Protokoll der Sitzung vom 20.09.2012

Rehabilitation und Entschädigung der nach 1945 aufgrund des § 175 in Deutschland Verurteilten

Antrag Fraktion DIE LINKE - Drs. 6/807

Beschlussempfehlung Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung - Drs. 6/1330

Die erste Beratung fand in der 19. Sitzung des Landtages am 23. Februar 2012 statt. Berichterstatter ist der Abgeordnete Herr Borgwardt.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion DIE LINKE ist in der 19. Sitzung des Landtages am 23. Februar 2012 in den Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung überwiesen worden. Die Beratung

des Antrages fand in der 16. Sitzung des Ausschusses am 20. Juli 2012 statt.

Die Fraktion DIE LINKE forderte die Landesregierung in ihrem Antrag auf, im Bundesrat eine Initiative mit dem Ziel der Rehabilitierung und Entschädigung der nach den §§ 175 und 175a StGB sowie nach den §§ 175 und 175a oder nach § 151 des Strafgesetzbuches der DDR verurteilen Menschen zu ergreifen. Der Antrag auf eine Bundesratsinitiative wurde seitens der Fraktion DIE LINKE durch mehrere Eckpunkte, in denen die Bundesregierung tätig werden soll, konkretisiert.

Neben dem Antrag der Fraktion DIE LINKE lag dem Ausschuss ein Beschlussvorschlag der Fraktionen der CDU und der SPD vor. Die Landesregierung wird darin aufgefordert, sich im Bundesrat der Initiative des Landes Berlin zur Ergreifung von Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten anzuschließen.

Die Vertreterin der Fraktion DIE LINKE führte aus, ihre Fraktion habe die Absicht verfolgt, den überwiesenen Antrag zur Grundlage einer Beschlussempfehlung zu machen. Aus der Sicht der Fraktion DIE LINKE sei die vom Land Berlin eingebrachte Initiative nicht weitgehend genug. So beinhalte der Antrag der Fraktion DIE LINKE konkrete Vorstellungen, zum Beispiel hinsichtlich der Entschädigung der Betroffenen.

Die Fraktion der CDU hielt fest, dass zunächst eine intensive Prüfung der mit dem Thema verbundenen rechtlichen Aspekte vorgenommen werden müsse, um zu ermitteln, inwieweit eine Lösung für das in Rede stehende Problem gefunden werden könne. Die Fraktion der CDU sprach sich deshalb dafür aus, zunächst die Bundesratsinitiative des Landes Berlin zu unterstützen und eine intensive Prüfung der Lage vorzunehmen.

Die Fraktion der SPD ergänzte, zu dem Thema, zu dem die Landesregierung laut dem Antrag der Fraktion DIE LINKE eine Bundesratsinitiative ergreifen solle, liege inzwischen eine Initiative des Landes Berlin vor. Die Grundintention der Koalitionsfraktionen sei es, die Grundlage für eine entsprechende politische Entscheidung aufzubereiten. Dies könne weder ein Bundesland allein noch der Bundesrat leisten. Diese Aufgabe sei von der Bundesregierung wahrzunehmen.

Im Ergebnis der Beratung schloss sich der Ausschuss für Recht, Verfassung und Gleichstellung mehrheitlich dem Vorschlag der Koalitionsfraktionen an und beschloss die Ihnen vorliegende Beschlussempfehlung mit 9 : 0 : 4 Stimmen.

Ich bitte das Hohe Haus, diese Beschlussempfehlung anzunehmen. - Herzlichen Dank.

(Zustimmung bei der CDU und bei der SPD)

Danke sehr für die Berichterstattung. - Für die Landesregierung spricht Frau Ministerin Professor Dr. Kolb.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich möchte es angesichts der fortgeschrittenen Zeit auch relativ kurz machen, da wir uns im Ausschuss darüber einig waren, dass den Opfern derart diskriminierender Strafverfolgungsmaßnahmen Unterstützung und, wenn rechtlich möglich, Rehabilitation gewährt werden muss.

Wir haben aber auch festgestellt, dass es sich um rechtlich sehr schwierige Fragen handelt. Insbesondere das Spannungsfeld von Verfassungsrecht und Strafrecht spielt hierbei eine entscheidende Rolle. Wir haben festgestellt, dass wir diese rechtlichen Fragen nur unzureichend bewerten können, weil es uns auch an empirischen Daten und Informationen fehlt.

Insoweit möchten wir uns der Bundesratesinitiative Hamburgs anschließen, die den eindeutigen Appell an die Bundesregierung zum Inhalt hat, empirische Untersuchungen durchzuführen und die Rechtsfragen gründlich zu klären. Dafür spricht auch die Tatsache, dass es derartige Sachverhalte nicht nur in Sachsen-Anhalt, sondern auch in allen anderen Bundesländern gibt. Diese müssen einheitlich bewertet werden.

Deshalb werden wir über den Bundesrat, möglicherweise auch über die zuständigen Ministerkonferenzen, versuchen, dieses Thema weiterhin in der Diskussion zu halten.

Dass eine Beschlussempfehlung des Ausschusses vorliegt, bedeutet nicht, dass wir uns jetzt zurückziehen und uns nicht weiter mit dem Thema befassen. Wir werden uns intensiv in die Diskussion einbringen, aber erst dann, wenn wir auf gesicherter Grundlage bewerten können, ob wir die Dinge tatsächlich rechtlich regeln können.

In diesem Sinne bitte ich auch um Zustimmung zu der Beschlussempfehlung. - Vielen Dank.

(Zustimmung bei der SPD und bei der CDU)

Danke sehr, Frau Ministerin. - Es ist eine Debatte mit drei Minuten Redezeit je Fraktion vereinbart worden. Für die Fraktion DIE LINKE spricht die Abgeordnete Frau von Angern.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Nach Nordrhein-Westfalen und Hessen entschließt sich infolge des Antrages

der Fraktion DIE LINKE vom 23. Februar 2012 heute auch Sachsen-Anhalt, sich im Bundesrat der Initiative des Landes Berlin für Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung der nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten anzuschließen.

Aus der Sicht der Betroffenen ist es durchaus ein großer Schritt, den viele zwischenzeitlich sicherlich für unmöglich erachtet haben. Meine Fraktion verfolgt jedoch mit dem von ihr gestellten Antrag mehr als das, was heute in der Beschlussempfehlung geschrieben steht. Aus unserer Sicht ist die vom Land Berlin eingebrachte Initiative nicht weitgehend genug.

Wir haben in unserem ursprünglichen Antragstext ganz bewusst nicht nur relativ pauschale Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung der nach 1945 Verurteilten gefordert. Uns war es wichtig, dass schon im Bundesrat die ersten ganz konkreten Weichen gestellt werden: erste Weichen für ein Gesetz, das zur Aufhebung von Urteilen führt und deren zugrunde liegenden Verfahren einstellt; erste Weichen auch für eine Entschädigung der Betroffenen, deren Höhe mindestens der Entschädigung entspricht, die im Gesetz für die Entschädigung von Strafverfolgungsmaßnahmen festgelegt ist; erste Weichen hinsichtlich der Regelung von Fristen; erste Weichen aber auch für die Einsetzung einer Kommission, die sich der Aufarbeitung unserer gemeinsamen Geschichte widmet.

Man könnte diese Reihe noch fortsetzen, doch dafür fehlt heute die Zeit. Außerdem findet sich momentan keine Mehrheit dafür hier im Hause. Ich denke, das ist bedauerlich für die Betroffenen.

Dennoch wird meine Fraktion heute der vorliegenden Beschlussempfehlung zustimmen, und zwar deshalb, weil die Berliner Initiative der kleinste gemeinsame Nenner der demokratischen Parteien in Deutschland ist. Ich denke, diese Initiative muss aufgegriffen und zeitnah umgesetzt werden.

(Beifall bei der LINKEN - Zustimmung von Frau Lüddemann, GRÜNE)

Außerdem möchte ich meine Redezeit noch dafür nutzen, den im Rechtsausschuss des Hessischen Landtages mit den Stimmen aller Fraktionen verabschiedeten Beschlusstext, der über unseren Beschluss hinausgeht, hier vorzustellen:

Erstens. Der Hessische Landtag bedauert, dass der § 175 StGB in seiner nationalsozialistischen Fassung bis 1969 unverändert in Kraft geblieben ist. Er ist in diesem Zusammenhang davon überzeugt, dass die Ehre der homosexuellen Opfer wiederhergestellt werden muss.

Zweitens. Der Hessische Landtag entschuldigt sich für die strafrechtliche Verfolgung homosexueller Bürger, die hierdurch in ihrer Menschenwürde, in

ihrer Entfaltungsmöglichkeit und in ihrer Lebensqualität empfindlich beeinträchtigt wurden.

Die Fraktion DIE LINKE begrüßt und unterstützt diese Entschuldigung ganz ausdrücklich. - Vielen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der LINKEN)

Danke sehr, Frau von Angern. - Für die SPD-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Rothe.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht, Verfassung und Gleichstellung entspricht nicht wortwörtlich dem Ursprungsantrag der Fraktion DIE LINKE vom 14. Februar 2012. Die Beschlussempfehlung orientiert sich an der Initiative des Landes Berlin.

Dem Antrag in der Bundesratsdrucksache 241/12 vom 27. April 2012 hat sich ganz schnell Hamburg als Mitantragsteller angeschlossen. Dieser Entschließungsantrag lautet:

„Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, Maßnahmen zur Rehabilitierung und Unterstützung für die nach 1945 in beiden deutschen Staaten wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen Verurteilten vorzuschlagen.“

In beiden Antragsvarianten ist von der Rehabilitierung der verurteilten Menschen die Rede. Der Unterschied liegt in der Wahl des Wortes „Unterstützung“ statt des Wortes „Entschädigung“. Das sollte man aber nicht überbewerten.

Es freut mich, Frau von Angern, dass Ihre Fraktion trotz dieser geringfügigen Abweichung von Ihrem Antrag heute die Beschlussempfehlung des Ausschusses mitträgt.

Der Grund der Änderung der Wortwahl, die schon in Berlin nach einem gleichlautenden Antrag der Fraktion DIE LINKE erfolgte, ist aus meiner Sicht der Respekt vor der Justiz. Die Gerichte sind an die Gesetze gebunden. Das sollten wir im Umgang mit einer Rechtsprechung, die den damaligen Vorgaben des Gesetzgebers entsprach, berücksichtigen.

Wenn man über den Bundesrat etwas erreichen will, ist es sinnvoll, sich mit anderen Ländern zusammenzutun. Auch deshalb orientiert sich der Wortlaut unserer Beschlussempfehlung an der Berliner und Hamburger Initiative und nimmt darauf Bezug.

Der Bundesrat hat den Antrag in seiner Sitzung am 11. Mai 2012 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuss und zur Mitberatung an den Ausschuss für Familie und Senioren überwiesen.

Im Rechtsausschuss des Bundesrates wird der Antrag am 26. September 2012 auf der Tagesordnung stehen.

Der Berliner Initiative hat sich in der vergangenen Woche - Frau von Angern erwähnte es bereits - auch ein Ausschuss des Hessischen Landtages angeschlossen. Im Düsseldorfer Landtag ist letzte Woche ebenfalls die Zustimmung zu der Initiative erfolgt. Am Tag vorher, am 12. September, hat dort Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in ihrer ersten Regierungserklärung nach der Landtagswahl gesagt - ich zitiere -:

„Ein Klima der Offenheit und Akzeptanz zeigt sich auch im Umgang mit Menschen unterschiedlicher sexueller Identität. Wir werden deshalb im Rahmen der Kampagne ‚anders und gleich - Nur Respekt Wirkt’ jeder Form von Homo- und Transphobie entschieden entgegenwirken.“

Erinnern möchte ich auch an den Antrag der GRÜNEN im Bundestag; das wird Frau Lüddemann gleich auch noch tun.

(Zuruf von Frau Lüddemann, GRÜNE)

Es gibt also Initiativen sowohl aus dem Bundesrat als auch aus dem Bundestag mit der gleichen Zielrichtung zu demselben Thema. Von daher kann ich es mir gut vorstellen und wünsche es mir, dass es bis zum Ende der laufenden Wahlperiode des Bundestages zu einer wirksamen Beschlussfassung kommt. - Vielen Dank.