heute bereits umfangreich über Straftaten. Wir können uns also sicher sein, dass auch in Zukunft genügend Klienten da sein werden, die unsere Justizvollzugslandschaft von innen kennenlernen.

Heute geht es aber um die Ausgestaltung unseres Justizvollzugs. Der Titel des Gesetzentwurfs, der eine Weiterentwicklung verspricht, gibt einen Hinweis darauf, welche Intentionen sich die Landesregierung mit ihrem Gesetzentwurf versprochen hat.

Eine entscheidende Weiterentwicklung besteht im Wesentlichen darin, dass der Gesetzentwurf das Ziel vorgibt, die Wiedereingliederung der Strafgefangenen in die Gesellschaft von Beginn an in den Vordergrund zu rücken. Wir halten das für außerordentlich wichtig; denn im Moment sehen wir, dass wir gerade auf dem Gebiet der Resozialisierung im Land Sachsen-Anhalt noch tatsächliche Defizite haben.

Wir dürfen nie außer Acht lassen, dass die Sicherheit der Bevölkerung und die Resozialisierung der Gefangenen zwei gleichwertige Ziele des Strafvollzugs sind. Aber während der Haftzeit ist die Sicherheit der Bevölkerung eben nur eine Sicherheit auf Zeit. Wir müssen daran arbeiten - das ist die eigentliche Herausforderung -, dass daraus eine Sicherheit auf Dauer wird. Das geht, meine Damen und Herren, nur durch Resozialisierung.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Klar ist doch: Die Arbeit mit den Gefangenen lohnt sich, wenn sie richtig geschieht, und zwar mehr als jede Investition in mehr Sicherheit. Wenn man

grundsätzlich von der Vernunftbegabung jedes einzelnen Menschen ausgeht, dann impliziert das doch auch, dass sich die Einstellung eines jeden Menschen ändern kann. Ob durch das neue Gesetz tatsächlich dieses Ziel erreicht werden kann, ist fraglich. Ich würde es so sagen: Der Auftrag stimmt, aber der Auftragnehmer, also das Land, muss die richtige Werkzeuge mitbringen.

Das neue Gesetz bietet einen Werkzeugkoffer voller Angebote. Unser Problem ist, dass wir weiterhin mit zu wenig Personal auf der Baustelle unterwegs sind. Auf den Menschen kommt es an, und zwar auf beiden Seiten der Zellentür. Zu keinem Zeitpunkt, meine Damen und Herren, hat sich die Justizministerin getraut, diese wirklich heiße „Personalkartoffel“ anzupacken.

Nichts hat sich in dieser Legislaturperiode daran geändert, dass unser Personal im Justizvollzug zahlenmäßig zu wenig, überaltert und überdurchschnittlich oft krank ist. Diese Spirale muss mittelfristig durchbrochen werden, wenn dieses neue Gesetz seine Wirkung entfalten soll. Dies wird aber eine Frage sein, mit der sich ein neuer Landtag und eine neue Landesregierung beschäftigen müssen.