Sehr geehrten Damen und Herren! Ich eröffne die 64. Sitzung des Abgeordnetenhauses von Berlin und begrüße Sie, unsere Gäste und Zuhörer sowie die Medienvertreter sehr herzlich.
Vor zwanzig Jahren, am 6. Mai 1990, bestimmten die Berlinerinnen und Berliner im Ostteil der Stadt erstmals wieder in freien, geheimen und gleichen Wahlen ihr Parlament, die Stadtverordnetenversammlung.
Mit der ersten freien Wahl der Stadtverordnetenversammlung nach dem Ende der SED-Herrschaft legten die OstBerlinerinnen und Ost-Berliner am 6. Mai 1990 ein klares Bekenntnis zu Freiheit und Demokratie ab. Der Termin war zur Erinnerung an die letzte Kommunalwahl in der DDR am 6. Mai 1989 gewählt worden. Bei dieser letzten Einheitslistenwahl hatten mutige Frauen und Männer durch ihre Anwesenheit in den Wahllokalen und durch Zählen der Stimmen nachgewiesen, dass die Wahlen massiv gefälscht worden waren. Das war ein Signal zum Aufbruch in die friedliche Revolution.
Die ersten freien Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung von Ostberlin nach dem Ende der SED-Herrschaft waren ein Meilenstein auf dem Weg zur Einheit unserer Stadt. Die Berlinerinnen und Berliner im Ostteil schafften bei dieser Wahl die Voraussetzungen für die Bildung einer Berliner Doppelspitze aus einem demokratisch legitimierten Magistrat und dem Senat, die in die Geschichte der Stadt als der „Magi-Senat“ einging. Am 30. Mai 1990 nahm in Ost-Berlin der von der Stadtverordnetenversammlung demokratisch gewählte Magistrat seine Arbeit auf. In der Folgezeit wurde die Verwaltung in den beiden Stadthälften angeglichen und auch die beiden Parlamente – Abgeordnetenhaus und Stadtverordnetenversammlung – arbeiteten parallel und doch zusammen.
Was die überwiegend neu gewählten Ostberliner Stadtverordneten einzubringen hatten, erfüllte alle mit Selbstbewusstsein und Stolz: die Kraft und die Energie einer erfolgreichen und friedlichen Revolution. Das System der DDR war endgültig zusammengebrochen. Der friedliche Protest hatte die Stasi, die Mauer und die SED besiegt. Überall in der DDR wollten Bürgerinnen und Bürger sich nicht mehr der Diktatur fügen. Sie wollten die Freiheit, die für die westliche Welt ganz selbstverständlich war. Sie wollten eine andere Gesellschaftsordnung.
Die Zusammenarbeit der Abgeordneten im Ostteil und der im Westteil war von Anfang an produktiv. Es war schon bei der Wahl klar, dass die Einheit Deutschlands und Berlins kommen würde. Die beiden Parlamente haben sich, um die schwierige Aufgabe des Zusammenwachsens der beiden Stadthälften besser bewältigen zu können, abgestimmt und gemeinsam gehandelt. Vorerst ging es für die Stadtverordnetenversammlung darum, die demokrati
Der verstorbene unvergessene Oberbürgermeister in Ostberlin, Tino Antoni Schwierzina, und die damalige Präsidentin der Stadtverordnetenversammlung Dr. Christine Bergmann und alle Fraktionen waren sich in dem Ziel einig: Die errungene Freiheit und die Demokratie sollten so schnell wie möglich umgesetzt und die Einheit vorbereitet werden. Tino Schwierzina wollte sein Amt so schnell wie möglich überflüssig machen, wie er selbst sagte, zugunsten nur eines Regierenden Bürgermeisters für die ganze Stadt Berlin.
Die Bürger des Ostteils Berlins und der DDR hatten schon am 18. März 1990 ihre Entscheidung mit der Wahl zur neuen Volkskammer eindeutig getroffen. Aber die Kommunalwahlen vom 6. Mai 1990 brachten eindrucksvoll die Bestätigung und die Bekräftigung dieses Weges zu Demokratie und Freiheit und zur Einheit Deutschlands.
Mit 22 Sitzungen in rund sechs Monaten legte sich die Stadtverordnetenversammlung ein sehr großes Pensum auf. Angesichts der schier erdrückenden Fülle von Aufgaben, die in dieser Umbruchszeit zu erfüllen waren, gab es tatkräftige Verwaltungshilfe aus dem Westteil der Stadt. Auch unsere Abgeordnetenhausverwaltung war mit ihren engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Aufbauhelfer Ost beteiligt.
Die größte Leistung der neu gewählten Stadtverordnetenversammlung war eine eigene sehr soziale und liberale Verfassung für Ostberlin. Das war ein wichtiger emanzipatorischer Prozess, der im Angesicht der zu erwartenden Einheit bewusst als Akt der Selbstverständigungen angepackt wurde. Die an die alte Berliner Landesverfassung von 1951 angelehnte Verfassung war doch eine eigenständige Schöpfung in kurzer Zeit. Eine großartige Leistung, die unsere heutige gemeinsame Verfassung für das geeinte Berlin an vielen Stellen entscheidend beeinflusst hat. Das war der Erneuerungsschub, den die Stadtverordnetenversammlung 1990/1991 in die staatsrechtliche Vereinigung einbrachte. Das war die Basis dafür, dass später beide Seiten die Einheit Berlins von gleich zu gleich, eben auf gleicher Augenhöhe gestalten konnten, so wie es in Berlin von beiden Seiten von vornherein beabsichtigt war.
Heute nach 20 Jahren erscheint uns die Einheit Berlins ganz selbstverständlich. Trotzdem ist es wichtig, dass wir die bedeutenden Tage in der Geschichte unseres Landes markieren und uns – wie am heutigen Tag – in Berlin an das Ereignis dieser besonderen Kommunalwahl erinnern.
Natürlich ist der langsame und mühevolle Prozess des geduldigen Aufeinanderzugehens und des Zusammenwachsens von Ost und West noch nicht zu einem Abschluss gekommen. Darüber hinaus müssen neue Herausforderungen bewältigt werden, denen wir uns zu stellen haben. Viele Namen der damaligen Ostberliner Stadt
verordneten sind uns bekannt geblieben. Einige sitzen heute unter uns: Frau Senatorin Carola Bluhm, der Abgeordnete Wolfgang Brauer, der Abgeordnete Ralf Hillenberg, Frau Abgeordnete Martina Michels, der Abgeordnete Peter-Rudolf Zotl. Sie sind Elemente der Kontinuität der Entwicklung unserer Stadt.
Der kurze Rückblick auf unsere Geschichte zeigt, dass der 6. Mai 1990 ein Tag des Triumphes von Demokratie und Freiheit war. Wenn wir uns alle an die Leistungen der demokratischen Stadtverordnetenversammlung erinnern, haben wir allen Grund, für die Zukunft optimistisch zu sein. In diesem Sinne: Packen wir es an! – Ich danke Ihnen!
Ich begrüße Herrn Abgeordneten Jotzo als neuen parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion der FDP – auf gute Zusammenarbeit!
Ich habe sodann Geschäftliches mitzuteilen. Zunächst die Änderung einer Ausschussüberweisung: Der Antrag der Fraktion der CDU – Schlussfolgerung aus dem Skandal um die Treberhilfe –, Drucksache 16/3065, wurde in der 61. Sitzung am 25. März 2010 an den Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales überwiesen. Nunmehr soll auch die Beratung im Hauptausschuss erfolgen. – Widerspruch dazu höre ich nicht, dann ist die zusätzliche Überweisung so beschlossen.
1. Antrag der Fraktion der SPD und der Linksfraktion zum Thema: „1. Mai 2010 – großer Erfolg der Zivilgesellschaft gegen Neonazis und Randale-Ritual!“,
2. Antrag der Fraktion der CDU zum Thema: „Charité und ICC, A 100 und Ladenöffnung Hauptbahnhof, Brandbriefe als Ersatz für Bildungspolitik, kein Konzept für Tempelhof und roter Filz – Berlin braucht keinen Stillstand, sondern einen Neuanfang und einen Aufbruch!“,
3. Antrag der Fraktion der Grünen zum Thema: „1. Mai nazifrei! Danke an alle, die friedlich auf die Straße gegangen sind!“,
4. Antrag der Fraktion der FDP zum Thema: „Quo vadis Gesundheitsstandort Berlin? Der Senat muss ein zukunftsfähiges Gesamtkonzept für den Wachstumsbereich Gesundheitswirtschaft und die Dauerbaustellen Vivantes, Charité und Co. präsentieren!“
Zur Begründung der Aktualität erteile ich für die Koalitionsfraktionen Herrn Abgeordneten Wolf das Wort. – Bitte schön!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wäre der 1. Mai anders verlaufen, ich bin mir sicher, die CDU hätte heute vehement dafür plädiert, dazu in der Aktuellen Stunde zu sprechen. Sie hätten den Rücktritt des Innensenators gefordert, Sie hätten vielleicht die Ablösung des Polizeipräsidenten gefordert, ganz sicher hätten Sie wieder eine Verschärfung des Demonstrationsrechts gefordert – und jetzt zeigen Sie mit der Beantragung Ihrer Aktuellen Stunde, dass Sie gar kein Thema haben.
Dass Sie nach dem Motto beantragen: Wir reden über alles und nichts! Herr Henkel! Wenn Sie für die Aktuelle Stunde kein richtiges Thema haben – man muss hier nicht sprechen, vielleicht wäre es klüger, Sie würden schweigen.
Wir haben ein aktuelles Thema: Der diesjährige 1. Mai war überaus erfolgreich, er war ein erfolgreicher Tag für die Demokratie!
Er war ein erfolgreicher Tag für den DGB, die Berliner Zivilgesellschaft, die Pankower und Kreuzberger Bürgerinnen und Bürger, die Berliner Polizei und den Innensenator.
Es war ein ganz mieser Tag für Neonazis und für all diejenigen, die sinnlose Gewalt für richtig oder sinnvoll halten.
Darüber wollen wir reden, und wir wollen darüber reden, weil wir wissen, dass der Weg zu diesem Erfolg eine ganz schwierige Gratwanderung war. Weil wir wissen, dass die Polizei nach Recht und Gesetz im Grundsatz das Demonstrationsrecht auch für die Feinde der Demokratie gewährleisten muss. Und weil wir zugleich wissen und der festen Überzeugung sind, dass Demokratinnen und Demokraten nicht tatenlos zuschauen dürfen, wenn Nazis marschieren.
Deshalb war der Aufruf des breiten Bündnisses zum friedlichen zivilen Ungehorsam – den nicht wenige Abgeordnete dieses Hauses auch unterzeichnet haben –, der Aufruf zur Blockade des Naziaufmarsches eine große und schwierige Herausforderung für die Polizei. Wir wussten auch – egal ob Sozialdemokraten, Grüne oder Linke –, dass wir dabei ein politisches Risiko eingehen, wenn wir diesen Aufruf unterzeichnen. Gerade angesichts der hochgeschaukelten Gewaltdiskussion im Vorfeld, die selbstverständlich auch einen Widerhall bei der Berliner Polizei hatte. Es war richtig, dieses Risiko einzugehen!
Viele Tausend Menschen haben sich friedlich, aber konsequent dem Naziaufmarsch entgegengestellt. Diese vielen Tausend Menschen haben Mut und Zivilcourage bewiesen, sie haben Werbung für die Stadtgesellschaft in Berlin gemacht.
Schon am 1. Mai selbst wurde in Naziforen im Internet der eigene Naziaufmarsch als Flop bezeichnet. Berlin gilt für die Naziszene wieder als Auswärtsspiel, und das hätte kein staatliches Handeln alleine geschafft. Das haben Tausende Berlinerinnen und Berliner geschafft – 800 Meter Demonstration in vier Stunden, dann war Schluss für die Nazis! Dafür ist allen Beteiligten herzlich zu danken!
Selbstverständlich wollen wir auch darüber sprechen, dass das Myfest in Kreuzberg wieder eine großartige Veranstaltung war – mit Politik, Musik und vor allem einer heiteren Gelassenheit, trotz der vielfältigen Befürchtungen im Vorfeld. Sie und ich wissen, dass es – angesichts der Horrorszenarien, die im Vorfeld gemalt wurden – nicht so leicht war, sich diese heitere Gelassenheit zu bewahren. Der Kollege Freiberg von der GdP hatte ganz oben in der Katastrophenskala angesetzt, da wurde über mögliche Todesopfer spekuliert. Man hätte das als Entgleisung eines Einzelnen abtun können, aber die Blutrünstigkeit, mit der dieses Bild von manchen aufgegriffen und weitergetragen wurde, war schon wirklich abstoßend.
Wenn Debatten so geführt werden, dann ertappen sich auch die sachlichsten und besonnensten Gemüter irgendwann dabei, wie sie solche Katastrophenszenarien gedanklich durchspielen. Umso höher ist die Besonnenheit der Berliner Polizei und des Innensenators einzuschätzen. Dass in dieser Situation, wo fast die ganze Welt davon ausgeht, dass allerschlimmste Randale unausweichlich ist, dass in dieser Situation Polizeipräsident und Innensenator sagen: Wir bleiben bei der bewährten Deeskalationsstrategie. Da sage ich: Das war richtig, und das verdient unseren Respekt!